Doppelsterne
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Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Doppelsterne,
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Doppelsterne,
s. Fixsterne ^[= (Stellae fixae, "festgeheftete Sterne", hierzu die Karte "Fixsterne des nördlichen ...] (Bd. 17).
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Doppelsterne,
Verbindungen von zwei oder mehrern dicht beieinander stehenden Sternen. Während das
bloße Auge
[* 4] am Himmel
[* 5] nur einige wenige Sterne dicht beieinander erblickt, zeigt sich bei Anwendung des Fernrohrs, daß derartige
Sternkombinationen in großer Zahl am Himmel vorhanden sind. Als eigentliche Doppelsterne
bezeichnet der Astronom
indessen nur diejenigen Sternpaare, deren Distanz höchstens 32" beträgt. Man unterscheidet optische oder scheinbare
und physische oder wirkliche Doppelsterne.
Bei erstern stehen die beiden den Doppelstern bildenden Sterne, die Komponenten, in keinem
nähern Zusammenhang miteinander und sind sich nicht räumlich benachbart: wir sehen sie nur scheinbar nebeneinander, weil
sie fast auf derselben Gesichtslinie hintereinander stehen, in Wirklichkeit sind sie durch unermeßliche Räume voneinander
getrennt.
Die wirklichen Doppelsterne
hingegen sind sich auch räumlich benachbart und physisch miteinander verbunden. Ihr gegenseitiger
Abstand ist derartig, daß sie miteinander ein System bilden und sich umeinander oder vielmehr beide um einen gemeinsamen
Schwerpunkt
[* 6] in geschlossenen, mehr oder weniger elliptischen Bahnen bewegen. Die hellere Komponente nennt man den Haupt- oder
Centralstern, die schwächere den Begleiter. Doppelsterne
von sehr geringem Abstand geben ein vortreffliches Mittel ab, um die Güte
eines Fernrohrs zu prüfen.
Beobachtungen, die sich über mehrere Jahrzehnte erstrecken, haben bei einer großen Zahl von Doppelsterne
mehr
oder weniger große Veränderungen ihrer gegenseitigen Lage, und zwar Drehungen des einen Sterns um den andern
nachgewiesen, die ihre Erklärung nur in einer Bewegung der beiden Komponenten um einen gemeinsamen Schwerpunkt finden können.
Meist ist der Begleiter viel kleiner als der Hauptstern, doch kommt es verhältnismäßig häufig vor, daß beide Komponenten
an Helligkeit fast gleich sind. Gewöhnlich leuchten beide Sterne in einerlei Farbe; viele sind von ungleich
tiefer Farbe, etwa der fünfte Teil aber von ungleicher Farbe. Oft sind die Farben der zusammengehörigen Sterne in der Art verschieden,
daß die eine die Ergänzungsfarbe der andern ist. Hellgelb mit Blau und Gelb oder Rot mit Blau finden sich am häufigsten; seltener
Grün mit Blau.
Die Entdeckung der Doppelsterne
im engern Sinne datiert erst seit Erfindung des Fernrohrs, da auch das
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schärfste Auge zwei Sterne, die näher als 2' aneinander stehen, nicht voneinander zu trennen vermag. Schon Galilei war ihr
Dasein bekannt. Als erster Beobachter von Doppelsterne
muß Ch. Mayer in
Mannheim
[* 8] bezeichnet werden. Doch erst W. Herschel machte in ihrer Erkenntnis bedeutendere Fortschritte. Ursprünglich
von der Absicht ausgehend, die Doppelsterne
nach Galileis Vorschlag zur Bestimmung von Sternparallaxen zu benutzen,
bemerkte er im Laufe seiner Messungen bald, daß das nahe Zusammenstehen zweier Sterne in den meisten Fällen kein zufälliges
sei, sondern daß beide Sterne durch gegenseitige Anziehung miteinander verbunden seien. Die Zahl der von ihm seit 1778 bis
zu seinem Tode beobachteten Doppelsterne
betrug über 800. Herschels Arbeiten wurden von W. Struve in Dorpat
[* 9] fortgesetzt,
der planmäßig den Himmel nach Doppelsterne
durchforschte und die Resultate seiner Arbeit in den «Stellarium duplicium et multiplicium
mensurae micrometricae» (Petersb. 1837) und den «Stellarium
fixarum imprimis duplicium et multiplicium positiones mediae» (ebd. 1852) niederlegte.
Über 3000 Doppelsterne
sind von ihm aufgesucht und gemessen worden. Die Söhne von W. Herschel und W. Struve, J.
Herschel und O. Struve, setzten die Arbeiten ihrer Väter auf diesem Gebiete fort. Ihren Bemühungen und denen einer langen Reihe
neuerer Beobachter verdanken wir die Kenntnis von etwa 10000 Doppelsterne.
In neuester Zeit ist
es namentlich Burnham gelungen, eine große Zahl sehr enger Doppelsterne
aufzufinden. Durch Benutzung des mächtigen Refraktors der Lick-Sternwarte
vermochte er auch bei vielen hellen Sternen, die man unzweifelhaft für einfache hielt, Begleiter nachzuweisen, die nur 0,5"
und noch weniger von ihrem Hauptstern abstehen. Man kann daher annehmen, daß vielleicht der größte
Teil der Fixsterne überhaupt als Doppelsterne
bezeichnet werden muß und daß lediglich die geringe Entfernung ihrer Komponenten ihr
Erkennen als solche verhindert. Verhältnismäßig groß ist auch die Zahl der mehrfachen Sterne; so finden sich z. B. in
Struves Werk 2 fünffache, 9 vierfache und 119 dreifache Sterne angegeben. - W. Herschel stellte 1802 nach
mehr als 20jährigen Beobachtungen die nunmehr fest begründete Ansicht auf, daß die Doppelsterne
zum größten Teil nichts anderes seien
als Sternsysteme, bestehend aus 2 (zuweilen auch mehr) Sternen, die sich in regelmäßigen Bahnen um einen gemeinsamen Schwerpunkt
bewegen.
Wirklich berechnet ist erst eine verhältnismäßig kleine Zahl von Doppelsternbahnen, da das zur Ableitung sicherer Resultate nötige Beobachtungsmaterial erst innerhalb großer Zeiträume zu beschaffen ist. Die Umlaufszeiten der Doppelsterne sind außerordentlich verschieden. Von den uns bekannten Bahnen hat die geringste wahrscheinlich δ Equulei, 7 oder 14 Jahre; meist ist dieselbe aber weit größer und beträgt z. B. für Kastor in den Zwillingen gegen 1000 Jahre.
Die wirkliche Größe ihrer Bahnen ist uns übrigens fast bei allen Doppelsterne unbekannt, da wir ihre Entfernungen von der Erde noch so gut wie gar nicht kennen. Zu den wenigen, wo dies wirklich der Fall ist, gehört α Centauri auf der südl. Halbkugel. Die halbe große Achse seiner Bahn beträgt 27 Erdbahnhalbmesser oder 4000 Mill. Km und die Gesamtmasse seiner beiden Komponenten 0,8 der Sonnenmasse. Einzelne Doppelsterne können uns infolge der Lage ihrer Bahnebene auch zeitweilig als einfache Sterne erscheinen.
Wenn nämlich die Ebene der Bahn eines Doppelsterns durch die Erde geht, so muß uns die Bewegung des Begleiters um seinen Hauptstern als geradlinig erscheinen und dann müssen sich während eines jeden Umlaufes die beiden Sterne zweimal decken. Derartige Doppelsterne sind z. B. ξ im Hercules und γ in der Jungfrau. Es kann auch vorkommen, daß man von den beiden Komponenten eines Doppelsterns überhaupt immer nur die eine sieht, weil nur die eine leuchtend, die andere dunkel ist.
Vorausgesetzt, daß ein derartiger Doppelstern eine Eigenbewegung (s. d.) besitzt, so kann dieselbe nicht geradlinig sein, sondern muß in einer Schlangenlinie vor sich gehen, und diese Form der Eigenbewegung verrät seinen Charakter als Doppelstern. Dieser Fall liegt vor bei Sirius und Procyon. Aus der Form ihrer Eigenbewegung schloß Bessel, daß beide Doppelsterne seien; C. A. F. Peters berechnete für Sirius die Bahn als Doppelstern, und in der That fand 1862 A. Clark den Begleiter als Stern 8. bis 9. Größe auf. Für Procyon, dessen Umlaufszeit nach Auwers 40 Jahre beträgt, ist der Begleiter noch nicht aufgefunden worden, da er jedenfalls weit schwächer als der des Sirius ist.
In allerneuester Zeit hat die Kenntnis der Doppelsterne durch die Spektralanalyse [* 10] eine unerwartete Erweiterung erfahren. Indem man spektroskopisch bei einer Anzahl von hellen Sternen ihre Geschwindigkeit im Visionsradius (s. d.) bestimmte, zeigte sich, daß bei einigen derselben diese Geschwindigkeit nach Größe und Richtung veränderlich ist und zwar derart, daß man notwendigerweise schließen muß, daß diese Sterne sich in mehr oder weniger kreisförmigen Bahnen mit sehr kurzer Umlaufszeit bewegen.
Nach den Gesetzen der Mechanik ist dies nur dann möglich, wenn diese Sterne, die selbst bei Anwendung der stärksten optischen Hilfsmittel als einfache erscheinen, thatsächlich nicht einfache, sondern Systeme von zwei oder mehr Körpern sind, die sich je um ihren gemeinsamen Schwerpunkt bewegen, also Doppelsterne sind. Wir haben es hier mit Doppelsterne von der bisher ganz unbekannt kurzen Umlaufszeit von nur wenigen Tagen zu thun. Von dieser neuen Klasse physischer Doppelsterne sind zu nennen β im Perseus [* 11] oder Algol, β im Fuhrmann und ξ im Großen Bären oder Mizar. Bei Algol ist der Begleiter dunkel und die Ursache seines periodischen Lichtwechsels. Die Erweiterung unserer Kenntnis der Doppelsterne nach dieser Richtung hin verdanken wir Vogel und Pickering. -
Vgl. See, Die Entwicklung der Doppelsternsysteme (Berl. 1893).