Ordnung der
Reptilien (s. d.),
Tiere von langgestreckter, zuweilen
selbst schlangenartiger Gestalt, mit fast immer deutlich durch einen
Hals vom
Rumpf getrenntem
Kopf und meist sehr langem, sich
verjüngendem
Schwanz. In der
Regel sind vier Extremitäten vorhanden, die meist nur zum Vorwärtsschieben
des über den
Boden hingleitenden
Rumpfes dienen, bei manchen jedoch auch zum Anklammern, Klettern und
Graben verwendet werden
können und mit fünf bekrallten
Zehen endigen.
Nicht selten bleiben die Extremitäten ganz kurz und rudimentär, oder es sind nur vordere oder nur hintere
vorhanden, oder es fehlen äußerlich hervorstehende Teile von
Gliedmaßen gänzlich. Bei allen Eidechsen finden sich
Schultergürtel
und
Becken und mit Ausnahme der
Ringelechsen
[* 3] wenigstens die
Anlage eines
Brustbeins. Von den
Schlangen
[* 4] unterscheiden sich die
Eidechsen wesentlich durch den Mangel der seitlichen Verschiebbarkeit der Kieferknochen und der Erweiterungsfähigkeit
des
Rachens.
Die Bezahnung der Eidechsen ist sehr mannigfach, aber nicht so vollständig wie bei den
Schlangen; die
Zähne
[* 5] sind nie, wie bei den
Krokodilen, in besondere
Zahnhöhlen
(Alveolen) eingekeilt, sondern sitzen unmittelbar auf dem
Knochen.
[* 6] Die
Zunge ist teils kurz und wenig vorstreckbar, teils lang und dünn, gabelig gespalten und weit vorstreckbar,
überhaupt von einer großen Mannigfaltigkeit der Form, so daß nach ihr die Eidechsen in
Gruppen eingeteilt werden (s. unten). Die
Augen besitzen meist
Lider, von denen das untere gewöhnlich beweglich ist.
Auch ein
Trommelfell ist mit Ausnahme der
Ringelechsen fast bei allen vorhanden, liegt aber häufig unter der
Haut
[* 7] und
den
Muskeln
[* 8] verborgen. Die Körperbedeckung besteht
aus
Schuppen, Schildern oder größern Tafeln; doch kommen auch warzige
und stachlige
Höcker, Hautlappen an der
Kehle,
Kämme, Falten etc. vor. Bei zahlreichen Eidechsen finden sich
Hautdrüsen und entsprechende
Porenreihen längs der Innenseite der Oberschenkel und vor dem
After. Der
Farbenwechsel der
Haut ist besonders
beim
Chamäleon auffällig und bekannt.
Lebensweise und
Fortpflanzung sind sehr verschieden. Die Männchen besitzen zwei
Ruten in Gestalt vorstülpbarer
Schläuche.
Meist legen die Weibchen nach der
Begattung verhältnismäßig wenige
Eier.
[* 9] Einige gebären lebendige
Junge. Die meisten Eidechsen sind
harmlose
Tiere, vertilgen
Insekten
[* 10] und
Würmer,
[* 11] und einige größere
(Leguane) werden des
Fleisches halber
gejagt. Die
Mehrzahl und zwar sämtliche größere und prachtvoll gefärbte
Arten bewohnen die wärmern und heißen Klimate.
Einzelne
Familien kommen nur in der
Alten Welt vor, andre haben in der
Neuen ganz ähnliche Vertreter, die aber mit Bezug auf
die Befestigungsweise der
Zähne in den
Kiefern konstant verschieden sind.
Fossile Überreste kennt man
bisher nur wenig. Echte Eidechsen finden sich erst im mittlern
Jura,
Formen, welche den heutigen nahestehen, erst im jüngsten Tertiärgebirge;
dagegen mag schon das
Telerpeton aus dem
BuntenSandstein der untern
Trias (s. Tafel
»Devonische Formation«, da die
Schicht, in der
es gefunden ist, früher irrtümlich dem devonischen
Sandstein zugerechnet wurde) als ein Vorfahr der
Eidechsen betrachtet werden.
Noch älter sind die
Mosasaurier (s.
Reptilien), welche wohl für schwimmende Eidechsen gelten können. - Die
etwa 300
Gattungen mit über 1200
Arten teilt
man in 27
Familien ein, von denen jedoch manche nur aus einer
einzigen Art besteht.
Nach dem
Bau derZunge unterscheidet man vier
Gruppen und trennt als eine fünfte noch die
Ringelechsen (Amphisbaenidae) ab.
Diesen nämlich fehlen die
Schuppen der
Haut, die Augenlider, meist auch die Extremitäten. Es sind harmlose, größtenteils
in Ameisenhaufen lebende
Tiere, deren Verbreitungsbezirk
Südamerika,
[* 12]
Afrika,
[* 13]
Kleinasien undSpanien
[* 14] umfaßt.
Die vier
Gruppen der beschuppten Eidechsen sind: Die Kurzzüngler (Brevilingues), mit kurzer, dicker, kaum vorstreckbarer
Zunge, meist mit Augenlidern, stets mit
Schulter- und Beckengürtel, häufig aber ohne
Gliedmaßen oder nur mit Fußstummeln
(mit und ohne
Zehen) oder endlich mit völlig entwickelten Extremitäten.
Hierher die
Blindschleichen (s. d.,
Anguis),
Scheltopusik (Pseudopus),
Skinke (s. d.,
Scincus), Sandeidechsen
(Seps) u. a. Die
Wurmzüngler (Vermilingues), mit nur einer
Familie
(Chamäleons, s. d.), ausgezeichnet durch ihren hohen, seitlich
zusammengedrückten
Körper sowie durch ihre weit vorschnellbare, wurmförmige
Zunge; auf die
Alte Welt beschränkt. Die Spaltzüngler
(Fissilingues), mit langer, dünner, ausstreckbarer, zweispitziger
Zunge, in der
Alten Welt durch die Lacertiden
(gemeinen s.
Eidechse) und Monitoriden
(Warneidechsen, s.
Varan), in der
Neuen durch die Ameividen (Teju-Eidechsen) vertreten, zum Teil
von ansehnlicher
Größe (bis zu 2
m) und eßbar.
Die Dickzüngler (Crassilingues), mit dicker, fleischiger, nicht vorstreckbarer
Zunge, in den wärmern Gegenden zu
Hause. Hierher
die
Familie der
Geckonen (s. d., Ascalabotae), mit Haftlappen an den
Zehen und daher zum Klettern auch an platten
Wänden geschickt, zugleich die einzigen Eidechsenmit lauterStimme; ferner die altweltlichen
Agamiden
(Dorneidechse und
Drache)
[* 15] und ihre Vertreter in der
Neuen Welt, die Iguaniden oder
Leguane (s.
Leguan und
Basilisk), zum
Teil auf der
Erde, zum Teil auf
Bäumen lebend
¶
[* 2] Die Naturgeschichte dieser Tiere hat in den letzten Jahren sehr erhebliche Fortschritte gemacht durch das
Studium der Brücken- oder Stacheleidechse (Sphenodon punctatus oder Hatteria punctata) und ihrer fossilen Verwandten. Man
hatte die neuseeländische Stacheleidechse oder Tuatera, die bei den Eingebornen die Rolle des menschenfressenden Lindwurms
oder Drachens der deutschen Sagen spielt, und von der sie schon dem KapitänCook Schauergeschichten erzählten,
für ein fast ausgestorbenes Tier gehalten; aber vor ca. sieben Jahren hat sie Reischek in Menge auf den kleinen Inseln der Mangareibai
im O. der Nordinsel Neuseelands lebend angetroffen, und sie ist seitdem häufig in europäische Sammlungen
gelangt. Trotz ihres teilweise gepanzerten Körpers und des vom Kopf bis zum Schwanz laufenden drohenden Stachelkammes scheint
sie ein ziemlich friedfertiges Tier zu sein, denn sie teilt ihre unterirdische Wohnung regelmäßig mit einem Sturmvogel (Procellaria
Gouldi oder Cooki) oder einem
¶
mehr
Sturmtaucher (Puffinus gavius), so daß die Eidechse auf der einen, ein oder zwei Sturmvögel auf der andern Seite der Höhle
hausen. Ob diese eigentümliche Art des Zusammenwohnens auf gegenseitigem Nutzen oder bloßer Duldung beruht, ist übrigens
unbekannt, doch das erstere wahrscheinlicher.
An diesem Tier hatte man längst höchst altertümliche Merkmale entdeckt, nämlich beiderseits gehöhlte
Wirbel, wie sie sonst nur bei Fischen, Amphibien und Reptilien der Vorzeit vorkommen, und ebenso im sonstigen Knochenbau Eigentümlichkeiten,
wie sie nur fossilen Tieren zukommen; auch das sogen. Scheitelorgan, welches von den meisten Zoologen für ein
verkümmertes drittes Auge
[* 19] gehalten wird, weist hier noch eine Entwickelung auf, wie bei keinem andern
lebenden Tier.
Auch gehören thatsächlich alle nähern Verwandten der Stacheleidechse längst begrabenen Zeiten an, und die wichtigste davon,
Palaeohatteria longicaudata, eine langschwänzige, 42-47 cm lange Panzereidechse mit robusten Gliedmaßen, aus den Permschichten
des Plauenschen Grundes, ist 1888 von Credner beschrieben worden. Die merkwürdigste Eigentümlichkeit derselben
besteht darin, daß sie im Beckenbau Kennzeichen der Stegokephalen, also von Amphibien, mit denen der Reptilien vereinigt und
eben darin Ähnlichkeiten mit Krokodilen und Dinosauriern auf der einen Seite, mit Plesiosauriern auf der andern besitzt.
Dazu kommen im Schädelbau Anklänge an die Familie der Schildkröten,
[* 20] so daß sich im Bau dieses Tiers Eigenheiten
fast aller Reptilienordnungen vereinigen, obwohl es im allgemeinen den Eidechsen am nächsten zu stehen scheint. Gleichwohl
können Hatteria, Palaeohatteria und andre fossile Verwandte kaum mehr mit den heute lebenden Eidechsen in einer Ordnung vereinigt
bleiben, wie es Huxley und auch Credner befürworteten, und selbst die 1807 für Hatteria aufgestellte
besondere Ordnung der Schnabelechsen (Rhynchokephalen) scheint für Palaeohatteria nicht mehr auszureichen, da diese als eine
wahre Mischform aus allen jüngern Reptilienformen erscheint und darum an die Wurzeln des gemeinsamen Stammbaums gestellt zu
werden verdient.
Auch der noch immer sehr unvollkommen bekannte Ursaurier (Proterosaurus) scheint nach Credners Untersuchungen hierher
zu gehören, und von einer in englischen und indischen Triasschichten gefundenen 2 m langen Art (Hyperodapedon Gordoni) hat
Huxley 1887 nachgewiesen, daß sie ihrem Körperbau nach ein vollkommenes Mittelglied zwischen Rhynchosaurus articeps
der Triasschichten und der lebenden Hatteria bildet. Natürlich tritt jede nähere Erkenntnis der Stammverwandtschaft der
strengen Sonderung in künstliche Abteilungen feindlich entgegen, und wenn man fortfährt, die ältern
Schnabeleidechsen den eigentlichen Eidechsen (Lazertilien) zu nähern, so kann das nur in dem Sinn geschehen, daß letztere die Abkömmlinge
eines Mittelstammes des Reptilreichs darstellen, der bis zu den Schnabelechsen zurückführt, und um den sich die andern
Reptilienordnungen als Seitenzweige gruppieren. Nach alledem muß man sehr gespannt sein, die Ei- und
Jugendentwickelung der Brückeneidechse kennen zu lernen, deren Untersuchung nicht mehr lange auf sich warten lassen wird.
Die schon früher oftmals behauptete, aber immer wieder bestrittene Giftigkeit einzelner Eidechsenarten ist nunmehr bei der
Gattung Heloderma sicher dargethan worden. Zwei Arten derselben, H. horridum und H. suspectum, leben in
den Südstaaten Nordamerikas und in Mexiko,
[* 21] woselbst ihr Biß seit jeher wie derjenige der Klapperschlangen gefürchtet wurde.
Schon
lange wußte man, daß sie Zähne besitzen, welche vorn und hinten mit Furchen versehen sind, wie sie auch bei einzelnen
Giftschlangen vorkommen, die keinen geschlossenen Zahnkanal besitzen, um das Gift in die Wunde zu leiten.
Allein dies wäre noch kein Beweis, denn eine nahe verwandte Eidechse auf Borneo (Lanthanotus borneensis) ist gleichfalls mit
Furchenzähnen versehen, ohne giftig zu sein. In Wirklichkeit betrachteten denn auchBrehm und andre Forscher den Verdacht der
Giftigkeit bei Heloderma, als Volksmärchen, weil man Fälle beobachtet hatte, in denen der Biß ohne alle
übeln Erscheinungen geheilt war und alle übrigen Eidechsen giftlos sind. Indessen haben neuere Beobachtungen von Lubbock, Weir Mitchell
und Reichert dargethan, daß Frösche,
[* 22] Tauben
[* 23] und Meerschweinchen dem Biß oder einer Einspritzung
[* 24] des Speichelgifts in wenigen
Minuten erliegen, und der erstgenannte Naturforscher hat kürzlich einen Fall mitgeteilt, in welchem ein
von der Eidechse in den Daumen gebissener Mann starb.
Die Ungleichheit der Wirkung beruht auf dem eigentümlichen Verhalten, daß ungleich den im Oberkiefer liegenden Giftdrüsen
der Schlangen hier die beträchtlich entwickelten Drüsen im Unterkiefer liegen und, wie J. G. ^[JohannGustav]
Fischer festgestellt hat, ihr Sekret durch vier noch weiter verästelte Kanäle zur Wurzel
[* 25] der vorn und hinten gefurchten Giftzähne
entsenden. Obwohl nun der Rachen des gereizten Tiers in der Regel von dem reichlich abgesonderten Speichel übertrieft, so kann
doch leicht der Fall eintreten, daß die Furchenzähne des Oberkiefers giftfrei sind, und dann werden,
wenn das Tier in gewöhnlicher Stellung zubeißt, nur geringe Mengen des Gifts in die Bißwunde gelangen.
In der Regel jedoch werfen sich diese Eidechsen, wie Sumichrast beobachtete, bei der Verteidigung auf den Rücken, so daß beim Zubeißen
in dieser Lage die Furchenzähne des Unterkiefers von oben nach unten wirken und das Gift, den Gesetzen der
Schwere entsprechend, in die Wunde fließen lassen, wie es bei den Schlangen geschieht. Weir Mitchell und Reichert in Philadelphia
[* 26] haben sich größere Mengen des Sekrets verschafft, indem sie das Tier reizten, auf einen Gefäßrand zu beißen, um damit genauere
Versuche anzustellen. Sie fanden, daß es alkalisch reagiert, nach einigen MinutenKrämpfe, Pupillenerweiterung
und Tod (bei Tauben) veranlaßt, wobei es, ähnlich wie das Cobragift, auf das Herz wirkt. Es zeigte sich im vergifteten Tier
das Herz in völliger Muskelerschlaffung und voll harter, schwarzer Klumpen.