Ehestatistik
,
neben der statist. Erhebung der Geburten (s. Geburtsstatistik) und der Sterbefälle (s. Sterblichkeitsstatistik) ein Hauptteil der Darstellung der sog. Bewegung der Bevölkerung [* 2] (s. d.). Die Kirchenbücher und in neuerer Zeit die bürgerlichen Civilstandsregister liefern in zuverlässiger Weise das Urmaterial (s. Personenstand). Es kommt für die Statistik, außer der Gesamtzahl der Trauungen hauptsächlich in Betracht: die Jahreszeit der Eheschließung, das Alter und der bisherige Familienstand der Brautleute.
Neben der absoluten Zahl der Eheschließungen interessiert zunächst das Verhältnis derselben zur Gesamtbevölkerung, welches durch die sog. allgemeine Verehelichungs- oder Heiratsziffer zum Ausdruck gelangt. Für das Deutsche Reich [* 3] ergeben sich folgende Zahlen:
Jahr | Mittlere Bevölkerung | Eheschließungen | Auf 1000 Ehestatistikentfallen Eheschließungen |
---|---|---|---|
1881 | 45426000 | 338909 | 7,46 |
1882 | 45717000 | 350457 | 7,67 |
1883 | 46014000 | 352999 | 7,67 |
1884 | 46334000 | 362596 | 7,83 |
1885 | 46705000 | 368619 | 7,89 |
1886 | 47132000 | 372326 | 7,90 |
1887 | 47628000 | 370659 | 7,78 |
1888 | 48166000 | 376654 | 7,82 |
1889 | 48715000 | 389339 | 7,99 |
1890 | 49239000 | 395356 | 8,03 |
1881/90 | 47108000 | 367791 | 7,81 |
1891 | 49738232 | 399398 | 8,03 |
1892 | 50286974 | 398775 | 7,93 |
Wenn hiernach auch die Zahl der Eheschließungen im allgemeinen eine große Beständigkeit aufweist und mit der Zunahme der Bevölkerung im wesentlichen gleichen Schritt gehalten hat, so ist doch die Heiratsziffer im einzelnen bemerkenswerten Schwankungen unterworfen. Will man die Zahl der Eheschließungen als ein Kennzeichen des größern oder geringern Wohlbefindens einer Bevölkerung gelten lassen, so scheint in der allmählichen Steigerung der Heiratsziffer eine fortschreitende Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Deutschen Reichs im Laufe des letzten Jahrzehnts zum Ausdruck zu gelangen.
Größere Schwankungen zeigen sich bei einem Rückblick auf die frühern Jahrzehnte. Die allgemeine Heiratsziffer betrug 1841-50: 8,0, 1851-60: 7,8, 1861-70: 8,5, 1871-80: 8,6, 1881-90: 7,81. Indessen tritt in diesen Zahlen der Heiratsdrang der Bevölkerung nur unklar hervor, da ja nur der noch unverheiratete Teil für die Verehelichung in Betracht kommt. Das Verhältnis dieser heiratsfähigen Bevölkerung zur Zahl der Eheschließungen, welches als die besondere Heiratsziffer bezeichnet werden kann, ist deshalb ein weit zutreffenderer Ausdruck für die Heiratsfrequenz als die allgemeine Ziffer und verdient namentlich bei einem Vergleich verschiedener Staaten den Vorzug vor dieser. Betrachtet man alle nicht verheirateten männlichen und weiblichen Personen im Alter von über 15 Jahren als heiratsfähig, so ergiebt sich für das Verhältnis der Heiratsfähigen und Eheschließungen zur Gesamtbevölkerung im Durchschnitt der Jahre 1871-85 folgendes Bild:
Staaten | Auf 100 Ehestatistikentfallen Heiratsfähige |
Auf. 1000 Ehestatistikentfallen Eheschließungen |
Auf 1000 Heiratsfähige entfallen Eheschließungen |
---|---|---|---|
Deutsches Reich | 31,15 | 8,3 | 26,7 |
Preußen | 30,53 | 8,5 | 27,8 |
Bayern | 30,60 | 7,8 | 23,3 |
Sachsen | 28,87 | 9,3 | 32,4 |
Württemberg | 31,52 | 7,5 | 23,9 |
Baden | 33,28 | 7,5 | 22,4 |
Elsaß-Lothringen | 35,13 | 7,1 | 20,3 |
Schweiz | 36,17 | 7,4 | 20,5 |
Österreich | 31,50 | 8,1 | 26,2 |
Ungarn | 23,05 | 10,1 | 38,1 |
Frankreich | 32,54 | 7,8 | 24,0 |
Italien | 31,51 | 7,8 | 24,6 |
Belgien | 34,98 | 7,2 | 20,5 |
Norwegen | 33,44 | 7,1 | 21,1 |
Schweden | 34,14 | 6,7 | 19,5 |
England u. Wales | - | 7,8 | - |
Schottland | - | 7,0 | - |
Irland | - | 4,5 | - |
Für die Beurteilung dieser Zahlen ist zu beachten, daß die Heiratsfrequenz außer von der ökonomischen Lage der Bevölkerung auch von ihren nationalenEigentümlichkeiten, dem Charakter der Volkswirtschaft und dem geltenden Recht abhängt.
Auf die einzelnen Monate des Jahres verteilen sich die Eheschließungen sehr ungleich. Bei einem Tagesmittel von 1000 Eheschließungen für das ganze Jahr entfielen im Deutschen Reich 1872-90 auf den Januar 955, Februar 1170, März 610, April 1069, Mai 1249, Juni 918, Juli 841, August 648, September 906, Oktober 1307, November 1525, Dezember 766. Die Unterschiede werden teils durch natürliche Einflüsse (Witterung und davon abhängige Landarbeiten), teils durch sociale (Landessitte und Herkommen, kirchliche Satzungen und Gewohnheiten) bedingt.
Nach dem Familienstand befanden sich unter 100 Heiratenden: ¶
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Staaten | Jahre | Männer Junggesellen | Witwer und Geschiedene | Frauen Jungfrauen | Witwen und Geschiedene |
---|---|---|---|---|---|
Preußen | 1876/85 | 86,54 | 13,46 | 91,21 | 8,79 |
Bayern | 1876/85 | 85,10 | 14,90 | 92,05 | 7,95 |
Sachsen | 1876/85 | 85,09 | 14,91 | 90,83 | 9,17 |
Schweiz | 1876/85 | 84,21 | 15,79 | 90,63 | 9,37 |
Österreich | 1876/85 | 82,09 | 17,91 | 88,86 | 11,14 |
Italien | 1876/80 | 87,51 | 12,49 | 92,84 | 7,16 |
Frankreich | 1876/80 | 88,69 | 11,31 | 92,13 | 7,87 |
England | 1876/80 | 86,34 | 13,66 | 90,15 | 9,85 |
Die allgemein bekannte Thatsache, daß Witwer häufiger eine Ehe eingehen als Witwen, findet hier ihren ziffernmäßigen Ausdruck. Was die gegenseitigen Beziehungen der verschiedenen Kategorien zueinander anlangt, so sind erste Ehen, d. h. solche zwischen Junggesellen und Jungfrauen, weitaus am häufigsten; es folgen dann die zwischen Jungfrauen und Witwern, weiterhin die zwischen Junggesellen und Witwen und endlich die zwischen Witwern und Witwen. Im Königreich Preußen [* 5] entfielen 1876-85 von 100 Eheschließungen 81,38 auf die erste, 9,83 auf die zweite, 5,16 auf die dritte und 3,63 auf die vierte Gruppe. In andern Staaten vertauschen die beiden letzten Gruppen ihre Rangstufen.
Von allgemeinem Interesse ist neben dem Familienstand das Alter der Brautleute. In Preußen heirateten in den J. 1871-85 von 100
Im Alter von Jahren | Männer | Frauen | Personen überhaupt |
---|---|---|---|
Unter 20 | 0,50 | 10,06 | 5,28 |
20-30 | 67,43 | 70,16 | 68,79 |
30-40 | 22,54 | 14,72 | 18,63 |
40-50 | 6,18 | 4,01 | 5,09 |
50-60 | 2,52 | 0,91 | 1,72 |
60 und darüber | 0,83 | 0,14 | 0,49 |
Die große Mehrzahl der Frauen gelangt also im Alter von 20 bis 30 Jahren zur Ehe und entspricht damit den Forderungen der natürlichen und socialen Verhältnisse der mitteleurop. Bevölkerung. Die andern Ehen pflegt man als frühzeitig oder verspätet anzusehen. Auch der größte Teil der Männer heiratet rechtzeitig, zumal bei Berücksichtigung des als normal zu betrachtenden Altersunterschiedes von wenigen Jahren. Letzterer kommt statistisch zur Erscheinung durch die Berechnung des durchschnittlichen Heiratsalters, welches als einfacher Ausdruck der Altersverhältnisse der Eheleute besonders bei räumlichen Vergleichungen bequem zu verwerten ist.
Staaten | Jahre | Durchschnittsalter im J. beider Eheleute | des Mannes | der Frau | Unterschied |
---|---|---|---|---|---|
Preußen | 1881/85 | 28,2 | 29,4 | 27,1 | 2,3 |
Bayern | 1881/85 | 29,1 | 30,6 | 27,6 | 3,0 |
Württemberg | 1881/85 | 29,5 | 31,3 | 27,8 | 3,5 |
Belgien | 1881/85 | 29,2 | 30,6 | 27,7 | 2,9 |
Italien | 1881/85 | 27,5 | 29,9 | 25,1 | 4,8 |
Österreich | 1881/85 | 28,9 | 30,9 | 26,8 | 4,1 |
Ungarn | 1881/85 | 26,0 | 28,6 | 23,4 | 5,2 |
Schweiz | 1881/85 | 29,1 | 30,9 | 27,3 | 3,6 |
Frankreich | 1881/84 | 27,5 | 29,6 | 25,4 | 4,2 |
Dänemark | 1880/84 | 28,6 | 30,1 | 27,2 | 2,9 |
Schweden | 1882/86 | 29,1 | 30,4 | 27,8 | 2,6 |
Den
Eheschließungen stehen die Ehelösungen gegenüber, die zum geringen Teil durch Scheidungen, zum weitaus größten durch
den Tod des einen Ehegatten erfolgen. Meistens begnügt man sich damit, bei der Erhebung der Todesfälle
festzustellen, ob die Verstorbenen ledig, verheiratet, verwitwet oder geschieden waren. Man kann dann auch für die Dauer der
Ehen höchstens eine hypothetische Mittelzahl angeben (s. unten). Neuerdings beginnt man die
Dauer der durch den Tod gelösten Ehen auf direktem Wege zu ermitteln. Auch die Frage nach der ehelichen
Fruchtbarkeit berührt die Ehestatistik
(s. Geburtsstatistik). Andere für die Ehestatistik
interessante Fragen betreffen die Ehen unter Verwandten,
das Religionsbekenntnis der Brautleute, das Verhältnis der kirchlichen zu den bürgerlichen Trauungen u. s. w.
Das Religionsbekenntnis der Eheschließenden verdient insbesondere mit Rücksicht auf die Häufigkeit der Mischehen gewürdigt zu werden. In Preußen betrug die Zahl der
Jahre | Gleichen Ehen absolut | Proz. aller Ehen | Mischehen absolut | Proz. aller Ehen |
---|---|---|---|---|
1871/75 | 220898 | 93,73 | 14782 | 6,27 |
1876/80 | 169414 | 93,09 | 14587 | 6,91 |
1881/85 | 204344 | 92,52 | 16518 | 7,48 |
1886 | 214039 | 92,42 | 17549 | 7,58 |
1887 | 212146 | 92,24 | 17853 | 7,76 |
1888 | 214588 | 91,93 | 18833 | 8,07 |
1889 | 221486 | 91,86 | 19510 | 8,14 |
1890 | 224753 | 91,90 | 19904 | 8,10 |
1891 | 225061 | 91,52 | 20845 | 8,48 |
1892 | 225062 | 91,20 | 20385 | 8,30 |
Sofern die neuerdings auch in andern Staaten beobachtete stetige Zunahme der gemischten Ehen erkennen läßt, daß der konfessionelle Unterschied in den Augen des Volks immer weniger als Ehehindernis in Betracht kommt, mag man hierin je nach seinem Standpunkte entweder eine Abnahme der religiös-kirchlichen Gesinnung oder aber eine Zunahme der Toleranz erblicken. Jedenfalls spielt neben diesen beiden Momenten die neuere Verkehrsentwicklung eine wesentliche Rolle, indem dieselbe auf eine immer stärkere Vermischung der früher räumlich getrennten Volkskreise hinarbeitet und damit auch die Gelegenheit zum Eingehen von Mischehen vermehrt.
Die Dauer der Ehe ist durch das Heiratsalter und die Sterblichkeit bedingt. Bei dem Mangel an direkten Ermittelungen dieser Dauer müssen indirekte Bestimmungen Ersatz leisten. Eine solche besteht in der Division der mittlern Zahl der stehenden Ehen durch die halbe Summe der Trauungen und Ehelösungen. Sie ergiebt für den Zeitraum 1881-85 eine mittlere Dauer der Ehen in Preußen von 24,45, in Bayern [* 6] von 25,66, in Württemberg [* 7] von 27,10, in Belgien [* 8] von 25,01, in Frankreich von 27,54, in Italien [* 9] von 26,07, in Ungarn [* 10] von 24,35, in der Schweiz [* 11] von 25,17, in Dänemark [* 12] von 25,99 und in Schweden [* 13] von 29,54 Jahren. Freilich sind diese Zahlen zu unsicher, um eingehendern Vergleichen als Grundlage zu dienen; immerhin aber ist es von Interesse zu erfahren, daß die durchschnittliche Dauer einer Ehe ungefähr dem Termin der Silbernen Hochzeit entspricht.
Vgl. die Litteratur zum Artikel Bevölkerung; außerdem Movimento dello stato civile.
Anno ¶
mehr
XXII (1883); Confronti internazionali per gli anni 1865-83 (Rom [* 15] 1884); Stand und Bewegung der Bevölkerung des Deutschen Reichs und fremder Staaten in den J. 1841-86, Bd. 44 (Neue Folge der Statistik des Deutschen Reichs, hg. vom kaiserl. Statistischen Amt, Berl. 1892).