Titel
Einkommensteuer.
In der Steuerlehre standen von jeher zwei Forderungen einander gegenüber, nach welchen die Steuern für den Pflichtigen zu bemessen und somit die gesamte Steuerlast auf alle Staatsangehörigen zu verteilen seien. Nach der einen soll die Steuer dem Grundsatz entsprechen, daß Leistung und Gegenleistung einander gleich oder doch verhältnismäßig gleich seien, nach der andern wäre, ganz unabhängig davon, welche Vorteile dem Pflichtigen aus der Staatsverbindung erwachsen, die Steuer nach der Steuerfähigkeit zu bemessen.
Nun kann weder der einen noch der andern Forderimg in der Wirklichkeit ausschließlich genügt werden. Die Größe der Staatsleistungen festzustellen, ist meist schlechterdings unmöglich. Man hat sich deswegen gern mit einem Ausweg beholfen, welcher unmittelbar zum Ziel der zweiten Forderung hinführt, indem man einfach unterstellte, daß die Vorteile, welche man aus dem Staatsleben zieht, im Verhältnis zu den Mitteln stünden, welche man zur Verbesserung seiner wirtschaftlichen Lage und zur Erzielung persönlicher
Genüsse verwenden könne. Auf der andern Seite würde es in manchen Fällen unwirtschaftlich und unbillig sein, zu fordernde Vergütungen lediglich nach der Leistungsfähigkeit abzustufen. Wer dem Staate durch sein eignes Verhalten Veranlassung zu Aufwendungen gibt, soll auch hierfür nach Thunlichkeit aufkommen, und zwar um so mehr, je mehr ihm vornehmlich oder ausschließlich die Leistung des Staates zum Vorteil gereicht. Das Verlangen einer Gegenleistung bietet dann gleichzeitig einen Schutz gegen übermäßige und unwirtschaftliche Inanspruchnahme, wie sie eintreten würde, wenn sie kostenlos erfolgen könnte. Die Praxis und auch die Theorie haben deswegen jene beiden Forderungen in zweckmäßiger Weise miteinander zu verbinden gesucht, indem man die Gebühren den Steuern gegenübersetzte; letztere sollten nach der Steuerfähigkeit bemessen werden, bei den erstern Leistung und Gegenleistung einander entsprechen.
Nun ist allerdings der Begriff der Steuerfähigkeit kein feststehender. Im allgemeinen kann man wohl sagen, daß dieselbe sich durch das in Geld bezifferbare Einkommen ausdrücken lasse. Wenigstens gibt es keinen andern Maßstab, welcher als brauchbarer und zutreffender zu bezeichnen wäre. Doch würde dieser Satz nicht bedingungslos gelten. Denn es kann in der That bei gleichem Geldeinkommen die Leistungsfähigkeit eine sehr verschiedene sein. Derjenige, welcher eine zahlreiche Familie zu ernähren, mit kostspieligen Krankheiten 2c. zu kämpfen hat, ist weniger steuerkräftig als ein andrer, welcher eine kleinere oder gar keine Familie besitzt und welchem Widerwärtigkeiten der gedachten Art erspart bleiben. Besondere Umstände, welche bei gegebenem Einkommen die Steuerfähigkeit mindern, wären demnach, insoweit sie äußerlich genügend zu Tage treten, in billiger Weise zu berücksichtigen.
Hiermit wären aber noch nicht alle grundsätzlichen Schwierigkeiten beseitigt. Denn es bleibt noch die Frage zu beantworten, ob unter sonst gleichen Umständen mit steigendem Einkommen die Steuerfähigkeit in gleichem oder in einem andern Verhältnis zunehme als dieses. Meist nimmt man das erstere an. Nach dieser Anschauung würde die Steuer einen festen Prozentsatz von jedem Einkommen zu bilden haben, oder der Steuerfuß, d. h. das Verhältnis von Steuer zu Einkommen, wäre für alle gleich hoch.
Nach der andern Ansicht wächst die Steuerkraft in einem höhern Maß als das Einkommen. Gibt auch der Reichere für Nahrung, Kleidung und Wohnung mehr aus als der Ärmere, so bleibt ihm doch eine verhältnismäßig größere Summe für anderweite Genüsse oder zum Zweck der Kapitalisierung übrig, eine Summe, von welcher er, ohne daß der Druck dadurch ein empfindlicherer würde, auch einen größern Bruchteil für öffentliche Zwecke abgeben könnte. Auf der andern Seite ist es klar, daß derjenige, welcher unterstützungsbedürftig ist, ebenso derjenige, welcher gerade hat, was er notwendig zum Leben braucht, auch keine Steuern entrichten kann.
Wer aber nur wenig mehr hat als das Notwendige, dessen Gesamteinkommen kann nicht mit dem Prozentsatz getroffen werden, wie er für größere Einkommen angewandt wird. Allenfalls könnte er infolgedessen unterstützungsbedürftig werden, oder es wäre doch die Steuerlast für ihn eine empfindliche. Von einem Einkommen von 400 Mk. 40 Mk. abzugeben ist drückender als die Besteuerung von 1 Mill. Mk. mit 100,000 Mk. Zu alledem kommt noch der in Theorie und Praxis immer wieder in den Vordergrund tretende Gedanke,
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daß die Vorteile des öffentlichen Lebens dem Wohl-habenden und Reichen in erheblich höherm Maße zufließen, als dem Ärmern. Erwägungen der angedeuteten Art führten zum Verlangen nach einer progressiven Besteuerung, d. h. nach einer solchen Einrichtung, bei welcher mit wachsendem Einkommen nicht allein die Steuer, sondern auch der Steuerfuß sich erhöhe.
Nun kann aber der progressive Steuerfuß nicht in gleichem Maße Zunehmen wie das Einkommen. Man wäre alsdann bei 100 Proz. angelangt, d. h. bei einem Satz, bei welchem das gesamte Einkommen durch die Steuer verschluckt würde, und andern, welche so unglücklich wären, viel zu erwerben, würde nach der Steuerzahlung weniger verbleiben als manchen von denen, welche ein geringeres Einkommen beziehen.
90 Proz. Steuer lassen bei 9000 Mk. nur 900 Mk. übrig, während bei einem Einkommen von 4900 Mk., welches mit 49 Proz. belastet wird, noch 2499 Mk. verbleiben. Die höchste, überhaupt nur zulässige Grenze für den Steuerfuß wären 50 Proz. Praktisch wird man aber auch nicht bis zu dieser Höhe sich erheben können. Schon die notwendige Rücksicht auf den Steuerdruck andrer Länder würde dies verbieten. Dann würden bei dieser Grenze andre Nachteile, wie Minderung des Reizes zum Mehrerwerb, Zunahme des Bestrebens, solchen Mehrerwerb zu verheimlichen 2c., in so hohem Maße zu Tage treten, daß man schon deswegen gezwungen wäre, einen niedrigern Prozentsatz als unüberschreitbar zu bezeichnen und, wenn derselbe einmal erreicht ist, ihn auch für alle höhern Einkommen gelten zu lassen. In Preußen würden hierbei auch noch die Kommunalzuschläge eine Rolle spielen.
Erheben, wie dies thatsächlich vorkommt, Gemeinden 500 und 600 Proz. an solchen Zuschlägen, so könnte die Staatssteuer unmöglich über 7 oder 8 Proz. hinaus steigen, solange wenigstens das Steuerwesen der Gemeinden nicht geändert würde. Theoretisch könnte die Sache allerdings so eingerichtet werden, daß vom höchsten vorkommenden Einkommen jener höchste Prozentsatz entrichtet wird, und daß der Steuerfuß für jedes andre Einkommen niedriger ist, und zwar um so mehr, je kleiner das Einkommen ist.
Doch würde eine solche Unterschiedlichkeit in der Steuerbemessung in vielen Fällen unpraktisch werden. Die kleinern Einkommen sind überall in großer Masse vertreten, die sehr hohen und höchsten nur durch eine kleine Zahl. So sind in Preußen nach der Veranlagung für 1890/91 von der Einkommensteuer befreit, weil bei ihnen ein Einkommen von weniger als 900 Mk. unterstellt wird, 8,357,037 Personen, während nur 1,850,855 Personen, also nur 18 Proz. der Gesamtzahl, Klassen- und Einkommensteuer entrichten. Und diese Steuerpflichtigen verteilen sich in folgender Weise:
Einkommen von | Zahl der Personen | Steuerbetrag | |||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Mark | im ganzen | in Proz. | im ganzen Mk. | in Proz. | |||||||
900-1200 | 815177 | 44.04 | 6238154 | 8.32 | |||||||
1200-3000 | 793601 | 42.88 | 20338997 | 27.12 | |||||||
3000-6000 | 172042 | 9.30 | 17835276 | 23.78 | |||||||
6000-10800 | 42555 | 2.30 | 9281550 | 12.37 | |||||||
10800-32400 | 22624 | 1.22 | 10620180 | 14.16 | |||||||
32400-108000 | 4223 | 0.23 | 6236496 | 8.31 | |||||||
über 108000 | 633 | 0.03 | 4452480 | 5.94 | |||||||
Zusammen: | 1850855 | 100.00 | 75003139 | 100.00 | |||||||
Die kleinern und mittlern Einkommen bis zur Höhe von 6000 Mk. entrichten demnach 59 Proz. der gesamten Steuer. Durch Erhöhung des Steuerfußes bei den höhern Einkommen könnte zwar schon ein ansehnlicher Mehrbetrag erzielt werden, doch darf man sich über die Größe desselben keinen Täuschungen hingeben. Nach Soetbeer verteilen sich die Einkommen in folgender Weise:
Einkommen: | Zahl der Zensiten | Betrag der Einkommen | |||||||||||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Mark | ohne Angehörige | mit Angehörigen | im ganzen | im Durchschnitt Mk. auf den | |||||||||||||||
im ganzen | Proz. | im ganzen | Proz. | Mill. Mk. | Proz. | Zensiten | Kopf | ||||||||||||
Dürftige bis 525 | 4094428 | 40.11 | 8383359 | 28.62 | 1647 | 16.58 | 472 | 197 | |||||||||||
Kleine 526-2000 | 5517828 | 54.05 | 18562145 | 63.81 | 5120 | 51.53 | 928 | 276 | |||||||||||
Mäßige 2001-6000 | 490541 | 4.81 | 1778155 | 6.12 | 1593 | 16.08 | 3248 | 896 | |||||||||||
Mittlere 6001-20000 | 91512 | 4.90 | 317193 | 1.09 | 882 | 8.88 | 9639 | 2781 | |||||||||||
Große 20001-100000 | 12521 | 0.12 | 43400 | 0.15 | 474 | 4.77 | 37855 | 11027 | |||||||||||
Sehr große über 100000 | 1062 | 0.01 | 3681 | 0.01 | 220 | 2.21 | 276789 | 59666 | |||||||||||
Zusammen: | 10207892 | 100.00 | 29087933 | 100.00 | 9936 | 100.00 | 973 | 342 | |||||||||||
Sind diese Zahlen auch nicht ganz zutreffend, so geben sie doch ein Bild über die Verteilung, welches in dem Maß annähernd richtig ist, daß aus denselben der Schluß gezogen werden darf, die Hauptmasse der Steuer müsse aus den kleinern und mittlern Einkommen gezogen werden. Man wird also schon bei einem nicht allzu hohen Betrag bei der Steuer beginnen und mit Erhöhung der Einkommen schon frühzeitig mit dem Steuerfuß ziemlich start ansteigen müssen. Infolgedessen nähert man sich aber schon bald der unüberschreitbaren Grenze, und zwar derart, daß es später unpraktisch sein würde, den Prozentsatz innerhalb enger Grenzen noch weiter steigen zu lassen.
Ob man von 10,000 Mk. 5,9 Proz., von 20,000 Mk. 5,99 Proz. und von 100,000 Mk. 6 Proz. oder von allen diesen Einkommen 6 Proz. erhebt, ist praktisch gleich. Demnach kann in der Wirklichkeit die progressive Steuer nur eine derartige sein, daß, wenn die kleinsten Einkommen frei bleiben, von irgend einer Einkommenshöhe ab mit einem Bruchteil eines Prozentsatzes begonnen wird, daß der Prozentsatz dann steigt, bis er einen bestimmten, von da ab gleich bleibenden Betrag erreicht.
Diese Steuer nennt man die degressive, indem unterstellt wird, der höchste Prozentsatz sei der normale, und von einer gewissen Einkommenshöhe ab werde er nach untenhin mehr und mehr vermindert, während man bei dem Gebrauch des Wortes Progression mehr an das Steigen von unten nach oben denkt. Sachlich liegt kein Unterschied vor, das Verhältnis ist vielmehr ein ähnliches wie bei dem lateinischen Worte altus, welches je nach dem Standpunkt des Beschauers sowohl »hoch« als »tief« bedeuten kann.
Hat man sich nun über die Frage des Steuerfußes schlüssig gemacht und auch einen solchen festgestellt, von dem man annehmen darf, daß er eine der wirklichen Steuerfähigkeit entsprechende Belastung bewirke, so wird doch die wirkliche Durchführung der Besteuerung hinter dem Ideal zurückbleiben. Die Bemessung des Einkommens ist nicht leicht, teils weil dasselbe oft unregelmäßigen Schwankungen unterliegt, teils weil manche Aufwendungen und Bezüge nur schwer zu verrechnen sind, wie z.B. bei der Eigengewinnung von Gütern, welche nicht marktgängig
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sind 2c. Dann ist der Staatsbedarf ein so hoher, daß es bei der gegebenen Lage der Dinge geradezu unmöglich wäre, denselben ausschließlich durch eine einzige Einkommensteuer zu decken. Bei den obern und obersten Klassen kann man nun einmal über einen gewissen Prozentsatz nicht hinausgehen, so daß hier bald eine Schranke für die Steigerung der Einnahme gesetzt ist; bei den untern aber ist die Erhebung praktisch mit einer Reihe von solchen Übelständen verbunden, daß hier auf die Einkommensteuer verzichtet werden muß und erst von gewisser Grenze an mit einem mäßigen Steuerfuß begonnen werden kann. Da nun aber doch einmal die Masse beisteuern muß, so bleibt nichts andres übrig, als dieselbe auf dem wenigst empfindlichen und technisch vorteilhaftesten Wege heranzuziehen. Hierfür bietet sich das Mittel der indirekten Besteuerung, welche in allen großen Staatshaushalten eine wichtige Rolle spielt und mit steigendem Staatsbedarf gerade in der neuern Zeit immer mehr an Bedeutung gewonnen hat.
Die indirekten Steuern belasten die Pflichtigen gerade nicht nach Maßgabe der Steuerfähigkeit. Eine große Zahl von Gegenständen zu erfassen, ist steuertechnisch nicht von Vorteil. Man begnügt sich deshalb auch in der Praxis mit einer kleinern Zahl von Gütern, und zwar solchen, welche in groben Massen verbraucht werden und dabei nicht gerade unentbehrlich sind. Infolgedessen trifft die Steuer individuell ungleich, indem der eine mehr von den versteuerten Gegenständen verbraucht als der andre. Dann ist der Verbrauch nicht gerade um so größer, je größer das Einkommen ist. Somit ist die Belastung im großen ganzen eine umgekehrt progressive. Was die Reichern an Steuern für Kaffee, Zucker, Bier, Branntwein, Salz, Tabak 2c. bezahlen, macht einen geringern Prozentsatz von ihrem Einkommen aus als das, was die weniger Reichen und Ärmere entrichten von deren Einkommen.
Führt aber auf diese Weise die praktische Notwendigkeit zu einer Steuerverteilung, welche die Theorie und die Anschauungen des praktischen Lebens nicht für billig erachten, so muß auf einem andern Gebiet nach einer Ausgleichung gesucht werden. Dies Gebiet ist dasjenige der direkten Steuern, wenn wir hierzu noch einige Verkehrssteuern rechnen, insbesondere dasjenige der Einkommensteuer. Die Praxis hat denn auch in der neuern Zeit in einigen Ländern, als man sich zu einer Erhöhung der indirekten Steuern veranlaßt sah, die direkten Steuern zu reformieren gesucht.
Die direkten Steuern sind teils Ertrags- oder Real-, teils Personalsteuern. Dieselben in der Weise systematisch auszubauen und zu veranlagen, daß weder Doppelbesteuerungen noch einseitige Befreiungen vorkommen, und daß die Besteuerung eine vollständig gleichmäßige ist, ist bei der Mannigfaltigkeit und Beweglichkeit unsrer heutigen Wirtschafts-, Verkehrs- und Kreditverhältnisse sowie bei der Unvollkommenheit der zu Gebote stehenden Hilfsmittel der Besteuerung nicht allein schwierig, sondern geradezu unmöglich. Die bestehenden Steuersysteme sind in der That sämtlich unvollkommen und lückenhaft, insbesondere diejenigen, welche Ertrags- und Personalsteuern in unvollständiger Weise miteinander verbinden.
Die Ertragssteuern fassen die Erträge an ihren Quellen ohne Rücksicht auf deren Verteilung an verschiedene Personen, und zwar nach allgemeinen Durchschnittssätzen, also ohne Rücksicht auf die individuellen Verhältnisse, individuelle Leistungsfähigkeit, günstigere oder ungünstigere wirtschaftliche Stellung des Eigentümers 2c. Infolgedessen belasten die Ertragssteuern schon von Haus aus ungleichmäßig. Die Tüchtigern sowie diejenigen, welche die Konjunkturen besonders begünstigen, zahlen nicht mehr als diejenigen, welchen das Glück weniger hold ist.
Dazu kommt die Schwierigkeit, Roherträge und Kosten zu bemessen. Oft muß man sich an äußere Merkmale halten, welche nur sehr unsichere Schlüsse zulassen, wie bei der Gewerbesteuer. Oder es kann wegen der hohen Kosten die Steuer nicht alljährlich neu veranlagt werden; dieselbe wird alsdann im Laufe der Zeit, wenn die Grundlagen der Besteuerung sich geändert haben, mehr und mehr ungleich, wie z. B. die Grundsteuer; Schulden kommen bei der Ertragssteuer nicht in Abzug.
Die Zinsen, welche der Gläubiger zieht, werden demnach, wenn auch nicht genau nach ihrer wirklichen Höhe, bereits bei dem Schuldner besteuert. Nun werden aber bei unsern heutigen Kreditverhältnissen auch Zinsen bezogen, welche noch nicht besteuert worden sind, wie Zinsen aus Staats-, Gemeindeanleihen 2c. Dieselben müßten demnach besonders belastet werden, was bei den vorhandenen internationalen Kreditbeziehungen und der Mannigfaltigkeit der Steuersysteme und der Steuerveranlagung verschiedener Länder mit nicht geringen Schwierigkeiten verbunden ist, sofern Ungleichmäßigkeiten vermieden werden sollen. Die Bezahlung für fremde Arbeitsleistungen kommt bei den Ertragssteuern unter den Kosten in Anrechnung und in Abzug. Dafür ist die Arbeit als besondere Ertragsquelle durch eine eigne Steuer zu treffen, und zwar nicht nach den wirklichen Erträgen in jedem gegebenen Fall, sondern nach Durchschnitten je für eine Klasse von Fällen.
Ausschließlich durch Personalsteuern den gesamten öffentlichen Bedarf zu decken, ist heute nicht durchführbar. Die Realsteuern haben sich meist derart eingelebt, daß ihre Aufhebung oft einem Geschenk an den augenblicklichen Besitzer gleichkäme. Dann sind Wohnort des Besitzers und Lage seines Besitztums oft voneinander getrennt; dort würde die Personalsteuer entrichtet, während hier zu gunsten des Besitzers öffentliche Aufwendungen gemacht werden müssen.
Aus diesem Grunde würden insbesondere Gemeinden die Realertragssteuer nicht entbehren können. Durch Verbindung beider Arten von Steuern hat man wohl einige Lücken ausgefüllt und Unvollkommenheiten beseitigt, ist aber trotzdem überall von einer gleichmäßigen Belastung noch weit entfernt. Bayern hat drei Ertragssteuern (Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer), welche nach Durchschnitten und äußern Merkmalen bemessen und zum Teil (Grundsteuer) vor Jahren veranlagt sind.
Daneben besteht eine Kapitalrentensteuer, welche zum Teil eine Doppelbesteuerung bildet und nur deswegen wenig als solche empfunden wird, weil die Ertragssteuern, welche keine Rücksicht auf die Schulden nehmen, nur sehr roh veranlagt sind. Alle durch eine dieser direkten Steuern noch nicht getroffenen Einkommen werden durch eine sogen. Einkommensteuer getroffen, welche im Wesen eine Ertragssteuer ist, sich aber einer Personalsteuer insofern nähert, als sie der jeweiligen Einkommenshöhe angepaßt wird.
Die preußische Besteuerung und ihre Reform.
In Preußen besteht kein vollständiges Ertragssteuersystem. Es gibt nur eine Gebäude-, eine Grund- und eine Gewerbesteuer. Neben denselben wird der Ertrag der Arbeit nicht besonders getroffen. Dann besteht in Preußen keine Kapitalrentensteuer, durch welche wenigstens diejenigen Zinseinnahmen belastet werden müßten, welche noch nicht bereits durch die Ertragssteuern mitgetroffen worden sind. Dagegen
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besitzt Preußen eine allgemeine Einkommensteuer, welche das Gesamteinkommen der einzelnen Steuerpflichtigen erfaßt. Infolgedessen werden alle Bezüge doppelt getroffen, welche bereits durch Ertragssteuern belastet worden sind, demnach auch die Zinsen, welche die Besitzer von Gewerben, Grund und Boden und Häusern zu zahlen haben. Nur einmal dagegen werden besteuert die Zinsen, welche aus andern Quellen fließen, dann die als Lohn, Gehalt 2c. gezahlten Erträge der Arbeit.
Nun sind aber die Steuern selbst wegen verschiedener Mängel in der Veranlagung und in der Art ihrer Durchführung sehr ungleichmäßig. Dazu kam die Notwendigkeit, wegen der Erhöhung der indirekten Steuern und mit Rücksicht auf eine angemessene Deckung des Gemeindebedarfs eine Änderung bei den direkten Steuern vorzunehmen. Aus diesen Gründen machten sich schon seit einer Reihe von Jahren Reformbestrebungen geltend, welche anfänglich nach Bedarf auszuhelfen suchten, in der neuern Zeit aber den Weg einer gründlichern Änderung eingeschlagen haben.
Der ganze Entwickelungsgang der direkten Steuern Preußens, insbesondere aber der allgemeinen Einkommensteuer, ist ebenso interessant wie lehrreich. Er sei deshalb in kurzen Zügen hier dargestellt.
Im J. 1811 wurde zuerst mit einer umfangreichern, die ganze Monarchie umfassenden Personalsteuer ein Versuch unternommen, als die alten Accisen nicht mehr zureichten und eine Änderung erheischten. Auf dem platten Lande und in den kleinen Städten trat an Stelle der Mahlsteuer eine Kopfsteuer im Betrage von ½ Thlr. von jedem über 12 Jahre alten Einwohner. Dieselbe war jedoch für die Dauer nicht haltbar, weil bei ihr die Ungleichmäßigkeit der Belastung allzu offen zu Tage lag.
Einen Fortschritt in dieser Beziehung bildete der Übergang zur Klassensteuer, bei welcher die Bevölkerung nach äußerlich leicht wahrnehmbaren Merkmalen in Klassen eingeteilt wird. Steuerfähigkeit und Besteuerung der einzelnen Klassen sind voneinander verschieden, doch zahlen die Angehörigen einer Klasse gleich viel. Die Anzahl der Klassen kann nicht sehr groß sein, weil es hierfür an den nötigen Unterscheidungsmerkmalen fehlt, während in den Klassen selbst die Vermögenslage eine wesentlich verschiedene sein kann.
Aus diesen Gründen dürfen bei einer echten Klassensteuer die Steuersätze der einzelnen Klassen nicht sehr stark voneinander abweichen, und es ist demnach die Klassensteuer nur als eine verbesserte Kopfsteuer oder als ein Schritt zum Übergang zu einer Besteuerung nach der wirklichen Leistungsfähigkeit der Pflichtigen zu betrachten. Eine weitere Verbesserung besteht darin, daß Einkommensstufen gebildet werden, in welche die Staatsangehörigen nach ihren irgendwie ermittelten oder angenommenen Einkommen eingereiht werden.
Mit Verbesserung der Steuerveranlagung und der anwendbaren Kontrollmittel kann die Anzahl der Stufen vermehrt werden, so daß man sich immer mehr dem Ideal der Belastung nach der Steuerfähigkeit der einzelnen nähert. Einen Entwickelungsgang dieser Art machte die Steuer in Preußen durch. Noch im J. 1811 wurde ein Versuch mit der Klassensteuer angestellt, schon 1812 wurde dieselbe durch eine allgemeine Vermögens- und Einkommensteuer ersetzt, welche Steuer aber nur 2 Jahre lang bestehen blieb. Nunmehr war das ganze Steuersystem wieder so unvollkommen wie früher und in seiner damaligen Gestalt nicht geeignet, einem wachsenden Staatsbedarf zu genügen. Domänenverwaltung und Grundsteuer warfen nahezu die Hälfte aller Einnahmen ab, daneben spielte das
verwickelte Zoll- und Accisewesen eine wichtige Rolle. Eine Reform brachte das Jahr 1820 mit drei Gesetzen (vom 30. Mai) über Mahl- und Schlacht-, Gewerbe- und Klassensteuer. Der Entwurf zum Gesetz über die Klassensteuer teilte die Bevölkerung in 4 Klassen mit Steuersätzen von 48, 12, 4 und ½ Thlr. Im Gesetz selbst war die Zahl der Klassen auf 6 erhöht, und schon im folgenden Jahr wurde dieselbe auf 12 gesteigert. Die Steuer wurde nur auf dem platten Lande und in den kleinern Städten, und zwar nach Haushaltungen erhoben, während selbständige Personen ohne Haushalt (alle über 14 Jahre alten, seit 1827 alle über 16 Jahre alten) die Hälfte zahlten, jedoch mit der Beschränkung, daß in der untersten Stufe höchstens drei solcher Personen auf einen Haushalt gerechnet werden durften.
In den 132 größern Städten vertrat die Mahl- und Schlachtsteuer ihre Stelle. In der Folgezeit wurden zwar die früher üblichen 4 Hauptklassen beibehalten, und zwar 1) besonders Wohlhabende und Reiche, 2) Wohlhabende, 3) der geringe Bürger- und Bauernstand, 4) die übrigen Staatsangehörigen, wie gewöhnliche Lohnarbeiter, Gesinde und Gewerbtreibende, welche hauptsächlich vom Tagelohn leben. Die Klassen selbst waren nach leicht in die Augen tretenden äußern Merkmalen getrennt. Jedoch wurde jede Klasse in drei Abteilungen geschieden. Die Einschätzungen in diese letztern erfolgte nach der Leistungsfähigkeit. Die Steuersätze waren in den einzelnen Klassen: I. 144, 96, 48;
II. 24,18, 12; III. 8, 6, 4; IV. 3, 2, 1 ½ und ½ Thlr.
Die Belastung durch die Klassensteuer war aber immer noch sehr ungleichmäßig und keineswegs der wirklichen Leistungsfähigkeit angepaßt, der Steuerfuß war in der Wirtlichkeit ein umgekehrt progressiver, da die Steuer bei den höhern Einkommen einen geringern Prozentsatz von diesen ausmachte, als beiden kleinern. Eine Änderung war deshalb unvermeidlich. Eine solche brachte nach längern Vorarbeiten das Gesetz vom welches eine Verbindung von Klassensteuer und klassifizierter Einkommensteuer schaffte.
Für die kleinern Einkommen wurde der Gedanke der alten Klassensteuer beibehalten, indem die Veranlagung nach Klassenmerkmalen erfolgt, und zwar in 3 Hauptklassen, welche wieder in 12, bez. 13 Stufen zerfallen, in welche die Steuerpflichtigen der betreffenden Klassen nach ihrer besondern Leistungsfähigkeit eingeschätzt wurden. Die Steuersätze stuften sich ab von 24 bis ½ Thlr. Die alte Verbindung mit der Mahl- und Schlachtsteuer blieb bestehen. Die Klassensteuer wurde nur in den nicht mahl- und schlachtsteuerpflichtigen Orten, und zwar von Einwohnern erhoben, deren Einkommen 1000 Thlr. nicht überstieg.
In den übrigen Orten trat an ihre Stelle die Mahl- und Schlachtsteuer. Die klassifizierte Einkommensteuer war im ganzen Gebiete des Staates von allen Einkommen über 1000 Thlr. zu entrichten, doch kamen in den mahl- und schlachtsteuerpflichtigen Städten für jeden Steuerpflichtigen 20 Thlr. in Abzug. Diese Verbindung mit der kopfsteuerartig wirkenden Aufwandsteuer hatte schon Ungleichheit in der Belastung zwischen Stadt und Land zur Folge. Für die Einkommen über 1000 Thlr. waren 30 Stufen gebildet, welche anfangs um je 200 Thlr., später um höhere Beträge bis zu 240,000 Thlr. steigen. Alle Einkommen, welche derselben Stufe angehörten, zahlten den gleichen Steuersatz, das geringste 3 Proz., die höhern einen entsprechend geringern Prozentsatz. Alle Einkommen von über 240,000 Thlr. hatten 7200 Thlr. an Steuern zu entrichten; für diese war demnach der Steuerfuß ein umgekehrt progressiver, indem er sich von 3 Proz. ab
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mit steigendem Einkommen immer mehr erniedrigte, für ein Einkommen von 720,000 Thlr. auf 1 Proz. 2c. Die Einkommensbemessung erfolgte nicht durch die Pflichtigen, sondern durch Einschätzung von seiten einer Kommission; doch sollte jedes lästige Eindringen in die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der einzelnen Steuerpflichtigen vermieden werden.
Die Notorietät sollte die Stelle der speciellen Abschätzung vertreten. Aus diesem Grunde wurden Steuerpflichtige auch nur für den Fall mit Strafe bedroht, daß sie bei einer Reklamation wissentlich zu niedrige Angaben machten. Die Hilfsmittel für eine richtige Einschätzung waren sehr unvollkommen und die Besteuerung demgemäß, wie allgemein bekannt und neuerdings in vielbesprochenen Fällen mehr in die Öffentlichkeit gezogen, sehr ungleichmäßig. Dabei spielten hier und da auch das Vetterschaftswesen, die Parteiangehörigkeit 2c. eine Rolle. Anerkannt reiche Leute waren viel zu niedrig eingesteuert, ohne daß sie zu einer Berichtigung verpflichtet waren. Gegen zu hohe Einschätzung konnte jedoch Einspruch erhoben werden. Die Steuer trug demnach weniger ein, als sie hätte einbringen müssen, und die auf sie gestützten Einkommensbemessungen für den ganzen Staat lieferten zu niedrige Ergebnisse.
Das Jahr 1873 (Ges. vom 20. Mai) brachte einige Änderungen, welche zum Teil der damaligen Finanzlage, zum Teil dem Bestreben nach Herbeiführung einer größern Gleichmäßigkeit in der Belastung, zum Teil endlich den damals herrschenden Anschauungen über die Zulässigkeit von Oktroi und Aufwandsteuern zu verdanken waren. Die Mahl- und Schlachtsteuer kam mit dem Jahr 1875 in Wegfall. Während früher alle Staatsangehörigen steuerpflichtig waren, so wurden nunmehr alle Einkommen bis zu 420 Mk. steuerfrei, eine Befreiung, welche insbesondere durch den Hinweis auf die Schwierigkeiten der Beitreibung und auf die Kosten und schlimmen Folgen der verhältnismäßig zahlreichen Mahnungen und Zwangsvollstreckungen gerechtfertigt werden konnte. Für die der Klassensteuer zu unterstellenden Einkommen (420-3000 Mk.) wurden nun ebenso Einkommensstufen aufgestellt, wie sie bereits für die größern Einkommen bestanden, und zwar mit Steuersätzen, welche von 0,6 bis 2,7 Proz. stiegen.
Der Ertrag der Steuer wurde auf 33, später, nach Aufhebung der Mahl- und Schlachtsteuer, auf 42 Mill. Mk. kontingentiert. Die ursprüngliche Unterscheidung zwischen Klassen- und klassifizierter Einkommensteuer wurde demnach hinfällig, sie hatte nur noch eine Bedeutung für das Verfahren der Einsteuerung und der Reklamation. Früher war es zulässig, bei der Klassensteuer besondere Umstände zu berücksichtigen, welche die Leistungsfähigkeit minderten, wie Krankheiten, große Kinderzahl 2c., so daß die Einsteuerung in eine niedrigere Klasse als diejenige erfolgte, in welche sie nach der Einkommensgröße hätte geschehen müssen.
Dies sollte nunmehr auch bei den zwei ersten Stufen der klassifizierten Einkommensteuer (3000-3600 und 3600-4200 Mk.und seit 1883 auch bei den folgenden drei Stufen bis zu 6000 Mk.) zugelassen werden. Endlich wurde die Unzuträglichkeit beseitigt, daß die höchsten Einkommen über 720,000 Mk. einen mit steigendem Einkommen sinkenden Prozentsatz als Steuer entrichten; auf die seitherige letzte Stufe folgten weitere mit Unterschieden von je 60,000 Mk., von welchen je 1800 Mk. mehr an Steuern zu entrichten waren.
Die seit 1879 eingetretenen Steuer- und Zollreformen des Deutschen Reiches gestatteten nicht allein, weitere Änderungen vorzunehmen, sondern es erschien, da die neuen indirekten Steuern die untern
Klassen mehr belasteten als wünschenswert, auf dem Gebiete der direkten Steuern eine Ausgleichung anzustreben. Durch Gesetz vom wurde bestimmt, daß die Summen, welche dem preußischen Staat aus dem Ertrag der Zölle u. Tabaksteuern oder infolge weiterer Reformen des Reiches jährlich überwiesen würden, insoweit darüber nicht zur Deckung des Staatsbedarfs oder zum Zweck der Überweisung eines Teiles der Grund- und Gebäudesteuer an die Kommunalverbände verfügt werde, zum Erlaß von Monatsraten der Klassensteuer und der fünf untersten Stufen der klassifizierten Einkommensteuer verwandt werden sollten. Im folgenden Jahr wurde ein dauernder Erlaß von drei Monatsraten angeordnet (Gesetz vom und 1883 (Gesetz vom 26. März) wurden die untersten Stufen der Klassensteuer, d. h. die Einkommen von 420-900 Mk., von der Steuer ganz befreit, von den übrigen Stufen wurden drei Monatsraten, von der ersten Stufe der klassifizierten Einkommensteuer deren zwei und von der zweiten eine »außer Hebung« gesetzt. Die 1873 angeordnete Kontingentierung wurde aufgehoben. Ein Gesetzentwurf der Regierung, nach welchem die Steuerfreiheit auch auf die Einkommen von 900-1200 Mk. ausgedehnt, von da ab mit einer Besteuerung von 1 Proz. begonnen werden und der Steuerfuß, allmählich steigend, erst bei 10,000 Mk. die Höhe von 3 Proz. erreichen sollte, kam nicht zu stande. Auch fand das Verlangen, die Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien zur Einkommensteuer heranzuziehen, keine Zustimmung.
Zu einem vorläufigen Abschluß gelangten die Reformbestrebungen in der neuesten Zeit, und zwar wurden außer der Einkommensteuer auch noch die Gewerbe- und die Erbschaftssteuer einer Änderung unterworfen. Eine Vermehrung der Einnahmen aus den direkten Steuern anzustreben, erachtete die Regierung bei der gegebenen Finanzlage nicht für notwendig. Es sollte vielmehr nur eine gerechtere, den gegenwärtigen Verhältnissen angepaßte, insbesondere der Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen in höherm Maße entsprechende Verteilung der direkten Steuern angestrebt werden.
Aber auch an eine Abbröckelung und Verminderung der direkten Steuern, welche eine notwendige Ergänzung der indirekten bildeten, wird nicht gedacht. Sollten die Reformen günstig verlaufen und insbesondere die Einkommensteuer bei der neuen Veranlagung einen höhern Ertrag abwerfen, so könne über die Hälfte der Grund- und Gebäudesteuer an die kommunalen Verbände an Stelle der jährlich unsichern und schwankenden Getreide- und Viehzölle überwiesen werden. Von der Einkommensteuer insbesondere wird erhofft, daß sie der Hauptträger der direkten Staatsbesteuerung werde.
Die Vorschläge der Regierung fanden mit wenigen Ausnahmen die Zustimmung der Volksvertretung und Aufnahme im neuen Einkommensteuergesetz vom Durch dieses sind die Klassen- und die klassifizierte Einkommensteuer zu einer einheitlichen Steuer verschmolzen. Die subjektive Steuerpflicht wurde dahin erweitert, daß nunmehr auch Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien und Berggewerkschaften, welche in Preußen einen Sitz haben, dann diejenigen eingetragenen Genossenschaften, deren Geschäftsbetrieb über den Kreis ihrer Mitglieder hinausgeht, sowie Konsumvereine mit offenem Laden, sofern dieselben die Rechte juristischer Personen haben, zur Besteuerung herangezogen werden. Seither wurden nur physische Personen durch die Einkommensteuer getroffen. Die Neuerung gestattet nun auch, die bisher der Einkommensteuer entgangenen Erträge derjenigen
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ausländischen Kapitalien zu erfassen, welche in inländischen Aktienunternehmungen 2c. angelegt sind. Nun wird freilich in Zukunft eine Doppelbesteuerung statthaben, da die Dividenden bei den Aktionären nach der Verteilung wiederholt getroffen werden. Diesen zu gestatten, ihre Dividendenbezüge bei ihren Steuererklärungen in Abzug zu bringen, ist mißlich und öffnet Hinterziehungen Thür und Thor. Es wurde deshalb der auch bereits in Baden eingeschlagene Ausweg beliebt und mit Rücksicht auf die Mehrbelastung, welche den größern Aktiengesellschaften aus der Umgestaltung der Gewerbesteuer erwächst, bestimmt, daß bei Feststellung des steuerpflichtigen Einkommens 3 ½ Proz. des Aktienkapitals 2c. von den in Rechnung zu stellenden Überschüssen vorweg in Abzug kommen sollen.
Die gesetzlichen Steuerbefreiungen entsprechen im wesentlichen dem bestehenden Recht. Jedoch ist bereits im Gesetz vorgesehen, daß die Häupter und Mitglieder vormals unmittelbarer deutscher Reichsstände, welchen das Recht der Befreiung von ordentlichen Personalsteuern zusteht, zu der Einkommensteuer von dem Zeitpunkt ab herangezogen werden sollen, in welchem durch besonderes Gesetz die Entschädigung für die aufzuhebende Befreiung von der Einkommensteuer geregelt sein wird. Die objektive Steuerpflicht beginnt mit einem Einkommen von mehr als 900 Mk. Die Unterschiede zwischen den aufeinander folgenden Einkommenstufen wurden gegen früher vermindert.
Die Stufen steigen anfänglich um 150, dann um 300, 500 Mk., von 10,500 Mk. an um 1000 und von 32,000 Mk. an um 2000 Mk. Der Steuerfuß steigt von rund 0,6 Proz. für 900-1050 Mk. allmählich bis auf 3 Proz. bei 9500-10,500 Mk. Er ist also bis dahin gegen früher ermäßigt. Die Einkommen von 960-10,800 Mk. warfen zuletzt eine Steuersumme von 53,7 Mill. Mk. oder 71,0 Proz. des gesamten Einkommensteuerbetrags ab. Eine Erhöhung der Einnahmen wäre demnach bei diesen Einkommen nur aus einer Verbesserung in der Steuerveranlagung zu erhoffen.
Für höhere Einkommen steigt der Steuersatz, bis er bei 100,000 Mk. den Betrag von 4 Proz. erreicht. Von da ab bleibt er konstant. Diese höhern Einkommen warfen zuletzt eine Steuersumme von 21,3 Mill. Mk. ab, oder 28,4 Proz. des gesamten Steuerertrages. Die aus der Erhöhung des Steuerfußes allein zu erwartende Mehreinnahme würde sich auf weniger als 7 Mill. Mk. stellen. Hierzu käme neben dem Steuerzuwachs aus der Veränderung der Steuerveranlagung noch die Einnahme aus der Besteuerung von Aktiengesellschaften 2c.
Den minder bemittelten Bevölkerungsschichten sind außerdem noch in besondern Fällen weitergehende Erleichterungen als seither zugedacht. Es ist gestattet, bei der Veranlagung besondere, die Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen wesentlich beeinträchtigende wirtschaftliche Verhältnisse in der Art zu berücksichtigen, daß bei einem Einkommen von nicht mehr als 9500 Mk. eine Ermäßigung der allgemein vorgeschriebenen Sätze um höchstens drei Stufen gewährt wird.
Als Verhältnisse dieser Art kommen lediglich außergewöhnliche Belastungen durch Unterhalt und Erziehung der Kinder, Verpflichtung zum Unterhalt mittelloser Angehöriger, andauernde Krankheit, Verschuldung und besondere Unglücksfälle in Betracht. Neu ist die Bestimmung, daß für jedes nicht selbständig zu veranlagende Familienmitglied unter 14 Jahren von dem steuerpflichtigen Einkommen des Haushaltungsvorstandes, sofern dasselbe den Betrag von 3000 Mk. nicht übersteigt, der Betrag von 50 Mk. in Abzug gebracht wird, mit der
Maßgabe, daß bei Vorhandensein von drei oder mehr Familienmitgliedern dieser Art auf jeden Fall eine Ermäßigung um eine Stufe stattfindet.
An Stelle der Einschätzung durch Dritte tritt in Zukunft die obligatorische Selbstangabe der Steuerpflichtigen (Deklaration) für alle, welche bereits mit einem Einkommen von mehr als 3000 Mk. zur Einkommensteuer veranlagt sind. Aus dieser Verpflichtung in Verbindung mit den anwendbaren Kontrollmitteln und mit der Androhung von Strafen erhofft man eine ansehnliche Steigerung der Steuereinnahme. Oft ist freilich die genauere Angabe einer Summe schwer oder unmöglich. Mit Rücksicht hierauf wurde bestimmt, daß dem Steuerpflichtigen auf seinen Antrag, soweit es sich um nur durch Schätzung zu ermittelndes Einkommen handelt, gestattet werde, in die Steuererklärung statt der ziffermäßigen Angabe des Einkommens diejenigen Nachweisungen aufzunehmen, deren die Veranlagungskommission zur Schätzung desselben bedarf.
Die unbedingte Deklarationspflicht auf kleinere Einkommen unter 3000 Mk. auszudehnen, erschien weder als erforderlich noch als zweckmäßig. Ersteres nicht, weil die Einkommensverhältnisse solcher Pflichtigen, mit Ausnahme der Bezüge aus Kapitalvermögen, in der Regel unschwer zu schätzen seien, diejenigen aber, bei welchen die Schätzung, Schwierigkeiten verursache oder ein Einkommen aus Kapitalvermögen zu vermuten sei, zur Abgabe einer Steuererklärung durch besondere Aufforderung verpflichtet werden könnten, wie dies denn auch in der That im Gesetz vorgesehen ist. Als unzweckmäßig wurde eine weitere Ausdehnung erachtet, weil die Mehrzahl der Steuerpflichtigen mit geringerm Einkommen zur Abgabe einer brauchbaren schriftlichen Steuererklärung kaum befähigt sei, überdies aber die Sichtung und Verarbeitung eines so umfangreichen Materials auf Schwierigkeiten stoßen müsse.
Die Selbstangabe der Pflichtigen darf aber nicht die alleinige Grundlage für die Veranlagung der Steuer bilden, da dieselbe aus Mangel an gutem Willen oder an für die Einkommensbemessung nötigen Kenntnissen und Mitteln nicht immer eine hinreichend zuverlässige Quelle für die richtige Erkenntnis des wirklichen Einkommens bildet. Sie muß vielmehr durch gründliche Prüfung unterstützt und kontrolliert werden. Mit Recht wird daher von der Regierung ein besonderer Nachdruck gelegt:
1) auf die Schaffung von Veranlagungsorganen, welche durch ihre Zusammensetzung die sachliche und unparteiliche Handhabung der Veranlagungsgrundsätze verbürgen;
2) auf die gründliche Vorbereitung und energische Leitung des Veranlagungsgeschäfts durch geschulte Beamte, deren Kraft nicht durch anderweite dienstliche Thätigkeit erschöpft werden darf;
3) auf die Befugnis und Verpflichtung der Veranlagungsbehörden zur selbständigen Ermittelung und nötigen Falls Schätzung des Einkommens; endlich 4) auf wirksame Strafandrohungen gegen wissentlich unrichtige und unvollständige Deklarationen. Gerade am Mangel solcher eigens geschulten Beamten, welche das Interesse des Staates in wirksamer Weise zu vertreten haben, hat das preußische Steuerwesen bis jetzt empfindlich gekrankt.
Das Gesetz trifft auch Vorsorge für die Verwendung von etwa eintretenden Mehreinnahmen. Übersteigt nämlich die Einnahme an Einkommensteuer für 1892/93 die Summe von 80 Mill. Mk. und für die folgenden Jahre einen um je 4 Proz. erhöhten Betrag, so sollen die Überschüsse nach Maßgabe eines zu erlassenden besondern Gesetzes zur Durchführung der Beseitigung,
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der Grund- und Gebäudesteuer als Staatssteuer, bez. der Überweisung derselben an kommunale Verbände, oder für den Fall, daß ein solches Gesetz nicht zu stände kommt, zum Erlaß eines entsprechenden Betrages an Einkommensteuer verwandt werden.
Von Einführung einer besondern Kapitalrentensteuer neben der allgemeinen Einkommensteuer und den bestehenden Ertragssteuern wurde in Preußen Abstand genommen, weil es schwer halte, eine einzelne Gattung des mobilen Kapitals zur Besteuerung heranzuziehen und dasselbe gegen das gewerblich genutzte gleichartige Kapital zu sondern. Die Einführung einer solchen Steuer werde auch tief einschneidende Änderungen in den bestehenden Ertragssteuern bedingen und die Überweisung der Realsteuern an die kommunalen Verbände erschweren.
Ein wesentlicher Zweck der Kapitalrentensteuer, mit ihr das fundierte Einkommen stärker zur Deckung der Staatslasten heranzuziehen als das unfundierte, sollte durch Erweiterung der Erbschaftssteuer erreicht werden, ein Plan, der freilich in der Kammer auf Widerspruch stieß und nicht im vollen Umfange im Gesetz verwirklicht wurde.
Vgl. Fuisting, Das preußische Einkommensteuergesetz (2. Aufl., Berl. 1892);
Meitzen, Die Vorschriften für die preußische Einkommensteuer (das. 1892).
Außer Preußen haben noch einige andre deutsche Länder in den letzten Jahren (seit 1884) ihre Einkommensteuer geändert und zwar:
Anhalt: Gesetz vom
Baden: Gesetz vom
Bremen: Novelle zum Gesetz vom
Hamburg: Novelle vom
Hessen: Gesetz vom
Lübeck: Gesetz vom
Lippe: Novelle vom
Oldenburg: Novelle für das Herzogtum Oldenburg vom Novelle für Lübeck und Birkenfeld vom
Reuß i. L.: Gesetz vom
Sachsen-Meiningen: Gesetz vom
Schaumburg-Lippe: Gesetz vom
Eis. Die Eisbildung ist ein Vorgang des Wachstums, dessen Bedingungen sich genau angeben lassen. Es sei eine ausgedehnte Wassermasse gleichförmig auf die Temperatur ihres Gefrierpunktes abgekühlt. Sinkt die Temperatur der Luft über ihr auf a Grade unter den Gefrierpunkt des Wassers und bleibt unveränderlich auf diesem Stande, so beginnt gleichzeitig an der Oberfläche des Wassers die Eisbildung und schreitet von da nach unten fort, so daß die Eisschicht mit zunehmender Zeit immer dicker wird.
Die Dicke des Eises ist der Quadratwurzel aus der Zeit, welche seit dem Beginn der Eisbildung verflossen ist, proportional. Bezeichnet h die Dicke des Eises zur Zeit t, a:h also das Kältegefälle, und ist K das Wärmeleitungsvermögen des Eises, so ist Ka/h dt die Kältemenge, welche durch das Einkommensteuer dem Wasser zugeführt wird. Dieselbe erzeugt eine Eisschicht von der Dicke dh, und es ist Ka/h dt = lo dh, wenn l die latente Wärme, o das spezifische Gewicht des Eises bedeutet. Aus dieser Gleichung erhält man h^2 = 2 Kat/lo. Bei dieser Formel ist allerdings vorausgesetzt, daß die Kälte innerhalb der Eisdecke nach dem Gesetz einer geraden Linie abfalle; thatsächlich ist das Gefälle an der Oberfläche größer als an der Berührungsfläche von Wasser und Eis, und nur das Gefälle an dieser Stelle bestimmt die Geschwindigkeit der Eisbildung. Verwickelter werden die
Verhältnisse in der Natur dadurch, daß die Temperatur an der Oberfläche nicht konstant bleibt, sondern, mit dem Nullwert beginnend, langsam bis zu einem Maximum steigt, um dann wieder schneller bis zum Nullwert zu sinken. Da nun diese Veränderungen der Temperatur an der Oberfläche sich in tiefern Schichten später geltend machen als in den obern, so ist bei wachsender Kälte auch aus diesem Grunde ihr Gefalle an der Oberfläche größer als an der untern Grenzfläche des Eises.
Mit wachsender Eisdicke nimmt diese Differenz zu, wird aber später, wenn die Kälte ihrem Maximum nahe kommt, wieder geringer, weil die Variationen der Kälte wieder klein werden. Anders liegen die Verhältnisse zur Zeit der Abnahme der Kälte. Die wesentlichste Änderung ist die, daß das Einkommensteuer an seiner Oberfläche nun mehr Kälte abgibt. Der Ort der größten Kälte liegt dann innerhalb des Eises, von diesem fließt die Kälte nach oben und nach unten ab; an letzterer Stelle erfolgt die Eisbildung nur auf Kosten der im E. aufgespeicherten Kälte.
Würde die Kälte, nachdem sie ihr Maximum erreicht hat, sehr rasch absinken, so müßte dieser Fall mit dem Beginn des Absinkens eintreten. Erfolgt aber die Abnahme der Kälte so langsam, wie es in den polaren Gebieten thatsächlich geschieht, so tritt die zweiseitige Bewegung der Kälte erst später auf. Die Zunahme der Eisdecke ist demnach in der Periode der fallenden Kälte um vieles größer, als sie der ganzen, zur Zeit des Kältemaximums im E. vorhandenen Kälte entsprechend sein könnte. Es muß also während eines längern Abschnittes dieser Periode noch fortwährend Kälte durch die Oberfläche aufgenommen werden.
Eine größere Annäherung an die Wirklichkeit erhält man, wenn man in der obigen Gleichung für at den Wert T setzt, d. h. die Kältesumme für die Zeit t. Multipliziert man noch die linke Seite der Gleichung mit dem Faktor 1+cf/3l (c = spez. Wärme, f = Temperatur an der Eisoberfläche am Ende der Zeit t) und berechnet den Koeffizienten von T, der nach den Beobachtungen den Wert 0,869 gibt, so erhält man die Gleichung h^2(1+cf/3l) = 0,869 T, welche den Vorgang der Eisbildung im Polarmeer ziemlich genau darstellt.
Inlandeis. Seitdem 1876 die dänische Regierung die wissenschaftliche Erforschung Grönlands zu betreiben begann, war eine der hauptsächlichsten Aufgaben der Untersuchungen die Bestimmung der Grenze und Bewegungen des Inlandeises, wenigstens so weit, als das Gebiet der dänischen Handelsplätze reicht. Der Umfang des ganzen Landes, soweit es bis jetzt bekannt ist, kann, gemessen auf einer durch die vorspringenden Landspitzen gezogenen Linie, zu 6700 km angenommen werden; der Umkreis des Binnenlandes kann auf 5900 km veranschlagt werden, wenn man sich auch den ganz unbekannten Teil dieses Umrisses ähnlich dem bekannten von Meeresarmen durchschnitten und die innern Endpunkte der Fjorde ebenfalls durch eine Linie verbunden denkt.
Von diesem Umkreis sind jetzt 2600 km, nämlich an der Ostküste bis zum 67° nördl. Br. und an der Westseite bis etwa 75°, so durchforscht, daß der Rand des Inlandeises überall mit ziemlicher Sicherheit hat nachgewiesen werden können. Wenn auch nicht an allen Punkten die Grenze untersucht werden konnte, so unterliegt es doch nach den von den Einwohnern eingezogenen Erkundigungen keinem Zweifel, daß dieser Eisrand ein zusammenhängender ist, daß vor allem nicht etwa ein Thal, wie bisher noch vielfach
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vermutet wurde, zu dem angeblich eisfreien Innern Zugang gewährt. An den Stellen, wo offenes niedriges Land an das Einkommensteuer herantritt, hat letzteres das Aussehen eines plötzlich erstarrten Lavastroms. Hat man die Eismauer erklommen, so befindet man sich auf einer Eisfläche, die nach innen ganz allmählich ansteigt. Diese Eisbildung bietet ganz das Bild einer vom Innern ausgehenden Überschwemmung durch die zähflüssige Eismasse, welche vom unbekannten Binnenland aus gegen die Küste vordringt. Auffallend ist, daß dabei der Rand im allgemeinen doch stationär bleibt, indem die Schmelzung am äußern Saume dem Nachschub aus dem Binnenlande das Gleichgewicht hält.
[* ] ^[Abbildung »Reiserouten in Grönland von Peary, Nordenskjöld und Nansen.«]
[* ] ^[Abbildung »Querschnitt durch Grönland aus dem Polarkreise.«]
Dafür konzentriert sich auf gewisse Punkte der Andrang aus dem Innern um so mächtiger. Dies sind die sogen. Eisfjorde. Obgleich der Eisrand an mehr als hundert Punkten das Meer berührt, so entstehen doch nur an etwa 25-30 Stellen daraus Eisfjorde, von denen wiederum 7-8 als solche ersten Ranges angesehen werden können. Aus fünf der bedeutendsten Eisfjorde liegen nun Messungen der Geschwindigkeit vor, mit der das ins Meer hinaustritt. Die Dicke dieser Gletscher kann zu 250-300 m angenommen werden. Die Geschwindigkeit, berechnet nach der in 24 Stunden durchlaufenen Strecke, beträgt beim Gletscher von
Jakobshavn | 16-19 m | |||||
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Torsukatak | 5-10 | |||||
Karajak | 7-12 | |||||
Jtivdliarsuk | 14 | im April. | 7-9 m im Mai | |||
Augpadlartok | 10 | 31 m im August. | ||||
Für den Vorgang des Kalbens oder Losbrechens der Gletscher kommt in erster Linie die Beschaffenheit des Meeresbodens in Betracht. | Bei |
schwacher Neigung des Grundes setzt die Eisplatte ihre Bewegung bis zu einer Tiefe fort, in der sie vom Wasser gehoben und getragen wird. Fällt der Meeresboden, ehe er eine solche Tiefe erreicht, schroff bis zu einer ähnlichen Tiefe ab, so muß der Gletscher hier abbrechen. Nach den Ergebnissen der Polarexpeditionen scheint die nördliche und nordöstliche Küste Grönlands wenig Eisberge abzugeben; der Abfluß von der ganzen Küste nach O. ist geringer als nach W., doch mit dein Unterschiede, daß es auf der Ostseite hauptsächlich der südlichste, auf der Westseite der nördlichste Abschnitt ist, auf den sich die Eisbergproduktion konzentriert.
Über die Beschaffenheit des Innern Grönlands war man bisher völlig im unklaren. An Vermutungen fehlte es nicht; nach den einen sollte alles Land unter Schnee und Einkommensteuer begraben sein, andre behaupteten ein eisfreies Innere. Zu den letztern gehörte vor allem Nordenskjöld, der zweimal (1870 und 1883) den Versuch machte, in das Innere einzudringen. Derselbe hielt es für eine physikalische Unmöglichkeit, daß ein großer Kontinent im Innern bei den klimatischen Zuständen, wie sie auf der Erde südlich vom 80.° nördl. Br. herrschen, ganz mit Einkommensteuer bedeckt sein sollte. Etwas weiter als Nordenskjöld gelangten 1886 der Amerikaner Peary und der Däne Maigaard, die ungefähr 100 Meilen weit bis zu einer Hohe von etwa 2500 m vordrangen. Alle diese Versuche waren von der Westküste unternommen; der erste, dem die Durchquerung Grönlands von der Ostküste gelang, war Fridtjof Nansen, der am von Umivik aus die Reise über das Einkommensteuer antrat und 27. Aug., 40 Meilen von der Küste entfernt, fast den 65.° nördl.
Br. erreichte. Von dort schlug er einen westsüdwestlichen Weg ein und traf 26. Sept. am innern Ende des Ameralik-Fjords in 64° 12' nördl. Br. an der Westküste ein, von wo er 3. Okt. in Godthaab anlangte (s. das Kärtchen). Wir wissen jetzt nicht nur, daß Grönland in seinem Innern wirklich unter Schnee und Einkommensteuer begraben ist, sondern kennen auch die eigentümliche Beschaffenheit dieser Eisdecke. Dieselbe hat die Gestalt eines Schildes, hebt sich von den Rändern gleichmäßig, wenn auch sehr schnell ansteigend, zu der bedeutenden Höhe von über 3000 m und ist in der Mitte flach und eben.
Die Ursache dieser schildförmigen Gestalt der Eisdecke ist nicht in der Konfiguration des unter dem Einkommensteuer liegenden Landes zu suchen, sondern in den im Innern herrschenden besondern meteorologischen Verhältnissen. Schon an und für sich muß man annehmen, daß anden Küstenrändern die größten Schneemassen fallen, nach dem Innern zu aber abnehmen; daraus folgt allein schon, daß das Einkommensteuer nicht gerade in der Mitte des Kontinents seine größte Dicke erreichen kann, also eine schildförmige Oberfläche darbieten muß.
Die Schneeflächen im Innern sind eben und wie poliert. Der Hauptfaktor bei der Einebnung der unregelmäßigen Landfläche ist der Wind, durch den die Vertiefungen mit Schnee ausgefüllt werden. Schnee fällt fast jeden Tag; er liegt lose, ist weich und trocken und wird vom Winde leicht hin und her getrieben. Ein Schmelzen des Schnees tritt selbst im Hochsommer nur in ganz geringem Maße ein; bis zur Tiefe von 2 m wechseln Schichten von losem Schnee mit ganz dünnen Eiskrusten ab. Letztere sind unzweifelhaft das Produkt der sommerlichen Schneeschmelze. Wenn trotz dieser geringen Schneeschmelze die Masse vou Schnee im Innern nicht zunimmt, so rührt es neben dem fortwährenden Schneetreiben, das nach den Küsten hin gerichtet ist, von dem Drucke her, durch
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welchen die Eis- und Schneemassen in die Tiefe der Thäler abwärts zur Küste getrieben werden. Durch den Druck wird gleichzeitig der Schmelzpunkt des Eises erniedrigt. Druck und innere Reibung erzeugen in der in beständiger Bewegung befindlichen Masse hinreichend Wärme, um das Einkommensteuer im Innern zu schmelzen. Davon zeugen die zahlreichen Gletscherbäche, die selbst im Winter reichlich fließen. Meteorologisch wichtig sind die niedrigen Temperaturen, welche im Innern auf dem Einkommensteuer angetroffen wurden. Anfangs September war die Temperatur in der Nacht unter -45 bis -50° C. gesunken (zum genauen Messen reichten die Thermometer nicht aus), und im Zelte war die Temperatur unter -40°. Diese niedrige Temperatur ist geeignet, auf die Verhältnisse Licht zu werfen, welche zur Eiszeit in Europa und Nordamerika geherrscht haben, als diese Erdteile von einer ähnlichen Eisdecke bedeckt waren, wie sie jetzt Grönland trägt.