Eleusis
,
nächst
Athen,
[* 2] mit dem es durch die »heilige
Straße« verbunden war, der wichtigste
Ort des alten
Attika, an der
Nordküste des gleichnamigen
Golfs,
Salamis gegenüber, jetzt ein armseliges Dorf, das außer einigen Trümmerhaufen
nur den
Namen
(Levsina) von seiner alten
Herrlichkeit bewahrt hat. Eleusis
ist seit Juli 1884
Station der bis hierher vollendeten
Eisenbahnlinie
Piräeus-Patras. In ältern
Zeiten war Eleusis
Hauptort eines kleinen
Königreichs, ward aber unter
Eumolpos von
den Athenern unterworfen.
Demeter [* 3] und Persephone [* 4] (Kore) hatten auf dem die Stadt beherrschenden Burghügel ihren berühmten Tempel, [* 5] der zwar von den Persern zerstört, aber durch Perikles nach den Plänen des Iktinos prächtiger und größer wieder aufgebaut, zuletzt von Alarich zerstört worden und nur noch in wenigen Ruinen vorhanden ist. Seit Juni 1882 läßt die Griechische Archäologische Gesellschaft die Stätte ausgraben, wobei auch Reste des ältesten, ca. 25 m im Quadrat großen Tempels gefunden wurden. Am nördlichen Fuß des Hügels stand ein Tempel der Artemis [* 6] Propyläa; dort entsprang auch die Quelle [* 7] Kallichoros, in deren Umgebung nach attischer Sage das erste Getreide [* 8] gewachsen war. - Die hier gefeierten Eleusinischen Mysterien waren die ältesten und ehrwürdigsten der Geheimgottesdienste in Griechenland. [* 9]
Der
Mythus erzählt,
Demeter, ihre von
Hades geraubte Tochter
Persephone suchend, habe in Eleusis
gastliche
Aufnahme gefunden und deshalb
hier von ihren erfolglosen Forschungen ausgeruht. Als dann der von
Zeus
[* 10] vermittelte
Vertrag mit
Hades zu
stande gekommen, wonach
Persephone zwei Drittel oder die Hälfte des
Jahrs bei der
Mutter, die übrige Zeit aber bei dem Gemahl
zubringen sollte, habe
Demeter durch Vermittelung des
Triptolemos den Eleusiniern den
Ackerbau als Dank für ihre
Gastfreundschaft
verliehen. So sind es die chthonischen
Gottheiten
Demeter und
Persephone, welche in den
Eleusinischen Mysterien
gefeiert wurden. Zu ihnen gesellte sich dann
Dionysos
[* 11]
(Iakchos), der Gott der gewaltig schaffenden Naturkraft.
Bald verbreitete sich dieser mystische Kult über das Mutterland, die Inseln und Pflanzstädte, und selbst in Ägypten [* 12] finden wir Spuren verwandter, offenbar übertragener Gebräuche und Mythen. In E., dem Hauptort dieses Kultus, besaßen alte Geschlechter die Priesterämter erblich und waren die Bewahrer der Grundlagen dieses Gottesdienstes. Die vornehmsten dieser Geschlechter waren die Eumolpiden und die Keryken. Die hauptsächlichsten Beamten bei den Mysterien waren der Hierophant (Oberpriester), der Daduchos (Fackelträger), der Hierokeryx (heilige Herold) und der Epibomios (Altar- oder Opferpriester).
Der Gottesdienst war ein geheimer, und nur nach besondern Reinigungen und Einweihungszeremonien durfte man an ihm teilnehmen. In den ältesten Zeiten wurden bloß Athener aufgenommen, später auch andre; nur Gottlose blieben immer ausgeschlossen. Die Einweihung geschah nach vorausgegangener Reinigung mit mystischen Formeln und symbolischen Handlungen. Die Feier der Mysterien selbst stellte bildlich das Hinunter- und Heraufsteigen der Persephone dar. Indem man im Aufhören der Vegetation im Spätherbst das Verschwinden der Tochter der Demeter in die Unterwelt, im Sprossen des Frühlings aber das Wiederkommen der Göttin, das Heraufsteigen zu den Obern vorgebildet sah, ließ man den eleusinischen Festcyklus in zwei Abschnitte zerfallen: die kleinen (Fest des Frühjahrs) und die großen Eleusinien (Fest des Herbstes).
Von den kleinen Mysterien weiß man nur, daß sie dem Herakles [* 13] zu Gefallen eingerichtet worden sein sollen, weil dieser als Fremder in die großen nicht aufgenommen werben konnte. Die großen Mysterien begannen am 15. Tag des Monats Boedromion (Anfang Oktober) und dauerten 9 Tage. Am ersten Tag versammelten sich die Einzuweihenden, am zweiten Tag fanden die Reinigungen statt, am dritten wurden Opfer dargebracht; am vierten Tag führte man in Prozession einen heiligen Korb (Kalathos) [* 14] herum, welcher den Blumenkorb der Persephone vorstellen sollte; der fünfte Tag sollte durch lange Wanderungen mit Fackeln die Irrfahrten der Demeter versinnlichen.
Der sechste Tag war der feierlichste. Zunächst wurde von der ganzen Menschenmenge, die einmal die Zahl 30,000 erreichte, die Bildsäule des Iakchos aus Athen abgeholt und im eleusinischen Tempel aufgestellt. Mit der Nacht begann die Einweihung in die Mysterien, deren Kern in einer Versinnlichung der Zustände der Verdammten und der Gerechten im Hades bestanden haben soll. Am siebenten Tag wurden Wettspiele zu Ehren der Göttinnen veranstaltet. Die zwei letzten Tage wurden mit Einweihungen und Wasserspenden hingebracht.
Kaiser Theodosius unterdrückte die Eleusinien. Was die Bedeutung dieser Mysterien anlangt, so fand man in der jährlichen Wiederkehr der Persephone, in dem Wiederaufleben der erstorbenen Natur im Frühling eine symbolische Bürgschaft, daß auch den Leib des Menschen nicht ewig die Erde umschließen werde, und es gab sich so in den Eleusinischen Mysterien die Idee der Unsterblichkeit zuerst kund.
Vgl. Lobeck, Aglaophamus (Königsb. 1829);
Preller, Demeter und Persephone (Hamb. 1837);
Welcker, Griechische Götterlehre, Bd. 2, S. 511 ff.; K. F. Hermann, Lehrbuch der gottesdienstlichen Altertümer der Griechen (2. Aufl., Heidelb. 1857);
Lenormant,
Recherches archéologiques
à Eleusis
(Par. 1862);
Gerhard, Über den Bilderkreis von Eleusis
, in den »Gesammelten akademischen
Abhandlungen«, Bd. 2 (Berl.
1868);
Strube,
Studien über den Bilderkreis von Eleusis
(Leipz. 1870),
mit Supplement von Brunn (das. 1872);
Förster, Der Raub und die Rückkehr der Persephone (Stuttg. 1874);
Derselbe in den »Jahrbüchern für Philologie« (1876, S. 804 ff.) und im »Philologus« (Supplementband 4, S. 633 ff.);
Haggenmacher, Die Eleusinischen Mysterien (Basel [* 15] 1880);
Foucart im »Bulletin de correspondance hellénique«, Bd. 7, S. 387 ff.