Dschaina
(vulgär auch Srawak, Srawnik), eine im 1. oder 2. Jahrh. n. Chr. durch Pârçwanâtha vom Buddhismus abgezweigte und von seinem Nachfolger im Lehramt, Wardhamâna oder Mahâwira, über Indien verbreitete Sekte, die sich jedoch später in Litteratur wie Dogma den Brahmanen näherte, um dadurch ihren Verfolgungen zu entgehen. Die Sekte nahm ihren Anfang im südlichen Bihar in Bengalen und verbreitete sich von hier aus über Dschodhpur nach der Westküste (Gudscharat und Malabar); ihr Hauptsitz wurde das südliche Dekhan, wo sie bei den großartigen Felsentempeln thätig wurden, die wir in Ellora und sonst bewundern.
Von der Sekte der Çaiwa später stark verfolgt, sind sie jetzt auf 4-5 Mill. zusammengeschmolzen. Sie haben sich in die zwei Hauptabteilungen der Digambara oder nackten Dschaina, welche sich jedoch nur beim häuslichen Mahl bis auf die Schamgegend entkleiden und sonst bunte Gewänder tragen, und der Swêtambara, welche weiße Gewänder tragen, gespalten, und diese zerfallen wieder in zahlreiche Unterabteilungen. In der Philosophie fassen die Dschaina alle Dinge unter den zwei Kategorien des Vernünftigen (Dschiwa) und Empfindenden (Adschiwa) zusammen.
Dschiwa ist die Seele, welche zwar stets vollkommen ist, aber durch die menschlichen Handlungen gefesselt wird und durch die strenge Befolgung der Vorschriften der Religion wieder befreit werden muß; sie ist das Genießende, Adschiwa dagegen der Gegenstand des Genusses (alles Materielle) und der Fesselung der Seele. Erreicht wird die Befreiung durch die Erkenntnis vom Wesen der Dinge, welche durch strenge Befolgung der Lehrsätze der Religion vermittelt wird. Diese gipfeln in einer geradezu lächerlichen Ängstlichkeit gegen die Tötung irgend eines lebenden Wesens, wovon das Verbot, Fleisch zu essen, die notwendige Folge ist, während sich die Errichtung von Hospitälern für gebrechliche etc. Tiere als eine Verirrung darstellt.
Genau ausgearbeitet sind die Regeln, welche sich auf Überwindung des Dranges der verkörperten Seele zur Beschäftigung mit den sinnlichen Gegenständen beziehen. Lehren des Buddhismus, der Waiçeschika- und Sânkhya-Philosophie (s. Indische Religionen) sind hier zu einem System verschmolzen, das Brahmanen als Mittelspersonen zum Heil nicht notwendig erklärt. Wer Befreiung erreicht hat, erhält in dem im Detail ausgebildeten, den Purâna (s. d.) entlehnten, aber an Übertreibungen noch reichern kosmogonischen System als Dschina (»Heiliger«, woher der Name der Sekte) oder Tîrthankara (als Gott) eine Wohnung im höchsten Teil der Welt. In zahlreichen niedrigern Regionen über der Erde haust die übrige sehr zahlreiche, vielfach abgestufte und höchst phantastisch aufgeputzte Götterwelt.
Die Guten, d. h. die Priester und frommen Männer, sind folgerichtig über die Hörer (Çrâwaka) oder Laien gesetzt; erstere sollen die Regenzeit mit dem Studium und dem Nachdenken über die heiligen Schriften zubringen. Kastenartige Sonderung ist zugelassen. Im Ritual bildet durchaus das brahmanische Zeremoniell die Grundlage, so daß Brahmanen die gottesdienstlichen Verrichtungen im Tempel und im Haus des eines Priesters bei Geburten etc. bedürfenden Dschaina verrichten können.
Eigentümlich sind ihre Feste der 24 Dschinas, von denen wir aber nur den 23. und 24. oder die oben als Gründer und Verbreiter genannten zwei Männer als geschichtliche Personen betrachten dürfen. Die Dschaina haben überaus anregend auf die Bewohner des südlichen Indien, namentlich auf die Drawida (s. d.), eingewirkt. Ihre Litteratur, die sich der brahmanischen anschließt, ist sehr reichhaltig und meist in den Volkssprachen der Drawida geschrieben; ein großer Teil der kanaresischen Litteratur ist ihr Werk. Der »Tschintamani«, das beste tamulische Gedicht, hat einen Dschaina zum Verfasser.
Vgl. Lassen, Indische Altertumskunde, Bd. 4, S. 755 ff. (Leipz. 1861);
Garret, Classical dictionary of the mythology etc. of India (Madras 1871);
Wurm, Geschichte der indischen Religion (Bas. 1874);
Milloué, Essai sur la religion des Jains (Par. 1884).