Elektrische
Eisenbahn, Transportsystem, bei welchem auf gewöhnlichen eisernen
Schienen laufende
Wagen durch eine
dynamoelektrische Maschine fortbewegt werden. Die erste leistungsfähige Elektrische
wurde 1879 auf der
Gewerbeausstellung
zu
Berlin
[* 3] von
Siemens u.
Halske ausgeführt. Auf schmalem Geleise bewegte sich ein Zug
von drei kleinen offenen
Wagen mit einer dynamoelektrischen
Maschine,
[* 4] und die
Übertragung der
Kraft
[* 5] von der durch eine stationäre
Dampfmaschine
[* 6] getriebenen primären
dynamoelektrischen
Maschine auf die als
Motor dienende sekundäre
Maschine erfolgte durch die Schienengeleise. Zu diesem
Zweck
war eine mittlere isolierte Zuleitungsschiene in Form eines aufrecht stehenden Flacheisens angebracht, während die Laufschienen
zur Rückleitung des
Stroms dienten.
Als erste für den öffentlichen
Verkehr bestimmte Elektrische
wurde von
Siemens u.
Halske die
Strecke zwischen dem
Bahnhof
Lichterfelde an der
Anhalter
Bahn bei
Berlin und der Zentralkadettenanstalt erbaut und 1881 dem Betrieb übergeben. Die
Lichterfelder
Bahn ist 2,6 km lang und wurde nach den allgemeinen Bestimmungen für
Eisenbahnen niederer
Ordnung konzessioniert.
Für den elektrischen
Strom
dient die eine
Schiene als Hinleitung, die andre als Rückleitung. Die Isolation
der
Schienen ist dabei vernachlässigt worden, infolgedessen arbeitet die
Bahn mit einem beträchtlichen, übrigens durch
Versuche
und Berechnungen im voraus bekannten Stromverlust, welcher insbesondere aus den im
Niveau der durchschnittenen
Straßen liegenden
Strecken resultiert, wo der
Strom, namentlich bei feuchtem
Wetter,
[* 7] zum Teil von der einen
Schiene durch den
Sand zur andern
Schiene, bez. zur
Erde geht.
Um so mehr ist es anzuerkennen, daß die Lichterfelder elektrische
Bahn seit ihrer Betriebseröffnung ohne wesentliche
Störungen
bisher mit größter Regelmäßigkeit ihren
Dienst verrichtet hat. Der elektrische
Wagen macht seine
Touren
im Anschluß an sämtliche Personenzüge der
Anhalter
Bahn. Er soll mit der konzessionell zulässigen
Geschwindigkeit von 20 km
fahren. Er kann jedoch 35 bis 40 km
Geschwindigkeit erreichen, wenn bei normalem Betrieb der
Maschine nichts zur Mäßigung
der
Geschwindigkeit geschieht.
Die elektrische Lokomotivmaschine entwickelt bei einem
Eigengewicht von ungefähr 500 kg
etwa 5½
Pferdekräfte.
Der Betrieb dieser
Bahn wird in folgender
Weise bewirkt. Eine durch Maschinenkraft in
Umdrehung versetzte primäre
dynamoelektrische Maschine
überträgt den von ihr erzeugten elektrischen
Strom auf eine an dem
Eisenbahnwagen angebrachte sekundäre
dynamoelektrische Maschine,
die dadurch ihrerseits in
Umdrehung versetzt wird und durch passende Vorrichtungen ihre
Bewegung den
Rädern
des
Wagens mitteilt. Der
Wagen ist demjenigen einer gewöhnlichen
Pferdebahn durchaus ähnlich; die elektrische
Maschine ist
zwischen den
Rädern unterhalb des
Fußbodens angebracht, arbeitet geräuschlos, ist kaum sichtbar und macht sich durch nichts
äußerlich bemerkbar.
Eine Abbildung des
Wagens in Seitenansicht gibt
[* 1]
Fig. 1. Von den
Schienen wird der elektrische
Strom zu den
mit ihnen in steter Berührung befindlichen Radkränzen der Wagenräder geführt.
Vermöge der Verwendung von Holzscheibenrädern
sind die Radkränze von den
Achsen isoliert. Dagegen stehen die Radkränze mit um die
Achse gelegten isolierten Schleifkontaktringen
in leitender
Verbindung; auf diesen schleifen (aus der
Zeichnung nicht ersichtliche)
Metallfedern,
[* 8] welche
die unmittelbare
Verlängerung
[* 9] der beiden
Pole der zwischen den Wagenrädern lie-
[* 1]
^[Abb.: Fig. 1.
Wagen der elektrischen
Eisenbahn bei
Lichterfelde.]
¶
mehr
genden elektrischen
Lokomotivmaschine sind, derart, daß die Schleiffedern der einen Wagenseite, bez.
der einen Schiene mit dem einen und die der andern Wagenseite mit dem andern Ende des Umwindungsdrahts der sekundären Betriebsmaschine
in stets leitender Verbindung stehen. Durch diesen Umwindungsdraht wird also die leitende Verbindung zwischen beiden Schienen
hergestellt, und es wird dadurch bewirkt, daß die Maschine beim Durchgang eines elektrischen
Stroms sich
in Umdrehung versetzt.
Diese Drehung wird durch stählerne Transmissionsschnüre auf die Wagenräder übertragen; der Wagen wird mithin so lange in
Bewegung gesetzt, wie der Stromkreis geschlossen ist. Die Einleitung und Unterbrechung des elektrischen Stroms geschieht durch
Drehung einer Kurbel,
[* 11] die sich auf jedem Wagenperron zur Hand
[* 12] des Wagenführers befindet. Vermittelst einer
Umsteuerung,
[* 13] durch welche der Strom entweder im positiven oder negativen Sinn durch die Umwindungsdrähte geführt wird, kann
der Wagen nach Belieben entweder vorwärts oder rückwärts bewegt werden. Versuche auf der Lichterfelder Bahn haben dargethan,
daß die Fortbewegung mehrerer Wagen in beliebigen Abständen voneinander durch eine und dieselbe Elektrizitätsquelle
auf den elektrischen Eisenbahn
anlagen keinen Schwierigkeiten unterliegt.
Ende 1881 wurde in der Nähe Berlins eine zweite Elektrische zwischen Charlottenburg [* 14] und dem Spandauer Bock [* 15] unter Benutzung der Pferdebahngeleise dem Betrieb übergeben, welche in der Stromzuführung wesentliche Verschiedenheiten von der Lichterfelder Bahn aufwies. Die Stromzuleitung erfolgte ursprünglich, wie sich aus der schematischen Darstellung in [* 10] Fig. 2 und 3 ergibt, nicht durch die Schienen, sondern durch Herstellung einer doppelten Drahtseilleitung auf Isolatoren besonderer Form an Telegraphenstangen.
Auf der Drahtseilleitung lief ein kleiner Kontaktwagen, der durch ein mit doppelten Leitungsdrähten versehenes Leitungsseil, welches zugleich den kleinen Kontaktwagen mit sich zog, die Verbindung mit den beiden Drahtenden der dynamoelektrischen Maschine herstellte. Aus dieser Einrichtung ergaben sich jedoch Schwierigkeiten, indem bei Biegungen der Straße der Kontaktwagen nicht mit genügender Sicherheit die Leitungsseile berührte. Man brachte daher, nach dem Vorgang von Siemens Frères in Paris, [* 16] an Stelle der Drähte geschlitzte, von Isolatoren getragene und mittels Tragseilen an den Stangen aufgehängte Röhren [* 17] von 25 mm lichter Weite an, in welchen Kontaktschiffchen von der in [* 10] Fig. 4 dargestellten Konstruktion durch das Leitungsseil gleitend fortgeführt wurden.
Das Schiffchen besteht aus vier federnden Kontaktknöpfen S1, S2, S3, S4, ^[S1, S2, S3, S4,] welche auf einem Kupferdrahtseil befestigt und von denen S1 und S4 an eine Stahlschiene T festgenietet sind; von Z und M aus führt das Leitungsseil zum Wagen. Diese Einrichtung entspricht derjenigen, welche von der Firma Siemens Frères auf der Pariser Elektrizitätsausstellung für die von ihr erbaute Elektrische zwischen dem Industriepalast und dem Concordiaplatz gewählt worden war, und die sich dort bewährt hatte.
Die Bahn Charlottenburg-Spandauer Bock ist übrigens nur als Versuchsanlage benutzt worden, um das Verhalten der Konstruktionsteile auch unter ungünstigen Witterungsverhältnissen, namentlich bei Schnee [* 18] und Eis, [* 19] zu erproben. Nachdem die erzielten Ergebnisse auch hier zur Zufriedenheit ausgefallen waren, wurde der elektrische Betrieb der genannten Strecke 1883 eingestellt und das dort erprobte System beim Bau der im April 1884 vollendeten, 6,6 km langen elektrischen Eisenbahn zwischen Frankfurt [* 20] a. M. und Offenbach [* 21] zur Anwendung gebracht.
Grubenbahnen mit elektrischem Betrieb sind von Siemens u. Halske in den königlich sächsischen Bergwerken zu Zaukerode und der Hohenzollerngrube bei Beuthen [* 22] hergestellt worden. Die elektrische Grubenbahn in Zaukerode ist 700 m lang und befindet sich in einer Tiefe von 260 m unter der Erdoberfläche. Wegen der geringen Breite [* 23] der zu befahrenden Gänge mußte die elektrische Lokomotive [* 24] in verhältnismäßig kleinen Abmessungen gehalten werden; trotzdem befördert dieselbe eine Last von 8000 kg mit einer Geschwindigkeit von 12 km in der Stunde. Zur Erzeugung des Stroms dient eine außerhalb der Grube aufgestellte und mittels einer kleinen Cylinderdampfmaschine betriebene dynamoelektrische Maschine. Der Strom wird durch ein Kabel den oberhalb des Ganges befestigten, aus T-Eisen gebildeten Leitungsschienen zugeführt und gelangt durch Vermittelung kleiner, auf diesen Schienen gleitender Kontaktschlitten, die
[* 10] ^[Abb.: Fig. 2 u. 3., Wagen der elektrischen Eisenbahn bei Charlottenburg.
Fig. 4. Kontaktvorrichtung.] ¶
mehr
von der Lokomotive an Leitungsseilen mitgezogen werden, in die dynamoelektrische Maschine der Lokomotive. Ähnliche Einrichtung hat die doppelgeleisige Bahn der Hohenzollerngrube bei Beuthen erhalten.
Außer den beschriebenen sind noch eine große Anzahl elektrischer Eisenbahnen im In- und Ausland teils fertig gestellt, teils im Bau begriffen. Die Vorzüge des elektrischen Bahnbetriebs sind kurzgefaßt etwa folgende: Der zum Betrieb erforderliche Motor (Dampf- oder Luftmaschine) befindet sich nicht auf dem Wagen und braucht somit nicht als tote Last beständig mitgeschleppt zu werden. Hierdurch wird der Wagen leichter und kann auch selbst leichter gebaut werden. Es genügt demnach wieder eine geringere Betriebskraft, wie auch der Bahnunterbau (Schienen, Schwellen, Brücken [* 26] etc.) wieder entsprechend leichter sein kann.
Die elektrische Betriebsmaschine im Wagen besitzt gegen ihre Leistung nur ein verhältnismäßig sehr geringes Gewicht, kann direkt in jedem Wagen angebracht werden und führt keine Gefahr oder irgend welche Unbequemlichkeit herbei. Das geringe Wagengewicht gestattet ein leichtes und rasches Anhalten und Bremsen [* 27] des Wagens. Die Verwendung von stationären Dampfmaschinen [* 28] bietet ferner den Vorteil, daß nicht allein die Kesselheizung, sondern auch die Dampfverwendung eine vorteilhaftere ist und besonders günstig erscheint, wenn von einer größern Dampfkraft der Betrieb der Stromerzeugungsmaschine abgezweigt wird.
Kann man aber eine vorhandene Wasserkraft benutzen, welche durchaus nicht in der nächsten Nähe der Bahn zu liegen braucht, so kann man durch Vermittelung der Elektrizität, [* 29] ohne Aufwand von Brennmaterial, Bahnen betreiben, wie dies auf keine andre Weise möglich ist. Es ist hierin ein weiterer und ganz besonderer Vorzug des elektrischen Bahnbetriebs zu suchen. Bei zweigeleisigen Bahnen kann dieselbe stromerzeugende dynamoelektrische Maschine beide Geleise mit Kraft versorgen. Daß bei passender Einrichtung auf demselben Geleise zwei oder mehrere Wagen zu Zügen kombiniert werden oder mit Intervallen hintereinander fahren können, wurde bereits erwähnt. Endlich ergibt sich aus dem Wegfall der rauchenden Lokomotive ein nicht zu unterschätzender Vorzug des elektrischen Betriebes, der ihn namentlich für Stadtbahnen und Grubenbahnen vorzugsweise geeignet erscheinen läßt.