Dioskūren
(d. h. Söhne des Zeus), der gewöhnliche Name für Kastor und Polydeukes (lat. Castor und Pollux), die Zwillingssöhne der Leda (s. d.). Die Ilias (3,238) nennt sie Geschwister der Helena von einer Mutter, der Leda, die Odyssee (11,299) Söhne des Tyndareos (s. d.) und der Leda; die Homerischen Hymnen bezeichnen sie zwar als Tyndariden (unter welchem Namen sie in Lakonien verehrt wurden), aber, wie Hesiod, Pindar u. a., als Söhne des Zeus. Beiden gehören weiße Rosse, aber schon ein Homerischer Vers unterscheidet den Rossebändiger Kastor und den Faustkämpfer Polydeukes.
Nach Homer verweilen sie zur Zeit des troischen Krieges bereits unter der Erde; aber nach einem Zusatz in der Odyssee (11,303) wurden sie abwechselnd im Lichte des Tages und dem Dunkel der Unterwelt zusammenlebend gedacht. Diese Vorstellung von dem Wechsel ihres Aufenthalts wurde mit der lakonisch-messenischen Sage von dem Kampfe der Dioskuren mit den Aphariden (Idas und Lynkeus) zu folgender Erzählung verbunden: Als über eine von den Dioskuren und den Aphariden gemeinschaftlich geraubte Rinderherde, nach andern wegen der von den Dioskuren den Aphariden geraubten Töchter des Leukippos, der Leukippiden, zwischen den beiden Zwillingspaaren Streit ausbrach, verbargen sich die Dioskuren in einer Eiche, wurden aber von dem luchsäugigen Lynkeus erspäht und Kastor von Idas getötet, während Polydeukes den Lynkeus erlegte und ein Blitzstrahl des Zeus den Idas erschlug. Zeus gewährte darauf den Bitten des unsterblichen Polydeukes, daß beide Brüder je einen Tag im Olymp, den andern in ihrem Grabe zu Therapnä (in Lakonien), nach andern in der Unterwelt zubringen durften. Die Sage berichtet auch von der Teilnahme der am Zug der Argonauten und an der kalydonischen Eberjagd, namentlich aber von ihrem Zuge gegen Theseus, der ihre Schwester Helena geraubt und nach Aphidnä (in Attika) gebracht haben sollte.
Die Verehrung der Dioskuren ist von Lakonien und Messenien ausgegangen; Therapnä, Amyklä und Thalamä sind ihre wichtigsten Stätten; symbolisch wurden sie hier in ältester Zeit durch zwei mit Querhölzern verbundene Balken oder auch später noch durch zwei von Schlangen umwundene Amphoren dargestellt. In Argos wurden sie als Anakes, d. h. Beschirmer, verehrt, unter demselben Namen vor allem in Athen, wo ihr Heiligtum Anakeion hieß. Man feierte sie in Tempel und Familie durch Aufstellung eines Speisetisches und einer Kline (Sofa), auf die man sie zu Gaste lud, weshalb diese Feier Xenia (Gastmahl) genannt wurde (vgl. Deneken, De theoxeniis, Berl. 1881); ihr Hauptfest fiel in die Zeit der Sommersonnenwende.
Man erzählte von ihrem wunderbaren Erscheinen als Helfer in verschiedenen Schlachten, wo sie auf weißen Rossen die Feinde geschreckt haben sollen; aber auch auf die See wurde ihre Wirksamkeit übertragen, vielleicht zuerst von den Ionern, und erzählt, wie sie in Sturmesnot auf Gebet und Opfer plötzlich als Helfer durch den Äther leuchten, wahrscheinlich ein poet. Bild für das sog. Elmsfeuer (s. d.); endlich wurden die Dioskuren als Sterne verehrt, in späterer Zeit als das Zwillingsgestirn oder auch als Morgen- und Abendstern, wodurch die Annahme entstand, daß abwechselnd ein Bruder im Olymp, der andere in der Unterwelt verweile.
Die Dioskuren gehören zu dem ältesten Besitz der griech. Religion und bedeuten als Naturwesen das Licht, doch nicht in seiner Ruhe, sondern in seinem Übergange vom und zum Dunkel. Die Berechtigung, sie mit den Açvins (s. d.) der Veden zusammenzustellen, wird bestritten. Aus den griech. Städten Unteritaliens kam der Kultus der Dioskuren frühzeitig nach Rom;
von der Schlacht am See Regillus (496 v. Chr.) erzählte man, daß sie durch das Erscheinen der Dioskuren entschieden worden sei;
nach diesem Siege wurde ihnen ein Tempel auf dem Forum erbaut;
von dem Neubau des Kaisers Tiberius stammen die noch stehenden Säulen. – In der bildenden Kunst sind die Dioskuren häufiger erst seit der Zeit Alexanders d. Gr. dargestellt;
sie wurden als rüstige Jünglinge, meist mit der Chlamys und dem Pilos (dem spitz zulaufenden Reisehut) gebildet. So erscheinen sie zu Rom in den beiden die Rosse führenden Statuen am Aufgang des Kapitols (ehemals beim Theater des Pompejus) und in den 4 m hohen Kolossen der pferdebändigenden Dioskuren auf dem danach benannten Monte-Cavallo vor dem Quirinal, die einst vor den hier gelegenen Thermen des Konstantin standen.
Gewöhnlich sind beide gleichmäßig gebildet; auf einigen Bildwerken ist der Faustkämpfer Polydeukes von dem Rossebändiger Kastor unterschieden.
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Vereinzelte ältere Darstellungen (z. B. auf Münzen) zeigen die Dioskuren auch zu Pferde sitzend. Über die Darstellung von Polydeukes’ Sieg über Amykos auf der Ficoronischen Ciste s. d. –
Vgl. Albert, Le culte de Castor et Pollux (Par. 1883).