Eichenrindenlaus
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Eichenrindenlaus,
[* 2] (Wurzellaus des Weinstocks, Phylloxera Vastatrix Planch.), Insekt aus der Familie der Blattläuse (Aphidina), mit den Rinden- oder Tannenläusen den Übergang zu den Schildläusen vermittelnd, tritt in zwei Formen auf. Die Gallen bewohnende Form (Phylloxera vastatrix gallicola) erzeugt auf der Unterseite der Blätter des Weinstocks Gallen, lebt aber nur auf amerikanischen Reben und nur in Amerika [* 4] und richtet ganz unbedeutenden Schaden an. Sie kann als Urform gelten und läßt sich in die andre, Wurzeln bewohnende Form (P. v. radicicola, [* 2] Fig. 1) umwandeln, der sie in ihren Eigenschaften und Verwandlungen nahezu gleicht.
Bei der Wurzellaus sind vier Metamorphosen zu unterscheiden. Das Muttertier oder die Larve der Reblaus, 0,3-0,5 mm lang, ei- oder birnförmig, gelb bis braun, mit Saugrüssel, lebt auf den Wurzeln und legt nach und nach parthenogenetisch 200-300 Eier, [* 5] aus welchen sich im Lauf des Sommers 6-8 Generationen oder Millionen von Läusen entwickeln können. Die jüngern Tiere überwintern, oft 2 m tief, und setzen im Frühjahr ihre Thätigkeit fort. Von Ende Juni bis August erscheinen unter den Muttertieren schlankere, dunklere Nymphen, welche am Rebstock emporkriechen und in 12-14 Tagen nach der letzten Häutung die geflügelten Rebläuse liefern.
Diese erscheinen im August und September, können aber in nördlichen Ländern und in kalten, nassen Jahren ganz fehlen. Sie sind schlank, haben große Flügel, einen kurzen Saugrüssel, legen parthenogenetisch 4-6 Eier an die Unterseite der Blätter (auf die Rinde) und sterben. Aus den kleinern, bräunlichen Eiern schlüpfen nach 12-14 Tagen Männchen, aus den größern, gelblichen Weibchen. Diese Geschlechtstiere sind ohne Flügel, Saugrüssel und Verdauungsorgane, kleiner als die Muttertiere. Nach der Paarung legt das Weibchen hinter alter Rinde am Fuß des Rebstocks ein einziges großes, gelbliches, später olivengrünes Winterei, welchem im Frühjahr ein alsbald an die Wurzelspitzen herabkriechendes Muttertier entschlüpft. - Die Reblaus läßt sich mit Sicherheit nur an der Wurzel [* 6] nachweisen und hat bereits eine große Verbreitung gefunden, wenn die oberirdischen Teile des Weinstocks zu kränkeln beginnen. Charakteristisch sind die Verkrümmungen und Verdickungen (Nodositäten) der Wurzelspitzen, die mit saugenden Rebläusen besetzt sind. Die Oberhaut dieser Verdickungen springt auf, und in die
[* 2] ^[Abb.: Fig. 1. Reblaus (Phylloxera vastatrix), ungeflügelt, geflügelt, saugend. a Saugrüssel. Stark vergr.]
[* 2] ^[Abb.: Fig. 2. Rebwurzel mit Anschwellungen.] ¶
Wunden dringen Pilze [* 8] ein, unter deren Einwirkung sehr schnell Fäulnis erfolgt. Die Läuse gehen dann (im Herbst) an die ältern Wurzeln und zeugen hier geringere Anschwellungen (Tuberositäten, [* 7] Fig. 2), die erst im nächsten Frühjahr faulen. Im zweiten Jahr ist die Beschädigung der Wurzeln viel erheblicher, es beginnen auch die oberirdischen Teile zu leiden, u. im dritten Jahr kann schon der ganze Wurzelstock zerstört sein. Boden- und klimatische Verhältnisse u. die Widerstandsfähigkeit der Rebensorte können den Zerstörungsprozeß verzögern, und im allgemeinen verläuft derselbe im Süden schneller als im Norden. [* 9] Die Läuse verlassen den zerstörten Stock und verbreiten sich durch oberirdische Wanderung, bei geschlossenem Weinbau auch von Wurzel zu Wurzel und im Herbst die geflügelte Form durch die Luft. Außerdem findet sicher auch Verbreitung durch Menschen, Tiere, Geräte, allerlei Materialien und Pflanzen statt.
Die Reblaus wurde in Europa [* 10] 1868 von Planchon bei St.-Remy (Bouches du Rhône) entdeckt, wo seit 1865 eine Rebenkrankheit beobachtet worden war. Diese Weingärten hatten bis vor kurzem Eichenwald getragen, und in dem noch stehenden benachbarten Eichenwald zeigte sich reichlich Phylloxera Quercus (s. unten). Man kann annehmen, daß die Reblaus damals schon etwa 10 Jahre in Frankreich vorhanden gewesen war, und in den 50er Jahren wurden viele dem Traubenpilz widerstehende amerikanische Rebensorten nach Frankreich eingeführt.
Indes sind amerikanische Reben schon seit 30 oder 50 Jahren in Europa kultiviert, ohne daß man von der Reblaus gehört hätte. Die Wurzeln bewohnende Form der Reblaus wurde erst 1870 in Amerika entdeckt, während die Gallen bewohnende Form schon 1854 dort bekannt war. Es ist aber nachgewiesen, daß Anbauversuche mit unsrer Rebe im 17. Jahrh. und später in Amerika fehlschlugen, während die Rebe, auf amerikanische Unterlage veredelt, dort recht gut gedeiht. In Europa hat die Reblaus Frankreich am stärksten geschädigt. 1885 waren von 77 weinbautreibenden Departements 53 und von 2,485,829 Hektar Weinland über 1 Mill. verseucht.
Dies entspricht einem Wertverlust von 13,5 Milliarden Frank an Reben und Wein seit 1869. In Portugal [* 11] und Österreich [* 12] entdeckte man die Reblaus 1872, dort waren bis 1881 schon 130,000, hier bis 1886 ca. 1500 Hektar verseucht. In Deutschland [* 13] fand man die Reblaus seit 1874 mehrfach an vereinzelten Stellen, erst 1881 zeigte sich im Ahrthal ein Herd von 2 Hektar, u. bis 1887 mögen wohl gegen 80 Hektar verseucht sein. Auch in der Schweiz, [* 14] in Ungarn, [* 15] Spanien, Italien, [* 16] der Krim, [* 17] in Serbien, [* 18] Rumänien, der Türkei, [* 19] in Australien, [* 20] Algerien, [* 21] am Kap hat man die Reblaus nachgewiesen u. hat sie mehr oder weniger Schaden angerichtet.
Zur Bekämpfung der hat man die befallenen Stöcke ausgegraben, mit Petroleum begossen und verbrannt und dann die Fläche mit Schwefelkohlenstoff (150-250 g pro QKilometer), schwefliger Säure etc. behandelt; sie darf in 4-5 Jahren nicht wieder mit Reben bepflanzt werden. Ebenso wurde Schwefelkohlenstoff unter Schonung der Rebstöcke in den Boden gebracht (10 g pro Stock) und dabei stark gedüngt, auch Sulfocarbonat u. Teeröl wurden angewandt und mit größerm Erfolg eine Unterwassersetzung im Sommer auf 25-40 Tage (10-30,000 cbm Wasser pro Hektar) mit starker Düngung, Kultur in Sandböden und vor allem Veredelung auf amerikanische Reben, welche viel kräftigeres Wachstum besitzen als die europäischen und dadurch der Reblaus besser widerstehen.
Beachtung verdient auch die Begünstigung der Feinde der Reblaus. Zu diesen gehören besonders eine Milbe, Hoplophora aretata, der kleine Tausendfuß (Polyxenus lagurus), ferner ein Blasenfuß (Thrips), der Blattlauslöwe (Chrysopa), die Made der Blattlausmücke (Syrphus), eine Schlupfwespe (Aphidius) und noch drei unterirdisch lebende Milben. Zum Schutz gegen die Verbreitung der Reblaus wurden 1875 in Österreich und Deutschland Gesetze erlassen. Auf Anregung von Fatio berief die Schweiz 1877 einen Reblauskongreß nach Lausanne, [* 22] der die Grundzüge zu internationalem Vorgehen feststellte. Am schlossen dann Deutschland, Österreich-Ungarn, [* 23] Spanien, Frankreich, Italien, Portugal und die Schweiz eine internationale Reblauskonvention ab, welcher noch Luxemburg [* 24] und Serbien beitraten.
Diese Konvention wurde 3. Okt. bis auf einer internationalen Konferenz in Bern [* 25] revidiert, und auf der neuen Übereinkunft basiert das deutsche Reichsgesetz vom die Abwehr und Unterdrückung der Reblauskrankheiten betreffend.
Vgl. die Schriften von Neßler (Stuttg. 1875), Hamm [* 26] (Wien [* 27] 1875), Dillmann (Reutling. 1875), David (Wiesb. 1875), Wittmack (Berl. 1875), Dietzsch (Zürich [* 28] 1875), Blankenhorn (Heidelb. 1878), Goethe (Wien 1887), Haller (»Die kleinen Feinde der Phylloxera«, Heidelb. 1878),
Fatio (»État de la question phylloxérique en Europe en 1877«, Basel [* 29] 1878).
Zu derselben Gattung gehört die Eichenrindenlaus (Phylloxera Quercus B. d. Fonsc.), der Tannenlaus ähnlich, am Thorax schwarz, am Kopf, Hinterleib und an den Beinen rot, auf den Vorderflügeln mit rötlichgelbem Randmal, legt auf der Unterseite der Eichenblätter gelbliche Eier, aus welchen nach 6-8 Tagen weiße, ungeflügelte Läuse ausschlüpfen, die sich festsaugen und 30-40 Eier legen. Aus diesen entsteht eine zweite Brut und so mehrere hintereinander, sämtlich parthenogenetisch.
Unter den letzten Bruten erscheinen auch geflügelte Läuse, die südwärts ziehen und aus Quercus coccifera einige größere hellgelbe und kleinere rötliche Eier legen. Erstere liefern Weibchen, letztere Männchen, beide ohne Schnabel. Die befruchteten Weibchen legen ein einziges Ei [* 30] zwischen Knospenschuppen oder Rindenrissen, und aus diesem schlüpft eine Laus, welche nach mehreren Häutungen stachlig ist und an Stengel [* 31] und Blattunterseiten 150-200 Eier legt. Aus diesen entwickeln sich glatte Läuse, welche Flügel erhalten und nordwärts ziehen, um den Kreislauf [* 32] von neuem zu beginnen.