Echinodermen
(Echinodermata
,
Stachelhäuter,
[* 2] hierzu Tafel »Echinodermen«
),
einer der
Stämme des
Tierreichs. Die Echinodermen
sind
Tiere von radiärem, gewöhnlich fünfstrahligem
Bau und lassen diesen meist sofort erkennen; nur die Holothurien
[* 3] ähneln auf
den ersten
Blick außerordentlich den
Würmern. Besonders ausgeprägt ist die typische Form bei den
Seesternen
(Echinaster, Ophiothrix, s. Tafel »Echinodermen«
),
weniger schon bei den
Seeigeln (s. Tafel). Indessen ist die radiäre
Anordnung doch nirgends streng innegehalten, weil immer
ein oder das andre
Organ in der
Einzahl vorhanden ist, ohne zugleich in der Hauptachse zu liegen, um welche sich die
Strahlen
gruppieren. Da nun auch die
Larven von
Haus aus zweiseitig sind, so dürfen die Echinodermen
nicht, wie es früher
allgemein geschah, mit den
Cölenteraten zusammen als
Strahltiere oder
Radiaten (s. d.) bezeichnet werden, sondern müssen eine
Abteilung für sich bilden.
Die einzelnen
Typen der Echinodermen
lassen sich ohne Schwierigkeit aufeinander beziehen, indem die
Seesterne
[* 4] durch
Verkürzung
der
Arme und
Erhöhung des
Körpers in die
Seeigel und diese durch bedeutende
Erhöhung in die Holothurien, die
Seesterne aber
auch durch Verzweigung der
Arme in die
Krinoideen
(Pentacrinus, Comatula, s. Tafel) übergehen.
Charakteristisch für alle Echinodermen
ist
erstens die
Ablagerung von
Kalk in der Unterhaut, welche dadurch zu einem mehr oder minder starren
Panzer
wird.
Bei den Holothurien kommt es nur zur Bildung von isoliert bleibenden Rädern, Stäbchen, Ankern etc.; da nun auch der Hautmuskelschlauch kräftig entwickelt ist, so bleibt der ganze Körper völlig beweglich. Bei den Seesternen und Krinoideen sind die Arme meist noch der Bewegung in hohem Grad mächtig, weil sie, ähnlich dem Rückgrat der Wirbeltiere, aus einer großen Anzahl einzelner Kalkstücke bestehen; dagegen ist die Rückenfläche des Körpers (der Scheibe) mit einer nur wenig nachgiebigen Haut [* 5] bedeckt.
Die
Seeigel aber besitzen fast immer ein durchaus unbewegliches
Hautskelett, welches aus 20 in
Meridianen geordneten
Reihen fester,
durch
Nähte verbundener Kalkplatten besteht. Übrigens sind fast alle Echinodermen
zum Ortswechsel befähigt, nur
die
Krinoideen haften mit einem von der Rückenfläche ausgehenden Stiel entweder zeitlebens oder in der
Jugend fest. Die äußerste
dünne
Lage der
Haut bleibt überall unverkalkt und besitzt ein oberflächliches Wimperepithel, welches sich aber von manchen
Teilen ablöst. Die
Seesterne und
Seeigel haben auf der
Haut die sogen.
Pedicellarien, gestielte,
durch ein
besonderes Kalkgerüst gestützte, klappen- oder zangenartige Greiforgane.
Ein zweites Merkmal für sämtliche Echinodermen
ist das eigentümliche Wassergefäßsystem oder Ambulakralsystem.
Dieses besteht aus einem Ringgefäß um den
Schlund und aus fünf davon ausgehenden Radialgefäßen; die in
ihnen enthaltene wässerige
Flüssigkeit wird durch
Wimpern in
Bewegung erhalten und durch einen besondern Filtrierapparat dem
Seewasser entnommen. Von dem Ringgefäß nämlich gehen ein oder mehrere Anhänge (Steinkanäle) aus und hängen entweder
frei in die
Leibeshöhle hinein (bei Holothurien und
Krinoideen), so daß sie erst vermittelst dieser mit der
Außenwelt
kommunizieren, oder reichen bis an die
Haut heran und enden in ihr mit den sogen.
Madreporenplatten, deren
Poren den Durchtritt
des Seewassers ermöglichen.
Von den Radialgefäßen entspringen eine Menge feiner Zweige, welche durch Öffnungen des Hautskeletts hindurchtreten und in ebenso viele Hautschläuche (Ambulakralfüßchen) hineinreichen. Zu jedem Füßchen gehört noch eine kleine Blase (Ampulle), die gleichfalls am Radialgefäß sitzt. Wird nun der Inhalt derselben durch Kontraktion ihrer muskulösen Wandung in den im Füßchen befindlichen Gefäßzweig gepreßt, so schwillt dieser an und dehnt sich zu bedeutender Länge aus.
Anordnung und Verteilung der Füßchen ist nach den einzelnen Gruppen sehr verschieden; auch die Funktion ist nicht dieselbe, denn teils dienen sie als sogen. Ambulakralkiemen zur Atmung, teils als Tentakeln zum Fühlen, teils und zwar meistens zur Bewegung. Letztere geschieht in der Weise, daß sich die Füßchen im geschwollenen Zustand mittels einer kleinen Saugscheibe an einen Gegenstand anheften, dann sich kontrahieren, wobei ihr Wasser in die Ampullen zurücktritt, und so den Körper nach sich ziehen.
Alle Echinodermen
besitzen einen von der
Leibeshöhle gesonderten Verdauungsapparat. Der
Mund ist meist zentral auf der Bauchseite gelegen
und führt in den oft sehr kurzen und geraden, oft auch mehrfach gewundenen
Darm,
[* 6] an dem man
Speiseröhre, Magendarm und Enddarm
unterscheiden kann. In der
Regel ist auch ein
After vorhanden und liegt entweder auf dem
Rücken oder auf dem
Bauch
[* 7] in der
Nähe
des
Mundes. Bei manchen Echinodermen
fehlt er aber gänzlich, so daß der
Darm blind endet. Besondere Anhänge des
Darms, die zum Teil
weit in die
Arme hineinreichen, dienen zur Vergrößerung der verdauenden
Fläche.
In der
Nähe des
Mundes finden sich häufig besondere zahnartige Gebilde, oder es ist sogar ein förmlicher Kauapparat
(Laterne des Aristoteles,
s.
Echinoideen und Tafel »Echinodermen«
) vorhanden. Das Blutgefäßsystem,
erst in der neuesten Zeit genauer erforscht, besteht immer aus einem um den
Mund gelegenen ringförmigen
Adergeflecht, zu dem noch bei
Seesternen und
Seeigeln ein am andern Körperpol gelegener
Ring und ein beide miteinander verbindendes
Längsgeflecht hinzukommt; letzteres läuft neben dem Steinkanal her und ist wahrscheinlich kontraktil.
Das Blut ist eine meist klare Flüssigkeit mit farblosen Blutkörperchen. [* 8] Die Respiration vermitteln die äußern Anhänge und die Oberfläche der in der Leibeshöhle suspendierten Organe, besonders des Darms. Das Wasser tritt, wie für die Seesterne nachgewiesen ist, durch Poren des Hautskeletts und wahrscheinlich auch durch Öffnungen der Madreporenplatte in den Leibesraum und wird durch die Wimpern der Leibeswandung in Bewegung erhalten. Als besondere Respirationsorgane gelten die schon erwähnten Ambulakralkiemen, ferner ¶
mehr
blinddarmförmige, mit der Bauchhöhle kommunizierende Schläuche auf der Rückenfläche der Seesterne und an der Mundöffnung einiger Seeigel, endlich die Wasserlungen der Holothurien, zwei große verästelte Schläuche, welche in den Enddarm münden, vom After aus mit Wasser gefüllt und durch ihn entleert werden. Das Nervensystem besteht aus fünf in die Strahlen fallenden Hauptstämmen als Zentren, die unter sich durch einen um den Mund gelegenen Nervenring in Verbindung stehen.
Über den feinern Bau derselben herrschen zur Zeit noch verschiedene Meinungen. Augen sind mit Sicherheit nur bei den Seesternen bekannt, und zwar liegen sie auf der Unterseite der Arme. Bei Synapta sind fünf Paar sogen. Gehörbläschen aufgefunden worden. Tastorgane sind die Tentakeln der Holothurien etc. Die Fortpflanzung ist fast immer eine geschlechtliche; dabei besteht nur in ganz seltenen Fällen Hermaphroditismus. Die Geschlechter sind äußerlich nicht voneinander verschieden.
Eine Begattung findet nicht statt, vielmehr geht die Befruchtung der [* 10] Eier [* 11] fast immer außerhalb des mütterlichen Körpers im Seewasser vor sich. Meist entsprechen Zahl und Lage der Geschlechtsorgane der radiären Anordnung des gesamten Organismus (wegen der Einzelheiten s. die betreffenden Gruppen). Die Entwickelung ist nur selten eine direkte (Holothurien und lebendig gebärende Seeigel und Seesterne, s. d.), sondern verläuft meist mit einer so bedeutenden Metamorphose, wie sie im Tierreich nicht oft vorkommt.
Aus dem Ei [* 12] geht ganz allgemein eine kugelige, mit Wimpern versehene Larve hervor, die sich an einem Punkt einstülpt und so zu einem Sack (gastrula) wird. Dann entstehen allerlei Fortsätze von oft ganz wunderlicher Form, mit und ohne Stützen von Kalkstäben, meist auch mit besondern Wimperschnüren; dabei ist aber die Larve in ihrer Gesamtheit noch streng zweiseitig-symmetrisch gebaut und verrät durch nichts, daß sie sich zu einem radiären Körper umformen werde.
Von innern Organen enthält sie zunächst nur den Darm, welcher sich durch die erwähnte Einstülpung gebildet hat (hierbei ist die Einstülpungsöffnung der After, während der Mund später entsteht), und die Anlage des Wassergefäßsystems als Anhang des Darms. Aus der Larve bildet sich dann das Echinoderm allmählich heraus, indem die provisorischen Larvenorgane teils abgeworfen, teils umgeformt werben und neue Organe entstehen; doch sind hierüber manche Einzelheiten noch nicht bekannt.
Während übrigens die Larven stets die Oberfläche der See bevölkern und sich frei schwimmend bewegen, kriechen die erwachsenen Tiere immer auf dem Grund umher; in solchen Meeren aber, wo die heftige Brandung den Larven schädlich wird (z. B. an den Kergueleninseln), ist die Zeit des Schwärmens für dieselben entweder sehr verkürzt, oder sogar ganz in Wegfall gekommen. Alsdann entwickeln sich die Eier in besondern Bruträumen des Muttertiers, durchlaufen die ersten Stadien ungemein rasch und bleiben auch wohl nach der Geburt noch einstweilen beisammen. Die ungeschlechtliche Vermehrung, bisher nur bei Seesternen beobachtet, ist entweder eine direkte Teilung des ganzen Körpers, oder geschieht durch Ablösung einzelner Arme (sogen. Kometenformen), welche allmählich die Scheibe samt den übrigen Armen aus sich heraus neu bilden.
Alle Echinodermen
sind Seetiere; nur wenige unter ihnen sind für immer oder in der Jugend mittels eines Stiels festgewachsen, die meisten
bewegen sich langsam kriechend umher. Sie ernähren sich teils von Algen,
[* 13] teils von Mollusken,
[* 14] Krebsen etc.,
die sie mit
ihren Saugfüßchen festhalten. Die Holothurien füllen entweder ihren Darm mit Sand, oder lecken ihre Tentakeln
ab (s. Holothurioideen). Manche Tiefseeformen stehen in naher Verwandtschaft zu den ausgestorbenen Echinodermen
, namentlich zu denen aus
der Kreide.
[* 15]
Fossil treten die Echinodermen
schon vor der silurischen Zeit auf; die ältesten Reste gehören der Gruppe der Krinoideen
an. Als die ursprünglichste Gruppe betrachten einige Forscher die Krinoideen, andre die Holothurien, noch andre die Seesterne,
halten jedoch alle die Seeigel für abgeleitete Formen. Näheres s. bei den vier Klassen der Echinodermen
, nämlich den Krinoideen, Asteroideen,
Echinoideen und Holothurioideen.
Vgl. Klein, Naturalis dispositio Echinodermatum (Leipz. 1778);
Agassiz, Monographie d'Échinodermes vivants et fossiles (Neuchâtel 1838-42);
Echinodermen Forbes, A history of British starfishes and other animals of the class Echinodermata (Lond. 1841);
J. ^[Johannes] Müller, Über die Entwickelung der Echinodermen (Berl. 1846-54);
Derselbe, Über den Bau der Echinodermen (das. 1853);
Metschnikof, Studien über die Entwickelung der Echinodermen und Nemertinen (Petersb. 1869);
Ludwig, Morphologische Studien an Echinodermen (Leipz. 1877-78);
Häckel, Die Kometenformen der Seesterne und der Generationswechsel der Echinodermen (das. 1878).