mehr
dem
Tragischen das
Komische und umgekehrt beigemengt. Dabei liegt der Unterschied des spanischen vom englischen Drama
darin, daß
bei beiden das schließliche
Schicksal des Handelnden zwar mit Rücksicht auf dessen That bestimmt, aber in jenem durch eine
außerhalb des Handelnden stehende Macht (im
Lustspiel durch den neckenden
Zufall, im
Trauerspiel durch
die gnädige oder ungnädige
Laune der
Gottheit), in diesem dagegen ausschließlich durch den Handelnden selbst (dessen Selbstverstrickung
in die
Folgen seiner That) herbeigeführt wird.
Die
Höhe des Dramas
in
Spanien
[* 3] bezeichnet nach dessen volkstümlicher Seite hin
Lope de
Vega, nach dessen höfisch-kunstmäßiger
Calderon; jene des Dramas
in
England
Shakespeare. Jenes behält etwas Konventionelles, weil nach katholischer
(überhaupt nach geistlicher)
Vorstellung der natürliche
Gang
[* 4] der
Handlung jederzeit durch ein göttliches
Wunder unterbrochen
werden kann und oft genug wirklich wird; das Drama
Shakespeares dagegen stellt die rein menschliche (weltliche) Auffassung dar,
nach welcher jeder der
Schmied seines
Schicksals ist.
Nach ihm haben durch Ben Jonson und dessen Schule antike und französische Einflüsse auch in England Eingang gefunden. In Frankreich, dem einstigen Sitz des mittelalterlichen Schauspiels, kämpften im Anfang spanische mit antik-klassischen Mustern; letztere, vornehmlich durch den Einfluß der von Richelieu gestifteten Akademie, gewannen die Oberhand, und die französische Tragödie wurde durch Corneille nach den Vorschriften des von ihm selbst mißverstandenen Aristoteles geschaffen.
Die Anlage der Handlung wurde durch die überflüssige Forderung der sogen. »Einheit des Ortes und der Zeit« unnatürlich eingeschränkt, aber die Einheit und Geschlossenheit der Handlung, die übersichtliche Motivierung und die Konzentration der Aufmerksamkeit auf die innern Konflikte des Handelnden in hohem Grad erreicht. Dagegen ward durch den Mangel an sichtbaren Ereignissen die rhetorische Ausschmückung begünstigt, durch das Streben nach Anstand und formeller Gemessenheit nicht selten die Naturwahrheit und Freiheit des Ausdrucks gehemmt.
Corneille,
Racine und
Voltaire in der
Tragödie,
Molière in der
Komödie, welche, dem rationalen
Wesen des
französischen
Geistes entsprechend, hauptsächlich Charaktergemälde ist, bezeichnen die
Blüte
[* 5] des Dramas
in
Frankreich. Die
Philosophie des 18. Jahrh., das
Zeitalter der Rückkehr zur
Natur und der
Aufklärung, brachte auch im französischen Drama
eine
Umwandlung hervor, die sich in der
Erfindung des sogen. bürgerlichen
Trauerspiels durch
Diderot, das die Tragik im
alltäglichen
Leben und in
Prosa behandelte, und des modernen
Sittenbildes durch
Beaumarchais, das die zeitgenössischen Einrichtungen
dem Gelächter oder der Entrüstung preisgab, offenbarte.
Die
Wirkung derselben wurde in
Deutschland
[* 6] sichtbar, das bis dahin unter
Gottscheds
Führung, der den
Hanswurst in
Leipzig,
[* 7] wie
Sonnenfels in
Wien,
[* 8] von der
Bühne verbannte, das klassische Drama
der
Franzosen nachgeahmt hatte.
Lessing, der
Geistesverwandte
Diderots, machte durch seine
Dramaturgie letzterm Einfluß ein Ende, schuf aber selbst ein deutsches Drama
(Trauerspiel
und
Lustspiel) in
Prosa nach dem Vorgang
Diderots. Indem er gleichzeitig auf die Alten und
Shakespeare als
Muster des Dramas
hinwies,
zeigte er dem klassischen Drama
in
Deutschland den Weg, welchen
Goethe (in seinen Jugenddramen mehr an
Shakespeare,
in seiner
Reife mehr an die Alten, in seinem
»Faust« an die
Mysterien des
Mittelalter sich anlehnend) und
vor allen der nationalste
Dramatiker
Deutschlands,
[* 9]
Schiller, einschlug, in welch letzterm die
Versöhnung beider
Gegensätze am weitesten gediehen ist.
Seitdem hat keine
Bereicherung der Geschichte des Dramas
durch neue Originalrichtungen, wohl aber der Litteratur desselben
durch virtuose Belebung vorhandener stattgefunden. Nicht nur haben die deutschen
Romantiker in allen drama
tischen Stilarten
sich versucht, die modernen
Charakteristiker (H. v.
Kleist,
Grabbe,
Hebbel,
Ludwig u. a.) sich insbesondere
Shakespeare zum Vorbild
genommen, sondern auch im französischen Drama
ist, in der
Tragödie durch die
Nachahmung
Shakespeares und
des spanischen
Theaters, in der
Komödie durch die geistreiche, aber frivole Behandlung sozialer
Probleme, ein Umschwung herbeigeführt
worden, der durch die
Namen
Victor
Hugo, A.
Dumas, A. de
Vigny u. a. bezeichnet wird. Im
Konversationsstück ist
Scribe, dank
der gesellschaftlich noch immer tonangebenden
Stellung der
Franzosen, das kosmopolitische
Muster und seine Darstellungsweise
zum
Spiegel,
[* 10] die (weder moralische noch moralisierende, aber im
Sinn der französischen
»Moralisten«) moralistische oder Sittenkomödie
Beaumarchais' durch die drama
tischen
Sittenbilder der A.
Dumas Sohn, E.
Augier, V.
Sardou,
Pailleron u. a. zum lehrreichen Sittenspiegel
der modernen
Gesellschaft geworden.
Bedeutsame Aufschlüsse über das
Wesen des Dramas
geben
Lessings
»Hamburger
Dramaturgie« und
Schillers und
Goethes Briefwechsel.
Vgl. außerdem A. W.
Schlegel, Vorlesungen über drama
tische
Kunst und Litteratur (Heidelb. 1809, 2. Aufl. 1817);
Freytag, Die Technik des Dramas (4. Aufl., Leipz. 1881);
Carriere, Die Kunst im Zusammenhang der Kulturentwickelung (3. Aufl., das. 1877 ff., 5 Bde.);
Klein, Geschichte des Dramas (das. 1865-76, 13 Bde., unvollendet);
Prölß, Geschichte des neuern Dramas (das. 1880-83, 3 Bde.).