Einigungsämter
(Schieds- und Einigungskammern, Arbeitskammern,
Boards of conciliation and arbitration, of labour)
sind freiwillige
Schiedsgerichte zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und -Nehmern über Änderungen des
bisherigen Arbeitsvertrags, bez. über die
Bedingungen eines neu abzuschließenden Arbeitsvertrags (Lohnhöhe,
Art der Lohnzahlung, Dauer der Arbeitszeit,
Fabrikordnung, Kündigungsfristen etc.). Sie sind berufen, die
Gewerbegerichte,
deren Aufgabe in der arbiträren
Entscheidung von Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und -Nehmern über ein bereits bestehendes
Arbeitsverhältnis und die daraus erwachsenen
Forderungen und Verbindlichkeiten besteht (s.
Gewerbegerichte), zu ergänzen,
und sind eine der wesentlichen, unentbehrlichen
Institutionen der sozialen
Reform, um ernstere Zerwürfnisse,
namentlich gemeinsame
Arbeitseinstellungen und
Aussperrungen, zu verhindern. Einigungsämter
sind zusammengesetzt aus Vertrauenspersonen
der Arbeitgeber und -Nehmer, bei richtiger
Organisation aus einer gleichen Zahl von Arbeitgebern und -Nehmern unter dem Vorsitz
eines außerhalb des
Gewerbes stehenden, von beiden
Parteien gewählten Unparteiischen, der, wenn jene sich
nicht einigen können, die
Entscheidung gibt.
Die Grundlage der Einigungsämter
kann immer nur die freiwillige Unterwerfung der Streitenden unter den Spruch eines
Einigungsamts
sein; aber die erfolgreiche Wirksamkeit der Einigungsämter
wird wesentlich dadurch bedingt, daß die
Gesetzgebung den Spruch der Einigungsämter
gegen diejenigen, welche
ihre Unterwerfung unter denselben freiwillig
erklärt haben, für exekutorisch erklärt.
Noch besser, wenn ferner für
Gewerk- und andre Koalitionsvereine
zur
Bedingung ihrer gesetzlichen
Anerkennung, insbesondere des
Rechts der juristischen
Person, gemacht wird, daß sie sich und
ihre Mitglieder zur Unterwerfung unter den Spruch eines Einigungsamts
verpflichten und für die Vertragstreue ihrer Mitglieder
haften. Im übrigen kann die
Organisation und
Geschäftsführung eine verschiedene sein.
Namentlich können sie bei dem Mangel von
Gewerbegerichten auch deren
Funktion mit übernehmen. Nach
Brentano hat sich in
England,
wo Einigungsämter
aus dem praktischen
Bedürfnis heraus zuerst entstanden sind, ihren großen Nutzen gezeigt haben und sehr verbreitet
sind, nach 20jähriger
Erfahrung folgende
Organisation (nach dem
System Kettle) als die beste herausgestellt:
Die Arbeitgeber, die zum Einigungsamt
gehören, sind entweder Delegierte, welche von sämtlichen Arbeitgebern eines bestimmten
Gewerbes und
Distrikts gewählt werden, oder umfassen (in den
Gewerben, in denen es nur wenige Arbeitgeber in einem
Distrikt
gibt) sämtliche Arbeitgeber des
Gewerbes und
Distrikts.
Die zum Einigungsamt
gehörenden
Arbeiter sind Delegierte, welche entweder sämtlich von allen Arbeitern
des
Gewerbes und
Distrikts oder je einer von den Arbeitern je einer der zum
Gewerbe und
Distrikt gehörigen
Unternehmungen gewählt
werden. Der Unparteiische wird von den Vertretern der beiden
Parteien im Einigungsamt
nach deren erstem Zusammentreten für
die Dauer ihres
Mandats gewählt. Bevor die Streitigkeiten vor das
Plenum des Einigungsamts
kommen, werden
sie einem Sühneausschuß vorgetragen, bestehend aus einer gleichen Anzahl Arbeitgeber und
Arbeiter.
Derselbe kann indes, wenn die
Parteien nicht zustimmen, keine Streitfrage endgültig entscheiden. Nach dem
System Kettle übernehmen
Arbeitgeber und
Arbeiter, welche einem Einigungsamt
beitreten, in ihrem Arbeitsvertrag die Verpflichtung,
sich bei etwanigen Streitigkeiten dem Spruch des Einigungsamts
zu unterwerfen. Einigungsämter
bestehen bisher wesentlich
nur in
England. Das Hauptverdienst um die
Entwickelung derselben haben
Mundella und Kettle. Diese
Männer sind auch die
Urheber
des
Gesetzes, betreffend die Einigungsämter
(Arbitration
Act vom 35 und 36 Vict., cap. 46), welches dem
Kettleschen
System sich angeschlossen und den
Entscheidungen der Einigungsämter
, welche sich unter das
Gesetz stellen, rechtliche Gültigkeit
beigelegt hat (das
Gesetz siehe bei
Brentano, »Das Arbeitsverhältnis etc.«,
S. 348). In andern
Staaten, namentlich auch in
Deutschland,
[* 3] ist man über eine theoretische
Empfehlung von
Einigungsämtern
noch nicht hinausgekommen. Eine solche ist hier insbesondere seitens des
Vereins für
Sozialpolitik 1873 erfolgt.
Vgl. Brentano, Das Arbeitsverhältnis gemäß dem heutigen Recht (Leipz. 1877);
Derselbe, Die gewerbliche Arbeiterfrage, in Schönbergs »Handbuch der politischen Ökonomie«, Bd. 1, S. 965 ff. (Tübing. 1882);
»Schriften des Vereins für Sozialpolitik«, Bd. 2 u. 4 (Leipz. 1873 u. 1874).
S. auch die Litteratur zum Artikel »Gewerbegerichte«.