Titel
Deutsch-Südwestafrika,
deutsches Schutzgebiet, grenzt im W. an den Atlantischen Ocean, im N. an den Kunene und die portug. Kolonie Angola, im S. an den Oranjefluß und die Kapkolonie, im O. längs des 20.° östl. L. von Greenwich an die brit. Kronkolonie Betschuanenland und nördlich vom 22.° südl. Br. an das unter engl. Einfluß stehende Reich Khamas. Es hat einen Umfang von 830960 qkm und (1893) 172000 Eingeborene und 1150 Europäer, darunter 860 Deutsche. Den nördl. Teil bis zum Flusse Swakop nimmt das Herero- oder Damaraland ein, den südlichen Groß-Namaland. (S. Karte: Kamerun, Togo und Deutsch-Südwestafrika sowie Kapkolonien.) Oberflächengestaltung.
Langsam steigt von der mit Dünen und Felsrücken umsäumten Küste die 200 km breite Fläche zu einer mächtigen Hochebene, zur Naarib empor und von dieser zum wildzerklüfteten Randgebirge, das, aus Granit, krystallinischem Kalk, Porphyr und Basalt bestehend, von N. nach S. streicht und in den Etendekabergen 1370 m, im Runibebgebirge (im SO. der Walfischbai) 2285 m und im Hanamiplateau bei Bethanien 1670 m erreicht. Nach O. geht das Randgebirge in sanften Wellenlinien, zuweilen von tafelförmigen Bergkuppen unterbrochen, in die Kalahariwüste über.
Hochebene und Gebirge treten bei der Walfischbai nahe an den Meeresstrand heran. Im N. verwandelt sich das Küstenplateau in eine hügelige Landschaft. Die über 11 Breitengrade sich erstreckende Küste hat nur zwei einigermaßen günstig gelegene Hafenplätze, die (allmählich versandende) Walfischbai (englisch) und die Swakopmündung (deutsch); letztere hat vor ersterer noch den Vorzug, daß Trinkwasser und auch Futter für das Vieh immer reichlich vorhanden und die Verbindung mit dem Innern weit günstiger ist.
Der Erbauung einer Bahn nach dem Innern steht kein Dünengürtel entgegen wie im S. Von dem südlich gelegenen Sandwich- (oder Sandfisch-)Hafen (Porto do Ilheo) ist der Ausgang zum Festland wegen der mächtig sich auftürmenden Sanddünen ungemein schwierig. In dem geräumigen und vollkommen geschützten Hafen von Angra-Pequena könnten wegen des guten Ankergrundes die größten Seeschiffe sichere Unterkunft finden, allein das Hinterland ist absolut wasserlos, eine tief in das Land sich erstreckende Sandwüste. – Keiner der vom Gebirge herabströmenden Flüsse überdauert die Trockenzeit; sie versiegen sämtlich, ausgenommen der Fischfluß, welcher ganz Namaland von N. nach S. durchströmt und in den Oranjefluß sich ergießt. Der bei der Walfischbai mündende Swakop ist der längste (400 km); nördlich von ihm der Eisib, der wasserreichste, und südlich vom Swakop der Kuiseb der wasserärmste. Die trocknen Flußbetten, teils glatt mit Sand und Kies, teils mit Schlingpflanzen und Rasenflecken bedeckt, dienen streckenweise als Straßen.
Klima, Pflanzen- und Tierwelt. Der Sommer beginnt im September mit heißen ausdörrenden Winden, denen kurze Gewitterstürme im Oktober folgen. Vom Dezember bis Mai fallen einige heftige Regengüsse. Der Winter (Mai bis September) zeichnet sich durch absolute Trockenheit und enorme Temperaturschwankungen, namentlich im Juli, aus (bei Tag bis zu 45° C. Hitze, in der Nacht 8° C. Kälte). Die Trockenheit der Luft und die günstige Höhenlage im Innern machen das Klima zu einem der gesundesten der Erde für Eingeborene und Europäer (Dove). Die Vegetation im allgemeinen leidet unter dem Mangel andauernder Bewässerung sehr. Der größte Teil des Landes ist während der trocknen Zeit mit Dorngebüsch, verkrüppelten Bäumen, Euphorbien, Fettpflanzen und Savannengras bedeckt. Einige wasserhaltige Pflanzen überdauern die Dürre: so der Tschappa, ein
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Wurzelknollen;
Pentjes, eine Zwiebelart;
die Blätter des Hottentotten-Feigenbaums;
Melonen und Kürbisse.
Fällt Regen, so überzieht sich in wunderbarer Schnelligkeit der Bodenn mit dem üppigsten Wiesen- und Blumenteppich, freilich nur auf ganz kurze Zeiten. Dennoch eignen sich zerstreute Strecken im N., im Ovamboland, Kaokofeld, bei Otavi zum Ackerbau und hauptsächlich im S. die weiten Flächen zum Betrieb ausgiebigster Rindvieh- und Schafzucht, wenn die Mühe nicht gescheut wird, durch Deiche und Brunnenanlagen das überall vorhandene Grundwasser in Reservoirs zu sammeln.
Die wilden Tiere sind aus dem Lande verschwunden; nur Giraffen, Antilopen und Zebras kommen noch vor und vereinzelte Strauße. Im Vergleich mit der Spärlichkeit der Bevölkerung sind die Herden von Rindern, Schafen und Ziegen, die außer den Pferden den Reichtum der Bewohner darstellen, groß und zahlreich zu nennen; die weit ausgedehnten Weideflächen geben, trotz ihrer Armseligkeit, genügendes Futter für eine bedeutende Menge Vieh. In neuester Zeit verlegt man sich deutscherseits und zwar mit einigem Erfolg darauf, im nördl. Namaland Schafzucht in größerm Stil zu betreiben: auch hat sich 1892 eine Siedelungsgesellschaft zur Errichtung von Farmen in der Nähe von Windhoek gebildet.
Mineralreich. Den eigentlichen Reichtum D.s hoffte man unter dem Boden zu finden: Kupfer, Zinn, Silber und Gold. Die bisherigen Untersuchungen ergaben aber noch keine Berechtigung zu derartigen Hoffnungen. Die ersten Goldfunde, 1887 gemacht, erwiesen sich als belanglos; dagegen ist es nicht ausgeschlossen, daß die 1893 begonnenen bergmännischen Untersuchungen bei Otavi und Windhoek zur Auffindung von Kupfererzlagerstätten führen.
Die Bevölkerung zerfällt in folgende Gruppen:
1) Die Ovambo (Bantu) vom Kunene bis zum 19.° südl. Br., 50000;
2) die Herero (Bantu) zwischen 19. und 22." südl. Br., 97000;
3) die Hottentotten (teils längst ansässige, teils aus der Kapkolonie eingewanderte), vom 22.° südl. Br. bis zum Oranjefluß, 13000;
4) die Bergdamara (Haukoin, Buschmannrasse), zwischen den Herero zerstreut, im Erongogebirge, in den Waterbergen und am obern Kuiseb, 10000;
5) die Bastards (Abkömmlinge von Weißen und Hottentottenweibern) im Gebiet der Hottentotten, 2000. - Größere Ortschaften giebt es nicht in Deutsch-Südwestafrika. Die wichtigsten Plätze sind, außer der engl. Niederlassung an der Walfischbai, Klein-Windhoek, der Sitz der deutschen Verwaltung, Otjimbingue und Okahandja am Swakop, Rehoboth, Gibeon, Hoachanas, Bethanien, Keetmanshoop und Warmbad. Die Rheinische Mission besitzt hier 18 Stationen. Der Handel hat noch keine große Bedeutung; ausgeführt wurden bisher: Rinder, Felle, Häute, Straußenfedern und Wolle. Der Wert der Ein- und Ausfuhr betrug (1892) 2 288000 M. - Deutsch-Südwestafrika ist deutsches Schutzgebiet mit einem Landeshauptmann, einer Bergbehörde und einer aus Deutschen bestehenden Schutztruppe von 310 Mann. Im Kolonialetat pro 1894/95 erscheint Deutsch-Südwestafrika mit 1 027000 M., darunter 1 Mill. M. Reichszuschuß.
Zur Zeit sind fünf größere Kolonialunternehmungen in Deutsch-Südwestafrika im Gange:
1) Die Deutsche Kolonial-Gesellschaft für Südwestafrika, gegründet welche die von Lüderitz erworbenen Ländereien und Rechte kaufte und das Bergregal von dem Häuptling Maharero erlangte, welche aber in der langen Zeit unfruchtbarer Versuche nahezu ihre Geldmittel erschöpft hat.
2) Die Siedelungsgesellschaft sür Deutsch-Südwestafrika, 1892 gegründet, welche Ansiedelungen von Deutschen aus der Heimat und der Kapkolonie unterstützt und Weidegründe bei Windhoek verteilt, in denen sich (1893) 78 Personen niedergelassen hatten.
3) Die South Westafrican Company Limited in London, 1392 gegründet, mit Land-, Bergbau- und Eisenbahnberechtigungen im NW. der Kolonie.
4) Das Kharas Khoma-Syndikat, 1893 von der Regierung bestätigt, mit dem Recht, eine Eisenbahn von Lüderitzbucht nach dem Innern zu bauen und im südl. Namaland Bergbau und Kultivation zu treiben.
5) Die Hanseatische Handelsgesellschaft, 1893 gegründet, mit einer Konzession zum Bergbau bei Rehoboth und Gobabis ausgestattet. 6.) Die Privatunternehmung von E. Hermann, welche mit Zuschüssen vom Reich und der deutschen Kolonial-Gesellschaft für Deutsch-Südwestafrika Viehzucht bei Kubub und Romtsas in großem Maßstab betrieben hat, 1894 aber durch Henrik Witboi vernichtet wurde.
Geschichte. Das Bremer Handelshaus F. A. E. Lüderitz hatte im Hafen von Angra-Pequena 1883 eine Handelsstation angelegt (Fort Vogelsang genannt) und das Gebiet (Lüderitzland) käuflich erworben, welches mit Einschluß der Küste von Kap Frio bis zum Oranjefluß 1884 unter den Schutz des Deutschen Reichs gestellt wurde. Ein Ende 1886 mit Portugal vereinbarter Vertrag schob die Nordgrenze bis zum Kuneneflusse. Inzwischen hatte die deutsche Regierung 1885 (21. Okt.) einen Schutzvertrag mit dem Häuptling Maharero im Binnenlande abgeschlossen, wonach dieser unter Wahrung seiner übrigen Hoheitsrechte den Deutschen das Recht einräumte, sich niederzulassen, Handel zu treiben und alle früher erteilten Minenkonzessionen sowie das Bergdepot überhaupt an die Deutsche Gesellschaft für Südwestafrika abtrat. Da letztere keine militär. Mittel besaß, um die Angriffe der Nama auf das Hereroland zurückzuweisen und Maharero die Existenz seines Herrschertums bedroht sah, so war es dem Kapkolonisten Lewis nicht schwierig, durch Behauptung vorgeblich früherer Rechte und durch Versprechungen aller Art den Hererofürsten so weit zu bringen, daß er sich von dem deutschen Schutzvertrage lossagte. Der Reichskommissar Dr. Göring sah sich darauf gezwungen, Otjimbingue zu verlassen und in der Walfischbai die Ankunft einer Unterstützung aus dem Mutterlande abzuwarten. Diese kam in Gestalt einer Schutztruppe von 20 Mann unter Führung von Hauptmann von François an; weitere Verstärkungen trafen 1890 und 1893 ein. Lewis verließ nun selbst Deutsch-Südwestafrika, und die Autorität des Deutschen Reichs war formell wiederhergestellt. In dem Vertrag mit England vom wurden auch nähere Bestimmungen über die Abgrenzung der beiderseitigen Gebiete in Südafrika getroffen. Mit den Bondelzwarts im südl. Namaland wurde ein Schutzvertrag geschlossen. Der einzige Unruhestifter im ganzen Gebiet von Deutsch-Südwestafrika ist gegenwärtig der Hottentottenhäuptling Henrik Witboi im Namaland, welcher trotz wiederholter Niederlagen stets neue Raubzüge gegen Deutsche und Bastards unternimmt. -
Vgl. Olpp, Angra-Pequena und Groß-Namaland (Elberf. 1884);
Büttner, Das Hinterland von Walfischbai und Angra-Pequena (Heidelb. 1884);
Schinz, Deutsch-Südwest-Afrika (Oldenb. und Lpz. 1891);
Kiepert, Neue Spezialkarte
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von Deutsch-Südwestafrika (1 : 3 Mill., Berl. 1893);
Langhans, Deutscher Kolonialatlas (Gotha 1894).