Durchsuchu
ngsrecht
(Anhalte-,
Besichtigungs-, Untersuchungs-,
Visitationsrecht,
Jus visitationis
, franz.
Droit de visite,
de recherche, engl.
Right of visit, of search), die völkerrechtliche Befugnis kriegführender Mächte, durch ihre
Kriegsschiffe
fremde Privatschiffe anzuhalten, zu besuchen und zu durchsuchen. Der
Zweck dieser Maßregel ist die Feststellung
der
Nationalität der angehaltenen
Schiffe
[* 2] sowie die Ermittelung, ob das betreffende
Schiff
[* 3] sich eines Blockadebruchs schuldig
gemacht habe, oder ob es feindliche
Mannschaft oder
Kriegskonterbande mit sich führe.
Das Durchsuchu
ngsrecht richtet sich wesentlich gegen die
Schiffe neutraler Mächte, da diejenigen der feindlichen Macht
selbst von dem Gegner weggenommen werden können, weil das Privateigentum zur
See von den kriegführenden Mächten wechselseitig
nicht respektiert wird. Auch neutralen
Kriegsschiffen gegenüber ist die Anwendung des Durchsuchu
ngsrechts ausgeschlossen,
desgleichen solchen neutralen
Handelsschiffen gegenüber, welche unter dem
Geleit
(Konvoi) von
Kriegsschiffen ihres Heimatstaats
segeln. Es ist jedoch in diesem
Fall notwendig, daß das Konvoischiff legitimiert und
vor der Abfahrt inspiziert
ist, auch von Anfang an dauernd mitsegelt.
Das Durchsuchu
ngsrecht richtet sich nach den hierüber vorhandenen
Verträgen und
Instruktionen, namentlich aber nach den Prisenreglements
der einzelnen Seestaaten (z. B. preußisches Prisenreglement vom österreichische
Verordnungen vom 3. März und und dänisches Prisenreglement vom Prisenkonventionen
von
Österreich
[* 4] und
Preußen
[* 5] vom von
Frankreich und
Großbritannien
[* 6] vom etc.). Das in
Turin
[* 7] 1882 durch das
Institut de droit international beschlossene
Règlement international des prises maritimes, welches auch
das Durchsuchu
ngsrecht normiert, kann nur wissenschaftliche
Autorität für sich in Anspruch nehmen. Im allgemeinen wird das Durchsuchu
ngsrecht nach folgenden
Grundsätzen ausgeübt: Das
Kriegsschiff, welches ein
Handelsschiff anhalten will, fordert letzteres durch einen blinden
Schuß
(coup de canon de semonce à boulet perdu oder à poudre) zum Halten auf, indem es seine
Flagge aufheißt,
über welcher sich nachts eine
Laterne befindet. Daraufhin muß das anzuhaltende
Schiff seine
Flagge ebenfalls aufziehen und
aufbrassen oder beidrehen, um den Besuch zu erwarten. Das
Kriegsschiff entsendet nunmehr einen
Offizier mit der nötigen
Mannschaft.
Der
Offizier begibt sich mit zwei oder drei Mann an
Bord des angehaltenen
Schiffs, um zunächst die
Schiffspapiere
zu prüfen. Nur wenn besondere
Gründe vorliegen,
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wird von der Visitation zur Durchsuchung des Schiffs übergegangen, weshalb man wohl zwischen Visitationsrecht und Durchsuchu
ngsrecht (im engern
Sinn) unterscheidet. Solche Gründe sind: das Fehlen der Schiffspapiere, Mängel und Fehler derselben, Führung einer falschen
Flagge, Widersetzung bei der Visite der einzelnen Behälter oder überhaupt bei der Visitation u. dgl. Ein
Schiff, welches auf gehörige Aufforderung nicht anhält oder sich der Visitation oder der Untersuchung widersetzt, kann zwangsweise
dazu angehalten werden.
Die Gewaltmaßregeln können bis zur Vernichtung des Schiffs gehen. Bei der Durchsuchung ist die Mitwirkung des Kapitäns des
angehaltenen Schiffs in Anspruch zu nehmen, eigenmächtiges Handeln und willkürliches Verfahren zu vermeiden.
Nicht anerkannt ist dagegen ein Durchsuchu
ngsrecht in Friedenszeiten (sogen. Droit d'enquête du pavillon, engl. Right of approach). Nur zur
Unterdrückung des Sklavenhandels haben sich die Seemächte ein solches Durchsuchungsrecht
gegenseitig zugestanden; die Vereinigten Staaten
[* 9] von Nordamerika
[* 10] anerkennen es nicht einmal zu diesem Zweck. Im übrigen ist das Durchsuchungsrecht
in Friedenszeiten auch
nicht zur Feststellung der Nationalität oder wegen Verdachts der Seeräuberei statuiert.
Eine Erörterung dieser Frage ward seiner Zeit durch das Vorgehen des Kapitäns Werner veranlaßt, welcher als Kapitän des preußischen Kriegsschiffs Friedrich Karl den spanischen Aviso Vigilante vor Cartagena anhielt und wegnahm, ein Verfahren, welches schon um deswillen ein rechtswidriges war, weil Preußen in jenem Fall nicht zu den kriegführenden Mächten gehörte und auch eine Maßregel zur Unterdrückung des Sklavenhandels nicht in Frage stand.
Vgl. außer den Handbüchern des Völkerrechts und des Seerechts: Hautefeuille, Des droits et devoirs des nations neutres (3. Aufl., Par. 1868);
Attlmayr, Elemente des internationalen Seerechts, Bd. 1 (Wien [* 11] 1872);
Geßner, Le [* 12] droit des neutres sur mer (2. Aufl., Berl. 1876);
Lehmann, Die Zufuhr von Kriegskonterbandewaren (Kiel [* 13] 1877);
Tecklenborg, Der Vigilante-Fall (das. 1873).