Dithmarschen
(Ditmarsen, »deutsche Marschen«),
eine der vier Landschaften des ehemaligen Herzogtums Holstein, zwischen Elbe, Nordsee, Eider und Gieselau, ein Areal von 1375 qkm (25 QM.) mit (1880) 79,486 Einw. Sie muß durch Deiche vor Überschwemmungen geschützt werden und besteht etwa zur Hälfte aus fruchtbarem Marschland, das sich mehr zur Viehzucht [* 2] als zum Ackerbau eignet. Die ehemalige Teilung in das königliche Süder- und das herzogliche Norderdithmarschen besteht administrativ noch fort. Jede der beiden Landschaften bildet gegenwärtig einen Kreis [* 3] der preußischen Provinz Schleswig-Holstein [* 4] mit den Hauptorten Meldorf und Heide.
Die
Bewohner von Dithmarschen
waren ursprünglich sächsischen
Stammes, wurden aber im 12. Jahrh. durch friesische Einwanderer (»Vogdemänner«)
vermehrt, welche der
Bischof von
Bremen
[* 5] in den
Marschen an der
Küste ansiedelte, während die
Sachsen
[* 6] (»Wollersmänner«) die
Geest bewohnten. Dieses sächsisch-friesische
Volk bestand aus
Bauern, welche gegen alles Aristokratische
und Dynastische von jeher einen Widerwillen zeigten. Seit der Einführung des
Christentums zur Zeit
Karls d. Gr.
Standen sie
unter der Schutzherrschaft des
Erzbischofs von
Bremen, welcher
Meldorf zum kirchlichen
Mittelpunkt machte, und wurden von
Vögten
regiert, die der
Bischof aus den angesehensten Geschlechtern wählte.
Das Volk war in eng verbundene, zu gegenseitigem Schutz verpflichtete Familien geteilt, welche streng die alten Sitten und Freiheiten aufrecht erhielten. Mit den Markgrafen und Herzögen von Sachsen hatten sie wiederholte Fehden, z. B. mit Heinrich dem Löwen. [* 7] Gegen das Ende des 12. Jahrh. fielen sie von Bremen ab und begaben sich unter den Schutz des Königs von Dänemark, [* 8] der ihnen eigne Grafen setzte. Da sie aber von König Waldemar II. in ihren Privilegien beeinträchtigt wurden, gingen sie in dem Krieg, welchen derselbe mit den Grafen von Holstein und dem Erzbischof von Bremen führte, in der Schlacht von Bornhövede zu den Deutschen über und entschieden dadurch die Niederlage der Dänen (1227). Von jetzt an bildeten sie wieder eine Art Republik mit altertümlichen Gebräuchen und Rechten unter dem Schutz des Stiftes Bremen, hatten aber von Zeit zu Zeit der Angriffe der Herzöge von Holstein sich zu erwehren, in deren Gebiet sie wiederum häufig Einfälle machten.
In Süder- und Norderdithmarschen eingeteilt, hatten sich vier Gaue (Döffte, Vogteien) gebildet; jeder Gau bestand aus Kirchspielen mit Kirchspielvögten, Schlütern und Schwaren, d. h. Schließern und Geschwornen, welche das Kirchenvermögen zu verwahren und für das Beste des Kirchspiels zu sorgen hatten. Sie bildeten das Schwurgericht, welches sich wöchentlich versammelte; auch der Vogt hatte eine besondere Gerichtsbarkeit. Von ihren Aussprüchen konnte an das ganze Kirchspiel, dann an die Achtundvierziger appelliert werden.
Die Kirchspiele bestanden wieder aus mehreren Dörfern oder Bauernschaften, welche ihre Angelegenheiten unter Ältesten in Versammlungen besorgten, zu denen jeder Mündige Zutritt hatte. Die oberste Landesbehörde und das höchste Gericht bildete das Kollegium der Achtundvierziger zu welchem jede Dofft 12 Mitglieder auf Lebenszeit erwählte, und das im Flecken Heide tagte. Die Landesversammlung bestand aus den Achtundvierzigern, 4 Vögten, 60 Schließern, 300-400 Geschworen aller Kirchspiele und des Magistrats der Flecken Meldorf, Lunden oder Heide.
Die Versammlung wurde auf freiem
Feld oder auf den Marktplätzen der
Städte abgehalten. Den Reichskodex
bildete das dithmarsische Landbuch, 1348 von 48 angelsächsischen
Richtern in angelsächsischer
Sprache
[* 9] entworfen, 1447 abgeändert, 1497 zuerst
gedruckt, 1567 verbessert und 1711 neu aufgelegt. Die
Bande des
Bluts galten für heilig. Die eingebornen, alten
Geschlechter
(Slachten), durch Wappenschilder kennbar, teilten sich in Klüffte oder
Zünfte, welche ein eidlich verbundenes
Ganze bildeten und im
Kampf wie vor
Gericht zusammenstanden. Die
Erziehung der
Jugend trug ein durchaus kriegerisches Gepräge.
Jeder freie Mann ging bewaffnet. Als 1474
Kaiser
Friedrich III. die
Lande
Holstein,
Stormarn und Dithmarschen
zu einem Herzogtum erhob und
damit den König
Christian I. von
Dänemark
¶
mehr
belehnte, erklärten die Dithmarschen
, daß sie dem Erzbistum Bremen unterthan seien, und protestierten beim Papst gegen ein solches
willkürliches Verfahren des Kaisers. Christian I. starb, ehe er etwas gegen die Dithmarschen
unternehmen konnte, 1481. Sein Sohn, König
Johann, erneuerte 1488 seine Ansprüche und zog 1500 mit einem 30,000 Mann starken, meist aus deutschen
Söldnern, der sogen. großen Garde unter dem Junker Slenz, bestehenden Heer gegen sie. Die Dithmarschen
zogen sich zurück, warfen bei
Hemmingstedt eine Schanze auf, wählten einen ihrer Landesältesten, Wolf Isebrand, zum Führer und gelobten, zu siegen oder
zu sterben.
Wirklich gelang es ihnen auch, das feindliche Heer in die Moräste zu locken und, nachdem sie alle Angriffe
auf ihre Schanze zurückgewiesen, durch Öffnung der Schleusen zu vernichten. Die Blüte
[* 11] des schleswig-holsteinischen Adels kam
um, König Johann selbst rettete sich nur durch schnelle Flucht, auch die Danebrogsfahne fiel in die Hände der Dithmarschen.
Es kam nun
ein Friede zwischen Dithmarschen
und Dänemark zu stande, in welchem König Johann auf seine Eroberungspläne verzichtete. 1524 versuchte
Heinrich von Zütphen aus Bremen in Dithmarschen
Luthers Lehre
[* 12] zu verbreiten, wurde aber auf Betrieb der Mönche zu Heide verbrannt.
Dennoch machte die Reformation Fortschritte, und schon 1532 wurde überall die Messe aufgehoben. 1548 erhielt
Herzog Adolf von Holstein von Kaiser Karl V. die Bestätigung des von Friedrich III. seinem Vorfahren Christian I. erteilten Lehnsbriefs
über Dithmarschen
und erklärte nach dem Regierungsantritt Friedrichs II. von Dänemark mit demselben gemeinschaftlich den
Dithmarschen
den Krieg. Mit einem großen Heer zogen die Fürsten gegen sie, umgingen ihre Schanzen, führten sie durch
Scheinangriffe irre und schlugen die einzelnen Haufen der unter sich entzweiten Dithmarschen
zuletzt bei Heide, wo die Tapfersten
unter dem Bauern Rhode des alten Ruhms würdig stritten.
Die Dithmarschen
sahen sich darauf genötigt, sich an Holstein zu ergeben, den König von Dänemark aber als Oberlehnsherrn
anzuerkennen. Die Bedingungen waren jedoch glimpflich; die Dithmarschen
behielten Freiheit der Person und des Eigentums, freie Gemeindeverfassung
und ihr Landrecht sowie Wahl ihrer Beamten. Ihr Land wurde in drei Teile geteilt: den Süderteil nahm der König, den Vorderteil
der Herzog Adolf und den Mittelteil Herzog Johann von Holstein in Besitz. Nach Johanns Tod 1581 bildete Dithmarschen
nur
noch zwei Teile: Norder- und Süderdithmarschen;
1773 fiel auch ersteres an den König von Dänemark.
Von da an teilte das
Land der Dithmarschen
das Schicksal Holsteins.
Beglaubigte Nachrichten und Überlieferungen zur Geschichte Dithmarschens verdanken wir zunächst Johann Adolfi, genannt Neocorus (d. h. Köster, geb. 1559, gest. 1629), dessen in niedersächsischer Sprache geschriebene Chronik des Landes Dithmarschen Dahlmann in der Urschrift mit 23 Abhandlungen (Kiel [* 13] 1827, 2 Bde.) herausgegeben hat.
Vgl. ferner: Michelsen, Urkundenbuch zur Geschichte des Landes Dithmarschen (Altona [* 14] 1834);
Derselbe, Sammlung alt dithmarsischer Rechtsquellen (das. 1842);
Volkmar, Geschichte des Landes Dithmarschen (Braunschw. 1851);
Nitzsch, Das alte Dithmarschen (Kiel 1862);
Kolster, Geschichte Dithmarschens (nach Dahlmanns Vorlesungen, Leipz. 1873, bis 1559 reichend).