Dor
(Bongo), ein Negervolk in Innerafrika zwischen den Zuflüssen des Dembo im NW. und des Dschur im SO. (6-8° nördl. Br.), ein Gebiet von mehr als zwei Breitengraden und zwei Längengraden, etwa 300,000 qkm (550 QM.) bewohnend, im N. von den Dinka, im O. von den Mittu, im S. von den Niam-Niam begrenzt. Das Land hat eine mannigfaltige physische Gliederung, ist von sanften Hügelrücken oder Graniterhebungen durchbrochen, von ansehnlichen Nebenflüssen des Bahr el Gazal durchzogen und zeigt einen großen pflanzlichen Reichtum. Dennoch ist dasselbe sehr schwach bewohnt, nach Schweinfurth von nur 100,000 dem Untergang geweihten Menschen, die in ihrer erdig-rotbraunen Hautfarbe der »roten Erde« entsprechen, auf welcher sie sich entwickelt haben. Hierin schließen sie sich an ihre Nachbarn, die Mittu, Niam-Niam und Kredsch, an, unterscheiden sich aber sehr scharf von den nördlichern Völkern. Auch sind sie von nur mittlerer Größe, von gedrungenem Bau und geringerer Schädellänge. Das wollige Haar ist kurz und läßt sich nicht, wie bei den Niam-Niam, in Flechten ordnen; der Bartwuchs ist sehr schwach. Die Züge sind breit, die Lippen wulstig. Bei den Weibern, welche eine unangenehme Wohlbeleibtheit erlangen, ist Steatopygie eine gewöhnliche Erscheinung. Die Dor treiben vornehmlich Ackerbau. Man baut Durra, Dochn, Mais, Mungobohnen, Erderbsen und Erdnüsse, Yams, den einheimischen Tabak, Kürbisse von enormer Größe u. a. Die einzigen Haustiere sind Ziegen mit aufrechter Mähne, rötlichgelbe Hunde und Hühner. Nebenbei werden Jagd und Fischfang betrieben. Die erstere erstreckt sich auf allerlei kleines Getier: Mäuse, Schlangen, Kerfe, da die Dor durchaus nicht wählerisch sind und selbst die verwesenden Reste von Löwenmahlzeiten nicht verschmähen. Ein religiöser Kultus ist nicht vorhanden, und für Gottheit fehlt ihrer Sprache ein selbständiger Begriff; dieselbe Bezeichnung, »Loma«, dient für Glück und Unglück, für Schicksal und das höchste Wesen. Böse Geister, die im Dunkel der Wälder hausen, spielen bei ihnen eine große Rolle; durch den Besitz gewisser Wurzeln tritt man mit ihnen in Verbindung. Weitverbreitet ist der Hexenglaube, und Hexenprozesse sind an der Tagesordnung. Die Heiraten finden bei den Dor erst im mannbaren Alter statt, und der Mann kauft alsdann seine Frau für Eisenplatten von deren Vater; mehr als drei Weiber sind nicht üblich. Die größern Kinder leben aus Sittlichkeitsgründen in Strohhütten getrennt von den Eltern, doch sind die Mahlzeiten gemeinsam. Seltsam sind die Begräbnisse, bei denen der Leichnam in hockender Stellung, in eine Haut eingenäht, in einer unterirdischen Nische beigesetzt wird, die Männer mit dem Gesicht nach N., die Frauen nach S. gewandt. Auf das Grab pflanzt man hölzerne Votivpfähle, deren Äste in Form langer Hörner zugespitzt sind. Die Industrie beschränkt sich auf das Herstellen von Holzschnitzwaren und Thongeräten, namentlich aber auf die Fabrikation ganz vorzüglicher Eisenwaren und guter Waffen (Lanzen, Pfeile und Bogen). Die Dor brechen die untern Schneidezähne aus, kennen aber die Beschneidung nicht; die Männer tragen ein Schurzfell um die Hüften, die Frauen Zweige oder Grasbüschel vor der Scham und zum Schmuck, einem Roßschweif gleich, die Fasern der Sanseviera als Schwanz. Auch führen sie Holzzapfen in der Unterlippe und tättowieren den Oberarm. Die Sklavenhändler aus Chartum, welche das Bongoland 1856 zum erstenmal betraten, haben zahlreiche Seriben im Land errichtet, das sie unter sich teilten. Sie saugen es aus und entvölkern es völlig, so daß in nicht langer Zeit dieser begabte, bildungsfähige Stamm ausgestorben sein wird. S. Karte »Innerafrika«. Vgl. Schweinfurth, Im Herzen von Afrika, S. 94 ff. (Leipz. 1878).