Titel
Elsaß-Lothringen
[* ] (hierzu Karte Elsaß-Lothringen), das unmittelbare »deutsche Reichsland«, das durch den Friedensschluß zu Frankfurt a. M. vom von Frankreich an das Deutsche Reich abgetreten wurde, zwischen 23° 33' und 25° 53' östl. L. v. Gr. und zwischen 47° 25' und 49° 30' nördl. Br. gelegen, bildet die südwestliche Grenzmark Deutschlands gegen Frankreich. Seine größte Ausdehnung von N. nach S. beträgt 190, von O. nach W. (etwa unter 49° Br.) 170 km. Am geringsten ist die Breite des Landes in der Gegend von Schlettstadt und Kolmar und im S. von Mülhausen, wo sie nur 35 km beträgt. Im N. grenzt Elsaß-Lothringen an Luxemburg, die preußische Provinz Rheinland und die bayrische Rheinpfalz, im O. an Baden, im S. an die Schweiz und Frankreich und im W. an Frankreich. Von Baden wird es in der ganzen Ausdehnung der östlichen Grenzlinie durch den Rhein geschieden, während auf der Grenze gegen Frankreich aus der Gegend von Belfort bis zur Saarquelle die Vogesen eine natürliche Grenze bilden.
Physische Beschaffenheit.
Die Oberfläche des Landes teilt sich in drei Regionen: die bergige, die hügelige und die ebene. Die letztere dehnt sich aus vom Rhein bis an die Vogesen und zwar in einer Breite von 16-30 km; die bergige Region umfaßt die Vogesen und die hügelige den nordwestlichen Teil, die Platte von Lothringen. Die ebene Region ist ein Teil der Oberrheinischen Tiefebene (s. d.). Sie erstreckt sich gegen S. bis Mülhausen, wo die letzten Ausläufer des Jura sind, der noch innerhalb des Reichslandes, aber nahe der Grenze der Schweiz, an den Quellen der Ill und Larg im Glaßberg und Morsperg (Morimont) bis 817 und 822 m ansteigt.
In der Ebene finden wir längs des Rheins große, oft versumpfte Wiesenflächen und Wasserlachen, Überbleibsel alter Rheinläufe; alsdann einen etwas erhabenen Landstrich, der im S. eine starke Kieslage trägt und wasserarm ist (Hartforst), in der Mitte und im N. neben einigen Sandstrichen aber einen fruchtbaren Lehmboden enthält und somit zum Anbau von Getreide, Tabak und Hopfen ganz vorzüglich geeignet ist; endlich folgt längs der Vogesen eine sanft ansteigende Hügelregion mit zahlreichen Ortschaften, Obst- und Weinpflanzungen. Im N. nähern sich die Vorhügel des Gebirges dreimal dem Rhein, bei Straßburg, Bischweiler und Selz.
Die Meereshöhe der Ebene beträgt im S. etwa 250, im N. 140 m. Die bergige Region umschließt die Vogesen (s. d., les Vosges) oder den Wasgenwald. Die Hügelregion im NW., die Platte van Lothringen, besteht aus Buntsandstein, Muschelkalk, Keuper und Jura, außerdem bei Forbach noch aus dem Steinkohlengebirge und wird durch die Saar, Nied und Mosel gegliedert. In der Mitte befinden sich in einer Ebene zahlreiche und große Weiher; selten aber (wie im Juragebirge an der Mosel, woselbst die reichsten Eisenerzlager) erreicht noch ein Punkt eine Meereshöhe von 400 m; bei Metz ist der höchste Gipfel die Feste Prinz Friedrich Karl, ehemals Fort St.-Quentin (350 m). -
Die Hauptflüsse von Elsaß-Lothringen sind der Rhein und die Ill im O. und die Mosel und Saar im W. von den Vogesen. Der Rhein, dessen Korrektion nahezu vollständig beendet ist, ist nur Grenzfluß und zwar auf einer Strecke von 184,14 km gegen Baden. Der größte Zufluß des Rheins innerhalb der Grenzen des Reichslandes ist die Ill, der eigentliche Hauptfluß des Elsaß. Diese empfängt auf der rechten Seite wegen der Nähe des Rheins nur unbedeutende Bäche, dagegen zahlreiche Gewässer auf der linken Seite: die Larg noch aus dem Jura, sodann aus den Vogesen und zwar dem hohen Teil derselben die Doller aus dem Thal von Masmünster, die Thur aus dem industriereichen Thal von St.-Amarin, zugleich mit der aus dem Blumenthal (von Gebweiler) kommenden Lauch, die Fecht aus dem reizenden Münsterthal und die Breusch von Schirmeck her.
Unter den übrigen nur geringen Nebenflüssen des Rheins im Reichsland sind zu nennen: die Moder mit Zorn und Zinsel, die Sauer und auf der Grenze gegen die Rheinpfalz die Lauter. Die Mosel durchströmt den äußersten nordwestlichen Teil von Elsaß-Lothringen und empfängt innerhalb des Reichslandes rechts bei Metz die Seille und links die Orne, die das eisensteinreiche Juragebirge durchbricht. Außerdem erhält die Mosel noch aus dem Reichsland ihren wichtigsten Zufluß, die Saar, die in der preußischen Rheinprovinz mündet, auf der Grenze gegen dieselbe rechts die Blies und in der Rheinprovinz links die aus Elsaß-Lothringen kommende Nied aufnimmt. An Seen ist Elsaß-Lothringen arm.
Unter denen der Vogesen, welche aber nur von ganz geringem Umfang sind, haben ihrer Lage wegen der Belchensee am Sulzer Belchen sowie der Schwarze und Weiße See (letzterer 1054 m ü. M.) unterhalb des Hauptkammes am Reisberg Bedeutung. Größer sind die Seen in Lothringen, die aber nur die Bezeichnung Weiher führen und flach sind; unter ihnen sind der Weiher von Gondrexange am Rhein-Marne- und Saarkanal, der Stock- und der Mühlweiher am Saarkanal sowie der Linderweiher südöstlich von Dieuze hervorzuheben.
Elsaß-Lothringen erfreut sich in seinen tiefern Regionen, in der Rheinebene nebst den Vorhügeln zu den Vogesen und im Moselthal, eines milden Klimas, das dem des östlich liegenden Baden in seinen verschiedenen
Die Hauptorte sind doppelt, die der Kreise einfach unterstrichen.
Deutsch-französische Sprachgrenze.
Zum Artikel »Elsaß« ^[Elsaß-Lothringen].
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Teilen entspricht. Die größte jährliche Durchschnittswärme im Deutschen Reich zeigt die Oberrheinische Tiefebene in der Gegend, wo der Neckar mündet (Heidelberg und Dürkheim 10,8° C.); von hier nimmt sie langsam nach N. und S. ab, so daß sie in Straßburg etwa 9,8° C. beträgt, während sie in Mülhausen (und Basel) noch ein wenig geringer ist. Zu Metz beträgt die jährliche Durchschnittswärme etwa 9,1° C. Bedeutend geringer ist sie in der Mitte auf dem Hügelplateau von Lothringen, auf dem die Blütezeit der Obstbäume 14 Tage später eintritt als im Moselthal, und in den Vogesen, in deren höchsten Teilen der Schnee sechs Monate und länger liegt. Aus der Höhe des Gebirges sind daher die Sommer kurz, aber heiß. Unter den Winden sind die Südwest- und Nordostwinde vorherrschend. Als größte Kälte in der Rheinebene sind 1830 zu Mülhausen 27° C., in den Vorbergen der nördlichen Vogesen 28,3° C. beobachtet morden, während im Sommer das Thermometer in der Ebene häufig bis auf 32° C. und darüber steigt. Gewitter sind häufig; viele von ihnen entwickeln sich in den Vogesen und ziehen zum Schwarzwald hinüber, oft begleitet von heftigen Hagelwettern. Der jährliche Niederschlag beläuft sich zu Straßburg auf 67, zu Metz auf 70 cm. Der Weinstock steigt an den Gehängen und in den Thälern der Vogesen bis 400 m hinauf, reicht aber in Lothringen nicht bis zu dieser Höhe. In dieser Region gedeihen auch der Nußbaum, die Kastanie und der Mais. Das Obst geht noch höher, bis etwa 650 m, das Getreide bis 800 m; die Baumgrenze liegt ungefähr bei 1100 m, in welcher Höhe sich hauptsächlich Rotbuchen finden.
Areal und Bevölkerung.
Elsaß-Lothringen hat einen Flächeninhalt von 14,509,42 qkm (263,50 QM.). Während nach der französischen Zählung von 1866 die Bevölkerung des gegenwärtigen Gebiets des Reichslandes 1,579,219 Seelen betragen hatte, belief sich bei der ersten deutschen Zählung von 1871 die ortsanwesende Bevölkerung nur noch auf 1,549,738; bei der Zählung von 1875 ergab sich eine weitere Abnahme auf 1,531,804; dagegen wurden 1880 wieder 1,566,670 Einw. gezählt. Die Gesamtbevölkerung hatte sich hiernach gegen 1875 um 2,27, gegen 1871 um 1,10 Proz. vermehrt.
Berücksichtigt man die Zivilbevölkerung (1880: 1,527,707; 1875: 1,499,020; 1871: 1,517,494) allein, so beträgt die Zunahme gegen 1875 nur 1,89, gegen 1871 nur 0,67 Proz. Die Auswanderung, welche in den ersten Jahren nach dem Krieg von 1870/71 sehr bedeutend war, ist nicht so erheblich wie in den benachbarten Staaten; in den Jahren 1876-80 sind zusammen 36,282, durchschnittlich 7256 Personen mehr aus- als eingewandert; die höchste Ziffer der überseeischen Auswanderung in der Zeit von 1875 bis 1882 hat 3700 Personen betragen (1881). Auf die drei Bezirke, in welche das Land geteilt ist, verteilen sich Areal und Bevölkerung wie folgt:
Bezirke | Fläche | Bevölkerung | Einw. auf 1 qkm | ||
---|---|---|---|---|---|
QKilom. | QMeil. | 1875 | 1880 | 1880 | |
Oberelsaß | 3508.59 | 63.71 | 453374 | 461942 | 131.66 |
Unterelsaß | 4778.69 | 86.79 | 598180 | 612022 | 128.07 |
Lothringen | 6222.14 | 113.00 | 480250 | 492706 | 79.18 |
Zusammen: | 14509.42 | 263.50 | 1531804 | 1566670 | 107.97 |
Elsaß-Lothringen gehört hiernach zu den bevölkertsten Gebieten Europas; im Deutschen Reich nimmt es, wenn man von den Hansestädten absieht, den sechsten Rang ein und kommt unmittelbar vor dem benachbarten Baden. Sehr bedeutend ist die Verschiedenheit der Bevölkerungsdichtigkeit zwischen Elsaß und Lothringen. Unter den einzelnen Kreisen hat Mülhausen, freilich mit der gleichnamigen Stadt, die dichteste, Château-Salins in Lothringen die dünnste Bevölkerung; dort leben 218, hier 52 Menschen auf 1 qkm.
Hinsichtlich des Geschlechts fanden sich 1880: 770,108 männliche und 796,562 weibliche oder auf 100 weibliche Personen 96,68 männliche;
männliche | weibliche | |
---|---|---|
ledig waren | 474530 | 464149 |
verheiratet | 259088 | 258732 |
verwitwet | 36027 | 72785 |
geschieden | 463 | 896 |
Bezüglich der Bewegung der Bevölkerung ist ein nicht unwesentlicher Unterschied zwischen Elsaß und Lothringen zu verzeichnen;
in den zehn Jahren 1873-82 hat durchschnittlich betragen: die Zahl der Geburten im ganzen Land 35,28 pro Mille der mittlern Bevölkerung, in Lothringen allein nur 31,63 pro Mille;
die Zahl der Todesfälle 26,00 pro Mille, bez. 24,80 pro Mille;
die Zahl der Eheschließungen 6,99, bez. 6,77 pro Mille. Unter den Gebornen waren im ganzen Land 7,31 Proz., in Lothringen 5,29 Proz. unehelich.
Die Zahl der Gemeinden beträgt 1699, worunter 99 Städte; unter denselben haben (1880) 4 Städte mehr als 20,000 Einw. Die Zahl der Haushaltungen belief sich auf 361,460, die der Wohnhäuser und sonstigen Aufenthaltsstätten auf 268,982. Unter der Gesamtbevölkerung von 1880 befanden sich 114,797 (7,31 Proz.) Angehörige andrer deutscher Bundesstaaten (abgesehen von den eingewanderten Landesbeamten, welche zugleich Elsaß-Lothringer sind) und 33,848 (2,15 Proz.) Reichsausländer (hiervon wieder 41 Proz. Franzosen). Dem Religionsbekenntnis nach waren 1880 in Elsaß-Lothringen 1,218,468 oder 77,78 Proz. Katholiken, 305,134 oder 19,49 Proz. Protestanten, 39,278 oder 2,51. Proz. Israeliten. Hiernach ist in der Prozentsatz der Katholiken höher als in irgend einem andern Lande des Deutschen Reichs oder einer Provinz des preußischen Staats.
Wiewohl Elsaß-Lothringen unter französischer Herrschaft sich einer über den meisten andern Teilen Frankreichs stehenden Volksbildung zu erfreuen hatte, war es doch mit großen Schwierigkeiten verbunden, dieselbe nach Einrichtung der deutschen Verwaltung auf die gleiche Höhe zu bringen wie im übrigen Reichsgebiet. Es bestand kein Schulzwang, die Lehrkräfte waren zum großen Teil Ordensbrüder und -Schwestern, deren Vorbildung staatlich nicht kontrolliert war, die Besoldungen waren ungenügend, namentlich auch fehlte es an Lehrkräften, welche im französischen Sprachgebiet Unterricht auch in der deutschen Sprache erteilen konnten. In allen diesen Punkten ist jetzt Abhilfe geschafft.
Das gesamte Unterrichtswesen ist, soweit es nicht staatlich geleitet wird, der Aufsicht des Staats unterstellt. An der Spitze steht ein mit dem Ministerium verbundener Oberschulrat, dessen Vorsitzender der Staatssekretär ist, und der aus ordentlichen und außerordentlichen Mitgliedern (diese zum Teil Laien) besteht. Dem Oberschulrat ist unmittelbar das höhere Schulwesen unterstellt, das niedere steht zunächst unter den Bezirkspräsidenten. Die öffentlichen höhern Schulen sind von den Gemeinden einzurichten und zu unterhalten; die Lehrergehalte etc. trägt der Staat, der dafür das Schulgeld bezieht. An solchen Schulen sind (1885) vorhanden: 10 Gymnasien und Lyceen, 3 Progymnasien, 2
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Realgymnasien, 4 Realprogymnasien, eine Gewerbeschule (Realschule mit Handels- und Gewerbeklassen zu Mülhausen), 8 Realschulen, eine Lateinschule; die Umwandlung der Realgymnasien und Progymnasien in Schulen andrer Art ist angeordnet. Höhere Privatschulen sind: das protestantische Gymnasium und die katholische höhere Schule zu Straßburg, die (bischöflichen) Knabenseminare zu Metz und zu Zillisheim (Oberelsaß), zwei weitere geistliche Anstalten zu Bitsch und Metz.
Zur Leitung des niedern Schulwesens ist den Bezirkspräsidenten je ein Schulrat und außerdem eine teilweise aus Laien bestehende Kommission (Bezirksunterrichtsrat) beigegeben. Die Aufsicht wird durch 24 Kreisschulinspektoren geführt. Die Volksschulen sind Gemeindeanstalten, die Pensionen der Lehrer und Lehrerinnen werden jedoch vom Staat gezahlt. Französische Sprache wird nur im französischen Sprachgebiet gelehrt. Zur Heranbildung der Lehrer und Lehrerinnen bestehen 6 Lehrer- und 3 Lehrerinnenseminare und 4 Präparandenanstalten (je eine Anstalt jeder Art evangelisch). Außerdem sind an öffentlichen Lehranstalten vorhanden 16 aus Landesmitteln unterstützte städtische höhere Töchterschulen, eine Taubstummenanstalt zu Metz (zwei weitere derartige Anstalten, für welche staatliche Unterstützungen bewilligt werden, sind [1885] in der Bildung begriffen); für Blindenunterricht besteht eine Privatanstalt zu Illzach.
Eine in glänzendster Weise (teilweise aus Reichsmitteln) ausgestattete und (mit Reichszuschuß, jährlich 400,000 Mk.) unterhaltene Universität besitzt Elsaß-Lothringen in Straßburg. Eine solche bestand schon in früherer Zeit; sie war aus dem 1538 von Jakob Sturm v. Sturmeck gegründeten protestantischen Gymnasium hervorgegangen, 1566 von Kaiser Maximilian II. als Akademie, 1621 von Ferdinand II. als Universität anerkannt worden und erfreute sich namentlich im 18. Jahrh., wo sie einen Mittelpunkt deutschen Lebens bildete, eines regen Aufschwunges. Im J. 1803 ward sie zu einer Akademie umgebildet und bestand als solche bis zur deutschen Besitznahme.
Die neue Universität (aus einer evangelisch-theologischen, einer juristischen, einer medizinischen, einer philosophischen sowie einer mathematischen und naturwissenschaftlichen Fakultät bestehend) ward eröffnet und zählte 1885: 100 Professoren und Dozenten und über 800 Studenten. Gleichzeitig mit der Gründung der neuen Hochschule ward zum Ersatz für die in der Nacht vom 24. zum vernichtete alte Stadtbibliothek, die neben 350,000 Bänden über 2400 unersetzliche Handschriften gezählt hatte, zunächst durch Schenkungen aus deutschen und außerdeutschen Ländern, die Universitäts- und Landesbibliothek gegründet, die Ende 1882 bereits 543,000 Bände umfaßte.
Zur Ausbildung der katholischen Geistlichkeit dienen Priesterseminare zu Straßburg und Metz, die von den Diözesen unterhalten werden, der Staat bewilligt nur Stipendien; für die Israeliten ist 1885 eine Rabbinatsschule zu Kolmar in Bildung begriffen, die staatlich in gleicher Weise unterstützt wird. Von Kunst- und wissenschaftlichen Sammlungen sind außer der Universitätsbibliothek namentlich die mit dieser verbundene Landesmünzsammlung, die städtische naturwissenschaftliche Sammlung in Straßburg und das städtische Museum zu Kolmar zu nennen. Die periodische Presse umfaßte 1885: 118 Zeitungen und Zeitschriften, wovon 68 in deutscher, 25 in französischer und 25 in beiden Sprachen erschienen.
Die Elsässer gehören, mit Ausnahme vielleicht der Bewohner des nördlichen Teils, dem alemannischen, die Lothringer dem fränkischen Volksstamm an; wie in der Bodenbeschaffenheit, dem Charakter des Landes, der Dichtigkeit der Bevölkerung und vielen andern Beziehungen, besteht auch im Volkscharakter ein großer Unterschied zwischen Elsaß und Lothringen: der Elsässer ist beweglich, heiter, aufgeweckt, der Lothringer schwerfällig, ernst. Volkstrachten haben sich nur noch in einigen Gegenden des Unterelsaß erhalten.
Die Volkssprache ist im weitaus größten Teil des Landes die deutsche, im kleinern Teil die französische; es gehören 80,21 Proz. dem deutschen, 11,48 Proz. dem französischen, 8,31 Proz. dem gemischten Sprachgebiet an. Das Französische ist vielfach ein Patois. Im Elsaß umfaßt das französische Sprachgebiet einzelne Gemeinden an der äußersten Südwestgrenze gegen die Schweiz, eine Anzahl Gemeinden des Kantons Dammerkirch, den Kanton Schnierlach, reicht in die Thäler der Kantone Markirch und Weiler hinein und umgreift die Kantone Saales und Schirmeck. In Lothringen greift das französische Sprachgebiet tiefer in das Land hinein, mit der Landesgrenze trifft die Sprachgrenze nur an der äußersten, sich zwischen Frankreich und Luxemburg einschiebenden Spitze zusammen; französisch sprechen die Kantone Lörchingen und Rixingen, ein Teil von Saarburg und Großtänchen, der Kreis Château-Salins mit Ausnahme nur der Hälfte des Kantons Albesdorf, ein Teil des Kantons Falkenberg, einige Gemeinden von Bolchen, der ganze Landkreis Metz und ein Teil von Diedenhofen.
Landwirtschaft. Naturprodukte.
Hinsichtlich des Berufs gehörten nach der Zählung von 1882 der Land- und Forstwirtschaft 41,88 Proz. der Bevölkerung, dem Gewerbe 36,64 Proz. (und zwar der Textilindustrie allein 8,29 Proz.), dem Handel und Verkehr 9,26 Proz., den häuslichen Dienstleistungen und der Lohnarbeit verschiedener Art 1,08 Proz., dem öffentlichen Dienst und den sogen. freien Berufsarten 6,77 Proz. an, während 4,37 Proz. ohne besondern Beruf waren. Von der Gesamtfläche des Landes waren 1883: 47,75 Proz. Acker und Gartenländereien, 12,27 Wiesen, 3,15 Weiden, Öd- und Unland, 2,25 Weinberge, 30,59 Wald, 0,38 Haus- und Hofräume, 3,40 Proz. Wegeland, Gewässer etc. Die Landwirtschaft bildet hiernach die erste und vornehmste Nahrungsquelle der Bewohner, sie steht auf höherer Stufe im Elsaß als in Lothringen.
Nachteilig wirkt vielfach das allgemeine Vorherrschen des kleinen Grundbesitzes, der noch dazu außerordentlich geteilt ist. Zahlreiche Gemeinden haben in ihren Fluren drei verschiedene Arten von Besitz: Privatbesitz, Gemeindeeigentum und verteiltes Gemeindeeigentum. Die beiden letzten Arten von Besitz befinden sich an vielen Orten in Händen von Pachtern, das Pachtgeld wird zu Zwecken der Gemeinde verwendet. Der große Grundbesitz fehlt im Elsaß fast ganz, in Lothringen findet sich derselbe häufiger.
Die Hauptfeldfrucht sind die Kartoffeln, von denen durchschnittlich 709,700 Ton. (à 1000 kg) erzeugt werden; in den bessern Gegenden überwiegt der Weizen mit durchschnittlich 217,600 T. Sonst kommen alle Feldfrüchte der benachbarten Staaten, Mais, Roggen, Gerste, Hafer, Ölfrüchte etc., vor. Kein Land im Deutschen Reich umschließt so große Weinländereien wie Elsaß-Lothringen (1884: 30,625 Hektar). In Lothringen finden sich die ansehnlichsten Weinlagen im Seillethal sowie im Kanton Gorze des Landkreises Metz an der Mosel; doch stehen diese meist roten Moselweine denen im Rheinland weit nach. Im Elsaß liegen die schönsten Weinlagen in der
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Hügelregion längs des Ostfußes der Vogesen. Die weinreichste Gegend ist die von Gebweiler abwärts bis zur Zorn, d. h. die Kantone Rufach (Kreis Gebweiler), Winzenheim (Kreis Kolmar), Kaisersberg und Rappoltsweiler (Kreis Rappoltsweiler) im Oberelsaß, Barr (Kreis Schlettstadt), Molsheim und Wasselnheim (Kreis Molsheim) im Unterelsaß. In diesem Distrikt sind die besten Weinlagen bei Kaisersberg, Ammerschweier, Reichenweier, Sigolsheim, Beblenheim, Hunaweier und Rappoltsweiler, denen sich im S. noch Gebweiler und Thann und im N. Weißenburg u. a. O. anschließen. Im Durchschnitt der bessern Jahre beträgt der jährliche Gewinn an Wein in Elsaß-Lothringen 1,050,000 hl. Die Ausfuhr (von Weißweinen, hauptsächlich aus den Kreisen Kolmar, Rappoltsweiler und Schlettstadt) ist seit der Annexion bedeutend gestiegen (durchschnittlich 80,000 hl). Ebenfalls von Bedeutung ist der Obstbau; es gibt Äpfel, Birnen, Quitten, Zwetschen, Pflaumen.
Kirschen, Aprikosen, Pfirsiche, Walnüsse, Maulbeerbäume, selbst gute Kastanien und Mandeln. Dem Flachs und Hanf waren 1883: 3746 Hektar gewidmet, dem Tabak 1884/85: 2432 Hektar, besonders zwischen Straßburg und Schlettstadt, dem Hopfen 4689 Hektar bei Bischweiler, Hagenau etc. Seit 1883 hat der Hopfenbau zu-, der Tabaksbau abgenommen. Endlich gibt es noch Ölfrüchte, Senf, Zichorie etc. neben einer großen Zahl von Gartengewächsen. Zur Hebung der Landwirtschaft dienen ein ausgebildetes Vereinswesen, eine landwirtschaftliche Versuchsstation zu Rufach, eine landwirtschaftliche Schule daselbst, eine Obst- und Gartenbauschule zu Brumath, eine technische Winterschule zu Straßburg; für das Meliorationswesen sind vier Kulturingenieure und 13 Wiesenbaumeister angestellt.
Nach der Viehzählung von 1883 gab es in Elsaß-Lothringen: 138,725 Pferde, 179 Maultiere und Maulesel, 1332 Esel, 428,650 Stück Rindvieh, 129,433 Schafe, 322,431 Schweine, 53,604 Ziegen und 56,661 Bienenstöcke. Die Zahl der Pferde (hauptsächlich in Lothringen, wo man den Bauer öfters mit sechs Pferden am Pflug den schweren Boden bearbeiten sieht) ist bedeutender als in den meisten Teilen des Deutschen Reichs, namentlich auch in dem benachbarten Baden; dagegen bleibt der Rindviehbestand hinter dem der andern süddeutschen Staaten zurück.
Schafe gibt es in Elsaß-Lothringen, wie in Süddeutschland überhaupt, nur wenige; die Zahl der Schweine ist aber größer als in allen süddeutschen Staaten. Ein Landgestüt zu Straßburg sorgt für die Veredelung der Pferde. In der Rindviehzucht tritt besonders der Kanton Münster im Oberelsaß hervor, der auf seinen vortrefflichen Bergwiesen eine Viehwirtschaft mit Sennen und Sennhütten ganz nach Schweizer Art hervorgerufen hat und von dem beliebten Münsterkäse jährlich ganz bedeutende Mengen erzeugt und ausführt.
Die Gewässer sind reich an Fischen, namentlich Aalen, Karpfen, Hechten, Aalraupen, Barschen, Barben, Schleien, Forellen, Weißfischen; im Rhein gibt es außerdem noch Salme, Lachsforellen etc. In der Gemarkung Blotzheim besteht eine nach Hüningen benannte und 4 km davon entfernte Fischzuchtanstalt, die bedeutendste ihrer Art überhaupt, deren Kosten in der Hauptsache vom Reiche getragen werden. Die Bienenzucht wird ziemlich lebhaft betrieben, der Seidenbau nur noch in geringem Umfang.
Unter den Waldungen waren 1883: 132,310,8 Hektar oder 29,8 Proz. der Gesamtwaldfläche Staatsforsten, 199,391 Hektar oder 44,9 Proz. Gemeinde- und Stiftungsforsten, die ebenfalls der Beaufsichtigung durch die Staatsforstverwaltung unterliegen, 16,748,2 Hektar oder 3,8 Proz. Forsten; welche dem Staat und den Gemeinden als ungeteiltes Eigentum gehören, und 95,594,9 Hektar oder 21,5 Proz. Privatforsten. Elsaß-Lothringen gehört zu den am meisten bewaldeten Ländern des Deutschen Reichs.
Bewaldet ist der größte Teil der Vogesen mit Ausnahme der Thäler, die infolge ihres Wasserreichtums vorzügliche Wiesen enthalten, und einiger bedeutender Weideländereien, namentlich zu beiden Seiten des Münsterthals. Auf dem nördlichen, niedern Teil des Gebirges findet sich eine zusammenhängende Waldung in dem Dreieck zwischen Zabern, Bitsch und Weißenburg, die sich in die Rheinpfalz fortsetzt. In der Ebene des Elsaß ist hauptsächlich von Bedeutung im S. der Hartwald zwischen Rhein und Ill (60 km lang und bis 15 km breit);
im nördlichen Teil erfüllt der Hagenauer Forst das Gebiet zwischen Hagenau, Sulz unterm Wald und Selz. Im hügeligen Teil von Lothringen ist die Bewaldung mehr zersplittert;
größere Wälder finden sich bei Finstingen, Dieuze und auf dem Jura der linken Moselseite etc. Der Hochwald umfaßt nahezu 58 Proz. des Gesamtwaldbestand es, der Mittelwald 34 Proz., der Niederwald 8 Proz.;
ersterer findet sich hauptsächlich im gebirgigen Teil des Landes;
auf der Platte von Lothringen herrscht fast ausschließlich der Mittelwald.
Beim Hochwald überwiegt das Nadelholz, namentlich im Oberelsaß. Unter den Staatswaldungen ist der Hochwald vorherrschend, Niederwald fast gar nicht vorhanden; bei den Gemeinde- und Institutswaldungen überwiegt gleichfalls noch, wenn auch in geringerm Grade, der Hochwald, bei den Privatwaldungen der Mittel- und Niederwald. Die Jagd hat sich dank der Fürsorge der deutschen Forstverwaltung gegen den Zustand, der bei der Besitznahme des Landes vorgefunden wurde, bedeutend gehoben; das neue Jagdgesetz von 1881, welches dem Grundeigentum das frühere unbedingt freie Jagdrecht als Regel entzogen und die Verpachtung durch die Gemeinde vorgeschrieben hat, wirkt in gleicher Richtung. Jagdtiere sind hauptsächlich: Hirsche, Damhirsche, Rehe, Hasen, Kaninchen etc., ferner Wildschweine, Wölfe (in Lothringen häufig), Füchse, Wildkatzen etc.;
an Vögeln: Auerhähne, Fasanen, Haselwild, Wildenten, Schnepfen, Feldhühner.
Unter den nutzbaren Mineralien des Reichslandes stehen die Eisenerze, Steinkohlen, das Salz (sämtlich 1885 nur in Lothringen ausgebeutet) und die Steine obenan. Die Eisenerze finden sich ganz besonders in dem Juragebirge auf dem linken Moselufer, also im äußersten Nordwesten des Landes. Sie bilden hier einen Teil der großartigen Eisenablagerung im Jura, die ganz besonders in Luxemburg, aber auch in Frankreich entwickelt ist, und werden teilweise durch Tagebau gewonnen.
Besonders der Kreis Diedenhofen ist an der Ausbeute dieser Lager beteiligt, und in demselben wiederum sind es die Distrikte an der Orne (Groß-Moyeuvre) und Fentsch (Hayingen). Der Bergbau in dieser Gegend reicht bis ins 13. Jahrh. zurück und fördert nur oolithische Brauneisensteine. Den Hauptabsatz finden die Produkte dieser Werke im Deutschen Reich. Die Hüttenproduktion zu Niederbronn und Umgegend im Unterelsaß und im angrenzenden Lothringen verarbeitet schlechte Erze der Gegend (Bohnerze etc.) in Verbindung mit Erzen aus dem Siegenschen, Nassauischen und selbst aus Frankreich. 1884 wurden 1,909,381 Ton. Eisenerze durch 2667 Arbeiter gefördert. Die Hüttenproduktion (20 Hochöfen im Betrieb) mit 8013 Arbeitern ergab 410,317 T. Roheisen, 31,869
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T. Eisengußwaren (45 Werke), 167,511 T. Schweißeisen (12 Werke) und 36,757 T. Flußeisen (3 Werke). Steinkohlen werden in schwachen Lagen mehrfach in den Vogesen, dagegen in starken Flözen im lothringischen Kreis Forbach bei Saarbrücken gefunden, sind aber hier von mächtigen Sandsteinlagern bedeckt und weniger gut als in den benachbarten preußischen Landesteilen. Von zwei Bergwerken wurden 1884: 594,597 T. durch 3211 Arbeiter gewonnen. Braunkohlen werden in geringer Menge (1881: 3206 T.) am östlichen Fuß der Vogesen in Verbindung mit Asphaltkalk (1883: 3949 T.) und Vitriol- und Alaunerzen (1881: 2419 T.) gefördert, Asphalt bei Lobsann nordwestlich von Sulz unterm Wald und Alaunerze etc. bei Buchsweiler.
In der Umgegend von Sulz unterm Wald werden auch Erdöl und erdölhaltiger Sand (1883: 1193 T.) gewonnen. Lothringen besitzt Steinsalzlager und Salinen im Gebiet der Seille bei Dieuze, Chambrey etc. und an der Saar bei Saaralben. Eine Benutzung derselben fand bereits im 11. Jahrh. statt, der Steinsalzbergbau ist aber gegenwärtig (bei Dieuze seit 1864) eingestellt; die acht Salinen dagegen ergaben 1884 einen Gewinn von 44,337 T. Siedesalz. Der Steinbruchbetrieb ist sehr rege.
Die Zahl der Brüche betrug 1881: 1114, wovon über die Hälfte in Lothringen;
14 werden unterirdisch betrieben.
Von großer Bedeutung sind die Brüche im weiten Umfang von Metz, an der Zorn bei Zabern, im Kronthal an der Mossig bei Wasselnheim (aus dem seiner Zeit das Material zum Straßburger Münster gebrochen wurde) etc. Gips wird bei Mommenheim (unweit Brumath) etc., vortrefflicher Thon zu irdenen Waren insbesondere am Hagenauer Forst gefördert. Ganz unbedeutende Mengen Gold führt der Rhein in seinem Sand mit sich. Bergwerke auf Silber-, Blei- und Kupfererze gab es ehedem in den Vogesen vorzüglich bei Markirch.
Industrie und Handel.
Unter den Industriezweigen ist zunächst die Eisenindustrie von großer Bedeutung. Der hauptsächlichste Sitz derselben ist im NW. des Landes, im Kreis Diedenhofen und im Landkreis Metz. In den großartigen Werken zu Hayingen, Groß-Moyeuvre und Ars a. M., dann zu Deutsch-Oth, Öttingen etc., außerdem aber auch zu Stieringen-Wendel (Kreis Forbach), dann in den zusammengehörigen Werken von Mutterhausen (Kreis Saargemünd), Niederbronn, Merzweiler und Jägerthal (Kreis Hagenau) sind große Hochofenanlagen mit Gießereien, Walzwerken etc. in Thätigkeit; Maschinenfabriken finden sich in Reichshofen (Kreis Hagenau), dann zu Grafenstaden bei Straßburg, zu Mülhausen, Gebweiler, Bitschweiler und Altthann im Oberelsaß; bedeutende Werkzeugfabriken namentlich in Zornhof bei Zabern und zu Mutzig.
Die gleichfalls erhebliche Glasindustrie wird hauptsächlich in dem waldreichen lothringischen Teil der Vogesen betrieben, so im Kanton Bitsch und Götzenbrück (Uhrgläser etc.), Meisenthal, Münzthal-St. Louis (Kristall) sowie zu Vallerysthal bei Saarburg (Hohlglas). Eine sehr bedeutende Porzellan- und Steingutfabrik ist in Saargemünd. Chemische Fabriken gibt es in Dieuze (Soda, Sulfat, mit der Saline verbunden), Buchsweiler, Thann, St. Ludwig, Hüningen u. a. O., eine berühmte photographische Anstalt zu Dornach. Stearin- und Wachskerzenfabriken sind in Straßburg, Papierfabriken ebendaselbst, ferner zu Rixheim (auch Tapeten), Türkheim etc., eine Pappwarenfabrik zu Forbach, große Gerbereien zu Metz, Straßburg, Barr.
Von der hervorragendsten Bedeutung ist die Textilindustrie. Dieselbe hat ihren Hauptsitz im Oberelsaß, namentlich in Mülhausen, dann in Kolmar (Logelbach) und allen Thälern der Vogesen, wo sie in der reichlichen, teilweise durch Reservoirs künstlich geregelten Wasserkraft der zahlreichen Flüsse und Bäche besondere Unterstützung findet; im Unterelsaß ist sie im Breuschthal bedeutend, in dessen Seitenthal, dem Steinthal, der Pfarrer Oberlin 1767-1826 durch Einführung von industriellen Anstalten mancherlei Art mit großem Segen gewirkt hat. Im Oberelsaß fanden sich geringe Spuren dieser Industrie schon im 17. Jahrh., aber erst seit der Mitte des 18. Jahrh. gewann dieselbe Bedeutung.
Zuerst ward 1746 die Kattundruckerei in Mülhausen eingeführt; aus dieser entwickelte sich zunächst die Baumwollweberei (erster größerer Betrieb 1750 zu Sennheim, erste mechanische Weberei 1821), dann die Baumwollspinnerei (erste Fabrik 1803 zu Wesserling, erste Dampfmaschine 1812 zu Mülhausen). Heute noch steht die Druckerei, welche nicht bloß die Mutter der ganzen übrigen Baumwollindustrie, sondern überhaupt fast der ganzen reichen Industrie des Oberelsaß (Maschinenfabriken, Druckwalzenstecherei, chemische Industrie) ist, in großer Blüte; ihr Hauptsitz ist Mülhausen und das angrenzende Dornach, dann Thann, Wesserling etc. Sie hat 1885 etwa 100 Druckmaschinen im Betrieb, ihr Fabrikat genießt einen Weltruf und wird nirgends übertroffen.
Sehr bedeutend sind auch die Färberei und Bleicherei (Pfastatt, Dornach u. a.) und namentlich die Baumwollspinnerei und -Weberei. Beide Betriebe finden sich meistens vereinigt, hauptsächlich in Mülhausen, Dornach, dann (im Kreis Thann) in Thann, Bitschweiler, Weiler, Wesserling, Sentheim, Masmünster, ferner (im Kreis Gebweiler) in Gebweiler, Bühl, Sulz, (im Kreis Kolmar) zu Logelbach, Winzenheim, Münster, endlich (im Kreis Rappoltsweiler) in Rappoltsweiler und Markirch. Im Unterelsaß wird dieser Industriezweig besonders lebhaft im Breuschthal (Mühlbach, Lützelhausen, Rothau etc.), dann in Benfeld betrieben.
Die Baumwollzwirnerei hat ihren Hauptsitz in Dornach und Gebweiler. Im allgemeinen ist übrigens die Baumwollindustrie seit der Annexion nicht gestiegen, sie hat in neuerer Zeit eher eine Einbuße erlitten zu gunsten der Wollindustrie. Insbesondere die Wollspinnerei ist in bedeutendem Aufschwung begriffen, und allein in und bei Mülhausen gab es 1885: 164,000 Wollspindeln;
bedeutende Spinnereien sind ferner in Malmersbach bei St.-Amarin sowie zu Erstein im Unterelsaß;
Wollweberei und Tuchfabrikation werden in hervorragender Weise in Markirch und Umgegend, ferner in Mülhausen, in Bühl bei Gebweiler und in Bischweiler betrieben;
nur letzterer Ort hat durch den Anschluß an Deutschland sehr verloren.
Die Seidenspinnerei steht gleichfalls im Oberelsaß in schwunghaftem Betrieb, die Plüschfabrikation zu Saargemünd und Püttlingen in Lothringen. Die Leinenindustrie ist im Oberelsaß ebenfalls nicht ohne Bedeutung, namentlich die Zwirnerei.
Von sonstigen Industrien sind hervorzuheben die Bierbrauerei von Straßburg und Umgegend (großer Export nach Frankreich) und die weitberühmte Fabrikation von Gänseleberpasteten daselbst. Als neuer, den Zollerhöhungen von 1885 zu verdankender Fabrikationszweig ist die von französischen Häusern eingeführte Schaumweinfabrikation (Metz, Schiltigheim etc., mit Benutzung aus der Champagne eingeführter Weine) zu nennen.
Der Handel hat, entsprechend der industriellen
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Bedeutung des Reichslandes und durch seine günstige Lage an der Grenze Frankreichs und der Schweiz befördert, von jeher eine große Ausdehnung gehabt. Freilich haben die Verkehrsrichtungen seit der Einverleibung in das deutsche Reichs- und Zollgebiet mehrfach andre Bahnen suchen müssen, und nur wenige Erzeugnisse sind von dieser Änderung unberührt geblieben. Chausseen und Vizinalwege (1881: 11,885 km) durchschneiden das Land nach allen Richtungen. Die natürlichen schiffbaren Wasserstraßen liegen meist an oder in der Nähe der Grenze (Rhein, Mosel) oder beginnen erst beim Austritt aus dem Reichsland (Saar); mehr innerhalb finden sich die Ill und ganz besonders die zahlreichen hervorragend wichtigen Kanäle.
Der Rhein-Rhônekanal, 1783-1834 erbaut, verläßt die Ill wenig oberhalb Straßburg, zieht sich in geringer Entfernung vom Rhein bis in die Gegend nordöstlich von Mülhausen, wo er den Kanal von Hüningen (28 km lang) empfängt, der den Rhein etwas unterhalb Basel verläßt und vorzüglich zur Speisung des Hauptkanals dient; dieser führt alsdann längs der Ill eine Strecke aufwärts, überschreitet bei Gottesthal die Wasserscheide zwischen Rhein und Rhône und tritt bei Altmünsterol in Frankreich ein.
Seine Länge überhaupt beträgt 322, die Strecke in Elsaß-Lothringen 132 km. Mit diesem Kanal stehen ferner in Verbindung der Neu-Breisacher oder Vaubankanal, der nicht mehr zur Schiffahrt dient, und der Kolmarer Zweigkanal (13 km lang). Der Rhein-Marnekanal geht aus der Ill unterhalb Straßburg ab, erreicht bei Brumath das Thal der Zorn, in welchem er mit der Zorn und Eisenbahn (nach Avricourt und Paris) parallel aufwärts geht, überschreitet Eisenbahn und Wasserscheide der Vogesen in einem 2,3 km langen Tunnel, geht über die Saar und durch den Weiher von Gondrexange und endlich längs des Sanon (bei Lagarde über die Grenze) in Frankreich zur Meurthe etc. Dieser Kanal (1838-53 erbaut) hat eine Länge von 320 km, wovon 104 auf Elsaß-Lothringen kommen.
Andre Kanäle sind: der Ill-Rheinkanal, eigentlich die Fortsetzung oder die Endstrecke des vorigen;
der Verbindungskanal zwischen diesem und dem Rhein-Rhônekanal bei Straßburg (1880-82 erbaut);
der Breuschkanal, gespeist aus der Mossig und Breusch, mündet bei Straßburg in die Ill;
der Saarkohlenkanal, welcher die Saar bei Saarbrücken verläßt, im Saarthal bis Harskirchen hinaufgeht, im Weiher von Gondrexange den Rhein-Marnekanal trifft und ganz besonders zur Verschiffung der Kohlen aus dem Becken von Saarbrücken dient, und endlich der Moselkanal längs der Mosel oberhalb Metz, dessen Weiterführung bis Koblenz erstrebt wird.
Nicht vollendet ist der Salinenkanal (von Dieuze zur Saar). Die Gesamtlänge der künstlichen Wasserstraßen beträgt 403 km. 1885 wurde mit den Vorarbeiten für einen Kanal von Straßburg nach Ludwigshafen a. Rh. begonnen. Die Eisenbahnen (1885: 1328 km) sind mit Ausnahme einiger neugebauter Sekundärlinien Eigentum des Deutschen Reichs, dem sie in dem Friedensvertrag mit Frankreich 1871 unter Abrechnung von der Kriegskostenentschädigung abgetreten worden sind.
Die ersten Anfänge derselben (Mülhausen-Thann, Mülhausen-St. Ludwig, Kolmar-Benfeld, Straßburg-Benfeld) datieren aus den Jahren 1839-41. Die Hauptlinien sind: von Forbach über Metz nach Pagny,;
von Metz über Diedenhofen einerseits nach Luxemburg, anderseits nach Trier;
von Hagenau nach Diedenhofen und Fentsch;
von Straßburg nach Avricourt und Metz;
von Straßburg nach Weißenburg;
von Straßburg nach Kehl mit fester Rheinbrücke;
von Straßburg nach Rothau;
von Zabern nach Schlettstadt;
von Straßburg über Kolmar und Mülhausen nach Basel, mit zahlreichen Verzweigungen in die Vogesen (nach Markirch, Münster, Lautenbach, Wesserling);
von Mülhausen nach Belfort;
von Straßburg nach Lauterburg;
von Saargemünd nach Saarburg;
von Saaralben nach Chambrey u. a. Im ganzen wurden bis zum Schluß des Etatsjahrs 1882/83 vom Reich auf die damals im Betrieb befindlichen Eisenbahnen in Elsaß-Lothringen (einschließlich des Hauptkaufpreises von 260 Mill. Mk.) verwendet 452,8 Mill. Mk. Die Reichseisenbahnverwaltung, mit dem Sitz der Generaldirektion in Straßburg, hat auch den Betrieb der Wilhelm-Luxemburgbahn vertragsmäßig übernommen.
Auf sämtlichen Bahnen zusammen wurden 1882/83: 8,400,389 Ton. Güter befördert. Neben den Eisenbahnen besteht eine Anzahl mit Dampf betriebener Straßenbahnen. In den beiden Oberpostdirektionsbezirken Straßburg (Elsaß) und Metz (Lothringen) bestanden Ende 1882: 477 Post- und 418 Telegraphenanstalten. Fernsprecheinrichtungen bestehen in Mülhausen (die älteste im Reich), verbunden mit Thann und Gebweiler, sowie in Straßburg. Von Kredit- und Versicherungenstalten sind zu nennen: die Aktiengesellschaft für Boden- und Kommunalkredit, welche das gesamte Depositenwesen des Staats vertragsmäßig besorgt, und eine große Anzahl andrer Banken, ferner zahlreiche ländliche (Raiffeisensche) Darlehnskassen (Vorschußvereine nach Schulze-Delitzsch finden im Reichsland wenig Boden), 45 Sparkassen und Filialen von solchen mit (1883) 108,797 Einlegern und einem Guthaben von 35 Mill. Mk. Eine Reichsbankhauptstelle ist in Straßburg, Reichsbankstellen in Mülhausen und Metz. Einheimische Versicherungsgesellschaften (den französischen ist 1880 der Geschäftsbetrieb untersagt worden) sind Rhein und Mosel (Feuer-) und Alsatia (Feuer- u. Lebensversicherung) in Straßburg. Münze ist die deutsche, doch wird im Verkehr noch viel nach Franken (zu 0,80 Mk.) gerechnet.
Staatsverfassung und Verwaltung.
Die Staatsgewalt in dem durch Gesetz vom mit dem Deutschen Reich vereinigten Elsaß-Lothringen übt der Kaiser aus. Das Recht der Gesetzgebung ist durch das Reichsgesetz vom in der Weise geregelt, daß Landesgesetze mit Zustimmung des Bundesrats vom Kaiser erlassen werden, wenn der durch kaiserliche Verordnung vom ins Leben gerufene Landesausschuß zustimmt, daß jedoch der Weg der Reichsgesetzgebung jederzeit auch in denjenigen Angelegenheiten, welche in den Bundesstaaten dieser Gesetzgebung nicht unterliegen, vorbehalten ist; die auf Grund dieses Vorbehalts erlassenen Landesgesetze können nur im Weg der Reichsgesetzgebung aufgehoben oder geändert werden.
Der Landesausschuß, ursprünglich nur eine beratende Körperschaft, hat hierdurch den Charakter eines gesetzgebenden Faktors erhalten, mit der Maßgabe jedoch, daß seine Zustimmung jederzeit durch die des Reichstags ersetzt werden kann. Seine Zusammensetzung ist durch das Reichsgesetz vom geregelt; er besteht aus 58 Mitgliedern, von denen 34 durch die Bezirkstage (s. unten) aus der Mitte ihrer Mitglieder, 4 von den Gemeinderäten der vier größten Städte und 20 durch Wahlmänner, welche von den übrigen Gemeinderäten bezeichnet sind (für jeden Kreis je ein Mitglied), auf drei Jahre gewählt werden. Die Mitglieder haben einen Eid (Gehorsam der Verfassung und Treue dem Kaiser) zu leisten. Der Kaiser kann den Landesausschuß vertagen und
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auflösen; letzteres zieht die Auflösung der Bezirkstage nach sich, die Neuwahlen zu letztern haben innerhalb drei Monaten, zum Landesausschuß innerhalb sechs Monaten zu erfolgen. Die Vertreter der Regierung müssen in den Sitzungen wie in den Abteilungen und Kommissionen auf Verlangen jederzeit gehört werden. Der Landesausschuß hat das Recht, innerhalb des Bereichs der Landesgesetzgebung Gesetze vorzuschlagen und an ihn gerichtete Petitionen dem Ministerium zu überweisen. Die Sitzungen sind zufolge Reichsgesetzes vom öffentlich; die Geschäftssprache ist die deutsche; Mitgliedern, welche der deutschen Sprache nicht mächtig sind, ist das Vorlesen aufgesetzter Reden gestattet. - Zur Begutachtung der Gesetzentwürfe, der Ausführungsverordnungen und andrer ihm überwiesener Angelegenheiten ist ein Staatsrat eingesetzt, bestehend aus höhern Beamten und 8-10 Mitgliedern, welche der Kaiser, und zwar 3 auf Vorschlag des Landesausschusses, je auf drei Jahre ernennt.
An der Spitze der Staatsverwaltung steht ein kaiserlicher Statthalter. Bis zum wurden die Geschäfte großenteils durch eine besondere Abteilung des Reichskanzleramtes geführt, im Land selbst war der höchste Verwaltungsbeamte der Oberpräsident, dem einige Ministerialbefugnisse vom Reichskanzler übertragen waren. Nunmehr bestimmt das Gesetz vom daß der Kaiser landesherrliche Befugnisse einem Statthalter übertragen kann, und daß dieser Statthalter die Befugnisse und Obliegenheiten des Reichskanzlers erhält. An Stelle des Reichskanzleramtes für Elsaß-Lothringen und des Oberpräsidiums trat gleichzeitig ein Ministerium, welches in Straßburg seinen Sitz hat, und an dessen Spitze ein Staatssekretär steht.
Durch kaiserlichen Erlaß vom wurde dem gleichzeitig zum ersten Statthalter ernannten Feldmarschall Freiherrn v. Manteuffel (s. d.) und gleicherweise durch Erlaß vom seinem Nachfolger Fürsten Chlodwig von Hohenlohe-Schillingsfürst (s. d.) eine Anzahl durch die Landesgesetzgebung dem Staatsoberhaupt vorbehaltender Befugnisse, insbesondere auch ein Teil des Gnadenrechts (Erlaß von Geldstrafen, Steuern und sonstigen Staatsgefällen), übertragen.
Neben diesen landesherrlichen Befugnissen hat der Statthalter als Nachfolger des Reichskanzlers die Stellung des ersten Verwaltungsbeamten; er besitzt ferner die früher dem Oberpräsidenten zustehenden außerordentlichen Gewalten zu Maßregeln jeder Art behufs Abwendung von Gefahr (sogen. Diktatur). Das unter ihm stehende Ministerium ist in vier Abteilungen eingeteilt. Die Abteilung des Innern wird gegenwärtig durch den Staatssekretär geleitet, au der Spitze der Abteilungen für Justiz und Kultus, für Finanzen und Domänen sowie für Gewerbe, Landwirtschaft und öffentliche Arbeiten steht je ein Unterstaatssekretär. Mit dem Ministerium verbunden ist der Oberschulrat (s. oben). Aus Räten des Ministeriums ist der Kaiserliche Rat gebildet, eine Art Oberverwaltungsgericht, dessen Zuständigkeit jedoch beschränkt ist. Die Verhandlungen vor demselben sind öffentlich.
Für die innere Verwaltung bestehen drei Bezirkspräsidien zu Kolmar (Oberelsaß), Straßburg (Unterelsaß) und Metz (Lothringen); unter diesen stehen 20 Kreisdirektionen; die Städte Straßburg und Metz bilden selbständige Stadtkreise, in denen die Befugnisse des Kreisdirektors von den Bezirkspräsidenten wahrgenommen werden. Die Polizei ist Gemeindesache, nur in Straßburg, Metz und Mülhausen wird der größte Teil derselben durch die Polizeidirektionen wahrgenommen; außerdem bestehen für die Kantone (Unterabteilungen der Kreise) Kantonalpolizeikommissare.
Aus den Räten der Bezirkspräsidien wird je ein Bezirksrat gebildet, eine Art Verwaltungsgericht mit Öffentlichkeit, jedoch, wie der Kaiserliche Rat, mit beschränkter Zuständigkeit. Am Sitz eines jeden Bezirkspräsidiums tritt periodisch der Bezirkstag zusammen. Die Mitglieder desselben werben durch direkte Wahl, je ein Mitglied für jeden Kanton, gewählt. Das aktive und passive Wahlrecht steht hier wie bei den Kreistags- und den Gemeindewahlen, entsprechend dem Charakter des Reichslandes, jedem Reichsangehörigen, der das 25. Lebensjahr zurückgelegt hat und eine direkte Steuer bezahlt, ohne Rücksicht darauf, ob er die Staatsangehörigkeit in Elsaß-Lothringen besitzt oder nicht, zu. Die Bezirkstage haben unter anderm über den Haushalt der (selbständige Rechtspersönlichkeiten mit eignem Vermögen bildenden) Bezirke zu beschließen, einen Teil der Mitglieder des Landesausschusses zu wählen, die Repartitionssteuern auf die einzelnen Kreise zu verteilen etc. In den Kreisen, welche bloß Verwaltungsbezirke und nicht selbständige juristische Personen sind, treten die in gleicher Weise wie die Bezirkstage gewählten Kreistage zusammen, hauptsächlich zur Verteilung der Steuern auf die einzelnen Gemeinden. Für das Medizinalwesen bestehen Medizinalreferenten beim Ministerium und den Bezirkspräsidien, dann Kreis- und Kantonalärzte. Bezirksirrenanstalten sind in Stephansfeld-Hördt (für Elsaß) und Saargemünd (Lothringen).
Die Rechtsverhältnisse des katholischen Kultus sind hauptsächlich durch das französische Konkordat und die gleichzeitig verkündeten organischen Bestimmungen geregelt. Es bestehen zwei Bistümer zu Straßburg (Elsaß) und Metz (Lothringen); dieselben sind keinem Erzbistum, sondern unmittelbar dem Papst untergeordnet. Zur Leitung des evangelischen Kultus bestehen für die Kirche Augsburger Konfession ein Oberkonsistorium und ein Direktorium zu Straßburg mit 7 Inspektionen; für die reformierte Kirche sind 5 Konsistorien ohne gemeinsame Oberleitung vorhanden; für den israelitischen Kultus bestehen gleichfalls 3 Konsistorien ohne gemeinschaftliche Oberleitung.
Was die Rechtspflege betrifft, so gilt für das bürgerliche Recht die französische Gesetzgebung, namentlich der Code civil. Im übrigen ist in der Hauptsache die Reichsgesetzgebung maßgebend. Nicht eingeführt sind das Unterstützungswohnsitzgesetz und die Gewerbeordnung. Es bestehen unter dem Oberlandesgericht zu Kolmar 6 Landgerichte (zu Kolmar, Mülhausen, Straßburg, Zabern, Metz und Saargemünd) und 73 Amtsgerichte. In Mülhausen, Thann, Markirch, Straßburg und Metz gibt es Gewerbegerichte. Landesgefängnisse sind die Strafanstalten für Männer zu Ensisheim, für Weiber zu Hagenau und 6 Bezirksgefängnisse an den Landgerichtssitzen; außerdem sind vorhanden, jedoch der Verwaltung des Innern unterstellt, eine Erziehungs- und Besserungsanstalt für Knaben (Mädchen werben in Privatanstalten untergebracht) und ein Landesarbeitshaus.
In der Finanzverwaltung bestehen eine Direktion der Zölle und indirekten Steuern und eine Direktion der direkten Steuern, beide zu Straßburg. Ersterer sind 6 Hauptzollämter (Diedenhofen, Metz, Saarburg, Schirmeck, Münster, Altkirch) und 5 Hauptsteuerämter (Mülhausen, Kolmar, Straßburg, Hagenau, Saargemünd) mit den Unterämtern, ferner 86 Enregistrements-Einnehmereien und 11 Hypothekenämter unterstellt. Der Direktion der direkten Steuern untersteht die Veranlagung und Erhebung
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der direkten Steuern sowie die Fortschreibung des Katasters. Eine unmittelbar unter dem Ministerium stehende Katasterkommission leitet die 1882 begonnenen Arbeiten der Katasterbereinigung. Die Forstverwaltung wird unter der Aufsicht des Ministeriums geführt durch die Bezirkspräsidenten, denen je eine Forstabteilung unterstellt ist. Unmittelbar unter dem Ministerium steht ein Forsteinrichtungsbüreau.
Die Finanzlage des Landes ist eine sehr günstige, was teilweise dem Umstand zu verdanken ist, daß das Land ohne Anteil an der französischen Staatsschuld vom Reich übernommen worden ist. Inzwischen ist durch die Ablösung der verkäuflichen Stellen der Justizverwaltung (Notare, Anwalte, Gerichtsschreiber, Gerichtsvollzieher) eine Schuld von 21,070,640 Mk. entstanden (4proz. Obligationen), außerdem sind in den Jahren 1881-85 zu produktiven Zwecken 3proz. Renten im Kapitalbetrag von 6,530,000 Mk. ausgegeben worden. Infolge Tilgung sind beide Anlehen auf den Gesamtbetrag von rund 25,402,000 Mk. bereits wieder gesunken. Im Landeshaushaltsetat von 1885/86 sind die ordentlichen Einnahmen veranschlagt zu 38,541,839, die ordentlichen Ausgaben zu 37,227,789 Mk.; der Überschuß der Einnahmen mit 1,314,050 Mk. findet Verwendung zu außerordentlichen Ausgaben. Die wichtigern Posten sind:
Einnahmen: | |
---|---|
Mark | |
Anteil an Zöllen und Steuern des Reichs | 3373770 |
Vergütung für Verwaltung d. Zölle etc. | 1901070 |
Direkte Steuern | 10868410 |
" Grundsteuer | 4473000 |
" Personal- u. Mobiliar- (Miet-) St. | 1646190 |
" Thür- u. Fensterst. | 1538982 |
" Gewerbesteuer | 1836008 |
Indirekte Steuern | 12233225 |
" Wein | 850000 |
" Bier | 1650000 |
" Lizenzgebühren (Schenksteuer) | 1650000 |
" Enregistrement | 6830000 |
" Stempel | 1045000 |
Gerichtskosten | 1060000 |
Forstverwaltung | 5600000 |
Tabaksmanufaktur | 500000 |
Ausgaben: | |
Mark | |
Matrikularbeitrag | 4450000 |
Statthalterschaft | 315000 |
Ministerium | 971465 |
Innere Verwaltung | 3373212 |
Universität und Bibliothek | 997400 |
Höherer Unterricht | 1376415 |
Niederer Unterricht | 1823303 |
Justizverwaltung | 2777857 |
Kultus | 2986050 |
Forstverwaltung | 2676100 |
Zölle und indirekte Steuern | 4689146 |
Direkte Steuern | 1665351 |
Landesschuldenverwaltung | 1305560 |
Pensionen | 1163000 |
Handel, Gewerbe u. öffentliche Arbeiten | 3659879 |
Einmalige Ausgaben | 2043378 |
Für den Strombau bestehen unmittelbar unter dem Ministerium 7 Wasserbaubezirke: 2 für den Rhein zu Kolmar und Straßburg, 3 für die Kanäle zu Mülhausen, Saarburg und Saargemünd, je 1 für Ill zu Kolmar und Mosel (nebst Moselkanal) zu Metz. Der Hoch- und Wegebau wird von den Bezirkspräsidien verwaltet. Für das Bergwesen bestehen zwei Bergreviere.
Was endlich die Militärverhältnisse betrifft, so garnisonieren im Reichsland das 15. und Teile des 14. und 8. Armeekorps. Die Truppenteile erhalten ihren Ersatz aus den heimatlichen Bezirken, während die in Elsaß-Lothringen ausgehobenen Mannschaften in andre preußische Truppenteile eingestellt werden. Von den zahlreichen Festungen aus französischer Zeit sind nur Straßburg, Metz, Diedenhofen, Neu-Breisach und Bitsch beibehalten, die beiden ersten durch zahlreiche Außenforts verstärkt. Die Gendarmerie ist militärisch eingerichtet, jedoch Landesanstalt.
Ein amtlich gebrauchtes Wappen besitzt Elsaß-Lothringen nicht, die Behörden bedienen sich des Reichsadlers, ebenso dienen die Reichsfarben als Landesfarben. Doch kommen neuerdings vielfach ein aus den Zeichen der Landgrafschaft Oberelsaß (goldener Schrägbalken mit rautenartiger Verzierung in rotem, oberhalb und unterhalb des Balkens je drei goldene Kronen enthaltendem Feld) und Lothringens (roter Schrägbalken mit drei silbernen Stumpfadlern [alérions] in goldenem Feld) zusammengesetztes Wappen (s. Tafel »Wappen«) und als Landesfarben, wenigstens im Unterelsaß, Rot und Weiß in Gebrauch.
Vgl. »Statistische Mitteilungen über Elsaß-Lothringen« (Straßb. 1873-83, 21 Bde.);
»Statistische Beschreibung von Elsaß-Lothringen«, 1. Abt. (das. 1878, daraus separat: Benecke, Geologie von Elsaß-Lothringen, 1878);
Grad, Études statistiques sur l'industrie de l'Alsace (Kolmar 1879-83, 2 Bde.);
Oberlin, Der Weinbau in Elsaß-Lothringen (das. 1880);
Stoffel, Topographisches Wörterbuch des Oberelsasses (2. Aufl., das. 1877);
»Statistisches Handbuch für Elsaß-Lothringen« (Straßb. 1885 ff.);
Mündel, Die Vogesen (3. Aufl., das. 1884);
Leoni, Staatsrecht der Reichslande Elsaß-Lothringen (in Marquardsens »Handbuch der öffentlichen Rechte«, Freiburg 1883);
Karte von Elsaß-Lothringen, 38 Blatt, bearbeitet von der geographisch-statistischen Abteilung des Großen Generalstabs, 1874; Neue topographische Karte in 1:25,000 (143 Meßtischblätter, 1887 vollendet).
Geschichte.
Als die ältesten Bewohner des Elsaß kennt die Geschichte keltische Sequaner und Rauriker, dann die germanischen Triboker und Nemeter. Durch Cäsar wurde das Gebiet zwischen dem Rhein und den Vogesen, wie ganz Gallien, römische Provinz. Das obere Elsaß gehörte in der Kaiserzeit zu Maxima Sequanorum, deren Hauptstadt Vesontio (Besançon), das untere zu Germania prima, deren Metropole Mainz war. Die christliche Religion breitete sich schon unter der römischen Herrschaft aus, doch erheben sich die Überlieferungen bestimmter Kirchen nicht aus dem Nebel der Legenden.
Die ältesten Orte des Elsaß, welche sich jedoch nicht zur Stellung von Munizipalstädten erhoben, waren Augusta Rauricorum (Augst bei Basel), Mons Brisiacus (Alt-Breisach), Argentonaria (Horburg), Argentoratum (Straßburg), Breucomagus (Brumath), Saletio (Seltz), Tabernae (Zabern). Die Alemannen drangen seit dem 3. Jahrh. n. Chr. wiederholt über den Rhein, wurden in der großen Alemannenschlacht von Julian dem Abtrünnigem zwar noch einmal zurückgetrieben (357), breiteten sich aber endlich siegreich bis zu den Pässen der Vogesen aus und herrschten seit dem 5. Jahrh. am rechten und linken Ufer des Rheins.
Fränkische Ansiedelungen dehnten sich im nördlichen Teil des Elsaß bis an den Hagenauer Forst aus, und aus der Zeit der fränkischen Herrschaft schreibt sich der Name des Elsaß. Einige erklären das Land der »Elisassen« als das Land der »fremden Bewohner«, andre als das der Sassen an der Ill. Die fränkische Herrschaft und der fränkische Einfluß machten die rasche Ausbreitung des Christentums unter den Alemannen und die Gründung zahlreicher Kirchen im Elsaß möglich.
Seit der Mitte des 7. Jahrh. stand das Elsaß als politischer Begriff fest und wurde bis zur Zeit König Pippins von Herzögen regiert. Die Reihenfolge der letztern läßt sich nicht sicher bestimmen; doch wurde das Geschlecht, welches die herzogliche Würde erblich besaß, das der Etichonen genannt. Spätere Dynastien, wie die der Habsburger und jene der Lothringer, führten ihren Ursprung auf den Herzog Eticho (Attich, auch Adalrich genannt) zurück. Die Herzöge des Elsaß schlugen ihren Wohnsitz zum Teil in neuentstandenen Orten, wie Oberehnheim und Hohenburg, auf. Hier gründete Eticho das Stift, in welchem die heil. Odilia, seine Tochter, mit ihren
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Schwestern in klösterlicher Gemeinsamkeit lebte. Entscheidend für politische und Kulturverhältnisse des Elsaß blieb der nach den Sprachgrenzen vollzogene Vertrag zu Mersen 870, nach welchem die Zugehörigkeit des Landes am westlichen Rheinufer zum ostfränkischen, dem Deutschen Reich für Jahrhunderte hinaus festgestellt wurde. Als sich im 10. Jahrh. das Herzogtum Schwaben erneuerte, wurde auch das Elsaß zu demselben geschlagen. Der besondere Titel des Herzogtums Elsaß wurde neben dem von Schwaben bis zum Ausgang des staufischen Hauses (1268) geführt.
Nach dem Aufhören des schwäbisch-elsässischen Herzogtums zerfielen die Gebiete zwischen Vogesen und Rhein in eine große Zahl selbständiger, reichsunmittelbarer Herrschaften und Gemeinwesen, unter denen diejenigen der Reichsstädte dem Land für die Folge den ganz besondern Charakter aufdrückten. Als Vertreter der Reichsgewalt waren Landgrafen und königliche Reichsvögte bestellt. Seit dem 12. Jahrh. bestanden Landgrafen und Landgerichte im obern und niedern Elsaß. Im obern Elsaß, von älterer Zeit her als Sundgau bezeichnet, besaßen die Grafen von Habsburg die Landgrafschaft; im Nordgau oder Unterelsaß wurde das königliche Landgericht von den Grafen von Öttingen gepflegt.
Die Landgrafschaft verlor aber hier im 14. Jahrh. neben den selbständigen Reichsgebieten alle Bedeutung, und so wurden die damit verbundenen Güter und Rechte an die Straßburger Bischöfe verkauft. Eine größere Bedeutung bewahrten die Reichsvögte im Unterelsaß so gut wie im obern Teil des Landes, so daß die Habsburger als solche auf die Städte und die reichsunmittelbaren geistlichen Stifter bis auf die Zeit der französischen Eroberung immerhin einen ganz ansehnlichen Einfluß übten.
Solange die deutsche Reichsgewalt im Elsaß mächtig war, fanden die städtischen Gemeinwesen die größte Begünstigung. Im 14. Jahrh. zählte man außer Straßburg, welches niemals unter der königlichen Vogtei stand, zehn Städte im Elsaß: Hagenau, Kolmar, Schlettstadt, Weißenburg, Oberehnheim, Rosheim, Mülhausen, Kaisersberg, Türkheim, Münster. Die städtischen Rechte entwickelten sich ganz allmählich. Nicht nur den Grundherren gegenüber mußte sich das bürgerliche Gemeinwesen Anerkennung erwerben, sondern auch die Stellung der verschiedenen Klassen und Stände gab Anlaß zu Reibung und Kampf. In Kolmar wie in Straßburg gab es alte Geschlechter, welche die dem Gemeinwesen gestattete Selbstverwaltung anfänglich besorgten, und Neubürger, die sich ihren Anteil an den Verfassungsrechten erst erkämpfen mußten.
Eine aristokratische Grundlage der Verfassung, wie sie in Kolmar, Straßburg und den meisten andern Städten bestand, reizte einzelne Gewalthaber, wie die Rösselmann in Kolmar, mit Hilfe der niedern Stände eine absolute Gewalt zu errichten, welche dann rasch zur Einführung demokratischer Elemente in die Stadtverfassung führte. In Straßburg war der Bischof der natürliche Träger jener Ideen, welche sich der patrizischen Verwaltung entgegensetzten; Bischof Walter von Geroltseck bot 1262 Ritter und Fußtruppen in gewaltiger Zahl auf, um den widerspenstigen Rat der Stadt zu demütigen, wurde jedoch durch die Tapferkeit der gut geführten Bürger in einem hartnäckigen Treffen bei Oberhausbergen gänzlich geschlagen und genötigt, seinen Kampf gegen das Stadtrecht aufzugeben.
Als oberster Herr der Stadt galt fernerhin niemand als Kaiser und Reich, an welchem die Stände des Elsaß überhaupt mit aller Zähigkeit festhielten. Die Städte des Elsaß nahmen genau den Gang der Entwickelung wie die übrigen deutschen Städte am Rhein oder diesseit des Rheins. Im 14. Jahrh. kamen demnach auch im Elsaß die Bewegungen der Handwerker und Zünfte an die Tagesordnung, welche in Straßburg zu einer durch die Verschmelzung aristokratischer und demokratischer Ideen merkwürdigen Verfassung führten, die sich mit wenigen Änderungen bis zur französischen Revolution erhalten hat.
Nachbildungen fand übrigens die Verfassung von Straßburg in den meisten elsässischen Städten, wie in Kolmar, Mülhausen, Weißenburg, wenn auch in verschiedenen Formen. Die Städte suchten sich im Elsaß durch gegenseitige Bündnisse untereinander zu schützen, wie sie auch an den größern und allgemeinen Bündnissen teilnahmen. Dem rheinischen Städtebund von 1255 waren sieben elsässische Städte zugeschworen. Seit 1354 bildeten aber die oben genannten zehn Städte einen besondern Bund. Mülhausen näherte sich mehr den Städten der oberschwäbischen Eidgenossenschaft und trat schließlich ganz dem schweizerischen Bund bei. Straßburg schloß im 15. und 16. Jahrh. auf längere oder kürzere Zeit mit Basel, Zürich, Augsburg, Ulm und andern deutschen Städten Schutz- und Trutzverträge.
In allen Jahrhunderten elsässischer Selbständigkeit und Eigenart findet sich nicht Ein Beispiel, daß zwischen den Gemeinwesen des Grenzlandes und französischen Städten oder Herrschaften irgend welche Beziehungen angeknüpft worden wären. Drüben aber, jenseit der Vogesen, war immer ein sehr mächtiges Verlangen nach den Gebieten des linken Rheinufers vorhanden. Schon die Kaiser Otto II. und Otto III., Konrad II. und Heinrich III. hatten die »Rheingelüste« der Franzosen zurückzuweisen und zu bekämpfen. Im J. 1365 fielen die nach der Schlacht bei Poitiers aus dem französischen Kriegsdienst entlassenen Söldnerscharen, 40,000 Mann, in das Elsaß plündernd ein und wagten es selbst, Straßburg aufzufordern, sich ihnen zu ergeben.
Die französischen Söldner, die man, weil sie in den englischen Kriegen gedient hatten, »Engländer« nannte, erneuerten unter Anführung des Herrn Enguerrand von Coucy den Krieg 1375. Unter dem Vorwand von Erbansprüchen, welche die Coucy auf die österreichischen Besitzungen im Elsaß erhoben, wurde diesmal die Unternehmung ausgeführt, und Herzog Leopold III., der Landgraf im Elsaß, war außer stande, den Plünderungen ein Ziel zu setzen, bis Coucy dann selbst nach der Schweiz abzog.
Als 1444 Kaiser Friedrich III. mit den Schweizern in Unfrieden war und mit Frankreich ein Bündnis schloß, schien endlich für die französische Krone die Zeit gekommen zu sein, ihre Absichten vollständig zu enthüllen. Der Dauphin wurde zwar von den Schweizern bei St. Jakob (1444) zurückgewiesen, setzte sich aber um so mehr im Elsaß fest, nahm eine Anzahl Schlösser und Städte ein und bezog die Winterquartiere in dem ausgeplünderten Land. Im Frühjahr 1445 griffen die Franzosen insbesondere Straßburg und Mülhausen an und suchten die Bürger zu zwingen, sich unter den königlichen Schutz von Frankreich zu begeben. Allein manche glückliche Ausfälle mannhaft verteidigter Plätze, Mangel an Proviant und Unbotmäßigkeit der Söldner (Armagnaken) nötigten den Dauphin zum Rückzug. Gefährlicher war der Versuch, welcher wenige Dezennien später gemacht wurde, das Elsaß dem burgundischen Reich Karls des Kühnen einzuverleiben. Herzog Siegmund von Tirol verpfändete 1469, um sich an den Schweizern und den
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mit ihnen Verbündeten im Sundgau, insbesondere der Stadt Mülhausen, zu rächen, einen Teil seiner elsässischen Besitzungen dem Herzog Karl dem Kühnen. Doch war es dem Zusammenwirken Straßburgs mit andern links- und rechtsrheinischen Städten zu danken, daß die Vögte und Söldner Karls des Kühnen aus dem Elsaß verjagt wurden. Hierauf trat Straßburg dem großen Bund Lothringens und der Schweizer gegen Karl den Kühnen bei, und seine Truppen fochten bei Granson und Nancy, wo der Burgunderherzog seinen Tod fand.
Wie aber die politischen Verhältnisse des Elsaß durchaus und überall an Deutschland und sein Verfassungsleben anknüpften, so waren auch das gelehrte und künstlerische Schaffen in den mittelalterlichen Klöstern, die religiöse Richtung und die Geschichtschreibung der bürgerlichen Kreise, die Entwickelung des Baustils, aus welcher die großartigsten Denkmäler des Mittelalters hervorgingen, durchaus deutsch. Der Mönch Otfried von Weißenburg unternimmt seine Übersetzung der Evangelien in deutsche Verse mit dem bewußten Zweck, damit die Deutschen das Lob Gottes in ihrer Zunge singen könnten.
Das Rittertum, welches von Frankreich die allerstärksten Antriebe erhalten hatte, nimmt in der Liebesdichtung Reinmars von Hagenau und in dem berühmtesten Roman des Mittelalters, in des Straßburger Gottfried »Tristan und Isolt«, wesentlich deutsche Charakterzüge auf. In der Zeit der Vertiefung des religiösen Geistes in Deutschland waren es die Elsässer, unter denen die Lehre der Mystiker die unglaublichsten Erfolge hatte. Meister Eckard war zwar nicht im Elsaß geboren, wirkte aber befruchtend, wie nirgends, in Straßburg, und Johannes Tauler, in Straßburg um 1300 geboren, verdunkelte fast den Ruhm jenes seines Lehrers.
Die »Gottesfreunde« im Elsaß bildeten einen Bund, welcher für die deutsche Reformation eine ähnliche Stellung erwarb wie die Lollharden in England für die anglikanische Kirche. In der Entwickelung der echt deutschen Geschichtschreibung geht das Elsaß fast allen andern Stämmen voran. Eine popularisierende Absicht verfolgten die thätigen Dominikaner des Elsaß in der Geschichtschreibung, wenn sie sich auch zunächst, wie die Verfasser der »Kolmarer Chroniken«, von dem Gebrauch der Gelehrtensprache nicht trennten; auch in Straßburg wurde die erste bürgerliche Stadtgeschichte auf Geheiß des angesehenen Herrn Ellenhard »vor dem Münster« lateinisch verfaßt und erst später von dem Priester Closener übersetzt. Der letztere brachte im 14. Jahrh. eine ganze Sammlung Straßburger Historien zusammen, welche von Jakob von Königshofen (bis 1420) wesentlich erweitert und mit Zuthaten andrer einheimischer Geschichtschreiber, wie des Matthias von Neuburg, Alberts von Straßburg u. a., versehen wurden.
Während hierauf im 15. Jahrh. der Mainzer Patrizier Johann Gensfleisch von Gutenberg zu Straßburg die erste Buchdruckpresse aufstellte, Martin Schön oder Schongauer zu Kolmar seine weitberühmten Kupfertafeln gravierte, begann in der fruchtbaren Litteratur des Elsaß der Vorkampf der Reformation. Geiler von Kaisersberg, Wimpheling und Sebastian Brant waren die jedem Deutschen wohlbekannten Männer, welche den Boden des südwestlichen Deutschland für die Überzeugungen der Reformation vorbereiteten. Selbst der Franziskaner Thomas Murner, welcher vor der wirklichen Erscheinung des neuen Geistes zur Umkehr riet und seine Satire gegen Luther richtete, hatte doch durch seine frühern Bücher geholfen, das Mittelalter zu begraben.
Elsaß seit der Reformation.
Die Reformation nahm von den elsässischen Städten und insbesondere von Straßburg im ersten Anlauf Besitz. Unter den Reformatoren von Straßburg trat Matthias Zell aus Kaisersberg zuerst als Anhänger Luthers auf, fand aber bald Helfer seiner Bestrebungen in Wolfgang Köpfel, Capito genannt, aus Hagenau, Kaspar Hedio aus Ettlingen in Baden und vor allen in Martin Bucer, welcher durch seine vermittelnde Stellung unter den Reformatoren eine weit über das Elsaß hinausgehende Bedeutung erlangte.
Bucer wirkte in Straßburg von 1523 bis zur Einführung des Interim nach dem Augsburger Reichstag 1548. Einer der wichtigsten Augenblicke der Geschichte des Elsaß war es, als der Rat mit Zustimmung der gesamten Schöffenversammlung die Messe abschaffte. Aber eben in dieser Zeit begann sich in den großen Reichskörperschaften unter der Führung des habsburgischen Hauses eine katholische Reaktion bemerkbar zu machen. Blutige Verfolgungen der Anhänger der neuen Lehre waren im Elsaß besonders seit dem Bauernkrieg an die Tagesordnung gekommen.
Nach der Beendigung desselben schritt die österreichische Herrschaft, soweit ihre Macht reichte, besonders im Sundgau zur Ausrottung der evangelischen Lehre, welche mit der Sache der Bauern zusammengeworfen wurde. Den einheimischen Ketzergerichten und den Beschlüssen der Reichstage von 1529 und 1530 hätte die elsässische Reformation zum Opfer fallen müssen, wenn nicht das Straßburger Stadtregiment unter der Leitung des Stadtmeisters Jakob Sturm von Sturmeck (s. d.) klug und gemäßigt allen Angriffen des Katholizismus Widerstand zu leisten vermocht hätte.
Schon von Beginn des Schmalkaldischen Bundes an war Straßburg Mitglied desselben. Daß sich die Stadt auf dem Augsburger Reichstag zur reformierten Lehre der Schweizer bekannte, hinderte nicht ein eifriges politisches Zusammenhalten mit den lutherischen Ständen. Im Schmalkaldischen Krieg standen die Straßburger Bundestruppen unter Schärtlins Kommando. Da aber der Bund unterlag, so mußte sich der Stadtrat bequemen, die kaiserlichen Mandate auszuführen, bis der Augsburger Religionsfriede auch den elsässischen Reichsständen Ruhe und Sicherheit gewährte. Es folgte die Zeit, wo Johannes Sturm seine epochemachenden Schulreformen durchführte und auf der vom Kaiser Maximilian II. gegründeten Straßburger Akademie ein reges wissenschaftliches Leben begann. Damals geschah es auch, daß Fischart zu Straßburg den Stoff zu seinen unvergleichlichen Schöpfungen fand und Daniel Specklin, ebenfalls ein geborner Straßburger, neben seinen geographischen und historischen Arbeiten dem Elsaß den Ruhm erwarb, den ersten militärischen Baumeister zu besitzen.
Der erste ernstliche Versuch, Straßburg dem französischen Reich einzuverleiben, wurde vom König Heinrich II. von Frankreich gemacht, als er Metz, Toul und Verdun dem Deutschen Reich entriß. Die Verlockungen und Drohungen des französischen Hofes vermochten jedoch die Straßburger nicht einzuschüchtern. Eine der entscheidendsten Wendungen im gesamten Schicksal des Elsaß in der neuern Zeit trat durch den Vertrag der österreichischen Erzherzöge mit der Krone von Spanien ein, wonach alle Rechte des habsburgischen Hauses im Elsaß an die spanische Linie desselben abgetreten wurden. Man muß diesen Umstand im Auge behalten, wenn man die zunehmenden Sympathien für Frankreich während des Dreißigjährigen Kriegs unter den Elsässern
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richtig beurteilen will. Seit war ihnen die Wahl nur zwischen der Abhängigkeit von Spanien und der von Frankreich gelassen. Das letztere erhielt im Westfälischen Frieden genau diejenigen Rechte und Besitzungen, welche Österreich unmittelbar vor Ausbruch des Kriegs den Spaniern abgetreten hatte. Der günstigste Fall für die Entwickelung des Elsaß wäre eingetreten, wenn sich Herzog Bernhard von Weimar, wie er beabsichtigte, in dem Grenzland eine selbständige fürstliche Gewalt zu schaffen vermocht hätte. Aber was mit französischem Geld und französischer Unterstützung gewonnen war, sollte auch den Franzosen zu gute kommen. Bernhards Tod lieferte das Elsaß in die militärische Gewalt der Franzosen.
Elsaß unter französischer Herrschaft.
Die Rechte der Reichsstände im Elsaß waren durch den Westfälischen Frieden allerdings besonders anerkannt und wahrgenommen worden. Allein die Art und Weise, wie von seiten Frankreichs der Westfälische Friede ausgelegt wurde, gestattete eine Ausdehnung der Oberhoheit der französischen Krone selbst über die Reichsstädte, in welchen Frankreich durch jenen Frieden eigentlich nur die bis dahin von den Habsburgern geübten Vogteirechte erhielt. Die Eroberungen, welche die Franzosen seit dem Westfälischen Frieden im Elsaß machten, waren vorherrschend administrativer Natur.
Hierbei wurden sie von einheimischen Elsässern bestens unterstützt. Auch das Beginnen der Reunionskammern Ludwigs XIV. machte im Elsaß nicht jenen abstoßenden und empörenden Eindruck, den man sonst und bis auf den heutigen Tag davon empfand. Das Hereinziehen der verschiedenen kleinen Herrschaften unter das herrschende Gesetz von Frankreich erschien den minder begünstigten Ständen des alten zerrissenen Reichslandes als ein wesentlicher Fortschritt. Auch in Straßburg machten sich seit dem Abschluß des Westfälischen Friedens viele hervorragende Personen mit dem Gedanken vertraut, daß die Stadt früher oder später unter die Schutzhoheit der französischen Krone kommen werde. Der einzige Mann, welcher im Elsaß, durch Jahresgehalt und regelmäßige Dotationen gewonnen, offen für das Interesse Frankreichs wirkte, war der Bischof Franz Egon von Fürstenberg (s. Fürstenberg 2), welcher jedoch in dem protestantischen Straßburg gar keinen Einfluß besaß.
Mehr als 100 Jahre hindurch änderte die französische Herrschaft im Elsaß an den nationalen Verhältnissen des Landes nichts. In gewisser Art kam der deutsche Charakter des Volkes gerade im 17. und 18. Jahrh. litterarisch und wissenschaftlich erst recht zur Geltung. Innige Beziehungen zwischen Deutschland und der entrissenen Mark blieben auf dem geistigen Gebiet bis zur französischen Revolution bestehen. Von Straßburg war Philipp Jakob Spener ausgegangen, dessen Richtung auf das praktische Christentum im Elsaß immer einheimisch gewesen und schon in Tauler, in Kaisersberg und in den Straßburger Reformatoren hervorgetreten war.
Die Universität in Straßburg gelangte unter der französischen Regierung ebenfalls zur vollen Blüte und zu großem Ansehen. Besonders waren es Juristen, Historiker und Philologen, welche eine große Anziehungskraft ausübten: Johannes Schilter, Jeremias Oberlin und Johann Scherz, Johann Daniel Schöpflin, Schweighäuser. Goethes Aufenthalt in Straßburg fällt gleichzeitig mit demjenigen Herders in die Jahre 1770 und 1771. Inzwischen waren die Franzosen auf dem politischen und ökonomischen Gebiet desto thätiger, die Einheit der Interessen der deutschen Provinz mit denen des französischen Reichs herzustellen.
Industrie und Handel wurden gehoben. Der Tabaksbau, wohl schon seit 1620 im Elsaß begonnen, wurde durch die französische Regierung eine Quelle des Landeswohlstands. Auch die Weinproduktion, welche im Beginn der französischen Herrschaft unter dem Druck der neuen Staatsgrenzen litt, hob sich im Lauf des 18. Jahrh. bedeutend. In den Städten waren zwar die alten Verfassungen unangetastet geblieben, doch gewöhnte man allmählich die Bevölkerung an den Einfluß der französischen Administration.
Die Regierung ernannte die sogen. Prätoren, welche mit den konservativen Stadträten zwar meist im Streit lagen, aber doch energisch für Verbesserung der Zustände wirkten. Gewaltig waren aber die Änderungen in den konfessionellen Verhältnissen des Landes. Schon unter Ludwig XIV. wurden die abscheulichsten Gewaltmaßregeln zur Katholisierung der Bevölkerung in Anwendung gebracht, daher überwog seit der Mitte des 18. Jahrh. in Straßburg das katholische Element.
Beim Ausbruch der Revolution in Paris war das Land konservativ und partikularistisch gesinnt. Erst nachdem durch die Beschlüsse der französischen Nationalversammlung vom die alten städtischen Einrichtungen beseitigt worden waren, gelangten in Straßburg die Franzosenfreunde zur Regierung. Die Elsässer traten damals mit Begeisterung für die Ideen der konstitutionellen Monarchie ein und bewährten auch ihren konstitutionellen Patriotismus gegenüber den einrückenden Heeren Österreichs und Preußens 1792. Seit dem Februar 1793 stand das Elsaß unter der Diktatur von Konventskommissaren, denen sich deutsche Jakobiner, wie Eulogius Schneider, zur Verfügung gestellt hatten.
Allein das deutsche Jakobinertum war den Franzosen verdächtig. Der Straßburger Maire Monet aus Savoyen machte den Vorschlag, alle deutsch sprechenden Elsässer zu deportieren und das Land an französische Sansculotten zu verteilen. Der Sturz Robespierres und seiner Parteigenossen in Paris brachte indessen dem Elsaß ruhigere Tage, und in den folgenden Jahren wuchsen die Sympathien für Frankreich in einer erstaunlichen Weise. Teils die Errungenschaften der Revolution, teils die militärische Schule unter Napoleon I. brachten den Bruch des Elsaß mit seiner deutschen Vergangenheit zum Abschluß.
Wichtig für die Territorialverhältnisse des Elsaß war die Annexion der Stadt Mülhausen (1798), die, obwohl sie die französische Oberherrschaft anerkannte, doch eine selbständige Republik im Bund mit den Schweizern geblieben war. In der großen Armee Napoleons spielten viele Elsässer eine hervorragende Rolle. Kellermann, Kléber und Rapp waren Elsässer. Als nach der Schlacht bei Leipzig die verbündeten Armeen den Rhein überschritten und österreichische Truppen in den letzten Tagen des Dezembers 1813 das obere Elsaß besetzten, während Wittgensteins russisches Korps durch Niederelsaß zog, war die Gesinnung der Städte und der Landbevölkerung eine sehr feindselige.
Der in den siegreichen deutschen Armeen aufgekommene Gedanke, das Elsaß dem Deutschen Reich zurückzugewinnen, wurde von der Diplomatie vereitelt. Die französischen Departements des Ober- und Niederrheins, von Präfekten regiert, entsprachen ziemlich genau den Grenzen des alten Sundgaues und Nordgaues. Nur Landau kam durch den zweiten Pariser Frieden an Bayern. Unter den Präfekten des Niederrheins bewahrt man dem Marquis von Lezay-Marnesia (s. d.) das beste Andenken.
Seit der Restauration machten alle französischen Regierungen gleichmäßig den Versuch, die
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französische Sprache im Elsaß zur ausschließlichen Herrschaft zu bringen und die deutsche auszumerzen. Unter der Regierung des zweiten Kaiserreichs gelang dieser Versuch zum Teil durch die Unterstützung, die der katholische Klerus dabei leistete. Dennoch hielten die Elsässer in der Wissenschaft und in der Dichtung die deutsche Muttersprache mit wahrhaft erstaunenswerter Zähigkeit fest, und selbst die litterarischen Vereine bedienten sich bis auf die neueste Zeit häufig des Deutschen bei ihren Publikationen.
Nachmals konnte freilich zuweilen die Bemerkung gemacht werden, daß diese Eigentümlichkeit der Deutsch-Franzosen im Elsaß wenig Bedeutung für politische und nationale Gesinnung habe. Während des deutsch-französischen Kriegs 1870/71 bezeugten die Elsässer bei jeder Gelegenheit ihre Sympathien für Frankreich. Im Frankfurter Frieden wurden die in den Präliminarien zu Versailles bestimmten Grenzen für die Abtretung des Elsaß und Deutsch-Lothringens nicht unbedeutend berichtigt. Im Kanton Brie an der luxemburgischen Grenze galt es, eine Anzahl wirklich deutscher Gemeinden zu gewinnen; deshalb wurden noch außer Belfort im Süden von den französisch redenden Kantonen Giromagny, Fontaine, Delle noch weitere 385 qkm mit 25,000 Einw. zurückgegeben, so daß der bei Frankreich gebliebene Teil des Sundgaues im ganzen 660,7 qkm mit 55,000 Menschen beträgt.
Elsaß als deutsches Reichsland.
Die Verschmelzung Elsaß-Lothringens mit Deutschland war durch die eigentümliche Stellung, in die es zu dem neuen Deutschen Reiche gebracht wurde, nicht wenig erschwert. Der Bundesrat beschloß nämlich, Elsaß-Lothringen für ein Reichsland zu erklären, über welches das Reich selbst der Träger der Souveränität war, und dessen Landesgesetzgebung dem Bundesrat und dem Reichstag zufiel. Doch verlangte der Bundesrat für einige Jahre die Diktatur, welche ihm auch vom Reichstag bis zum bewilligt wurde.
Hierauf wurde das Reichsland nach Abberufung des Generalgouverneurs Grafen Bismarck-Bohlen und des Zivilkommissars Kühlwetter nach dem Muster einer preußischen Provinz organisiert. Am ward der bisherige Oberpräsident von Hessen-Nassau, v. Möller, zum Oberpräsidenten mit dem Sitz in Straßburg ernannt, ihm ein Kollegium unter dem Titel »kaiserlicher Rat von Elsaß-Lothringen« beigegeben und im Reichskanzleramt eine besondere Abteilung für die Reichslande unter dem Unterstaatssekretär Herzog gebildet.
Die drei alten Departements wurden in Regierungsbezirke verwandelt, diese wieder in 22 Kreise eingeteilt und die Bildung von Kreis- u. Bezirkstagen angeordnet. Die Bevölkerung verhielt sich der deutschen Verwaltung gegenüber teils gleichgültig, teils feindlich. Die Gebildeten sehnten die Rückkehr der französischen Herrschaft herbei, besonders die katholische Geistlichkeit ward die heftigste Gegnerin Deutschlands, seitdem durch Einführung der allgemeinen Schulpflicht durch Beseitigung der Schulbrüder und Schulschwestern aus den Elementarschulen und durch den Erlaß eines Unterrichtsgesetzes die Macht des Klerus über die Schule auch in Elsaß-Lothringen gebrochen worden war, gleichzeitig in Frankreich aber die Klerikalen zur Herrschaft zu gelangen Aussicht hatten.
Unter dem Terrorismus des Klerus und der Gebildeten, der durch öffentliche und geheime Mittel (so durch die Flugblätter der Elsässer Liga) ausgeübt ward, wurde bewirkt, daß die Wohlthaten der neuen Verwaltung, die bedeutenden Entschädigungen für Kriegsverluste, die Verringerung der Steuerlast, die Verbesserung des Post-, Telegraphen- und Eisenbahnwesens, die Abschaffung des Tabaksmonopols u. dgl., gar nicht gewürdigt wurden, dagegen manche notwendige Belästigungen die heftigsten Klagen hervorriefen, so besonders die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und die Ausführung der Optionsangelegenheit.
Auf Grund des Frankfurter Friedensvertrags forderte die Regierung 1872 die Bevölkerung auf, sich bis 1. Okt. zu erklären, ob sie Franzosen sein wollten. Dies erklärten nun 160,000, aber nur 50,000 wanderten nach Frankreich aus; die übrigen, darunter viele Unerwachsene, beanspruchten die Vorrechte der Fremden, also Befreiung von der Dienstpflicht, ohne ihren Wohnsitz verlassen zu müssen. Dies wollte natürlich die Regierung nicht gelten lassen; sie behandelte die trotz der Option Zurückbleibenden als Deutsche und verfolgte mit Strenge alle, die ohne Option sich der Militärpflicht entzogen und dann ohne Erlaubnis nach Elsaß-Lothringen zurückkehrten.
Die großen Verdienste, die sich die Regierung durch die Organisation der höhern Schulen und die Errichtung einer Universität in Straßburg erwarb, fanden selbst bei den Liberalen keinen Beifall, weil die französische Sprache in den Schulen teils abgeschafft, teils beschränkt wurde. Ja, in den größern Städten machte sich die Opposition am schärfsten bemerkbar: in Straßburg mußte der Bürgermeister Lauth abgesetzt und acht Tage später der Gemeinderat suspendiert werden, weil sie der Regierung offen opponierten.
Ähnliches geschah später in Metz und Kolmar. Von den im August 1873 gewählten Kreis- und Bezirksräten verweigerten so viele den Eid der Treue, den sie dem Kaiser leisten sollten, daß von 22 Kreistagen nur 14, von den 3 Bezirkstagen nur einer beschlußfähig war und eröffnet werden konnte. So kam es, daß bei den ersten Reichstagswahlen 10 Ultramontane und 5 liberale Protestler gewählt wurden. Die 15 elsässischen Deputierten erhoben bei ihrem Eintritt in den Reichstag feierlichen Protest gegen die Annexion, und die Protestler nahmen an den Verhandlungen nicht mehr teil.
Eine gemäßigtere Haltung zeigten die Kreis- und die Bezirksräte, welche im Sommer 1874 gewählt waren und ruhig und sachgemäß die Geschäfte erledigten. Die Errichtung eines Provinziallandtags konnte man den Elsässern zwar noch nicht zugestehen, doch verordnete der Kaiser daß je zehn Delegierte der drei Bezirkstage zu einem beratenden Landesausschuß zusammentreten sollten. Dieser trat zu seiner ersten Session zusammen, beriet das Budget für 1876 sorgfältig durch und nahm in seiner zweiten Session die Regierungsvorlage an, wonach alle Gesetze, die der Landesausschuß genehmigt habe, fortan vom Kaiser nur unter Zustimmung des Bundesrats verkündet werden sollten; der Reichstag sollte nur zugezogen werden, wenn Regierung und Landesausschuß sich nicht verständigen könnten. Der Reichstag stimmte dem Gesetz bei.
Der Umschwung in der Stimmung der Bevölkerung zeigte sich bei den beiden Besuchen des Kaisers im September 1876 in Weißenburg und Wörth und im Mai 1877 in Straßburg und Metz, ferner aber in der Bildung einer neuen Partei, der sogen. Autonomsten, deren Organ das von Schneegans redigierte »Elsässer Journal« war, und die als letztes Ziel die Regierung des Landes durch das Land selbst im Auge hatten. Bei den zweiten Reichstagswahlen eroberten die Autonomsten schon sämtliche unterelsässische Wahlkreise; die Ultramontanen behielten 6, die Protestler 4.
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Die Wirkung dieses Auftretens einer selbständigen elsässischen Partei war, daß durch das Gesetz vom die Einsetzung eines Statthalters, eines Ministeriums und eines Staatsrats bestimmt, das Wahlgesetz für den Landesausschuß verändert und dessen Befugnisse erweitert wurden. Oberpräsident v. Möller legte infolgedessen sein Amt nieder, und Feldmarschall v. Manteuffel übernahm als Statthalter die Regierung des Reichslandes. An die Spitze des Ministeriums trat als Staatssekretär der bisherige Vertreter der elsässischen Angelegenheiten in Berlin, Herzog, der jedoch im Sommer 1880 ausschied, da er das Einlenken des Statthalters gegenüber den Ultramontanen mißbilligte. Er hatte den bisherigen Staatssekretär des deutschen Reichsamtes des Innern, Hofmann, zum Nachfolger.
Bei den Neuwahlen für den Landesausschuß im Herbst 1879 erlangten die Autonomsten wieder die Majorität, blieben aber an Einfluß weit hinter den Ultramontanen zurück, denen der Statthalter durch Wiedereröffnung des Zillisheimer Seminars entgegenkam. Während Möller an den Verwaltungsgrundsätzen des preußischen Beamtentums festgehalten hatte und rein sachlich nach dem Gesetz verfahren war, befolgte Manteuffel die französische Praxis, die Konsequenzen der Gesetze durch Berücksichtigung besonderer Fälle zu mildern und hierdurch besonders die Sympathien der höhern Stände, der sogen. »Notabeln«, zu gewinnen.
Ja, er trug sogar kein Bedenken, diesen Notabeln zuliebe deutsche Beamte zu bestrafen, was in den altdeutschen Kreisen große Unzufriedenheit erweckte. Er erntete dafür einen Dank der Bevölkerung in Schmeicheleien und Huldigungen, die ihm bei seinen Reisen im Lande dargebracht wurden. Auch befleißigte sich der Landesausschuß im ganzen einer sachlichen Haltung bei der Beratung des Landesbudgets und der sonstigen Regierungsvorlagen. Aber der Statthalter steigerte durch sein Entgegenkommen in vielen Dingen, namentlich in der Schul- und Optantenfrage, nur die Ansprüche des Klerus und der Notabeln.
Als er sich daher genötigt sah, die Agenturen der französischen Versicherungsgesellschaften aufzuheben, einige Preßorgane zu unterdrücken, durch ein Reichsgesetz den Gebrauch der französischen Sprache im Landesausschuß zu verbieten und eine Anzahl Optanten, welche nach Elsaß-Lothringen zurückgekehrt waren, ohne sich der Wehrpflicht zu unterziehen, auszuweisen, reizte er die maßgebenden Kreise so gegen sich auf, daß diese bei den Reichstagswahlen auf das heftigste gegen das herrschende System agitierten, bei den Neuwahlen 1881 die Autonomistenpartei wieder verschwand und ebenso. 1884 nur Klerikale und Protestler gewählt wurden.
Auch die wiederholten Erklärungen Manteuffels, daß, solange Elsaß-Lothringen nicht reichstreu wähle, von der Verleihung einer selbständigen Verfassung keine Rede sein könne, thaten keine Wirkung, wie die Wahlen von 1884 bewiesen. Einen Fortschritt in der Verschmelzung Elsaß-Lothringens mit dem Reich hatte das seit 1879 herrschende Regiment also nicht aufzuweisen; die Beamten und die eingewanderten Deutschen aber waren verbittert und entmutigt. Manteuffel starb in Karlsbad. An seiner Stelle wurde Fürst Hohenlohe-Schillingsfürst, bisher Botschafter in Paris, zum Statthalter ernannt, der am sein Amt antrat und, ohne förmlich mit der Politik seines Vorgängers zu brechen, doch von dem persönlichen Eingreifen in die Verwaltung absah. - Über die Geschichte des Bezirks Lothringen s. d.
Vgl. Schöpflin, Alsatia illustrata (Kolm. 1751-1761, 2 Bde.);
Strobel und Engelmann, Vaterländische Geschichte des Elsaß (Straßb. 1840-49, 6 Bde.);
Spach, Histoire de la basse Alsace et de la ville de Strasbourg (das. 1860);
Derselbe, Moderne Kulturzustände im Elsaß (das. 1873-74, 3 Bde.);
Derselbe, Biographies alsaciennes (das. 1863-71, 3 Bde.);
Lorenz und Scherer, Geschichte des Elsaß (3. Aufl., Berl. 1885);
kürzere Darstellungen der Geschichte des Elsaß von Glöckler (Freiburg 1876) und Rathgeber (2. Aufl., Straßb. 1882);
Baquol-Ristelhuber, Dictionnaire du Haut- et du Bas-Rhin (3. Aufl., das. 1865);
Mitscher, Elsaß-Lothringen unter deutscher Verwaltung (Berl. 1875);
Du Prel, Die deutsche Verwaltung in Elsaß-Lothringen 1870-79 (Straßb. 1879 ff.);
die publizistischen Schriften von Schneegans, Grad u. a.; M. Hertz, Deutsche Sage im Elsaß (Stuttg. 1872);
v. Löher, Aus Natur und Geschichte von Elsaß-Lothringen (Leipz. 1871);
Noë, Elsaß-Lothringen, Naturansichten und Lebensbilder (Glog. 1872);
Kraus, Kunst und Altertum in Elsaß-Lothringen (Straßb. 1876-84, 2 Bde.);
Woltmann, Geschichte der deutschen Kunst im Elsaß (Leipz. 1875);
Schmidt, Histoire littéraire de l'Alsace (15. und 16. Jahrh., Par. 1879, 2 Bde.);
»Alsatia; Beiträge zur elsässischen Geschichte, Sage, Litteratur etc.« (hrsg. von Aug. Stöber, Mülhaus. 1853-68; neue Folge, Kolm. 1872-85);
im Anschluß hieran das »Jahrbuch für Geschichte, Sprache und Litteratur Elsaß-Lothringens« (1885 ff.);
»Alemannia; Zeitschrift für Sprache, Litteratur und Volkskunde des Elsaß« (hrsg. von Birlinger, Bonn 1871 ff.).