Dorf,
ländliche Ortschaft, offener Ort ohne Thor und Mauern, dessen Bewohner Landbau und Viehzucht [* 2] als Hauptgewerbe betreiben oder doch früher betrieben haben. Jene Unterschiede nämlich, welche früher zwischen Stadt und Dorf insofern bestanden, als Handel und Gewerbe fast nur in den Städten betrieben werden konnten, sind mit der Emanzipation des Bauernstandes und mit der Gewerbefreiheit hinweggefallen (s. Bauer). Die Verschiedenheiten in der Beschäftigung der Dorf- und Stadtbewohner, wo sie überhaupt noch vorhanden, sind thatsächlicher, nicht rechtlicher Natur.
Bedeutsam ist noch das den Dörfern zumeist versagte Recht, Märkte abzuhalten. Größern Dorfschaften, welche ebendeshalb Marktflecken genannt werden, ist jedoch das Marktrecht vielfach eingeräumt. Bedeutungsvoll ist dagegen der Unterschied zwischen Stadt und Land in Ansehung der Gemeindeverfassung (s. Gemeinde). Der Bezirk, welchen ein Dorf nebst Feldern, Wiesen, Triften, Gärten, Gewässern, Holzungen etc. in sich begreift, heißt Dorfflur (Dorfmark, Feldmark); die Beschreibungen derselben heißen Flurbücher.
Dorfgericht (Dorfrichter) heißt hier und da der Gemeindevorstand. Die Dörfer haben sich in Deutschland [* 3] früher als die Städte, abgesehen von den von den Römern gegründeten, ausgebildet. Viele Dörfer entstanden aus freien Ansiedelungen, die bei zunehmender Bevölkerung [* 4] sich in kleinere Ansiedelungen zersplitterten, selbständige Gemeinden bildeten, aber das frühere gemeinsame Band [* 5] oder wenigstens gewisse Güter und Rechte festhielten, z. B. Weiden und Waldungen und gemeinschaftliche oberste Leitung gemeinsamer Interessen.
Andre Dörfer entstanden aus alten Oberhöfen, z. B. in Westfalen [* 6] und am Niederrhein, und aus Vereinigungen der Hofgenossen. Sehr viele Dörfer entstanden aber auch dadurch, daß ein Gutsherr Ansiedelungen (villae) anlegte. Alle, welche unter der Botmäßigkeit des Herrn der Villa standen, begaben sich unter ein Hofrecht, das der Herr der Villa für alle gemeinschaftlich aufstellte, und mußten dem Villicus, einem von diesem Herrn eingesetzten Beamten, gehorchen.
Daraus bildeten sich im Verlauf der Zeit Gemeindeverfassungen. Noch jetzt finden sich da, wo viele Villae waren, mit »Weiler« zusammengesetzte Ortsnamen, z. B. Buchsweiler, Gleisweiler, Eschweiler [* 7] etc., und namentlich im Elsaß, im badischen Oberland und in der Schweiz [* 8] haben sich in solchen von dem Nexus der Villa umschlossenen Ortschaften, zum Teil nach Urkunden aus dem 10. und 11. Jahrh., von der alten Gemeindeverfassung noch gewisse Hofrechte (Hofrodel) erhalten.
Endlich entstanden auch viele Dörfer bloß unter Bewilligung des Gutsherrn, der ihnen dann Schultheißen setzte, bisweilen ihnen wohl auch die Schultheißenwahl überließ. Die Entwickelung einer freiern Gemeindeverfassung stieß infolge dieses Verhältnisses auf viele Hindernisse. War ein Dorf aus alten Villis hervorgegangen, so standen dem vom Gutsherrn gewählten Schultheißen nur die Dorfschöffen als von der Gemeinde Gewählte bei den Beratungen zur Seite, und wo dies nicht infolge des Ursprungs der Fall war, waren die Dörfer in Zeiten ¶
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der Gefahr unter die Vogtei eines Schutzherrn gekommen, der das Verhältnis bald in eine sogen. Gemeindeherrschaft umzuwandeln wußte, aus der sich eine wahre Gerichtsbarkeit über das Dorf von selbst entwickelte. So kam es denn, daß die Dörfer endlich sämtlich als auf dem Gnadenweg entstanden behandelt wurden, was beim Gang [* 10] der Dinge in Deutschland nach dem Dreißigjährigen Krieg sich kaum anders erwarten ließ; denn da einmal der Zentralisationsgeist gegen alles Gemeindeleben ankämpfte und auch die mächtigsten Städte sich der Obervormundschaft des Staats fügen mußten, so traf dies die Dorfgemeinden am härtesten. Erst in diesem Jahrhundert ist durch eine liberale Gemeindegesetzgebung eine selbständigere Stellung der Dorfgemeinden herbeigeführt worden (s. Gemeinde).