Titel
Dietrichstein
,
altes freiherrliches, später gräfliches, in der Hauptlinie seit dem 17. Jahrh. fürstliches Haus, stammt aus Kärnten, wird zum erstenmal urkundlich genannt, erscheint seit dem 12. Jahrh. deutlicher als bischöflich bambergisches Dienstmannengeschlecht und besaß Güter in Innerösterreich, Mähren [* 2] und Böhmen. Zu Ende des 15. Jahrh. zerfiel die Familie in zwei Linien, die Weichselstätt-Rabensteinische und die Hollenburg-Finkensteinische, deren erstere sich in eine ältere und eine jüngere schied und 1859, bez. 1861 erlosch, während die Hollenburg-Finkensteinische, vielfach abgezweigte Linie (s. unten) als jüngere Nikolsburger 1769 die Fürstenwürde erhielt, endlich eine andre Linie durch Erbanfall das Prädikat Proskau und 1802 nach Aussterben der Grafen von Leslie letzteres Prädikat erwarb und somit sich Dietrichstein-Proskau-Leslie schrieb.
Die
Nikolsburger
Linie erlosch 1864 (s. unten, Dietrichstein
6), worauf durch kaiserliches
Diplom 1869 der fürstliche
Titel
Dietrichstein-Nikolsburg
auf den
Grafen
Mensdorff-Pouilly (s. d.), den Gemahl der Gräfin Alexandrine
von Dietrichstein
, Tochter des
Fürsten
Joseph von Dietrichstein
,
übertragen wurde.
Vgl. »Rerum gestarum gentis Dietrichst
einianae«, Bd. 1
(Olmütz
[* 3] 1621);
Benedikt, Die
Fürsten von Dietrichstein
(»Schriften des
Historischen
Vereins für
Innerösterreich«,
Graz
[* 4] 1848);
Feyfar, Die erlauchten Herren auf Nikolsburg (Wien [* 5] 1879).
Bemerkenswert sind:
1) Pankraz von, 1480-97 als Pfleger und Landrichter zu Hartnidstein bei Wolfsberg (bambergisch) genannt, verteidigte 1483 seine Stammburg lange gegen das siegreiche Heer des ungarischen Königs Matthias Corvinus und übergab sie erst gegen das Versprechen, daß keine Feindseligkeit darin verübt werden solle; trotz des Vertrags wurde aber die Feste gänzlich geschleift. Kaiser Maximilian I. verlieh ihm 1506 für sein ganzes Geschlecht das Erbmundschenkenamt in Kärnten. Er starb
2) Siegmund, Sohn des vorigen, geb. 1484, kam früh an den Hof [* 6] Maximilians I., kämpfte 1514 gegen die Venezianer und 1515 gegen die aufrührerischen Bauern bei Rann, 1525 in Steiermark, [* 7] besetzte Schladming, wurde aber von den aufständischen Bauern des Salzburger Bundes unter Führung Grubers 3. Juli frühmorgens überfallen und gefangen nach Werfen abgeführt, indem er nur mit Not durch seine Landsknechte [* 8] der Hinrichtung entging, ward jedoch wegen seiner Bemühungen um Herstellung des Friedens bald wieder freigegeben. 1514 Freiherr geworden, ein Liebling Maximilians I., den ein Gerücht zu seinem Vater macht, genoß er auch das Vertrauen Ferdinands I. Er starb auf Finkenstein und wurde zu Villach in der St. Jakobskirche bestattet.
Nach dem Testament Kaiser Maximilians I. von 1519 sollte er in Wiener-Neustadt zu den Füßen des Kaisers beigesetzt werden. Er stiftete den Innern Mäßigkeitsbund und die St. Christophsbrüderschaft. Seine Söhne Siegmund Georg, welcher Protestant wurde, und Adam teilten den Hollenburgischen Stamm in zwei Äste, den österreichischen, welcher 1651 in den Reichsgrafenstand und 1684 in den Reichsfürstenstand erhoben wurde und 1825 im Mannesstamm erlosch, und den Nikolsburger oder fürstlichen Ast.
3) Adam, Sohn des vorigen, geb. zu Graz, kam noch jung als Truchseß an Kaiser Ferdinands I. Hof und war schon 1548 Mundschenk des Erzherzogs Maximilian, der ihn mit mehreren ehrenvollen Sendungen beauftragte. Er wirkte zum Abschluß des Passauer Vertrags und des Religionsfriedens zu Augsburg [* 9] mit, bemühte sich als Gesandter Maximilians II. vergeblich, 1561 vom Papst Pius V. das Abendmahl unter beiderlei Gestalt, die Priesterehe und die Aufhebung der Ordensgelübde der Malteserritter zu erlangen, und beseitigte als Gesandter am spanischen Hof seit 1563 die zwischen dem Kaiser und Philipp II. vornehmlich wegen der den österreichischen Ständen bewilligten freien Religionsübung und wegen der niederländischen Unruhen entstandene Mißstimmung.
Seine Aufzeichnungen über Don Karlos sind wichtige Zeugnisse. 1572 erwarb er die von den Liechtensteinern 1560 für 60,000 böhm. Thaler dem reichen Ungarn [* 10] Ladislaus v. Kerecsényi verkaufte Schloßherrschaft Nikolsburg in Mähren als kaiserliches Lehen, 1575 als erbeignen Besitz. 1572 erwirkte er als kaiserlicher Kommissar von den Ständen Ungarns noch die Krönung seines Zöglings Rudolf II. Seine letzten Jahre verlebte er auf seinem Schloß Nikolsburg unter wissenschaftlichen Beschäftigungen. Er starb
4)
Franz,
Fürst von Dietrichstein
, Kardinalbischof von
Olmütz, geb. zu
Madrid,
[* 11] Sohn des vorigen, erhielt seine
Bildung in
Wien
und
Prag,
[* 12] seit 1588 im
Collegium germanicum zu
Rom,
[* 13] wurde 1591 schon
Olmützer
Domherr, dann
Kanonikus zu
Breslau
[* 14] und
Passau,
[* 15] 1597
Propst
zu
Leitmeritz und, 1597 zum
Priester geweiht,
Kardinal und 23
Tage später, auf Andringen des
Papstes, durch kaiserliche
Intervention trotz des anfänglichen
Sträubens der
Olmützer
Domherren
Bischof daselbst.
Als päpstlicher Legat hielt er seinen Einzug in sein Bistum. Trotzdem, daß damals in Mähren der Protestantismus herrschte und die Mähren ihm sowohl als Fremden wie als Papisten mit Mißtrauen entgegentraten, ebneten ihm sein Talent und Ehrgeiz, gepaart mit zäher Ausdauer und Geschäftsgewandtheit, die Wege, und bald galt er als Seele der katholischen Gegenreformation und Regierungspartei, so daß er es bald zum Landeshauptmann-Stellvertreter brachte und, obschon 1602 dieser Stelle enthoben, in seinem Einfluß nach oben und unten zunahm. Auch als Kriegsmann war er thätig, indem er 1605 gegen die nach Mähren streifenden Insurgentenscharen Bocskays ein Aufgebot befehligte und die ungarische Grenzstadt Skalitz einnahm. In der Gunst des Prager Hofs Kaiser Rudolfs II. war er bereits derart gestiegen, ¶
mehr
daß dieser ihn (Ende 1607) zum Präsidenten des Geheimen Rats ernannte. In der wirrenvollen Zeit des Bruderzwistes im Haus Habsburg
spielte Dietrichstein
die schwierige Rolle eines Unterhändlers, verstand es aber auch, als das Geschick zu gunsten Matthias' entschied
und Rudolf II. diesem Österreich,
[* 17] Mähren und Ungarn abtreten mußte (1608), sich der Gunst des neuen Herrn
zu versichern und insgeheim den protestantischen Autonomisten wirksam entgegenzutreten, nach außen den ständischen Wünschen
zu entsprechen und thatsächlich doch den Wünschen des Hofs und vor allem den Interessen der katholischen Kirche und des römischen
Stuhls entgegenzukommen. Als der böhmische Aufstand 1618 ausbrach, wurde er geächtet und zur Flucht nach
Nikolsburg, dann nach Wien gezwungen. Um so glänzender wurde nach dem Sieg der Sache Kaiser Ferdinands II. in der Schlacht am Weißen
Berg die Stellung des Kirchenfürsten. Er wurde nunmehr Generalkommissar, Gubernator und Landeshauptmann Mährens
und überdies fungierender Oberstlandkämmerer, also die Hauptperson im Land (1621-36), welcher das schwierige
Werk der Konfiskations-, Traktations- und Revisionskommission, vor allem das der Pazifikation des Landes übertragen wurde. Er
führte auch die katholische Gegenreformation Mährens durch und war auch als Diplomat, z. B. bei dem Abschluß des Nikolsburger
Friedens (1621 bis 1622) mit Bethlen Gabor, thätig. 1624 Reichsfürst, 1635 Protector Germaniae geworden, 1636 überdies
kaiserlicher Statthalter in Österreich, schloß er sein thätiges, vom Glück reichbedachtes Leben in Brünn
[* 18] als Senior
des Kardinalkollegiums. Sein Sinn für Wissenschaft verewigte sich in seiner großen zu Nikolsburg angelegten Bibliothek, welche 1645 von
den Schweden
[* 19] unter Torstensson vollständig ausgeplündert wurde.
Vgl. Voigt, Leben des Fürsten und Kardinals
von Dietrichstein
(Leipz. 1792), und seine »Korrespondenz mit dem Hofkriegsratspräsidenten Collalto« aus den Jahren 1623-30 (hrsg. von
Trampler, Wien 1873).
5) Franz Joseph, Fürst von Dietrichstein
(und Inhaber der großen Fideikommißherrschaft, welche Fürst Gundakar, von der österreich. Hollenburger
Linie, mit kaiserlicher Zustimmung vom aus seinen Besitzungen gebildet und 1690 der jüngern
Nikolsburger Linie vererbt hatte, die auch in den Besitz des Erbschenkenamts kam), k. k. Kämmerer und Wirklicher Geheimer Rat,
geb. diente in der österreichischen Armee als Generalmajor und schloß 1800 mit Moreau den Parsdorfer Waffenstillstand.
Im J. 1809 ward er Oberhofmeister des Erzherzogs Franz, nachherigen Herzogs von Modena, fungierte dann als
Hofkommissar in dem vom Feind besetzten Teil Galiziens bis zum Wiener Frieden; starb
6) Moritz Joseph Johann, des vorigen Bruder, geb. zu Wien, trat 1791 in den österreichischen Militärdienst, ward Adjutant des Generals Mack 1798 in Neapel, [* 20] wo er mit seinem Chef in französische Gefangenschaft geriet, und 1805 in Ulm, [* 21] wurde 1815 Erzieher des Herzogs von Reichstadt (bis 1831) und später Leiter der Hofbühne und kaiserlichen Bibliothek, 1845 Oberstkämmerer und trat 1848 in Ruhestand. Er starb nachdem sein Sohn Joseph Moritz, geb. 1821-1848 als Diplomat in Neapel, Paris, [* 22] London, [* 23] Kassel, [* 24] Brüssel, [* 25] Karlsruhe [* 26] und Darmstadt, [* 27] 1844-48 in London verwendet, schon 1852 gestorben war, als der letzte Sproß des uralten Geschlechts.
Vgl. Weidmann, Moritz, Graf von Dietrichstein
, sein Leben
und Wirken, aus seinen hinterlassen
Papieren dargestellt (Wien 1867).