Diabetes
(grch.),
Harnruhr (Polyuria, d. h. Vielharnen), eine meist chronische
Krankheit, bei welcher die Leidenden
bedeutende, das gewöhnliche
Maß oft unglaublich übersteigende Mengen von
Harn entleeren. Gewöhnlich ist damit heftiger
Durst (Durstsucht, Polydipsia) verbunden, als Folge des übermäßigen Wasserverlustes; enthält der entleerte
Harn keinerlei
fremdartige
Bestandteile, so pflegt man die
Krankheit als geschmacklose
Harnruhr (Diabetes
insipidus) zu bezeichnen.
Die meisten Fälle von
Harnruhr gehören aber der sog.
Zuckerruhr oder
Zuckerkrankheit, Honigharnruhr,
Meliturie
(Diabetes
mellitus.
Glycosuria) an. Hier wird mit dem reichlich abgesonderten
Urin fortwährend eine mehr oder weniger beträchtliche,
zuweilen täglich bis 1 kg und darüber betragende Menge von Zucker
[* 3]
(Harnzucker, dem
Traubenzucker chemisch gleich) entleert.
Die
Ursache dieses Übels ist noch nicht genügend erforscht, doch scheint so viel sicher zu sein, daß
die diabetischen Vorgänge in der
Leber stattfinden, indem der aus den Nahrungsmitteln stammende, durch die Chylusgefäße
der
Pfortader zugeführte Zucker nicht, wie dies unter normalen Verhältnissen geschieht, in der
Leber in sog.
Glykogen (s. d.)
umgewandelt wird, sondern als solcher unverändert in das
Blut und den
Harn übergeht.
Wahrscheinlich geschieht dies unter dem Einflusse des centralen
Nervensystems, wenigstens gelingt es, wie zuerst der
Pariser
Physiolog Claude
Bernard nachwies, bei
Tieren durch einen Nadelstich in einer bestimmt umschriebenen
Stelle des Kleinhirns in
den
Boden des sog. vierten Hirnventrikels künstlich Diabetes
zu erzeugen. Am häufigsten
findet sich die
Krankheit in den Blütejahren, häufiger bei Männern, verhältnismäßig häufig bei
Fettleibigkeit; bisweilen
scheinen heftige Gemütsbewegungen, fortgesetzte übermäßige Anstrengungen sowie erbliche
Anlage ihren
Ausbruch zu veranlassen;
in andern Fällen läßt sich die
Krankheit auf einen erlittenen heftigen
Schlag,
Stoß oder Fall auf den
Kopf oder auf die
Magen-
und
¶
Diadochenreiche in der Mitte des 3. Jahrh. v. Chr. (247 v. Chr.) ¶
mehr
Lebergegend zurückführen. – Symptome der Krankheit sind, daß die Kranken ohne eine nachweisbare Ursache immer blässer, kraftloser und magerer werden, trotzdem daß sie reichlich essen und auffällig viel trinken. Ihr Atem wird eigentümlich riechend, ihr Zahnfleisch geschwollen und aufgelockert, ihre Haut [* 6] trocken und schilferig, da die Schweißproduktion infolge des beträchtlichen Wasserverlustes durch die Nieren ganz aufgehoben ist, ihre Stimmung trübe, die Geschlechtsverrichtungen liegen oft ganz danieder.
Alle Gewebe [* 7] der Diabetiker besitzen infolge ihrer reichlichen Durchtränkung mit zuckerhaltiger Blutflüssigkeit eine große Neigung zu Entzündungen mit Ausgang in Eiterung und Brand, sodaß die Kranken oft monatelang von Furunkeln und ausgedehnten Zellgewebsentzündungen geplagt werden. Sicher zu erkennen ist die Zuckerkrankheit nur durch den chem. Nachweis von Zucker im Harn, wozu man sich verschiedener Untersuchungsmethoden (sog. Zuckerproben) bedient.
Die gebräuchlichste ist die Trommersche Probe, nach welcher man eine Portion des betreffenden Harns mit Ätzkali oder Natronlauge versetzt und hierauf eine schwache Lösung von Kupfervitriol hinzufügt. Scheidet sich beim Erhitzen dieser Flüssigkeit rotes Kupferoxydul aus, so ist hiermit der sichere Nachweis von Zucker geliefert. Bei geringern Graden der Krankheit sind im Harn oft nur 1–2, bei höhern häufig 6–10 Proz. und noch mehr Zucker enthalten (s. Saccharimetrie). [* 8]
Man kann die Krankheit oft lange in Schranken halten, wenn man den Kranken die zuckerige und mehlige Kost entzieht und sie vorzugsweise mit Fleischspeisen, Eiern u. dgl. sowie mit dem zu diesem Zweck erfundenen Kleberbrot ernährt. Eine konsequent durchgeführte diätetische Behandlung ist für alle Diabetiker von der größten Bedeutung. Erlaubt sind frisches, gepökeltes und geräuchertes Fleisch von Säugetieren, von Vögeln, Fischen und Schaltieren (Krebsen, Austern u. dgl.), ferner Butter, Speck und Öl, Eier [* 9] (das Weiße mehr als das Dotter), Sahne, Quark und Käse (magerer mehr als fetter), von den Vegetabilien die zu Salaten dienenden grünen Blätter und Kräuter, Spinat, Blumenkohl und andere Kohlarten, Spargel, Rettich; ferner Kleberbrot, Mandelbrot (allenfalls auch etwas geröstetes Brot); [* 10] Mandeln, Nüsse und Gewürze.
Von den Getränken sind Wasser, Soda-, Selters- und alle Mineralwässer, Thee, Kaffee und Kakao sowie alle ungefälschten Spirituosen (Cognac, Rum, Sherry, Bordeaux- und Burgunderweine sowie Rhein- und Moselweine) zu gestatten. Streng zu verbieten sind dagegen Zucker und Honig, gewöhnliches Brot, Mehl [* 11] und alle Mehlspeisen, alle süßen und eingemachten Früchte, von den Wurzelgemüsen Mohrrüben, gelbe Rüben, Sellerie, Gurken, Radieschen, weiterhin Milch, Molken, Schokolade, Bier, Champagner und moussierende Weine und Limonaden, endlich Portwein, Madeira [* 12] und ähnliche süße Weine und Liqueure.
Als Ersatz für den Zucker darf den Speisen und Getränken Saccharin zugesetzt werden. Außer dieser streng diätetischen Behandlung ist besonders wichtig, daß man die Haut der Diabetiker durch Flanellkleidung auf dem bloßen Leibe, häufige warme Bäder, Thermalbäder, Schwefelbäder u. dgl. in Thätigkeit versetze. Von den empfohlenen specifischen Mitteln haben sich die alkalischen Mineralwässer von Karlsbad, Neuenahr und Vichy am meisten bewährt. Vor gewaltsamen Kuren mit eingreifenden Arzneimitteln müssen sich übrigens solche Kranke durchaus hüten. –
Vgl. Seegen, Der Diabetes
mellitus
(3. Aufl., Berl. 1893);
von Düring, Ursache und Heilung des Diabetes
mellitus (4. Aufl., Hannov. 1892);
Cantani, Der Diabetes
mellitus (aus dem Italienischen von Hahn,
[* 13] Berl. 1877);
Strauß, [* 14] Die einfache zuckerlose Harnruhr (Tüb. 1870);
Frerichs, über den Diabetes
(Berl. 1884);
Hertzka, Die Zuckerharnruhr (Karlsb. 1884);
Ebstein, Über die Lebensweise der Zuckerkranken (Wiesb. 1892);
Hirschfeld, Die Behandlung des Diabetes
(Berl. 1893).