Titel
Elsaß
-Lothringen.
[* 2] Die Bevölkerung [* 3] zählte 1885 auf 14,509,22 qkm (263,46 QM.) 1,564,355 Seelen. Die Zahl der Auswanderer betrug 1888: 937. Die Einwohner verteilen sich auf die drei Bezirke wie folgt:
Bezirke | QKilom | QMeilen | Einwohner | Einw. auf 1 qkm |
---|---|---|---|---|
Lothringen | 6222.28 | 112.95 | 489729 | 79 |
Oberelsaß | 3508.60 | 63.72 | 462549 | 132 |
Unterelsaß | 4778.53 | 86.79 | 612677 | 128 |
^[Additionslinie]
Zusammen: | 14509.41 | 263.46 | 1564355 | 108 |
---|---|---|---|---|
Hinsichtlich des Geschlechts befanden sich darunter 771,269 männliche und 793,086 weibliche Personen. Ledig waren 479,287 männliche und 462,812 weibliche, verheiratet 255,953 männliche und 255,932 weibliche, verwitwet und geschieden 36,029 männliche und 74,342 weibliche Personen. Die Zahl der Eheschließungen betrug 1887: 10,122, der Geburten 50,201 (8 Proz., unehelich), der Gestorbenen 37,216;
mehr geboren als gestorben sind demnach 12,985 Personen.
Die Zahl der Gemeinden beträgt 1698, worunter 99 Städte; unter den letztern befinden sich 8 (Straßburg, [* 4] Mülhausen, [* 5] Metz, [* 6] Hagenau, [* 7] Gebweiler, [* 8] Kolmar, [* 9] Markirch [* 10] und Saargemünd) [* 11] mit mehr als
10,000 Einw. Die Zahl der
Wohnhäuser
[* 12] und sonstigen Aufenthaltsstätten belief sich auf 270,227, der Haushaltungen auf 359,844
(1616 weniger
als 1880). Unter der Gesamtbevölkerung von 1885 befanden sich 1,368,771 Staatsangehörige, 151,755
Angehörige
andrer
Bundesstaaten und 42,610 Reichsausländer. Dem Religionsbekenntnis nach waren 312,941
Evangelische,
1,210,325 Katholiken, 3771 sonstige
Christen und 36,876
Juden. An höhern
Schulen befinden sich in Elsaß
-Lothringen
1889: 15 Gymnasien, 7 Progymnasien,
ein
Realprogymnasium, 8
Realschulen und 2 höhere
Bürgerschulen.
Die Zahl der Studierenden bei der Universität Straßburg betrug während des Sommersemesters 1889: 874. Im Bergbau [* 13] förderten 1888: 3324 Arbeiter in 29 Werken 2,805,264 Ton. Eisenerze im Wert von 6,002.485 Mk., 3413 Arbeiter in 2 Werten 689,135 T. Steinkohlen im Wert von 5,137,948 Mk. und in 8 Werken 269 Arbeiter 48,455 T. Kochsalz im Wert von 718,802 Mk. An Asphalt wurden gewonnen 1887: 34,483 T. im Wert von 186,125 Mt., an Erdöl [* 14] 1838: 9150 T. im Wert von 634,130 Mk. Von den 30,320 bestehenden Branntweinbrennereien waren 1887: 9667 in Betrieb.
Die Bierproduktion belief sich 1888/89 auf 759,258
hl. In 2
Fabriken wurden 192,6 T.
Stärkezucker und 881 T.
Sirup produziert.
Der Güterverkehr auf den Wasserstraßen von Elsaß-Lothringen
ist von 1,246,222 T. (1880)
auf 1,351,993 T. (1885) gestiegen. Davon entfällt über die Hälfte auf
Brennmaterialien. Der ordentliche
Etat für 1889/90
beträgt in
Einnahme 44,917,871, in
Ausgabe 43,347,799 Mk.; die
Einnahmen beim außerordentlichen
Etat betragen 944,571, die
Ausgaben 2,514,643 Mk. Die
Posten des ordentlichen
Etats sind:
Statthalterschaft | 500 Mk. |
---|---|
Staatsrat, Bundesrat und Landesausschuß | 300 |
Ministerium | 30580 |
Öffentlicher Unterricht | 14400000 |
Inneres | 819352 |
Justiz und Kultus | 246070 |
Forstverwaltung | 5220000 |
Tabaksmanufaktur in Straßburg | 400000 |
Zölle, indirekte Steuern und Enregistrement | 25052304 |
Direkte Steuern | 11277630 |
Landwirtschaft | 130895 |
Allgemeine Einnahmen | 3033240 |
Fortdauernde | Einmalige | |
---|---|---|
Statthalterschaft | 316000 Mk. | - Mk. |
Staatsrat | 20000 | - |
Vertretung beim Bundesrat | 20000 | _ |
Landesausschuß | 157700 | 350000 |
Ministerium | 904740 | - |
Öffentlicher Unterricht etc. | 5197150 | 935505 |
Verwaltung des Innern | 6624015 | 689718 |
Justiz und Kultus | 5857570 | 401200 |
Verwaltung der Finanzen, Landwirtschaft und Domänen | 21603898 | 270300 |
Die Staatsschuld erforderte 1888/89: 790,575 Mk. Der Entwurf des Landeshaushaltsetats für 1890/91 balanciert in Ausgabe u. Einnahme mit 46,935,787 Mk.
[Geschichte.]
Die Verwaltung des neuen Statthalters, Fürsten Hohenlohe, schien anfangs für die deutsche Sache günstige Wirkungen zu erzielen. Aus die Bitte des Landesausschusses ließ die Regierung bei den Gemeinderatswahlen im Juli 1886 auch in Straßburg den Gemeinderat wieder wählen, und da dieser wenigstens nicht in seiner Mehrheit protestlerisch war. ernannte der Kaiser 23. Juli den bisherigen Bezirkspräsidenten Back zum Bürgermeister von Straßburg. In Metz wurden sogar 19 Mitglieder der deutschen Partei und 13 Einheimische, dagegen ¶
mehr
lein Protestler in den Gemeinderat gewählt, während im Oberelsaß die Wahlen nicht günstig ausfielen. Bei der Anwesenheit des Kaisers in Straßburg und seiner Umgebung aus Anlaß des Kaisermanövers im September 1886 zeigte die Bevölkerung, besonders die des Landes, große Freude, ja Begeisterung. Als der Landesausschuß wieder eröffnet wurde, konnte der Staatssekretär u. Hofmann auf die günstige Lage der Finanzen hinweisen, indem die Etats von 1887 und 1888 einen Überschuß von 2 Mill. ergaben. Unter dem Eindruck der großen Debatte im Reichstag über das Septennat 11.-14. Jan. 1887 (s. Deutschland, [* 16] Bd. 17, S. 236) ward auch die Kriegsfrage im Landesausschuß berührt.
Nachdem der Abgeordnete Zorn v. Bulach (der jüngere) das Septennat als sicheres Mittel, den verderblichen Krieg mit Frankreich
zu verhindern, empfohlen hatte, wies Hofmann auf die Bedeutung der nächsten Reichstagswahlen für Elsaß-Lothringen
hin. »Wenn
das Land«, sagte er 28. Jan., »Abgeordnete in den Reichstag schickt, die dort laut und entschieden verkünden
und auch ihre Abstimmung danach einrichten, daß Elsaß-Lothringen
vom Revanchekrieg nichts wissen will, so wird das in Frankreich Eindruck
machen. Die 15 Stimmen der elsaß-lothringischen Abgeordneten haben in einer Frage, bei der es auf das Verhältnis zwischen
Deutschland und Frankreich ankommt, weit mehr Gewicht als die Stimmen der andern Reichstagsabgeordneten,
denn sie werden in Frankreich als der Ausdruck der öffentlichen Meinung in Elsaß-Lothringen
aufgefaßt. Es fällt dort das Gewicht dieser
Stimmen entweder in die Wagschale des Kriegs oder in die des Friedens, je nachdem sie in dem einen oder andern Sinn abgegeben
werden.« Auch Fürst Hohenlohe sprach bei einem Festmahl 9. Febr. von der Bedeutung der Reichstagswahlen, von
deren Ergebnis die Gleichstellung Elsaß-Lothringens mit den andern deutschen Ländern in staatsrechtlicher Beziehung abhänge,
und forderte in einem Aufruf 15. Febr. die Wähler auf, durch die Wahl von Abgeordneten, welche den Frieden von 1871 rückhaltlos
anerkennten, zur Sicherung des Friedens beizutragen, während sie sich durch Wahl von Protestlern für die
Gefährdung desselben verantwortlich machten.
Aber alle Mahnungen und Warnungen waren nutzlos. Während der Manteuffelschen Mißregierung war den Wühlereien der Franzosen
und Franzosenfreunde so freies Spiel gelassen worden, daß die Masse der Bevölkerung an einen dauernden Bestand der deutschen
Herrschaft nicht glaubte. Aus Elsaß-Lothringen
gebürtige französische Beamte und Offiziere, zurückgekehrte Optanten und junge Leute,
die französische Schulen besuchten, hatten ungehindert für Frankreich agitieren dürfen und wußten nun die Ansicht zu verbreiten,
daß in dem bevorstehenden, von Boulanger vortrefflich vorbereiteten Krieg die Franzosen siegen, dann aber über alle Deutschenfreunde
ein fürchterliches Strafgericht verhängen würden, während man Ähnliches von den langmütigen, geduldigen
Deutschen selbst im Fall eines Siegs derselben nicht zu befürchten habe.
Wenn der katholische Klerus diese Ansicht auch nicht teilte, so wünschte er doch eine engere Verbindung mit Deutschland nicht,
weil er von ihr ein Eindringen der freiern deutschen Geisteskultur und eine Gefährdung seiner Herrschaft
über das Volk befürchtete. Und die Bevölkerung von Elsaß-Lothringen
bewies ihren unter französischer Herrschaft großgezogenen Mangel
an Selbständigkeit, indem sie teils von den Vorspiegelungen und Drohungen der Französlinge sich einschüchtern, teils von
den
Geistlichen sich willenlos leiten ließ und 21. Febr. lauter Protestler und Klerikale wählte; der septennatsfreundliche Baron Zorn v. Bulach mußte einem unbedeutenden, sogar anrüchigen Arzt weichen. Der der Regierung günstige Ausfall der Wahlen im übrigen Deutschland, welcher die Annahme des Septennats sicherte, beseitigte jede Kriegsgefahr und damit auch etwanige üble Folgen der elsaß-lothringischen Wahlen. Aber mit Recht wurde die Frage aufgeworfen, ob nicht ein Regierungssystem, welches nach 16jähriger wohlwollender und umsichtiger Thätigkeit so gut wie nichts für die Befestigung der deutschen Herrschaft und die Verschmelzung des Reichslandes mit dem Reich erreicht habe, unbrauchbar sei und geändert werden müsse.
Hohenlohe setzte es indes durch, daß an der Verfassung des Reichslandes nichts Wesentliches geändert wurde; nur der Staatssekretär u. Hofmann wurde 9. März entlassen und erst provisorisch, 188^ definitiv durch den Unterstaatssekretär v. Puttkamer ersetzt. Das Unterstaatssekretariat des Innern wurde mit dem des Handels und der Gewerbe verschmolzen und dem Regierungspräsidenten zu Königsberg, [* 17] Studt, übertragen. Das der Finanzen erhielt Back, später Schraut.
Dann wurde aber eine ganze Reihe von Maßregeln ergriffen, um dem noch so mächtigen französischen Einfluß zu begegnen und die Einwohner, besonders die Behörden der Gemeinden, zum Gehorsam zu zwingen. Daher wurde im Juni 1887 durch Reichsgesetz das Gesetz vom aufgehoben, wonach die Bürgermeister aus dein Gemeinderat auf fünf Jahre genommen werden mußten, und der Regierung das Recht zuerteilt, die Bürgermeister beliebig zu ernennen und ihnen auch auf Gemeindekosten einen Gehalt anzuweisen.
Dann wurde das Recht des Landesausschusses, Reichsgesetze bei ihrer Einführung als Landesgesetze zu verändern, beschränkt. Zahlreiche Vereine, die eine deutschfeindliche Haltung zeigten, wurden aufgelöst, die Feuerwehr nach deutschem Muster umgestaltet, französische Agitatoren und Optanten ausgewiesen, französischen Offizieren und Zivilpersonen der Aufenthalt nur gegen besondere Erlaubnis gestattet, mehrere Bürgermeister abgesetzt und einige Spione verhaftet und verurteilt.
Der Gebrauch der deutschen Sprache [* 18] in der Öffentlichkeit wurde auch auf Anschläge und Veröffentlichungen ausgedehnt. Das energische Auftreten der Regierung hatte zur Folge, daß in Straßburg anstatt des Protestlers Kable ein deutschfreundlicher Elsässer, Rechtsanwalt Petri, welcher als Hospitant der nationalliberalen Partei beitrat, zum Reichstagsabgeordneten gewählt wurde. Der Landesausschuß genehmigte den Bau des Landesausschußgebäudes, dessen Bewilligung 1887 wegen der unsichern Zukunft des Landes verschoben worden war, und die Bildung eines Landwirtschaftsrats.
Obwohl Kaiser Friedrich III. in seinem Erlaß vom verkündete, daß er die Regierung der Reichslande im Namen des Reichs
übernommen habe und entschlossen sei, die Rechte des Reichs über diese deutschen, nach langer Zwischenzeit wiederum mit dem
Vaterland vereinigten Gebiete zu wahren", belebten unbestimmte Gerüchte über die Absicht des neuen
Kaisers, Elsaß-Lothringen
an Frankreich zurückzugeben oder ihm eine selbständigere Stellung einzuräumen, wieder die Maulwurfsarbeit der
Französlinge, die, unter der äußerlich ruhigen Oberfläche fortwährend thätig, die Stimmung im Land nicht zur Ruhe kommen
ließen und der Regierung ihre Aufgabe so sehr erschwerten. Daher erließ die Regierung 22. Mai eine
¶
mehr
Verordnung, wonach alle über die französische Grenze zureisenden Ausländer einen Paß,
[* 20] welcher von der deutschen Botschaft
in Paris
[* 21] visiert sei, vorzeigen mußten; an Personen, welche in irgend einer Eigenschaft zur französischen Armee und Marine gehörten
oder vor Erfüllung ihrer Wehrpflicht ihre deutsche Staatsangehörigkeit verloren hatten, sollte das Visum der Botschaft
nur nach vorgängiger Zustimmung der elsaß-lothringischen Behörden zu einem möglichst kurzen Aufenthalt erteilt werden
Diese Paßverordnung schädigte Zwar etwas die wirtschaftlichen Interessen der Grenzorte und den Verkehr auf den Reichseisenbahnen,
trug aber wesentlich dazu bei, den Besuch französischer Aufwiegler zu verhindern, die Auswanderung von Elsaß-Lothringern
zu vermindern, da sie nun nicht mehr so leicht nach Elsaß-Lothringen
zurückkehren konnten, und
auch die jungen Leute von den französischen Lehranstalten fern zuhalten; die Beruhigung des Landes wurde hierdurch wesentlich
gefördert.
Die Paßverordnung wurde daher nicht aufgehoben, obwohl der Landesausschuß im Januar 1889 dies beantragte und auch im Reichstag Petri dafür eintrat. Die französischen Scheidemünzen wurden verboten, auch für notarielle und Privaturkunden die deutsche Sprache vorgeschrieben und den nichtdeutsche Schulen besuchenden Kindern eine jährliche Prüfung vor dem Kreisschulinspektor auferlegt Die Wahlen für die Kreis- und Bezirkstage und den Landesausschuß 1888 bestätigten die günstige Wirkung des neuen Regierungssystems. Der Empfang des Kaisers Wilhelm II. und seiner Gemahlin in Straßburg 1889 war ein herzlicher auch von feiten der alteinheimischen Bevölkerung.
Zur Litteratur: »Ortschaftsverzeichnis von Elsaß-Lothringen«
(hrsg.
vom Statistischen Büreau, Straßb. 1889);
Grad, L’Alsace, le pays et ses habitants (Par. 1889);
Hertzog, Die bäuerlichen Verhältnisse im Elsaß (Straßb. 1886);
Herkner, Die oberelsässische Baumwollindustrie (das. 1887);
Naeher, Die Burgen
[* 22] in Elsaß-Lothringen
(das. 1886);
Rathgeber, Elsässische Geschichtsbilder aus der Revolutionszeit (Basel [* 23] 1886);
Rocholl, Zur Geschichte der Annexion des Elsaß durch die Krone Frankreichs (Gotha [* 24] 1888).