Dogmatik
(griech.), die systematische
Darstellung der Dogmen (s.
Dogma). Da die letztern von der
Kirche oder den
Kirchen
formuliert werden, so wird auch jede Dogmatik
einer bestimmten
Kirche angehören. Diese kirchliche Dogmatik
tritt in einer Zeit, in der
die
Kirche das sämtliche Wissensgebiet beherrscht und die Ansprüche des forschenden
Geistes vor den
Interessen
eines ungebrochenen
Glaubens verstummen, als eigentliche
Universalwissenschaft auf. So die
Scholastik im
Mittelalter, ähnlich
auch die lutherische und reformierte
Orthodoxie im 16. und 17. Jahrh. Aufgabe dieser kirchlichen Dogmatik
waren außer
der präzisen
Darstellung des
Lehrbegriffs aus den Bekenntnissen
Beweis und Begründung desselben gegen
Zweifel und
Widersprüche, zugleich auch verstandesmäßige Herleitung der abgeleiteten
Elemente aus den grundlegenden. Lediglich moderne
Formen der Dogmatik
sind dagegen die kritische, welche die kirchlichen Lehrbestimmungen an den
Resultaten der wissenschaftlichen
Welterklärung
oder an dem fortgeschrittenen religiösen
Bewußtsein mißt;
die philosophische, welche die Dogmen vom Standpunkt eines spekulativen Systems zurechtlegt;
die biblische, welche lediglich den religiösen Gehalt der Heiligen Schrift zusammenstellt; ¶
mehr
die komparative oder vergleichende Darstellung der in verschiedenen Kirchen geltenden Lehren. [* 3] Den zu bearbeitenden Stoff ordnete man protestantischerseits entweder nach der ökonomischen Methode, d. h. man teilte denselben nach den Personen der Dreieinigkeit ein, welchem Schema sich das gesamte Material fügen mußte (so besonders die Dogmatiker aus der spekulativen Schule), oder nach der Föderalmethode, d. h. man teilte den Stoff ein nach dem Schema der drei Bündnisse (s. Bundestheologie) oder nach der am häufigsten befolgten Lokalmethode, welche in besondern Artikeln (s. Loci communes) von der Bibel, [* 4] von Gott, vom Menschen, von Christus, von dem Heiligen Geist etc. den Stoff abhandelt.
Hiernach werden die verschiedenen Teile der Dogmatik
besonders bezeichnet als: Bibliologie (Lehre
[* 5] von den heiligen
Urkunden);
Theologie im engern Sinn (Lehre von Gott mit Einschluß der Lehre von den göttlichen Werken), wozu die Lehre von den Engeln (Angelologie und Dämonologie) als Anhang kommt;
Anthropologie (Lehre von der Schöpfung des Menschen, seiner Natur und höhern Würde) mit Einschluß der Ponerologie (Lehre von Sündenfall, Erbsünde und sündigem Verderben);
Soteriologie mit Einschluß der Christologie (Lehre von der Person und dem Werk Christi, aber auch von der Heilsordnung mit Einschluß der Lehre von der Kirche und deren Gnadenmitteln) und Eschatologie (Lehre von den letzten Dingen, dem Tode, der Auferstehung, dem Weltgericht und Weltende).
Erst neuerdings sind, teilweise im Zusammenhang mit der von Schleiermacher und Rothe versuchten
Umwandlung der Dogmatik
in eine lediglich historische Disziplin, welche »von dem Zusammenhang der in einer christlichen Kirchengemeinschaft
zu einer gegebenen Zeit geltenden Lehre« Rechenschaft geben solle, an die Stelle der alten Einteilungsgründe
ganz andre Gesichtspunkte, wie Sünde und Gnade oder Naturordnung, sittliche Weltordnung und Heilsordnung etc., getreten, wie
denn auch der Name Dogmatik
seit Schleiermacher vielfach dem Ausdruck »Glaubenslehre« Platz gemacht hat.
Was aber die von letztgenanntem Theologen datierende moderne Entwickelung der Dogmatik
von dem gesamten veralteten Betrieb derselben
grundsatzmäßig unterscheidet, ist die angestrebte Unterscheidung zwischen dem wirklichen Inhalt des
von religiös-ethischen Interessen geleiteten christlichen Glaubens und jenen lediglich physikalischen und metaphysischen Fragen,
welche die alte Dogmatik
in naiver Weise in die religiösen hinein- und mit denselben zu einem oft recht monströsen mixtum compositum
verarbeitet hatte.
Von einer apriorischen Konstruktion absehend, beruft sich die Dogmatik
seither in ihren bessern Vertretern zunächst
auf die christliche Erfahrung, um auf dem kritisch gesicherten Grunde dieser Thatsache den Inhalt des christlichen Glaubens zur
systematischen Darstellung zu bringen. Die hauptsächlichsten Lehrbücher der protestantischen Dogmatik
sind: Schleiermacher, Der
christliche Glaube nach dem Grundsätzen der evangelischen Kirchen (5. Aufl., Berl. 1861, 2 Bde.);
Nitzsch, System der christlichen Lehre (6. Aufl., Bonn [* 6] 1851);
Twesten, Vorlesungen über die Dogmatik
der evangelisch-lutherischen Kirche
(4. Aufl., Hamb. 1838, 2 Bde.);
Schweizer, Die christliche Glaubenslehre (2. Aufl., Leipz. 1877, 2 Bde.);
Lipsius, Lehrbuch der evangelisch-protestantischen Dogmatik
(2. Aufl., Braunschw.
1879);
Biedermann, Christliche Dogmatik
(2. Aufl., Berl. 1884-85, 2 Bde.).
Vgl. Schwarz, Zur Geschichte der neuern Theologie (4. Aufl., Leipz. 1869);
Gaß, Geschichte der protestantischen Dogmatik
(Berl. 1854-67, 4 Bde.).