Dichtkunst
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s. Poesie.
Dichtkunst
6 Wörter, 46 Zeichen
Dichtkunst,
s. Poesie.
Poerio - Poesie
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Seite 13.151.(griech., von poiēĭn, »machen, schaffen, dichten«),
als schöne Kunst die schöne sprachliche Darstellung einer ästhetischen Gedankenwelt. Dieselbe hat als schaffende Kunst mit der Heuristik (der wissenschaftlichen Erfindungskunst) das erfindende Element, mit der Wissenschaft die Darstellung einer (durch Worte darstellbaren) Gedankenwelt, mit den redenden Künsten (Prosa, Beredsamkeit) das Darstellungsmittel der Sprache [* 4] gemein. Sie unterscheidet sich von der erstgenannten dadurch, daß ihre erfindende Thätigkeit auf ästhetische, die der Heuristik dagegen auf wahre Gedanken gerichtet ist;
von der Wissenschaft dadurch, daß sie Darstellung einer ästhetischen (d. h. nicht für wahr angegebenen, obgleich innerlich wahrscheinlichen, d. h. poetisch wahren), diese dagegen Darstellung einer für wahr gehaltenen (nicht bloß dafür ausgegebenen, in welchem Fall sie Lüge wäre) Gedankenwelt ist;
von der prosaischen Redekunst (Prosa) endlich dadurch, daß nicht nur ihre Gedankenwelt, sondern auch ihre Sprache ästhetisch (d. h. durch die Rücksicht auf Rhythmus und Wohlklang »gebunden«, poetische Sprache) ist;
von der schönen Redekunst (Beredsamkeit),
deren Sprache gleich der ihrigen »poetisch« ist, dadurch, daß diese (wie die Wissenschaft) eine (vom Redner) für wahr gehaltene oder (vom Sophisten) wenigstens für wahr ausgegebene, die Poësie dagegen eingestandenermaßen eine »poetische« Gedankenwelt darstellt.
Dieselbe setzt, wie jede Kunst, eine spezifische Anlage (poetisches Talent, Genie), ihre Ausübung, wie die jeder Kunst, eine spezifische Stimmung (poetische Stimmung) voraus, deren Charakter der Eigentümlichkeit der Poësie als Kunst entspricht. Dieselbe setzt als erfindende Kunst Erfindungskraft oder Phantasie (s. d.), als Darstellung einer durch Worte darstellbaren Gedankenwelt (im Gegensatz zur musikalischen und bildnerischen) poetische Phantasie, als rhythmisch-musikalische sprachliche Darstellung nicht nur ein rhythmisch-musikalisches Sprachmaterial, sondern auch vollkommene Herrschaft nicht nur über die logischen, etymologischen und grammatischen, sondern auch über die rhythmischen und musikalischen Elemente der Sprache voraus. In ersterer Hinsicht besteht die poetische Anlage in einem erhöhten Grade der Beweglichkeit der Vorstellungen, welcher stets neue Verbindungen der Elemente des Vorstellungskreises und dadurch neue Vorstellungen schafft.
Als poetische Phantasie (im Gegensatz zur musikalischen oder bildnerischen) besteht die poetische Anlage nicht nur in einem Übergewicht der Gedanken (Begriffe und Anschauungen) über Tonvorstellungen (deren Übergewicht die musikalische) oder Farben- und Formenvorstellungen (deren Übergewicht die bildnerische Anlage ausmacht), sondern noch überdies der sinnlichen (konkreten, anschaulichen) über die nichtsinnlichen (abstrakten, unanschaulichen) Gedanken (der Bilder über die Begriffe) im Vorstellungsvorrat. In sprachlicher Hinsicht begreift die poetische Anlage neben dem Sinn für korrekten und genauen Gedankenausdruck durch das Wort auch noch den Sinn für die rhythmische Schönheit des Zeit- und Silbenmaßes sowie für die musikalische Schönheit des Wohlklanges und der melodischen Lautfolge der Sprachzeichen. In diesem Punkt kommen Sprachen, welche wie das Sanskrit, die griechische, die lateinische samt ihren romanischen Tochtersprachen ein von Natur wohlklingendes Lautmaterial besitzen, der poetischen Anlage zu Hilfe.
Die poetische Stimmung zeigt sich im Hinblick auf die Erfindung als »Lust zu fabulieren« (Goethe),
Poet - Pogge
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Seite 13.152.in Hinsicht auf die poetische Phantasie als Ergriffensein von einer anschaulichen und das Gemüt zur Darstellung in Worten drängenden Bilderwelt, in Hinsicht auf die Sprache als unbestimmt »rhythmisch-musikalische Stimmung« (nach Schiller), die der Ausfüllung der Form durch Worte vorhergeht. Die Einteilung der Poësie kann entweder von dem Gegenstand, der darstellenden Gedankenwelt, oder von dem Darstellungsmittel, der Sprache, ausgehen. In ersterer Hinsicht wird sie in ¶
subjektive und objektive, in letzterer in Dichtkunst in gebundener (metrischer) und solche in ungebundener Rede unterschieden. Subjektiv heißt die Poësie, wenn die darzustellende Gedankenwelt auf das Subjekt, den Dichter, selbst bezogen, diese als dessen eigne dargestellt wird. Dieselbe führt, da das Subjekt als in lyrischer, d. h. sein Inneres in Worte ausströmender, Stimmung befindlich gedacht wird, den Namen der lyrischen Poësie (s. Lyrik). Objektiv heißt die Poësie, wenn die darzustellende Gedankenwelt auf ein vom Dichter verschiedenes Objekt bezogen, eine Begebenheit oder Handlung eines solchen dargestellt wird.
Wird dabei das Objekt als vergangen (Geschehendes als geschehen, eine »Handlung als Begebenheit«) gedacht, so entsteht die epische Poësie (s. Epos); wird dasselbe als gegenwärtig (Geschehenes als geschehend, eine »Begebenheit als Handlung«) gedacht, so entsteht die dramatische Poësie (s. Drama). Hinsichtlich der Beschaffenheit der Darstellungsmittel pflegt man die metrische Dichtkunst vorzugsweise (mit Unrecht, wie die »Streckverse« Jean Pauls, der Roman und zahlreiche in Prosa verfaßte Dramen, z. B. Lessings »Emilia Galotti«, Schillers »Räuber«, »Fiesko«, »Kabale und Liebe« u. a., beweisen) Poësie zu nennen.
Glied (künstliches)
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Glied.Die Einteilung in Kunst- und Natur- sowie jene in gelehrte und Volkspoesie gehen nicht sowohl die Poësie als vielmehr den Poeten an, je nachdem derselbe entweder mit oder ohne Bewußtsein, entweder als individuelle Persönlichkeit oder als namenloses Glied [* 6] einer gleichartigen Genossenschaft (einer Sängerzunft, eines Standes, eines Volkes) schafft. Die Gegensätze der »naiven und sentimentalischen« (Schiller),
»klassischen und romantischen Poësie« (Romantiker),
»antiken und modernen Poësie« etc. fallen mit jenen der bewußtlosen (Natur-) und bewußten (Kunst-) Poësie zusammen, wenn mit diesen der (mystische) Glaube an die Unfehlbarkeit des Bewußtlosen und der (pessimistische) Unglaube an die Verwirklichung des Ideals durch das Bewußte verbunden wird. Geschichtlich ist der Poësie als Darstellung einer weder für wahr gehaltenen, noch für wahr angegebenen Gedankenwelt sowohl die Wissenschaft als die Mythendichtung, dagegen der Prosa als der schmucklosen Darstellung einer für wahr gehaltenen Gedankenwelt sowohl die Lehrdichtung (in gebundener und ungebundener Rede) als die Poësie vorangegangen.
Anderseits hat sich von den drei Hauptgattungen der Poësie nach dem Grundsatz, daß die eignen Zustände (Gefühle, Affekte, Begierden und Leidenschaften) unmittelbar, die Wahrnehmungen von uns verschiedener Objekte nur mittelbar, durch Übertragung unsers eignen Gemütslebens auf jene, zur sprachlichen Darstellung antreiben, die lyrische Poësie vor der epischen und die dramatische Poësie am spätesten entwickelt, womit die geschichtliche Zeugnisse übereinstimmen. Vgl. Poetik.