Dikotyledōnen
(Dicotyledōnes, Dikotylen,
zweisamenlappige Pflanzen,
Blattkeimer), eine zuerst von
Jussieu aufgestellte,
den
Gegensatz zu den
Monokotyledonen (s. d.) bildende Abteilung der
Phanerogamen. Der wichtigste und für
die meisten zutreffende
Charakter der Dikotyledonen
besteht darin, daß der in ihren
Samen
[* 2] vorhandene und beim Aufkeimen hervortretende
Keimling mit zwei einander entgegengesetzten
Samenlappen
(Kotyledonen) versehen ist, während bei sämtlichen
Monokotyledonen,
soweit sie einen vollkommen ausgebildeten
Keimling besitzen, nur ein meist scheidenartig das Stengelchen
umfassender
Samenlappen vorhanden ist.
Nur bei den wenigen
Phanerogamen, die überhaupt keinen vollständig ausgebildeten
Keimling haben, treten diese Unterschiede
nicht hervor. Wie unter den
Monokotyledonen, gibt es auch bei den Dikotyledonen
einige
Pflanzen mit unvollkommenem
Keimling;
dahin gehören einige chlorophyllfreie, humusbewohnende oder schmarotzende Pflanzen mit sehr kleinen Samen;
so besteht der Keimling bei Monotropa und den chlorophyllhaltigen Pyrola-Arten nur aus einem wenigzelligen, ungegliederten Körper;
bei den Orobancheen, Balanophoren ^[richtig: Balanophoreen], Rafflesiaceen ist der Keimling ein rundliches, zelliges Körperchen, an welchem ebenfalls keine Organe differentiiert sind;
bei den
Kuskuteen ist der
Keimling lang, fadenförmig und ohne
Kotyledonen. In solchen
Fällen charakterisieren sich die
Pflanzen als Dikotyledonen
durch andre, sogleich zu besprechende Merkmale oder
durch die
Verwandtschaft mit andern
Pflanzen.
Außerdem gibt es nur wenige, meist bloß scheinbare Ausnahmen:
Ranunculus
Ficaria
und einige
Arten von
Corydalis haben nur einen
Samenlappen am
Keimling, bei
Trapa
[* 3] natans ist der eine
Samenlappen
weit kleiner als der andre. Wo drei
Kotyledonen vorkommen, handelt es sich um eine
Abnormität, die ihr Analogon in vielen
andern ähnlichen abnormen
Vermehrungen der
Glieder
[* 4] von Blattquirlen findet. Die Merkmale, an welchen man erwachsene
Pflanzen
als Dikotyledonen
erkennt, haben nur die Bedeutung besonders hervorstechender Charakterzüge dieser Abteilung
des Gewächsreichs und sind viel häufigern Ausnahmen unterworfen als die Verhältnisse der
Kotyledonen; aber sie bieten doch
vielfach sehr gute Unterscheidungsmerkmale dar: während bei fast sämtlichen
Monokotyledonen das Würzelchen des
Keimlings
sich nicht weiterentwickelt, sondern im Umkreis desselben eine Anzahl Nebenwurzeln hervortreten, welche nebst andern an höhern
Teilen des
Stengels erzeugten Seitenwurzeln das ganze Wurzelsystem bilden, wächst bei den Dikotyledonen
in der
Regel
das Würzelchen zu einer abwärts gerichteten, sogen.
Haupt-
oder Pfahlwurzel weiter, aus welcher, solange sie fortwächst,
Seitenwurzeln in schiefer oder wagerechter
Richtung hervortreten.
Bei den zahlreichen dikotyledonen
Kräutern indessen, welche ausläuferartige
Rhizome bilden, stirbt die Pfahlwurzel frühzeitig
ab, und die zu den
Rhizomen ausgebildeten unterirdischen Stengelteile sind dann nur mit Nebenwurzeln versehen. Während die
Blätter der meisten
Monokotyledonen wechselständig sind, haben diejenigen der Dikotyledonen
außer wechselständiger auch gegen-
und quirlständige
Stellung. Die
Blätter der
Monokotyledonen sind nur selten geteilt, meist sogar ganzrandig, haben vorwiegend
langgestreckte Gestalt und parallelen oder bogenförmigen Verlauf der
Nerven,
[* 5] wogegen diejenigen der Dikotyledonen
oft
in Stiel und Blattfläche differenziert sind und letztere sehr häufig verschiedenartig geteilt ist oder doch oft gezahnte
oder gesägte Ränder hat.
Besonders charakteristisch aber ist ihre Nervatur, bei welcher ein oder mehrere Hauptnerven vorhanden sind, von welchen die
Seitennerven in scharfen
Winkeln abgehen (vgl.
Blatt),
[* 6] um sich in gleicher
Weise weiter zu verzweigen und
endlich in ein kleinmaschiges
Netzwerk
[* 7] von
Nerven sich aufzulösen. Bei manchen Dikotyledonen
fällt dieses Merkmal der Nervatur weg,
wenn nämlich die
Blätter entweder ganz fehlschlagen, oder dick und fleischig oder schmal, pfriemenförmig werden und dann
nur von einem einzigen ungeteilten
Nerv durchzogen sind.
Auch wirklich parallelnervige
Blätter kommen bei Dikotyledonen
vor. Im
Gegensatz zu den
Monokotyledonen erzeugen die
Laubblätter der Dikotyledonen
häufig
achselständige
Knospen,
[* 8] und ihre
Stengel
[* 9] bilden daher in vielen
Fällen
Zweige. Eine Haupteigentümlichkeit der Dikotyledonen
liegt ferner
im anatomischen
Bau ihres
Stammes. Die
Fibrovasalstränge desselben erscheinen auf dem
Querschnitt des
Stammes
in einem einfachen
Kreis
[* 10] angeordnet, welcher
Rinde und
Mark scheidet, während bei den
Monokotyledonen die
Fibrovasalstränge
auf dem Stammquerschnitt zerstreut stehen, weil hier die einzelnen
Stränge, die in verschiedener
Höhe an der
Grenze zwischen
Mark und
Rinde entspringen, schief nach innen im
Mark emporsteigen, in der Mitte desselben bogenförmig
wieder nach außen gehen und dann in ein
Blatt austreten.
Bei den Dikotyledonen
stehen daher auch die Kambiumteile der einzelnen
Fibrovasalstränge in einem
Kreis und können sich zu einer vollständig
ringförmigen
Schicht abschließen, dem sogen. Kambiumring. Durch letztern wird bei den Holzpflanzen die
alljährliche Verdickung des
Stammes bewirkt, indem sich zwischen dem
Bast- und dem Holzteil der
Fibrovasalstränge aus dem
Kambiumring alljährlich eine neue
Schicht von
Holz
[* 11] und
Bast
[* 12] erzeugt. Wegen dieses eigentümlichen Dickewachstums der
Stämme
nannte
De Candolle die Dikotyledonen
Exogenae, weil ihr
Holz nach außen hin durch Dickewachstum zunimmt.
Auch hinsichtlich dieser Verhältnisse gibt es mannigfache
Abweichungen unter den Dikotyledonen.
Dahin gehören zunächst
einige einfach gebaute
Wasserpflanzen,
[* 13] deren
Stengel, wie bei manchen monokotyledonen
Wasserpflanzen, von einem einzigen zentralen
Fibrovasalstrang durchzogen wird.
Ferner besitzen eine Anzahl Dikotyledonen
außer einem
Ring von
Fibrovasalsträngen auch noch im
Mark zerstreut
stehende
Stränge; am nächsten kommen den
Monokotyledonen in dieser Hinsicht die
Nymphäaceen, in deren
Stamm zahlreiche regellos zerstreut stehende, unter sich anastomosierende
Fibrovasalstränge vorhanden sind. Bei den
Blüten
der
Monokotyledonen sind mit wenigen Ausnahmen die einzelnen Blütenblattkreise dreigliederig, bei den Dikotyledonen
treten
dagegen viel mannigfaltigere Verhältnisse auf; am häufigsten sind
Kelch und
Blume,
¶
mehr
vielfach auch die Staubgefäße
[* 15] und Fruchtblattkreise fünfgliederig, doch kommen bisweilen viergliederige, auch zwei- und
selbst dreigliederige Blütenblattkreise vor, aber viel seltener als die fünfgliederigen; in manchen Fällen sind auch die
Blütenblätter nicht in Kreisen, sondern in Spiralen gestellt, und diese bestehen dann meist aus einer größern, oft unbegrenzten
Anzahl von Gliedern. Wegen ihrer zusammengesetztern Gestaltverhältnisse gelten daher die Dikotyledonen
für eine
höhere Stufe im Pflanzensystem als die Monokotyledonen und somit überhaupt für die vollkommensten Gewächse.
Die Dikotyledonen
zerfallen nach der Ausbildung der Blütenhülle in die Unterabteilungen der Apetalen (Apetalae) mit fehlenden Blumenblättern,
Chori- oder Polypetalen (Choripetalae oder Polypetalae) mit freien Blumenblättern und Sym- oder Monopetalen
(Sympetalae oder Monopetalae) mit verwachsenen Blumenblättern. Die Abteilung der Apetalen wird von den neuern Systematikern
nicht mehr anerkannt und mit den Choripetalen, bei denen eine Verkümmerung der Blumenblätter nicht selten ist, vereinigt.
Die Ordnungen oder Verwandtschaftsreihen der Dikotyledonen
sind folgende: Juliflorae, Urticinae, Centrospermae, Polycarpicae, Rhoeadinae,
Cistiflorae, Columniferae, Gruinales, Terebinthinae, Aesculinae, Frangulinae, Tricoccae, Umbelliflorae, Saxifraginae, Opuntinae,
Passiflorinae, Myrtiflorae, Thymelinae, Rosiflorae, Leguminosae, Bicornes, Primulinae, Diospyrinae, Tubiflorae, Labiatiflorae,
Contortae, Campanulinae, Rubiinae, Aggregatae, Hysterophyta.