Elektrische
Kraftübertragung bezweckt, die an einem bestimmten
Orte
verfügbare mechanische
Energie auf elektrischem
Wege nach einem andern, von dem ersten entfernten
Orte zu
übertragen, so daß sie dort zu Arbeitsleistungen verwendet werden
kann. Von allen Arbeitsübertragungen auf größere
Entfernungen ist die auf elektrischem
Wege nicht nur
die billigste, sondern auch jeder andern
Übertragung insofern weit überlegen, als sie ohne nennenswerte Verluste ganz bedeutende
Entfernungen bewältigt und einfache Kupferdrähte die
Energie von dem einen zum andern
Orte führen.
Durch die Arbeitsübertragung auf elektrischem
Wege ist es allererst möglich, die
Arbeit, welche in der
Natur nutzlos
geleistet wird, die
Energie der
Wasserfälle, auszunutzen, während man dieselbe bisher, wo sie nicht ganz dicht an der Verwendungsstelle
lag, brach liegen lassen mußte. Es kann jetzt nicht mehr wundernehmen, wenn
man in
Vorschlag bringt, die
Kohlen unmittelbar
an der Förderungsstelle unter gewaltigen
Kesseln zu verbrennen, Dynamomaschinen zu treiben und ihren
Strom nach allen Windrichtungen hin zur
Beleuchtung,
[* 2] Arbeitsleistung etc. zu leiten.
Aber auch schon für große
Fabriken, deren Gebäulichkeiten und Arbeitsstätten viel verzweigt sind, wird man mehr und mehr
zum elektrischen
Betrieb greifen, da mit den mechanischen
Transmissionen oder gar einer weitverzweigten
Dampfleitung ganz ansehnliche
Verluste verbunden sind. Diese Verluste können bei großen
Fabriken 50 und mehr
Prozent der gesamten Betriebskraft
ausmachen. Wie anders, wenn wir mit der
Dampfmaschine
[* 3] zunächst eine Dynamomaschine treiben und den
Strom nach den einzelnen
Arbeitssälen senden, wo er dann, zu kleinern
Elektromotoren geführt, wieder in mechanische
Arbeit umgesetzt wird.
Die Elektromotoren bedürfen keiner Wartung, nehmen unter allen bekannten Betriebsmaschinen den weitaus kleinsten Raum in Anspruch und haben einen Wirkungsgrad bis zu 92 Proz. Außerdem aber sind dann die einzelnen Arbeitssäle völlig unabhängig voneinander; jede einzelne Transmission [* 4] kann nach Bedürfnis in Gang [* 5] gesetzt und abgestellt werden, ohne daß der übrige Betrieb in Mitleidenschaft gezogen wird. Endlich aber kann an dasselbe Netz noch die Beleuchtung angeschlossen werden.
Aber auch die jetzigen, fast ausschließlich für den Lichtbedarf errichteten Zentralstationen werden demnächst ein andres Bild zeigen. Während sie bei Tage zum größten Teil brach liegen, werden sie gar bald durch Abgabe voll Strom zu motorischer Arbeit auch des Tages über voll in Betrieb sein können. Der gesamte Kleinbetrieb in den Städten wird ¶
mehr
sich nach und nach anschließen, sobald die Thatsache mehr und mehr gewürdigt wird, daß der elektrische
Betrieb weitaus
billiger ist, daß die Elektromotoren bei gleicher Leistung nur ein Bruchteil der Anlagekosten sonstiger Betriebsmittel ausmachen
und überall in dem kleinsten Winkel
[* 7] aufzustellen sind. In Berlin
[* 8] scheint sich diese Thatsache bereits Bahn
gebrochen zu haben; es ist heute schon eine ganze Anzahl kleinerer und auch größerer Betriebe (Ludwig Löwe, Gewehrfabrik)
angeschlossen.
Unter anderm wird in Berlin auch bereits eine große Zahl Nähmaschinen
[* 9] elektrisch
betrieben (Mantelfabrik Mannheimer), wodurch
eine Arbeiterin nunmehr das Doppelte leisten kann. Die elektrische Arbeitsübertragung hat also auch ein ethisches
Moment, sie rüstet den kleinen Handwerker mit allen Mitteln aus, um mit der Massenfabrikation in Wettbewerb zu treten. Was
Wunder, daß nunmehr die Städte, welche mit der Errichtung von Zentralen umgehen, ein Hauptaugenmerk auf die Leistung motorischer
Arbeit legen, haben sie doch die Pflicht, bei allen kommunalen Unternehmungen alle Berufsklassen zu berücksichtigen;
dies können sie aber nur, wenn sie neben dem elektrischen
Licht,
[* 10] welches vorläufig doch nur den Wohlhabendern zugänglich
ist, vor allem auf die Arbeitsleistung des elektrischen
Stromes Bedacht nehmen und so auch den kleinen Leuten die Wohlthaten
des Unternehmens zukommen lassen.
Von den bereits in Betrieb befindlichen elektrischen
Kraftübertragungen wird bei der nach den Angaben
des Ingenieurs Brown von der Firma Örlikon ausgeführten Anlage Kriegstetten-Solothurn in Kriegstetten eine Wasserkraft von 30-50
Pferdekräften mittels einer Turbine auf zwei ganz gleiche Dynamomaschinen übertragen. Die elektromotorische Kraft ist 1250 Volt,
die Stromstärke 15-18 Ampère. Mittels blanker Kupferleitungen von 6 mm Dicke wird der Strom nach den 8 km
weit entfernten Motoren geführt.
Diese sind von gleicher Bauart wie die Dynamos. Alle Maschinen sind hintereinander geschaltet. Bei gleichbleibender Tourenzahl
der primären Maschinen bleibt selbst bei stark wechselnder Belastung auch die Tourenzahl der Motoren einigermaßen konstant.
Der Wirkungsgrad der Anlage ist im Mittel 75 Proz., in der That eine großartige Leistung. Die Anlage ist
seit Dezember 1886 in dauerndem Betrieb. Nachstehende Tabelle verzeichnet die weitern Kraftübert
ragungsanlagen, die von der
Maschinenfabrik Örlikon bisher ausgeführt worden sind:
Installiert bei | Ort | Pferdekräfte | Entfernung in Metern | Wirkungsgrad Prozent |
---|---|---|---|---|
Gebr. Troller, Mahlmühle | Luzern | 120 | 3000 | 70 |
R. u. M. Frey, Schokoladefabrik | Aarau | 16 | 1200 | 70 |
Bay u. Komp., Tuchfabrik | Steinbach | 15 | 1450 | 70 |
Kammgarnspinnerei | Derendingen | 280 | 1300 | 80 |
Spinnerei von G. Rossi | Piovene | 250 | 450 | 78 |
Spinnerei von Amman u. Wepfer | Pordenone | 70 | 1000 | 75 |
Spinnerei von Legler | Diesbach | 120 | 600 | 75 |
Spinnerei della Valle | Garzaniga | 100 | 900 | 71 |
Seriana | Garzaniga | 120 | 800 | 78 |
J. Rauch, Mühle | Innsbruck | 50 | 450 | 80 |
Prockeroff, Weberei | Moskau | 70 | 3500 | 73 |
Papierfabrik Steyermühl | Aichberg-Steyermühl | 100 | 600 | 75 |
G Rossi | Schio | 300 | 6000 | 73 |
Jenny u. Schindler | Kennelbach Bregenz | 200 | 2500 | 75 |
Eine
Arbeitsübertragung, welche gleichzeitig für Beleuchtung und Arbeitsleistung dient, wurde in Weidenbach
a. d. Tristing von Siemens u. Halske, Wien,
[* 11] ausgeführt. Von augenblicklich projektierten Anlagen ist zu nennen die
[* 12] elektrische Kraftübert
ragung von
Lauffen am Neckar nach Heilbronn
[* 13] zwecks Beleuchtung und Arbeitsleistung. Es sind ca. 1000 Pferdekräfte verfügbar. Eine außerordentlich
großartige elektrische Kraftübert
ragung aber ist für die elektrotechnische Ausstellung zu Frankfurt
[* 14] a. M. (1891) geplant. Es
sollen von Lauffen am Neckar bis nach Frankfurt a. M. 300 Pferdekräfte mittels eines 5 mm starken Kupferdrahtes übertragen werden.
Die Entfernung beträgt 75 km. Geplant ist eine Betriebsspannung von 30,000 Volt. Mit Rücksicht auf die maßlose Spannung mochte
man geneigt sein, von vornherein Zweifel in dieses Unternehmen zu setzen. Von Fabriken, deren Betrieb vollkommen
elektrisch ist, nennen wir die der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft zu Berlin; außerdem wird das Charlottenburger Werk
von Siemens u. Halske demnächst vollkommen elektrisch betrieben sein.