Titel
Dranse
oder Drance (La) (Kt. Wallis, Bez. Entremont und Martinach). Früher Drancia, Aqua Drancia. Wilder Gebirgsfluss, linksseitiger Zufluss zur Rhone; von seinem Ursprung am Otemmagletscher (2628 m) bis zur Mündung (457 m; 2,5 km n. Martinach nahe dem Felssporn von Les Folaterres) 45 km lang. Bildet sich aus
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drei bedeutenden Quellarmen die zwar nicht so stark von Gletscherwassern gespeist werden wie die Visp, dafür aber ein ausgedehnteres Netz von Nebenbächen aufweisen. Gesamteinzugsgebiet: 719 km2, wovon ca. 150 auf Gletscher entfallen. Die drei Quellarme der Dranse sind:
1. Die Dranse de Bagnes,
vom Otemmagletscher bis Sembrancher 30 km lang; Einzugsgebiet 296 km2. Entspringt am S.-Fuss der Pointe d'Otemma der Zunge des grossen Otemmagletschers, umfliesst dessen Stirnmoräne, nimmt die Schmelzwasser des Glacier de Fenêtre auf und wendet sich durch eine tiefe, zwischen den Alpweidenterrassen von Chanrion und Grande Chermontane eingeschnittene Schlucht nach NW. Früher lagerten über diesem engen Abflusskanal die Eismassen des von links herabkommenden Glacier du Mont Durand, die sich an dem gegenüberliegenden Felsabfall der Alpe Chanrion stauten und den Bach mit ihrem Eisgewölbe überdeckten.
Dieses Gewölbe, das 1894 die Gewalt des aus dem Gletschersee von Crête Sèche ausgebrochenen Wasserstromes noch zu hemmen vermochte, wurde beim neuen Ausbruch desselben Stausees 1898 von der Gewalt der Strömung weggerissen. Kurz nach ihrem Austritt aus diesem Engpass empfängt die Dranse von rechts die beträchtlichen Wassermengen der «diure» des Breneys, die die Schmelzbäche der an den Hängen der Ruinette, des Mont Blanc de Seilon, der Serpentine und des Pigne d'Arolla liegenden Gletschergebiete sammelt.
Von da an fliessen der Dranse auf eine Strecke von 6 km eine Menge von kleinen Wasseradern zu, die in Kaskaden dem Zessettagletscher, den Seen von Tzofferay und den umgrünten Hochnischen des Giétroz und der Liaz entspringen. Bald verengt sich das Thal der abwechselnd durch sanftgeneigte Terrassenflächen fliessenden und in Klusen über Thalstufen sich stürzenden Dranse plötzlich zur Schlucht von Mauvoisin, die zwischen den S.-Grat des Mont Pleureur und den Felssporn der Pierre à Vire eingeschnitten ist und über der im O., 650 m höher oben, drohend der berüchtigte Giétrozgletscher hängt, dessen Schmelzwasser sich in prachtvollem Fall zu Thal stürzen.
Oft auch lösen sich von ihm gewaltige Eismassen los, die im Fallen zersplittern, nach allen Seiten hinausgeschleudert werden und über dem Ufer der Dranse einen mächtigen Kegel von Firn- und Eistrümmern anhäufen, der beständig gegen den Fluss zu fortschreitet und schon zu verschiedenen Malen die Ursache von schrecklichen Katastrophen geworden ist (vergl. später beim Abschnitt Geschichtliches). Ueber diese wilde Schlucht zwischen dem Mont Pleureur und den das Plateau und Berghotel von Mauvoisin tragenden Felsabstürzen spannt sich seit 1823 der Bogen einer kühn angelegten Brücke.
Nach ihrem Austritt aus dem Engpass durchfliesst die Dranse die steinige und sandige Alpe von Bonatchesse, die Alpen von Brussoney und Fionnay, biegt um den ihr mitten im Wege stehenden Sockel der Tête de Fionnay herum, stürzt sich donnernd und ihren Wasserschaum bis zu den 80 m höher gelegenen Alphütten von Planproz aufspritzend neuerdings durch eine, mit Felsblöcken vollgestopfte, Schlucht und nimmt nachher gegenüber den Hütten von Les Granges Neuves von links ihren beträchtlichsten Nebenarm, die «diure» de Corbassière auf, die dem zwischen den Felskämmen von Les Otanes und Les Avolions auf die Côte du Revers austretenden Corbassièregletscher entspringt.
Zwischen steil ansteigenden Waldungen und den von den Lawinen des Bec des Roxes aufgehäuften Schuttwällen hat sich die Dranse wiederum einen schmalen Durchpass graben müssen, um als brausender Strom auf den Thalboden von Lourtier auszutreten, dem sie schon oft zu einem Gegenstand des Schreckens geworden ist. Nach einem kurzen Stück stürmischen Laufes über eine neue Thalstufe tritt die Dranse bei Champsec auf ihren untersten und zugleich weitesten Thalboden aus und bespühlt mit ihren rasch dahin eilenden Wassern dessen mit saftigen Wiesen, zahlreichen Obstbäumen, ergibigen Feldern und blühenden Dörfern bestandene Hänge, kleinen Anschwemmungsebenen und Sandbänke («glariers»). 2 km ö. Sembrancher nimmt sie von rechts den oft trocken liegenden Wildbach Merdenson, dessen weiter Erosionszirkus und mächtiger Schuttkegel genügend von seiner tückischen Gefährlichkeit zeugen, und 500 m ö. der Brücke von Sembrancher von links die von S. herkommende Dranse d'Entremont auf. Die Bewohner von Vollège, die seit undenklichen Zeiten unterhalb des Dorfes Montagnier von der Dranse
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de Bagnes eine Wasserleitung abgezweigt haben, sind seit einigen Jahren auf den Gedanken verfallen, mittels eines oberhalb der Einmündung des Merdenson eingerichteten Turbinenwerkes die regelmässige Bewässerung des grössten Teiles ihrer Felder und Wiesen zu sichern. Ferner ist ein Konsortium aus Martinach schon seit fünf Jahren im Besitz einer Konzession zur Wasserentnahme aus der Dranse zu industriellen Zwecken bei den Hütten von Les Granges Neuves.
2. Die Dranse d'Entremont,
bis zur Einmündung der Dranse de Ferret 19 und von da (Som la Proz) bis Sembrancher 6, d. h. im Ganzen 25 km lang; Einzugsgebiet 302 km2. Entsteht in ca. 2100 m 1,5 km n. unter, dem Hospiz auf dem Grossen St. Bernhard aus der Vereinigung von mehreren kleinen, von den Hängen des Mont Mort und der Pointe de Barasson herabkommenden Wildbächen, nimmt nach ihrem Austritt aus dem engen und öden Thälchen von L'Hospitalet von links als ersten nennenswerten Nebenarm den Abfluss der am Fusse der Monts Telliers gelegenen Seen auf und mündet durch den Pas de Marengo auf die Ebene von Proz (Cantine) aus, wo ihr von links der Wildbach Les Planards, von rechts mehrere kleine Wasseradern aus dem Thälchen von Menouve und die von den untern Hängen des Mont Vélan herkommenden Wildbäche Perche und Le Pieudet zukommen.
Unterhalb der Ortschaft Bourg Saint Pierre hat sich die rasch dahineilende Dranse ein enges und tiefes Bett geschaffen und nimmt hier von rechts den durch eine wilde Felsschlucht ausmündenden und ihr Wasservolumen verdoppelnden, unbändigen Wildbach von Valsorey auf. Zwischen Alpweiden und steilen Waldungen rechts und stufenförmig übereinanderliegenden, mit ergibigen Feldern bestandenen und von den Wildbächen La Croix, Allèves und Palazuit durchsägten Terrassen links rauscht die Dranse in immer tiefer werdendem Tobel weiter, fliesst unterhalb der fruchtbaren schiefen Terrasse von Liddes durch einen kleinen ebenen Thalboden, in dem behaglich der Weiler Dranse ruht, und empfängt von rechts den Wildbach Arron, von links den ca. 10 km langen, bedeutenden Abfluss der Combe de Lâ.
Schon vom Wildbach Allèves an ist die bisanhin streng nördliche Richtung des Flusslaufes allmählig in eine nw. übergegangen, die sich vom Dorf Fontaine an noch verschärft. Nach dem Austritt aus einer bewaldeten Schlucht, in der sie dem Auge beinahe entschwunden, nimmt die Dranse d'Entremont in den Wiesengründen von Orsières in 900 m Höhe die ihr an Wasserführung gleichkommende Dranse de Ferret auf, biegt wieder in n. Richtung ab, durchfliesst den grossen Flecken Orsières und seine weitausgedehnten Baumgärten, schneidet sich in engem, tannen- und erlenumrahmten Pass, auf den zahlreiche mitten in fruchtbaren Feldern gelegene Weiler herabschauen, zwischen dem Catogne und dem Six Blanc durch, tritt 5,5 km n. Orsières in die Ebene von Sembrancher aus und vereinigt sich in 714 m Höhe mit der Dranse de Bagnes, deren W.-Richtung ihr Wasser von da an folgt. Auf dieser letzten Strecke ihre Laufes vor der Mündung liegt der Spiegel der Dranse d'Entremont in gleicher Höhe wie die von ihr durchflossenen Wiesen, ohne dass ihr Wasser austreten könnte, da die spornartig in das Flussbett hineingebauten Dämme von mächtigen Protoginblöcken die Macht der Strömung immer wieder brechen.
Nach ihrer Vereinigung schäumen die beiden Dranse auf eine Strecke von 7 km bis Les Valettes über Bergsturzschutt, ohne einen nennenswerten Zufluss aufzunehmen. Unterhalb des eben genannten Dorfes ist das Flussbett durch die Trümmer des im April 1901 vom Mont Chemin herabgekommenen Felssturzes zur Hälfte abgedämmt und das Wasser gestaut worden. Nicht weit von da mündet von links der Durnand ein; dann beschreibt die Dranse einen Halbkreis, tritt von SW. her in die von ihren, die Rhone nach N. abdrängenden Schwemmprodukten mit fruchtbarem Boden überführte Ebene von Martinach aus, wird hier von einem mächtigen, zum Schutze des Fleckens Martinach erbauten Damm begleitet und folgt bis zur Brücke von La Bâtiaz dem Fusse des Mont Ravoir, um dann in gut festgelegtem Bett rasch der Rhone zuzueilen.
3. Die Dranse de Ferret
(19 km lang; Einzugsgebiet 121 km2) entspringt dem kleinen Glacier des Angroniettes, der zwischen dem Grand Golliat und der Pointe de Belle Combe in nö. Richtung von 2567 m zum obersten Abschnitt des Val Ferret absteigt. Unterhalb der Alpweide Le Ban d'Arrey kommt ihr von links als erster Nebenarm der vom Col du Ban d'Arrey abfliessende kleine Bach zu, dann biegt sie rasch nach NW. ab, empfängt unterhalb des Plan de la Chaux von links die Wasser vom Col und von der Tête de Ferret und tritt in die von ihr in die Alpweidenterrasse von La Peulaz eingeschnittene Schlucht, ihren einzigen wirklichen Engpass, ein, um - ganz unähnlich dem stürmischen Mittellauf ihrer beiden Schwestern - nach diesem ersten, 5 km langen Stück ihres Laufes mit ihrer doppelten Umrahmung von alluvialen Alpweiden und sanft zu ihr niedersteigenden Tannenwaldungen beständig auf gleichem Niveau zu fliessen. Unterhalb der Alpweide von Ferret
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münden von links der Merdenson und, 1 km tiefer unten bei Le Clou, eine ganze Reihe von kleinen, dem O.-Hang des Mont Dolent entspringenden Wildbächen. Jetzt zwingen die von links sich vorschiebenden Ausläufer des Mont Blanc Massives die Dranse de Ferret, nach NNO. abzubiegen, indem sie ihr zugleich die wasserreichen Bäche ihrer Gletscher (Glacier de la Neuva, de Planereuse und de Saleinaz; dieser letztere einer der grössten im schweizerischen Anteil am Gebiet des Mont Blanc) und unterhalb der Dörfer Praz de Fort und Issert die «reuse» d'Orny und den Bach des Vallon de Champex zusenden. Beim Weiler Som la Proz endlich biegt die Dranse de Ferret rechts um den Fuss des bewaldeten Felssporns Le Montatuay herum und mündet kurz nachher in die Dranse d'Entremont.
Die Flora der Dransethäler ist eine der reichsten im Wallis, und jedes der drei Thäler weist wieder eine Anzahl von nur ihm zukommenden Arten auf. Vergl. die Art. Bagnes, Entremont, Ferret, sowie Jaccard, P. Distribution de la flore alpine dans le bassin des Dranses im Bull. de la soc. vaud. des sc. nat. Vol. 37, 1901.
Geschichtliches.
Die traurige Berühmtheit, die die Dranse de Bagnes sich durch ihre Verheerungen, besonders bei den Ausbrüchen von 1595 und 1818, erworben hat, veranlasst uns, an dieser Stelle darüber einige genauere Angaben zu machen.
Schon im 5. Jahrhundert sehen wir, dass der Bischof Sylvius sich wegen der Ueberschwemmungen der Dranse genötigt sah, seinen Sitz von Octodurum provisorisch nach Agaunum zu verlegen, und zu Ende des folgenden Jahrhunderts müssen sich seine Nachfolger Agricola und St. Heliodor zur endgiltigen Aufgabe des zu oft den Hochwassern ausgesetzten Octodurum und zur Uebersiedelung nach Sitten entschliessen. Am fegt ein Hochwasser alle Brücken in den Thälern von Bagnes und Entremont weg und setzt den Flecken Martinach unter Wasser.
Die Schilderung der in ihrem ganzen Verlauf wohlbekannten Katastrophe von 1818 mag uns zugleich auch ein Bild von der frühern geben. Der in 600 m Höhe über der Dranse hängende Giétrozgletscher sendet beständig abgebrochene Eismassen zur Gorge de Mauvoisin hinunter, die sich am Fuss der Felswand zu einem wirklichen Eis- und Schuttkegel stauen, die Dranse allmälig bis zum Fuss der Liaz hinüberdrängen und zeitweise auch den ungestörten Abfluss ihrer Wasser hemmen. In kühlen Jahren können diese Eistrümmer quer über das gesamte Flussbett reichen u. hie u. da sogar noch an beiden Ufern in die Höhe branden. So auch 1818. Nach zwei sehr harten Wintern, denen die kühlsten Sommer des Jahrhunderts gefolgt waren, verstopfte der an Masse beträchtlich gewachsene Eiskegel die enge Schlucht der Dranse völlig, hinderte deren Wasser am Abfliessen u. liess einen mächtigen Stausee sich bilden, der mit steigendem Wasserspiegel immer weiter thalaufwärts griff. In einem Zeitraum von 34 Tagen hatte so dieser durch einen riesigen Eisdamm gestaute See eine Länge von 2333 m, eine Breite von 217 m und eine Tiefe von 60 m erreicht.
Und dazu stieg er immer noch. Der von der Walliser Regierung zur möglichsten Milderung der Folgen der sicher vorauszusehenden Katastrophe aufgebotene Ingenieur Venetz liess den obersten Teil der Eisbarre mit einem Stollen durchbrechen, welche Massregel bewirkte, dass am Abend des 14. Juni der Spiegel des Sees um 30 cm, am Morgen des 15. Juni um 3 m und am Morgen des 16. Juni um 9 m gefallen war. Unterhalb der Barre füllten die abfliessenden Wasser das Strombett vollkommen aus, traten aber nirgends über ihre Ufer, so dass man sich bereits der Hoffnung hingab, der See würde sich im Verlauf einiger Tage ohne Katastrophe entleeren. Unglücklicherweise traten aber plötzlich warme Tage ein, die der Eisbarre so stark zusetzten, dass sie am 16. Juni nachmittags um halbvier Uhr dem Druck der ungeheuren Wassermasse erlag und unter furchtbarem Getöse in Stücke ging.
Nun stürzte sich ein in der engen Schlucht von Mauvoisin über 33 m hoher, entfesselter Wasserstrom thalauswärts, der auf seinem Wege 130 Hütten, einen ganzen Wald, ungeheure Steinblöcke und in Champsec mehrere Häuser mit sich riss, die 25 km lange Strecke von Mauvoisin bis Le Châble in 40 Minuten zurücklegte und in weitern 50 Minuten vor Martinach anlangte, wo er sich weit über die Ebene ergoss und bis zur Rhone hin Alles mit Schutt und Trümmern jeglicher Art überstreute. Im Flecken Martinach selbst hatte der Strom alle Häuser bis über das erste Stockwerk hinauf unter Wasser gesetzt.
Obwohl die rechtzeitig gewarnte Bevölkerung des Thales sich an die Gehänge hinauf geflüchtet hatte, verloren doch noch 34 Personen das Leben. Ueber den Stausee selbst und seine Wassermassen spricht sich der von Hans Konrad Escher von der Linth, Prof. Trechsel und Jean de Charpentier 1821 an die Walliser Regierung erstattete Bericht über die Verhältnisse des Bagnethales folgendermassen aus: «Die im Monat May allmählig eintretende Schneeschmelze erhob den Wasserspiegel dieses Sees täglich um beynahe zwey Fuss, so dass die Wassermasse desselben den 14. Juni auf 800000 Kubikklafter (zu tausend Kubikfuss jeder) berechnet werden konnte. Noch hätte der See im Plan Durand bis auf die Höhe
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derjenigen Stelle ansteigen können, wo der neue Getrozgletscher den ... Fuss des ihm gegenüber stehenden Mauvoisin berührte. Dies hätte eine Erhebung des Wasserspiegels von 60 Fuss und eine Vermehrung der Wassermasse des Sees um wenigstens 900000 Kubikklafter bewirkt u. also die ganze Wassermasse des Sees auf 1700000 Kubikklafter gebracht.» Nach dem Durchbruch des Stollens «vertiefte und erweiterte das durchströmende Seewasser bald den Gletscherstollen so sehr, dass dadurch der Wasserspiegel des aufgedämmten Sees in Zeit von drey Tagen um volle 46 Fuss gesenkt und die Wassermasse desselben um 270000 Kubikklafter vermindert wurde.»
Hätte man den Stollen nicht gegraben und den Stausee auf seine oben angegebene Wassermasse ansteigen lassen, so wäre durch den Ausbruch des Sees das ganze ebene Unter Wallis mitsamt dem in der Rhoneebene gelegenen Gebiet des Waadtländer Bezirkes Aigle unter Wasser gesetzt worden, während so die Rhone unterhalb Martinach nicht über ihre Ufer getreten ist. Die der Richtung ihres Thales entsprechend gegen Fully und Charrat zu sich ergiessenden Wassermengen der Dranse konnten sich in der Ebene frei verteilen und dann gemächlich zur Rhone abfliessen. Seit den 1822-24 vollendeten Verbauungsarbeiten, die eine grössere Anhäufung von Eismassen zu verhindern bestimmt sind, sind die Wasser der Dranse bis heute stets ungehindert abgeflossen.
Die Katastrophe des Jahres 1595 muss unter ähnlichen Umständen vor sich gegangen sein, während ihre Folgen aber noch weit furchtbarere gewesen sind. Zum Zeugnis dessen stellen wir nur folgende zwei, vom Dekan Bridel s. Z. gesammelten zeitgenössischen Urkunden zusammen: 1. Inschrift im Hause des Malers Gay in Martinach, lautend Submersio Burgi Martigniaci et planitiei 4. Junii inundatione aquae Dranciae provenientis e valle Bagnarum loco appellato Mauvoisin (am Ueberschwemmung des Fleckens Martinach und der Ebene durch den Austritt des von der Gegend Mauvoisin im Bagnesthal herabkommenden Flusses Dranse). 2. Kurze aber wertvolle handschriftliche Notiz in den Aufzeichnungen von M. Ignace, eines städtischen Beamten in Martinach und Augenzeugen des Unglückes, lautend 1595, die 25. Maii, maxima inundatio aquarum prorumpentium ex valle Bagnearum; submersio burgi Martigniaci; deletio agrorum pagorumque intra paucas horas.
Periere 70 homines noti, de ignotis non fit mentio; caeteris vero fuga salutem quaerentibus omnis fortuna ablata. Ditissimi pauperrimi facti (Am grosse Ueberschwemmung durch die aus dem Bagnesthal hervorbrechenden Wasser; Unterwassersetzung des Fleckens Martinach; Zerstörung der Felder und Dörfer im Zeitraum von wenigen Stunden. Ohne die Unbekannten, deren keiner Erwähnung getan wird, haben 70 Personen das Leben verloren; die übrigen, die ihr Heil in der Flucht suchen mussten, sind um ihr ganzes Gut gekommen. Die Reichsten sind die Aermsten geworden). ^[Die Differenz in den beiden Daten rührt davon her, dass die neue gregorianische Zeitrechnung erst seit kurzer Zeit eingeführt und noch nicht allgemein gebräuchlich war.]
Die Chroniken erwähnen ausserdem noch eine Ueberschwemmung der Dranse vom An dieser Stelle muss auch darauf hingewiesen werden, dass die Hochwasser der Dranse von Bagnes ihr Thal während der letztvergangenen Jahre mehrfach (Juni 1894, 1898 und 1899) heimgesucht haben. Doch lassen sich diese vom Gletscher von Crête Sèche (nicht vom Giétrozgletscher) ausgegangenen Verheerungen denjenigen der Ausbrüche von 1595 u. 1818 durchaus nicht zur Seite stellen.
[L. Courthion.]