Ego
ismus
(»Ichsucht«, Selbstliebe, Selbstsucht), diejenige Gesinnungsart, welche nicht nur eudämonistisch, d. h. von der Rücksicht auf die angenehmen oder unangenehmen Folgen der Handlungsweise abhängig, sondern zugleich eigennützig ist, d. h. ausschließlich durch die Rücksicht auf den eignen (nicht fremden) Nutzen oder Schaden ihr Wollen und Thun bestimmen läßt. In ersterer Hinsicht steht der der moralischen (statt durch die Rücksicht auf die äußern Folgen, durch jene auf den innern Wert der Handlung bestimmten), in dieser der uneigennützigen (das eigne Wohl dem fremden nachsetzenden) Gesinnung (Altruismus) gegenüber.
Letztere Art des Ego
ismus, welche das eigne
Wohl auf
Kosten des fremden sucht, pflegt man auch wohl den groben,
erstere, welche den Wert menschlicher
Handlungen von ihrem Vorteil oder Nachteil für den Handelnden abhängig macht, ohne
daß dadurch andre eben
Schaden leiden müssen, feinen Ego
ismus zu nennen. Dieser kann zwar unschädlich (für
andre) sein, bleibt aber nichtsdestoweniger unsittlich, da auch die pflichtmäßige
Handlung von ihm nicht um ihrer Pflichtmäßigkeit
willen (moralisch), sondern um ihrer (persönlichen) Vorteilhaftigkeit willen (eudämonistisch) gewollt wird.
Jener ist nicht nur unmoralisch, sondern positiv schädlich, da er das
Wohl andrer unbedenklich dem eignen aufopfert. Die
Frage, ob der Ego
ismus die dem
Menschen natürliche
Gesinnung sei, läßt sich, je nachdem wir den groben oder
feinen Ego
ismus im
Auge
[* 2] haben, verschieden beantworten. Dieser, der auch das
Gute nur um des
Lohns willen thut, das
Böse nur aus
Furcht
vor der
Strafe unterläßt, stellt eine Gesinnungsstufe dar, auf welcher (bei Einzelnen wie bei Völkern
und
Zeitaltern) von sittlichem Wert oder Unwert im wahren
Sinn des
Wortes noch nicht die
Rede sein kann.
Dieselbe geht, wie jeder
Erzieher weiß, beim
Kind ebensowohl wie bei Völkern und bei der Menschheit im ganzen derjenigen
Epoche moralischer
Mündigkeit, in welcher bei entwickeltem Pflichtbewußtsein das
Gute um seiner selbst
willen gewollt, das
Böse um seiner selbst willen unterlassen wird, notwendig voraus, und der feine Ego
ismus kann daher, mit der
(erst allmählich erworbenen) sittlichen
Reife verglichen, allenfalls als der natürliche (obgleich keineswegs angeborne)
und durch
Erziehung zu läuternde Zustand des
Menschen angesehen werden. Die Behauptung dagegen, daß der
grobe der natürliche (und zwar angeborne) Zustand des
Menschen sei, muß so lange für willkürlich gelten, als es, wie bisher,
nicht gelingt, sämtliche thatsächlich als uneigennützig erscheinende
Handlungen der selbstlosen Aufopferung, des sympathetischen
Mitgefühls und der wohlwollenden Menschenliebe auf eigennützige
Motive zurückzuführen.