Drawida
,
die nach einem Sanskritausdruck in die
Wissenschaft übergegangene Bezeichnung für eine in
Belutschistan,
im nördlichen und südlichen
Indien, dem sogen.
Dekhan samt den gebirgigen Teilen des Innern sowie in
Ceylon
[* 2] wohnenden Völkerrasse,
welche vom ethnologischen Standpunkt in drei voneinander grundverschiedene
Stämme zerfällt: den
Munda- oder Windhyastamm,
den Drawidastamm
im engern
Sinn und die
Singhalesen. Zu den erstern gehören mehrere unkultivierte Gebirgsstämme des
Hochlandes
von Tschota
Nagpur, südwestlich von
Kalkutta,
[* 3] die im allgemeinen mit dem
Namen
Kol (Kolh) bezeichnet werden, welche wieder in
zahlreiche
Stämme zerfallen, von denen die meisten noch ihre eigne
Sprache
[* 4] sprechen.
Der eigentliche Drawidastamm
zerfällt in zehn sprachlich geschiedene Abteilungen. Die Urbevölkerung von
Ceylon, als deren
ziemlich unvermischte Überreste die
Wedda gelten können, gehört entschieden der Drawida
rasse an. Am
reinsten erscheint der Drawida
typus bei dem Hirtenstamm der
Toda in den
Nilgiri, großen, muskulösen Gestalten mit Römernasen,
schönen
Augen und üppigem, schwarzem, gelocktem
Haar.
[* 5] Dagegen sind andre
Stämme weit weniger gut gebildet, die
Wedda klein,
die
Gond und
Kol haben dicke
Lippen, alle sind von dunkler, oft beinahe schwarzer Hautfarbe.
Ein Zug,
der alle
Stämme charakterisiert, ist die freie
Stellung des
Weibes zum Mann; die
Sitten sind nur bei den kulturlosen
Stämmen
(Munda und in den
Nilgiri) die alten geblieben. Die
Sprachen der drei großen Abteilungen zeigen keine genealogische
Verwandtschaft
miteinander. Die der Drawida
im engern
Sinn haben zwar im Wortschatz manches aus dem
Sanskrit entlehnt, aber
ihr grammatischer
Bau ist durchaus eigenartig.
Fünf derselben sind Schriftsprachen mit besondern, aber durchweg aus der Sanskritschrift
abgeleiteten
Alphabeten und besitzen eine mehr oder weniger alte Litteratur, die freilich meist aus
Übertragungen aus dem
Sanskrit besteht, nämlich: Telugu oder
Telinga (1881: 17,000,350
Menschen) an der Koromandelküste bis weit am
Meerbusen von
Bengalen hinauf und im Innern in
Haidarabad und einem Teil von
Maissur;
südlich davon, wenige Meilen nordwärts von Madras [* 6] angefangen, bis zur Südspitze Indiens das Tamil (13,068,279 Menschen, die bedeutendste Litteratur), das auch in der nördlichen Hälfte der Insel Ceylon herrscht und dort das einheimische Singhalesisch verdrängt hat;
nordwestlich davon, einen schmalen Saum an der Küste Malabar einnehmend, das Malayalam oder Malayalma (4,847,681 Menschen);
nördlich davon in und um Mangalur das Tulu (446,011 Menschen);
östlich und nördlich von den beiden vorigen, in Kanara und dem größten Teil von Maissur das Kanaresische (8,336,008 Menschen).
Außer diesen
Sprachen, die im ganzen von
ca. 43½ Mill.
Menschen gesprochen
werden, gehören zum Drawidastamm
noch die
Sprachen einer
Reihe unzivilisierter
Stämme, wie der
Toda, Badaga und Kota in den
Nilgiri, der Kurgi oder Kodagu im
Gebirge von Kurg, der
Uraon im
Gebirge von Tschota
Nagpur, der
Gond im
Windhyagebirge
u. a.; diese
¶
mehr
Sprachen sind jedoch mit dem Fortschreiten der Zivilisation in raschem Zurückweichen begriffen. Auch die Sprache der Brahui
in Belutschistan scheint zu den Drawidas
prachen zu gehören; dagegen ist die Annahme einer Verwandtschaft dieser Sprachen mit
den turanischen Sprachen Nord- und Zentralasiens (Caldwell, Max Müller) durch die neuern Forschungen nicht bestätigt worden.
Nur darin stimmen sie mit letztern Sprachen überein, daß sie zum Ausdruck grammatischer Beziehungen eine unbeschränkte Anzahl
von Suffixen an die Wurzel
[* 8] anhängen können. Sie können aber auch zum gleichen Zweck den Wurzelvokal verändern (so heißt
im Tulu mâlpuvé »ich thue«, mâlpêvé »ich
thue oft«, mâlpâvé »ich lasse thun«).
Vgl. Caldwell, Comparative grammar of the Dravidian family of languages (2. Aufl., Lond. 1876);
Schlagintweit, Geographische Verbreitung der Volkssprachen Ostindiens (Münch. 1875);