Elfenbeins
chnitzerei,
die
Kunst, in
Elfenbein
Ornamente
[* 2] und
Figuren zu schneiden. Die Elfenbeins
chnitzerei geht in sehr frühe
Zeiten zurück;
wir können sie im
Occident bis in die sogen. prähistorische Zeit verfolgen. Man findet
Elfenbeinarbeiten bereits mit Steinwerkzeugen der ältern
Steinzeit
[* 3] zusammen: das sind außer einigen
Nadeln
[* 4] etc. jene merkwürdigen,
auf Mammutzähne geritzten
Zeichnungen von
Renntieren, welche in gewissen
Höhlen
Frankreichs gefunden worden sind.
Auch die
Pfahlbauten
[* 5] haben Elfenbeins
chnitzereien geliefert.
Sicher datierbare
Stücke kennen wir zunächst von den
Ägyptern: allerlei Geräte,
Griffe, kleine
Büchsen,
Nadeln und Toilettengegenstände, mit Flachrelief verzierte
Platten zur
Bekleidung von Gegenständen, auch kleine Statuetten, deren eine ins 11. Jahrh.
v. Chr. hinaufreicht, u. a. Auch assyrische
Elfenbeins
chnitzereien kommen vor. Im Alten
Testament wird die Verwendung von
Elfenbein öfters erwähnt; hier haben wir an
eine Verkleidung eines meist hölzernen
Kerns mit Elfenbeinplatten zu denken.
Das berühmteste Werk hebräischer Elfenbeins
chnitzerei war der
Thron
[* 6] des
Salomo (1.
Könige 10, 18). Die Griechen kannten das
Elfenbein lange,
bevor sie mit dem
Elefanten bekannt wurden;
Homer erwähnt seine Verwendung zum
Schmuck verschiedener Gegenstände häufiger,
sowohl als glänzend weißes
Material wie auch gefärbt. Am
Kasten des
Kypselos (also in historischer Zeit)
finden wir gleichfalls
Elfenbein, wie es denn früh speziell für
Verzierung der Götterbilder besonders Verwendung fand. Am
bekanntesten ist die Verwendung des
Elfenbeins in der sogen. chryselephantinen
Technik, d. h.
es wurden Götterbilder, meist
kolossale, aus
Gold
[* 7] und
Elfenbein hergestellt derart, daß die nackten Fleischteile aus
Elfenbein, die
Gewandung
etc. aus
Gold verfertigt und auf einem hölzernen
Kern befestigt waren. S.
Goldelfenbeinkunst.
Bei den
Römern finden wir Elfenbeins
chnitzerei früh erwähnt; der kurulische
Sessel war aus
Elfenbein, ferner der
Stab
[* 8] der
Könige u. a. Mit dem
zunehmenden
Luxus, der
Ausdehnung
[* 9] des römischen
Reichs und der reichern Zufuhr von
Elfenbein (man kannte
übrigens auch schon fossiles;
Plin., 36, 29) nahm auch die Elfenbeins
chnitzerei an
Ausdehnung zu.
Musikinstrumente:
Flöten,
Leiern etc., von
Elfenbein
waren etwas Gewöhnliches und vielfach noch mit
Edelsteinen geziert. Die Furnierung von
Möbeln, Schmucksachen
[* 10] mit
Elfenbein
war allgemein; auch schnitzte man Tischfüße und Verwandtes aus dem vollen
Material, fertigte Bettstellen
daraus.
Neben Götterfiguren schnitzte man
Reliefs und ganze Reiterstatuen von
Feldherren oder
Kaisern in
Elfenbein. In der Kaiserzeit
findet die Elfenbeins
chnitzerei besondere Verwendung zum
Schmuck der Diptychen, welche die
Konsuln beim Antritt des
Amtes als besondere Auszeichnung
zu verschenken pflegten. Diese aus zwei
Platten bestehenden, durch ein
Scharnier zum Aufklappen eingerichteten
Schreibtafeln sind an den Außenseiten gewöhnlich mit dem Bildnis des betreffenden
Konsuls in irgend einer amtlichen
Handlung
in Elfenbeinschnitzerei
geschmückt.
Die frühchristliche
Kunst brachte die Elfenbeinschnitzerei
zu hoher Vollendung; sie arbeitete durchaus in den
Traditionen der altklassischen
Kunst, ohne selbst neue
Formen der
Darstellung zu erfinden. Man schmückte die heiligen Geräte: Hostienbüchsen,
kleine Klappaltäre,
Einbände für die heiligen
Schriften etc., mit Elfenbeinschnitzerei.
Die Elfenbeinschnitzereien jener Zeit sind
heute die wichtigsten, zum Teil einzigen erhaltenen plastischen
Denkmäler der frühchristlichen
Kunst und daher von größtem
Wert. Im
Zentrum der byzantinischen
Kunst, zu
Ravenna, trieb auch die Elfenbeinschnitzerei
ihre schönsten
Blüten: der Bischofsstuhl
des
Maximianus (546-552) im
Dom daselbst darf als Meisterwerk dieser
Technik gelten.
Mit dem Vordringen christlicher
Kultur über die
Alpen
[* 11] gelangte auch die Elfenbeinschnitzerei
nach dem
Norden,
[* 12] mit ihr der
Stil und
Geist der ausgehenden
klassischen
Kunst. Am
Hof
[* 13]
Karls d. Gr. blühte die Elfenbeinschnitzerei
gleichfalls.
Im 11. und 12. Jahrh. war die
Kunst der Elfenbeinschnitzerei
allgemein verbreitet.
Kruzifixe,
[* 14]
Haus- und Reisealtäre;
Statuen,
Bischofsstäbe und
-Ringe, Prachtsättel, Schmuckkästchen und Toilettengerät sind uns vielfach erhalten. Namentlich bei Bucheinbänden
pflegte man gern in die Mitte des mit
Edelsteinen geschmückten Deckels eine geschnitzte Elfenbeinplatte einzulegen.
Die ganzen Elefantenzähne bedeckte man über und über mit Schnitzerei, höhlte sie aus und benutzte
sie als
Jagd- oder
Trinkhörner;
[* 15] hier sind orientalische Vorbilder nicht ohne Einfluß gewesen. Die orientalischen Elfenbeinschnitzereien
kamen durch die
Kreuzfahrer in größern
Mengen nach dem
Abendland, sowohl als Kuriositäten wie vor allem als Behälter für
Reliquien; letztere meist in Form rechteckiger Kästchen mit mannigfachem Dekor, häufig mit
Goldmalerei
oder eingeritzten
Ornamenten geziert, welche den alten Stoffmustern entlehnt sind; seltener sind diese Kästchen geschnitzt,
dann aber von großer
Schönheit und Vollendung in der Ausführung. Das Stammland dieser
Arbeiten ist das neupersische
Reich,
wie
Ornamente u.
Darstellungen
lehren. - Die Übergangsperiode zeigt die Elfenbeinschnitzerei
nicht in dem
Umfang wie die romanische
Zeit, doch besitzen wir einige kostbare figürliche
¶
mehr
Arbeiten dieser Epoche. Mächtig war dagegen der Aufschwung der Elfenbeinskulptur im 14. und 15. Jahrh.
Während man sich früher mit Altärchen für Haus oder Reise begnügt hatte, setzte man jetzt ganze große Altarwerke aus
einzelnen Platten, Figuren, Architekturteilen zusammen. In größerm Umfang als bisher aber diente die Elfenbeinschnitzerei
jetzt dem
Profangebrauch und ward zu Luxusgegenständen, namentlich Schmuckkästchen für Damen und Ähnlichem, verwendet, dem auch
die Darstellungen der Reliefs (Liebesszenen, Allegorien) entsprechen.
Die Ausführung dieser Arbeiten zeugt von tüchtigem handwerksmäßigen Können, doch ist das Niveau dieser Arbeiten kein hohes.
Die Künstler arbeiteten nach einem gewissen Vorrat von Entwürfen, welche fort und fort kopiert wurden,
so daß gewisse Darstellungen in zahlreichen Wiederholungen auf uns gekommen sind. Die mittelalterlichen Elfenbeinschnitzereien
sind so ziemlich in allen Kulturländern gefertigt worden; namentlich aber verdankt man Frankreich eine große Anzahl der
überaus reizvollen Altärchen, welche, aus der Spitze des Elefantenzahns geschnitten, in der Mitte eine stehende Madonna,
in den zwei oder vier Flügeln biblische Darstellungen zeigen.
Überhaupt ist die Form des Zahns maßgebend für die Gestaltung der daraus geschnitzten Objekte, da es galt, sowenig wie möglich von dem kostbaren Material wegzuschneiden. Die seitliche Neigung der Madonnenstatuen hat durchaus ihren Grund in der Form des Zahns und ist dann später gewissermaßen in Mode gekommen, so daß diese Stellung auch an Figuren aus anderm Material häufig genug angetroffen wird. Auch Form und Größe der runden Schachteln, der Platten etc. richten sich im frühern Mittelalter nach dem Durchmesser der Zähne; [* 17] später kommt man dazu, einzelne Teile zu einem Ganzen zusammenzusetzen.
Gegen Ende des 15. Jahrh. tritt die Elfenbeinschnitzerei besonders in Venedig [* 18] hervor, wo in Verbindung mit dem Holz- und Elfenbeinmosaik geschnitzte Platten zu kleinen Kassetten verarbeitet werden. Auch Sättel, Satteltaschen etc. mit durchbrochener Elfenbeinschnitzerei werden hier gefertigt. Mit der Entdeckung des Seewegs nach Indien und der dadurch vermehrten Zufuhr von Elfenbein beginnt eine neue Epoche in der Geschichte der Elfenbeinschnitzerei. Die Herstellung kirchlicher Geräte tritt gegen die Profanarbeiten zurück. Im 16. Jahrh. kommen die Elfenbeinschnitzereien nur vereinzelt vor, meist ganz vortreffliche, meisterhafte Arbeiten von höchster Vollendung, namentlich als flache Reliefs für Brettsteine, Schachfiguren, Figuren und Reliefs allerlei Art. Diese Arbeiten werden vielfach mit den Namen großer Künstler verknüpft: Michelangelo, Benvenuto Cellini, Albrecht Dürer u. a. sollen Elfenbeinschnitzereien gefertigt haben. Vor einer strengen Kritik halten diese Bezeichnungen jedoch nicht Stich.
Die eigentliche Blüte [* 19] der Elfenbeinschnitzerei fällt in das 17. Jahrh. Die Elfenbeinschnitzerei wird Modesache, eine Anzahl Fürsten treten selbst als ausübende Künstler auf diesem Gebiet auf oder ziehen geschickte Drechsler an ihren Hof. Letzterm Umstand verdanken die großen Sammlungen in Dresden, [* 20] Gotha, [* 21] Kassel, [* 22] Schwerin, [* 23] München [* 24] u. a. O. ihre Entstehung. Als solche die Elfenbeinschnitzerei pflegende Fürsten sind zu nennen: Kaiser Rudolf II., Ferdinand III., die Kurfürsten Moritz und August I. von Sachsen, [* 25] Georg Wilhelm von Brandenburg, [* 26] Maximilian und Ferdinand von Bayern, [* 27] Johann Wilhelm von der Pfalz, Landgraf Ernst Ludwig von Hessen. [* 28]
Die Produkte jener Zeit sind überaus mannigfaltig: Tafelaufsätze von mächtiger Größe mit Figuren, große Prachtgefäße aller Art, Schiffsmodelle, Reliefs, Figuren etc. Sehr beliebt und in Mengen erhalten sind die Prachtgefäße, welche, der Form des Zahns folgend, meist als cylindrische Humpen geformt sind. Die Darstellungen enthalten durchweg menschliche Figuren in voller Höhe des Gefäßes, wobei die Ähnlichkeit [* 29] der Struktur und der Transparenz des Elfenbeins mit der menschlichen Haut [* 30] meist zur Darstellung nackter Körper benutzt ist; so sind Amazonen und Heroenschlachten, Musendarstellungen und bacchische Szenen besonders beliebt.
Diese Elfenbeinschnitzereien, in reich getriebenes und vergoldetes Silber meist in Augsburg [* 31] gefaßt, dienten lediglich als Ziergeräte. Große Schüsseln mit Kannen, aus Holz [* 32] oder Horn, mit skulptierten Elfenbeinplatten belegt, in Augsburg verfertigt, dienten namentlich in Jagdschlössern zur Ausschmückung der Büffette. Wohl das künstlerisch bedeutendste Stück jener Zeit ist der Münzschrank der Herzogin Elisabeth von Bayern, von Chr. Angermeier 1618-24 gefertigt (in München).
Das 18. Jahrh. kehrt wiederum zu Gebrauchsgeräten aus Elfenbein zurück: Stockgriffe, Tabaksraspeln und -Dosen, Griffe zu Messern und Gabeln bilden gegen die Ziergeräte jetzt die Mehrzahl. Daneben artet die ganze Kunst allerdings zum Teil in Spielereien (Totenköpfe) aus, namentlich nach Erfindung der sogen. Passigdrehbank, welche gestattete, die mannigfachsten Schweifungen, ja selbst viereckige Büchsen etc. herzustellen. Diese Drechselkunst hatte ihren Sitz in Nürnberg, [* 33] wo die Familie Zick eine große Berühmtheit durch ihre Arbeiten errang; einzelne Glieder [* 34] derselben hielten sich vorübergehend an den Höfen von Prag, [* 35] Weimar, [* 36] Halle, [* 37] Wien [* 38] auf und verbreiteten so ihre Kunst. Peter Zick, der Begründer der Familie, starb 1632. Sein Sohn Lorenz galt als der Geschickteste in seiner Kunst. Besonders berühmt waren seine »Conterfaitbüchsen«, hohle, geschlossene Gefäße mit Inhalt, alles aus Einem Stück Elfenbein gedreht und geschnitten. Er starb 1666. Stephan Zick (gest. 1715) verfertigte namentlich »Dreifaltigkeitsringe«, Kunstaugen und Kunstohren, d. h. anatomisch zusammengesetzte, zerlegbare Augen und Ohren. Außer den eben genannten Elfenbeinschnitzereien mögen hier noch angeführt werden: Egidius Lobenigke in Dresden (16. Jahrh.), Melchior Barthel daselbst (1625-72), Balthasar Permoser in Florenz, [* 39] Berlin [* 40] und Dresden (1651-1732). Ein Spezialist war Simon Troger (gest. 1769) in München, von dem die bekannten Bettlerfiguren, aber auch andre Arbeiten aus Holz und Elfenbein stammen, die in den deutschen Sammlungen nicht selten sind; ferner Leo Pronner in Nürnberg, welcher Kuriositäten aller Art schnitt (17. Jahrh.). Mit dem Rokoko ging auch die Kunst der Elfenbeinschnitzerei zu Grunde, zumal das Interesse daran erlosch. Im ersten Drittel dieses Jahrhunderts lebte in Meiningen [* 41] Leberecht Wilhelm Schulze, welcher durch mannigfache gute Arbeiten, Kirchengeräte sowohl als Gefäße und Schnitzereien zu profanem Gebrauch, sich bekannt gemacht hat.
Mit dem Wiederaufleben der Kleinkunst hatte sich auch die Elfenbeinschnitzerei wieder gehoben; in Frankreich sowohl als in Deutschland [* 42] hat man es zu ganz ansehnlichen Leistungen darin gebracht. Beliebt sind in neuester Zeit Arbeiten aus ungereinigtem Elfenbein, d. h. aus Zahnstücken, deren Äußeres nicht geglättet und gebleicht ist, so daß es eine gelbe Farbe zeigt, Versuche, die vom ästhetischen Standpunkt durchaus nicht zu billigen sind. Im ganzen scheint heute der Geschmack an Elfenbeinschnitzerei nicht verbreitet zu sein.
Die ältesten Elfenbeinschnitzereien des Orients sind oben erwähnt; Arbeiten, welche nach dem Mittelalter entstanden sind, kommen äußerst selten vor. Mit Elfenbeinschnitzerei versehene Waffen [* 43] waren stets im Orient beliebt, auch ¶
mehr
Fächer [* 45] etc. Gewisse wilde Stämme Afrikas bearbeiten die Elefantenzähne äußerst geschickt und geschmackvoll, indem sie figürliche Darstellungen darauf schnitzen, welche den Zahn wie ein Band [* 46] umschlingen. Infolge der Beziehungen zu den Portugiesen sind diese Schnitzereien zum Teil durch europäische Formen beeinflußt und zeigen einen ganz eigentümlichen Charakter. In Indien ist die Elfenbeinschnitzerei seit uralten Zeiten heimisch; doch werden hier nicht bloß die Stoß-, sondern auch die Backenzähne der Elefanten vielfach zu Schnitzereien verwandt, z. B. auf Ceylon. [* 47]
Heute ist die C. über ganz Indien verbreitet; man fertigt Möbel [* 48] daraus, Toilettengegenstände und Schmucksachen, schnitzt Tiere aller Art, kleine Boote, Sänften, Früchte, Blumen, welche zum Teil gefärbt werden. Götterbilder und Figuren für Spiele sind in Elfenbeinschnitzerei gleichfalls sehr verbreitet. In Ostasien ist Japan [* 49] weniger durch Elfenbeinschnitzerei bekannt als durch eingelegte Arbeit in Elfenbein. Platten des kostbaren Materials, auch kurze Cylinder werden mit Goldlack bemalt und mit Perlmutter, Korallen, [* 50] Steinen eingelegt.
Dagegen liefert China seit alten Zeiten hochberühmte Schnitzereien. Bekannt sind die durchbrochenen Kugeln, deren oft mehr als ein Dutzend, bis 30, ineinander geschnitzt sind; berühmt sind in neuerer Zeit die ganzen Zähne, welche, über und über mit Schnitzereien, zum Teil à jour, bedeckt, auf hölzernen Untersätzen einen beliebten Zimmerschmuck auch in Europa [* 51] abgeben. Büchsen, Dosen, Tablette aller Art, mit eingeschnittenen oder frei gearbeiteten Verzierungen, Blumen, Insekten [* 52] dekoriert, zum Teil mit feinstem Farbengefühl bemalt, trifft man in den Kunstsammlungen öfters an. Die durchbrochen geschnitzten Körbchen und Dosen sind oft wahre Wunderwerke der Schnitzerei. Die Chinesen fertigen auch Flechtarbeiten aus fein gespaltenen Elfenbeinspänen und benutzen derartige Geflechte als Unterlage für flach geschnitzte und gefärbte Blumen zu Fächern.
Vgl. Wyatt, Notices of sculpture in ivory (Lond. 1856);
Maskell, Ivories ancient and mediaeval (das. 1875);
Westwood, Descriptive catalogue of fictil ivories in the South-Kensington Museum (das. 1876).