Dissidenten
(lat., »Getrennte«),
allgemeiner Name aller polnischen Nichtkatholiken, namentlich der Lutheraner, Reformierten, Griechen und Armenier, mit Ausschluß jedoch der Wiedertäufer, Socinianer und Quäker. In den Akten der Warschauer Konföderation von 1573 waren mit dem Ausdruck Dissidentes in religione beide Hauptreligionsparteien, Katholische und Evangelische, die einander damals Duldung angelobten, bezeichnet; seit dem Konvokationstag von 1632 aber gebrauchte man die Bezeichnung Dissidenten allein für letztere.
Lutheraner, Reformierte und Böhmische Brüder hatten im Vergleich von Sendomir (Consensus Sendomiriensis) 1570 ein gemeinsames Glaubensbekenntnis aufgestellt und bildeten von jetzt an eine auch für politische Zwecke vereinigte Kirche, deren Glieder 1573 und 1660 den Katholiken in bürgerlichen Rechten ganz gleichgesetzt wurden. Nach und nach jedoch wurden ihnen die wesentlichsten ihrer Rechte, so 1717 das Recht, neue Kirchen zu bauen, 1733 das Recht, Staatsämter zu bekleiden, genommen; auch zeigte 1724 das Thorner Blutbad (s. Thorn), daß von der katholischen Partei noch Schlimmeres zu fürchten sei. Als man 1764 den Dissidenten sogar das Recht, Güter zu erwerben, zu entziehen suchte, brachten sie, vornehmlich unterstützt von Rußland, 1766 ihre Klagen auf den Reichstag. Zur nachdrücklichern Empfehlung ihres Gesuchs rückten die Russen 1767 in Polen ein, was 1772 zur ersten Teilung des Reichs führte, worauf allerdings 1775 die Dissidenten alle frühern Freiheiten wiedererlangten, mit Ausnahme des Rechts auf Senator- und Ministerstellen.
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Vgl. Lukasiewicz, Geschichtliche Nachrichten über die Dissidenten in Posen (deutsch, Darmst. 1843);
Koniecki, Geschichte der Reformation in Polen (Bresl. 1872).
Heutzutage bezeichnet man als Dissidenten diejenigen Personen, welche nicht zu der Staatskirche oder doch nicht zu den in einem Staat als vollberechtigt anerkannten Kirchen gehören. Da nun in den einzelnen Staaten nicht dieselben Religionsgemeinschaften als vollberechtigt anerkannt sind, so kann es vorkommen, daß die Angehörigen einer Kirche oder religiösen Sekte in dem einen Territorium als Dissidenten betrachtet werden, während sie in einem andern Staatsgebiet der privilegierten Kirche angehören. In Deutschland nennt man regelmäßig diejenigen Religionsgesellschaften Dissidenten, welche sich von den drei christlichen Hauptkonfessionen, der katholischen, protestantischen und reformierten, losgesagt haben.
Während nämlich der Westfälische Friede nur jenen drei christlichen Konfessionen die volle Religionsfreiheit gesichert hatte, ist durch die deutsche Partikulargesetzgebung, namentlich in Preußen, das Prinzip der Toleranz mehr und mehr zur Geltung gelangt, und so kommt es, daß heutzutage den dissidentischen Religionsgemeinschaften regelmäßig das Recht der freien und öffentlichen Religionsübung zugestanden ist, wenn sie auch die Rechte einer Korporation oder juristischen Person nur durch besondere staatliche Verleihung erlangen können. Für das Deutsche Reich begründet in bürgerlicher u. staatsbürgerlicher Beziehung die Konfession keinen Unterschied der Behandlungsweise mehr, zumal seit Einführung der Zivilstandsregister und der Zivilehe (s. d.).