Diplomatie
(grch.), der Inbegriff der bei dem völkerrechtlichen Verkehr zwischen civilisierten Staaten geltenden Regeln und Grundsätze, Staatsunterhandlungskunst, auch Wesen, Handlungsweise eines Diplomaten, ferner zusammenfassender Begriff für die dieser Staatsaufgabe dienenden Beamten des auswärtigen Dienstes. Der Name ist modern, die Sache ist alt; die diplomat. Formen und die Unverletzlichkeit der diplomat. Personen sind die ältesten und allgemeinsten Spuren des Völkerrechts.
Schon die altorient. Kulturvölker, dann die Griechen und Römer [* 2] haben in der fortgeschrittenen Periode ihrer polit. Entwicklung die Mittel des gegenseitigen Verkehrs zwischen Staaten und Völkern ausgebildet und zu einem gewissen Grade der Vollkommenheit geführt. Auch das Mittelalter hatte seine Diplomatenschule, auf die ein Teil des altröm. Geistes übergegangen schien, in der röm. Kirche, und selbst der Feudalstaat entlehnte seine Meister auf diesem Gebiete dem Kreise [* 3] des Klerus.
Als aus dem Mittelalter mit der Ausbildung der nationalen Staatsidee die staatliche Vielheit und Mannigfaltigkeit hervorwuchs, welche die Grundlage der modernen polit. Ordnung bildet, wurde es auch wichtiger, sowohl über die Zustände und Bewegungen im Innern der verschiedenen Staaten als auch über ihre gegenseitigen Beziehungen in genauer und ununterbrochener Kenntnis zu bleiben. Von Italien [* 4] breitete sich der Geist der neuen staatsmännischen Kunst der Unterhandlung und Vertretung (Venedig) [* 5] aus und gründete seine Schule auf dem ganzen Festlande.
Giebt es einerseits eine Wissenschaft der Diplomatie
, die das
Studium des
Staats- und
Völkerrechts, der Politik,
Statistik und Geschichte
umfaßt, so liegt doch
auf der andern Seite die wesentliche
Bedingung diplomat. Erfolgs in jener Kunst,
seinen Zweck zu erreichen, die man aus bloß wissenschaftlichen
Studien sich nie zu erwerben vermag. Die feine psychol.
Taktik,
die es versteht,
Menschen zu gewinnen und zu leiten, Raschheit und Ausdauer,
Geschmeidigkeit und Zähigkeit werden nicht
erlernt, sondern angeboren und im Leben selbst ansgebildet.
Jene steifen Formen, die prätentiöse Etikette und alle die Kleinlichkeiten des Vorrangs, die so viel Mühe und Kunst der Diplomaten des 17. Jahrh. in Anspruch nahmen, waren für die großen Diplomaten jener Zeit sehr wohlerwogene und sehr geschickt gebrauchte Mittel zum Zwecke. Dieselben wurden nicht erst durch den Wiener Kongreß beseitigt, auch nicht durch die neuen Bestimmungen des Aachener Kongresses über die Gesandtenklassen. Ein freierer Geist des socialen Lebens und das Aufkommen anderer Mittel für dieselben Zwecke hatten sie schon früher entfernt oder doch beschränkt, und namentlich hatte die Zeit Friedrichs Ⅱ. hierbei das meiste gethan.
Die
Aufgabe des
Diplomaten der Gegenwart ist in mancher Hinsicht vereinfacht, insofern die Politik nicht mehr so ausschließlich
wie früher persönliche und höfische Angelegenheiten betrifft, insofern die Öffentlichkeit, die parlamentarischen Institutionen
auf die Bedeutung des diplomat. Verkehrs mächtig eingewirkt haben. Allein auf der andern Seite ist die
Aufgabe der Diplomatie
schwieriger und ernster geworden.
Außer der Kenntnis des
Staatsrechts, der polit.
Lage und Parteien im Innern der Staaten ist eine genaue Einsicht in die wirtschaftlichen und nationalen Interessen unentbehrlich. Der höhere Diplomat muß gegenwärtig mitten im Strome der geistigen Bewegung stehen; er muß die großen Fragen der innern Politik, der Nationalökonomie, des socialen Lebens in ihrer ganzen Bedeutung zu würdigen wissen und beherrschen. Solche Wissenschaft wird aber wieder nicht in der Schule, sondern hauptsächlich in der großen Bewegung des Lebens erworben und geübt.
Einen Teil der völkerrechtlichen Bestimmungen, speciell das Gesandtschaftsrecht mit einigen Notizen über Herkömmliches und einigen Klugheitsregeln hat man in besondern Werken zusammengestellt. Dahin gehören: Wicquefort, L’ambassadeur et ses fonctions (2 Bde., La Haye 1746);
(Graf Garden)
Traité complet de diplomatie
, par un ancien ministre (3 Bde.,
Par. 1833);
Winter,
Système de la diplomatie
(Berl. 1830);
Martens, Le [* 6] Guide diplomatique (5. Aufl., hg. von Geffcken, 2 Bde., Lpz. 1866).
Sammlungen diplomat. Aktenstücke veröffentlichten unter andern die beiden Martens (s. d.). Die Zeitgeschichte behandeln Amyots Archives diplomatiques (Par. seit 1861) und das Staatsarchiv, begr. von Aegidi und Klauhold (Hamb. und Lpz. seit 1861).
Nach deutschem
Rechte erfolgt die Leitung der Diplomatie
verfassungsmäßig durch den
Kaiser (Reichsverfassung
Art. 11), welcher das
Reich völkerrechtlich zu vertreten hat. Für diese Leitung lassen sich der Natur der Sache nach sehr
viel weniger als für andere Verwaltungszweige feste Rechtsregeln aufstellen. Im wesentlichen gilt auch heute noch hierfür
die preuß. Verordnung vom wonach die Erteilung von Instruktionen an die
Diplomatie
dem Monarchen selbst vorbehalten ist. Im übrigen untersteht die deutsche Diplomatie dem
Auswärtigen
Amt (s. d.). Die Diplomatie
zerfällt
nach den völkerrechtlichen Bestimmungen des
Wiener und
Aachener
Kongresses in vier Rangklassen: Botschafter, Gesandte oder
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mehr
bevollmächtigte Minister, Ministerresidenten, Geschäftsträger; dazu kommen die päpstl. Nuntien als besondere und bei
den kath. Höfen vor allen übrigen Diplomaten bevorrechtete Rangklasse. Über die Vorrechte der Diplomatie
s. Exterritorialität.