Dimension
,
[* 1] vierte.
Nimmt man als
Element im
Raum nicht den
Punkt, wie es gewöhnlich geschieht, um
die drei Dimensionen
des
Raums,
Länge,
Breite
[* 2] und
Höhe, zu demonstrieren, sondern, was den Mathematikern längst geläufig
ist, eine beliebige
Linie oder
Fläche an, so gelangt man zu wesentlich andern Ergebnissen. Benutzt man z. B. die gerade
Linie als
Element, so erscheint der
Punkt als zusammengesetztes Gebilde, als Schnittpunkt zweier
Geraden.
Die sämtlichen
Geraden einer
Ebene, die durch einen
Punkt gehen, bilden dann eine einfach-unendliche Mannigfaltigkeit.
Nun erhält man aber jedenfalls alle geraden Linien einer Ebene, wenn man von jedem der Punkte einer geraden Linie (in der Ebene) aus alle in der Ebene möglichen Geraden zieht. Da die Punkte einer Geraden eine einfach-unendliche Mannigfaltigkeit bilden, so erscheint die Ebene, als Gesamtheit der in ihr liegenden Geraden betrachtet, zweifach-unendlich mannigfaltig. Um ferner alle Geraden im Raum zu erhalten, genügt es, zwei Ebenen anzunehmen und von jedem Punkte der einen eine gerade Linie nach jedem Punkte der andern zu ziehen. Da nun die Punkte einer Ebene eine zweifach-unendliche Mannigfaltigkeit bilden, so bilden die sämtlichen von einem Punkte der einen Ebene ausgehenden Geraden eine ebensolche Mannigfaltigkeit, und die sämtlichen Geraden im Raum bilden eine (2+2 oder) vierfach-unendliche Mannigfaltigkeit.
Der
Raum, als von geraden
Linien erfüllt gedacht, hat demnach vier Dimensionen.
Ebenso erscheint der
Raum
als sechsfach-unendliche Mannigfaltigkeit, wenn man die Kreislinie als räumliches Elementargebilde betrachtet.
Da man nämlich
in einer
Ebene um jeden
Punkt unendlich viele
Kreise
[* 3] schlagen kann, und da die
Punkte der
Ebene eine zweifache Mannigfaltigkeit
bilden, so erscheint die
Ebene als dreifach-unendliche Mannigfaltigkeit.
Denken wir uns nun alle
Ebenen im
Raum,
die wieder eine dreifache Mannigfaltigkeit bilden, und in jeder alle
Kreise, so erhält man alle im
Raum denkbaren
Kreise, die
hiernach eine (3+3 oder) sechsfach-unendliche Mannigfaltigkeit bilden.
Aus diesen
Beispielen, die man natürlich noch vermehren könnte, ersieht man, daß es nur von der
Wahl des Elementargebildes
abhängt, ob man die
Ebene als eine Mannigfaltigkeit von zwei oder mehr Dimensionen
, den
Raum als eine
solche von drei oder mehr Dimensionen
auffassen will. Jede solche Auffassung ist eine zufällige
Ansicht, die unsre
Vorstellung
über das
Wesen des
Raums nicht ändert.
Nun haben aber einzelne die
Ansicht geäußert, daß der
Raum, im ersten
Sinn aufgefaßt, mehr als drei Dimensionen
besitze, daß also zur
Länge,
Breite und
Höhe in dem uns allen geläufigen
Sinn vielleicht
noch eine
v. Dimension
, hinzukomme, die wir allerdings wegen der Beschränktheit unsers menschlichen
Geistes nicht zu erkennen oder
uns vorzustellen vermögen.
Diese
Vorstellung findet sich schon in dem »Enchiridium metaphysicum«
von
Henry
More (1671), der den Geistern vier Dimensionen
zuschreibt, sodann bei dem protestantischen
Pfarrer Fricker (1729-61),
bei
Kant,
Gauß und neuerdings bei den Physikern
Mach und
Zöllner.
Gauß betrachtete die drei Dimensionen des
Raums als eine spezifische
Eigentümlichkeit der menschlichen
Seele. Wir könnten uns, sagte er, etwa in
Wesen hineindenken, die sich
nur zweier Dimensionen bewußt sind; höher über uns Stehende würden vielleicht in ähnlicher
Weise auf uns herabblicken.
Einem solchen
Wesen, das sich nur zweier Dimensionen bewußt ist, würde manches unmöglich scheinen, was uns, die wir uns
dreier Dimensionen bewußt sind, nicht die mindeste Schwierigkeit macht. In beistehender
[* 1]
Fig. 1 sind
z. B. die gleichnamigen Seiten und
Winkel
[* 4] der drei
Dreiecke I, II und III gleich groß. Die
Dreiecke
mehr
I und II kann man auch leicht zur Deckung bringen, wenn man das eine in der Ebene verschiebt. Bei I und III ist aber durch bloße Verschiebung in der Ebene keine Deckung möglich; ein Wesen, das sich nur zwei Dimensionen vorzustellen vermag, würde es also für unmöglich halten, die beiden Dreiecke überhaupt zur Deckung zu bringen. Nun wissen wir aber, daß dies wohl möglich ist, wenn wir nur das eine Dreieck, [* 6] etwa III, aus der Ebene herausdrehen, indem wir beispielsweise die Seite AB ruhig liegen lassen, die Spitze C aber in die Höhe heben und einen Halbkreis beschreiben lassen, worauf das Dreieck wieder in die Ebene fällt und nun bloß noch gehörig verschoben werden muß. In derselben Verlegenheit wie unsre hypothetischen zweidimensionalen Wesen gegenüber den beiden symmetrischen Dreiecken I und III befinden wir selbst uns angesichts symmetrischer räumlicher Objekte, z. B. der beiden unregelmäßigen symmetrischen Tetraeder der [* 5] Fig. 2: obwohl dieselben in allen Stücken übereinstimmen, können wir sie doch nicht zur Deckung bringen, sowenig wie wir den linken Handschuh an die rechte Hand [* 7] anziehen können.
Könnten wir die Gegenstände aus dem Raum von drei Dimensionen in den von vier Dimensionen bringen, so würde dies nach dem
Zurückbringen in den dreidimensionalen Raum wohl möglich sein. Auch könnte es als Beweis für die reale
Existenz der vierten
Dimension des Raums gelten, wenn irgend eine Operation, die nur im vierdimensionalen Raum ausführbar ist
wirklich ausgeführt würde. In neuerer Zeit sind diese Dinge im Zusammenhang mit dem Spiritismus vielfach besprochen worden.
Zöllner hielt den Beweis für die reale Existenz der vierten
Dimension durch den Amerikaner Slade für
erbracht, während andre die Leistungen Slades in das Gebiet der Taschenspielerei verwiesen.
Vgl. Zöllner, Wissenschaftliche Abhandlungen, Bd. 1-3 (Leipz. 1878-79);
Wundt, Der Spiritismus, eine sogen. wissenschaftliche Frage (das. 1879).