Drusen
,
[* 1] Völkerschaft des Libanon, von dem sie vorzugsweise den
Süden, wie die
Maroniten (s. d.) den Norden
[* 2] einnehmen.
Die ungefähre Grenzlinie des beiderseitigen Gebietes wird durch die
Straße von
Beirut nach Damaskus gebildet;
südwärts und ostwärts überschreitet das drusische Gebiet den Nahr el-Litani (Leontes) und dehnt sich über die Hochthäler
des
Antilibanon und
Großen Hermon aus. Ein anderer Drusen
stamm wohnt im Hauran (s. d.), wohin
im 18. Jahrh. 600 Familien übersiedelten, deren Nachkommen, durch spätere Zuzüge verstärkt,
eine zusammenhängende
Bevölkerung
[* 3] bilden.
Die ganze Nation kann man auf nicht mehr als 83000 Seelen anschlagen; auch füllt sie das bezeichnete Gebiet nicht allein
aus, vielmehr leben die Drusen
in ihren Norddistrikten vorzüglich mit
Maroniten, in den Süddistrikten vielfach mit Griechen
und Melchiten untermischt. Einige
Teile ihres Gebietes gehören zu den bestangebauten
Stellen des Libanon;
sie produzieren, wie die übrigen Bewohner des
Gebirges, hauptsächlich Cocons und
Olivenöl, weniger
Wein,
Tabak
[* 4] und Cerealien.
Jedenfalls ist in der Völkerschaft ein beträchtliches autochthones Element enthalten, das aber, wie so viele andere syr.
Stämme, durch den Einfluß des
Islam und der arab. Einwanderung früh den verwandten arab.
Dialekt annahm. (S.
Nossairier.) Die Sonderstellung der Drusen
unter den
Bevölkerungen
Syriens beruht weniger auf ihrem Ursprunge
als auf ihrer
Verfassung und ihrer
Religion. Die Drusen
sind tapfer, gastfrei, nüchtern, reinlich und fleißig, aber rachsüchtig
und, wo es nationale Interessen gilt, rücksichtslos grausam.
Vielweiberei ist bei ihnen selten. Sie bilden eine Adelsrepublik mit gelegentlich an die
Spitze tretendem
Führer. Die edeln Familien zerfallen in Scheichs und Emirs. In neuern
Zeiten ist noch der türk.
Titel
Beg hinzugekommen, der,
von osman. Machthabern einzelnen hervorragenden Männern erteilt, auf den erblichen Familienrang ohne Einfluß geblieben
ist.
Politisch spalten sich die Drusen
des Libanon in zwei Parteien, die Dschumblatieh unter dem
Hause Dschumblât, und die Jezbekieh unter dem Hause
Abu-Naked; beide befehden sich gelegentlich in
Zeiten äußerer Ruhe,
lassen aber bei
Kriegen die innern Mißhelligkeiten sofort fahren.
Mehrere edle Familien, z.B. die Reßlân, halten sich diesen beiden Adelsverbindungen fern. Die
Religion der Drusen
ist
eine
Geheimlehre, in der mohammed. Gnosticismus mit dem
Christentum entlehnten Ideen und vielleicht sogar Resten syr.
Naturdienstes
vermischt ist. Das
Volk teilt sich ihr gegenüber in Akkal,
Wissende, Eingeweihte, und
Dschahil, Unwissende. Letztere sind der
aller religiösen Erkenntnis ermangelnde große Haufe, erstere bilden einen von Vermögen, Rang und Geschlecht unabhängigen
Orden von
[* 5] verschiedenen
Graden, worin der gemeine
Bauer mit dem vornehmsten Emir gleichberechtigt erscheint.
Eigentliche
Priester haben die Drusen
nicht, wohl aber besondere, der
Andacht gewidmete
Gebäude, Chalweh oder
Klausen genannt,
in denen sich auch Sammlungen ihrer heiligen
Schriften und ihre
Standarten finden, wie zu Baklin im Libanon und zu
Hasbaia und Raschaia im
Antilibanon. Als Religionsgenossenschaft nennen sie sich selbst Muahhidin,
Bekenner der Einheit
Gottes.
Auf den einigen und reinen Gottesbegriff legt ihr
Glaube großes Gewicht. Gott hat sich wiederholt und zuletzt in der
Person
des
Fatimiden-Chalifen Hâkim-biamr-allah in menschlicher Gestalt den Erdbewohnern geoffenbart und ist 1021 n. Chr.,
um den
Glauben seiner
Diener auf die
Probe zu stellen, von der Erde geschwunden; aber er wird seinerzeit
mit Macht und Herrlichkeit wiederkommen, um seinen Getreuen das
Reich der Welt zu verleihen. Jede seiner
Menschwerdungen war
von einer persönlichen Offenbarung seines Erstlingsgeschöpfes, der Allweisheit, begleitet, die zuletzt als Hamsa, der Sohn
Alis, auftrat und in dieser Gestalt den
Menschen die göttlichen Wahrheiten verkündete. Hamsa ist also der eigentliche
Apostel
des Tewhid, der Einheitslehre, wenngleich der
Name der Drusen
wohl von Mohammed ibn Ismail Darasi (gest. 1020) herzuleiten ist.
Von der Allweisheit sind die
Menschen erschaffen worden, und zwar in einer bestimmten Zahl, die weder
der Verringerung noch der
Vermehrung fähig ist, indem die Seelen bei dem Ableben eines Leibes in einen neugeborenen andern
übergehen. Sie befinden sich also stets im Zustande der Wanderung, aber sie können je nach ihrer Liebe zur höchsten
Vollkommenheit
aufsteigen, und umgekehrt zur tiefsten Entartung niedersinken.
Geschichte. Zur Zeit der Kreuzzüge, wo die verwandte Sekte der Ismâ'iliden (s.
Assassinen) eine so große Rolle spielte, scheinen die Drusen
noch höchst unbedeutend gewesen zu sein. Nach eigenen
Nachrichten hatten sie damals längst erbliche Häuptlinge, und zwar zunächst aus dem edeln Hause der Tanuch, dem um die
Zeit des Mamluken-Sultans Kalaun (1280) das der Maan folgte. Diese, von dem
Chalifen
Abú-Bekr abstammend,
wurden nachmals von den
Türken als tributäre Fürsten des
Gebirges anerkannt, gelangten im Anfang des 17. Jahrh. mit Fachr-ed-Din
zu großem Ansehen und regierten bis zu ihrem Aussterben im 18. Jahrh.
Ihre Würde ging auf die ihnen verwandten
Schehâb über, die dieselbe ungefähr 130 Jahre lang bewahrten, bis der berühmteste
Dynast des Geschlechts, der Emir Beschir,
ihrer als ägypt. Parteigänger bei der Wiedereroberung
Syriens durch die
Pforte 1740 verlustig ging.
Durch den Übertritt Beschirs zum maronitischen Christentum war inzwischen diese Sekte so gehoben worden, daß sie einer bloß drusischen Verwaltung nicht mehr unterstellt werden konnte, und nach blutigen Bürgerkriegen unter beiden verwandten Völkerschaften gab die Pforte auf Antrieb der Großmächte einer jeden eine besondere Regierung unter einem einheimischen Kaimâkam (Statthalter). Gleichwohl erneuerten sich die Kriege, und nach der Niedermetzelung maronitischer Christen ¶
mehr
durch die Drusen
, Sommer 1860, sah sich die Pforte veranlaßt, das einheitliche Regiment des Gebirges unter einem christlichen,
aber nicht dem einheimischen Adel entnommenen Chef mit dem Titel Pascha herzustellen. Zugleich wurden Maßregeln getroffen,
die feudalen Bande in der Nation, auf denen ihr Übergewicht im Kriege beruhte, zu brechen und den Adel
seines Einflusses zu berauben. -
Vgl. Silvestre de Sacy, Exposé de la religion des Druses (2 Bde., Par. 1838);
Wildenbruch, Ein Blick auf den Libanon (Berl. 1860);
Petermann, Reisen im Orient, Bd. 1 (2. Aufl., Lpz. 1865);
Guys, La nation druse" (Par. 1864);
Lord Caernarvon, The Druses of the Lebanon (Lond. 1869).
Am ausführlichsten behandelte Churchill die Drusen
in «Residence at Mount Lebanon» (4 Bde., Lond.
1855-62).