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Die Gewaltthätigkeit und Willkür, mit denen Napoleon nun in Deutschland schaltete, überstieg alle Grenzen. Mit einem Federstrich wurden ganze Länder vertauscht und verteilt. Dalbergs, des Kurerzkanzlers, Besitz wurde zu einem Großherzogtum Frankfurt abgerundet. Bayern erhielt Salzburg, mußte aber dafür andres abtreten. Das Großherzogtum Berg ward nach Murats Ernennung zum König von Neapel so gut wie eine französische Provinz. Um die Kontinentalsperre gegen England erfolgreicher aufrecht zu erhalten, wurden das nördliche Hannover, Oldenburg, Bremen, Hamburg und Lübeck in französische Departements verwandelt.
Die Truppenkontingente u. Kriegskontributionen, welche die Rheinbundstaaten zu liefern hatten, stiegen zu einer Höhe, welche die Kräfte auch der reichern Lande erschöpfen mußte. Dazu kam das Joch geistiger Knechtschaft, mit welchem die Franzosen Deutschland bedrückten, die Knebelung der Presse und des Buchhandels durch die strenge Zensur, das Spioniersystem, die Verletzung des Briefgeheimnisses wie der persönlichen Freiheit friedlicher Bürger. Aber der ungeheuern Allgewalt gegenüber verzweifelte fast jedermann an der Möglichkeit erfolgreichen Widerstandes.
Als 1812 der Krieg Frankreichs mit Rußland ausbrach, mußten sowohl Preußen als Österreich Hilfstruppen stellen, ersteres außerdem den Durchmarsch der Großen Armee durch sein Gebiet gestatten und die Verpflegung übernehmen, welche die letzten Kräfte des Landmanns verzehrte. Unter den 600,000 Mann, welche Napoleon über die russische Grenze führte, waren 200,000 Deutsche, die in der Katastrophe der Großen Armee zum großen Teil ihren Untergang fanden.
Aber diese Katastrophe gab auch das Signal zur rettenden That, zur Erhebung Preußens (s. Deutscher Befreiungskrieg), mit der Konvention von Tauroggen begann, welche der preußische General York mit den Russen abschloß. Ihr folgten das preußisch-russische Bündnis (28. Febr.), Friedrich Wilhelms III. »Aufruf an mein Volk« (17. März) und die Proklamation von Kalisch (25. März). Die Übermacht des ehrgeizigen Eroberers, das verkündeten die Alliierten als ihr Ziel, sollte gebrochen, Preußens Machtstellung wiederhergestellt und auch das Deutsche Reich von neuem errichtet werden; alle deutschen Männer wurden aufgefordert, sich der heiligen Sache des Vaterlandes und der Menschheit anzuschließen, und die deutschen Fürsten, welche noch ferner der Fahne des Landesfeindes folgen sollten, mit Verlust ihrer Herrschaft bedroht. In der That rechneten die Verbündeten beim Beginn des Befreiungskriegs auf einen allgemeinen Aufstand in Deutschland. Die Lützowsche Freischar, aus den edelsten Jünglingen zusammengesetzt, war bestimmt, ihn überall anzufachen und den Kern der deutschen Volksbewaffnung zu bilden. Jedoch das Verhalten von Regierung und Volk in Sachsen bewies, daß diese Erwartung eine trügerische war. Außerhalb Preußens und der früher altpreußischen Gebietsteile fehlte es der Bevölkerung an hervorragenden Führern wie an der eignen Kraft und Entschlossenheit, alles an alles zu setzen, um die Freiheit wiederzuerlangen. Der harte Druck der despotischen Regierungen hatte allen selbständischen Willen ertötet; Nationalstolz war früher nicht vorhanden gewesen und konnte in den Rheinbundszeiten sich nicht bilden. Die deutschen Fürsten blieben aber der französischen Sache aus Eigennutz und Furcht treu. Dazu kam der unglückliche Verlauf des russisch-preußischen Feldzugs, der trotz heldenmütiger Tapferkeit nach den Niederlagen von Großgörschen (2. Mai) und Bautzen (20. und 21. Mai) mit dem Zurückweichen der verbündeten Armee nach Schlesien endete. Die einzige Hoffnung auf Erfolg beruhte auf dem Anschluß Österreichs, und wenn auch im zweiten Teil des Kriegs von 1813 die preußischen Heere durch die geniale Kühnheit ihrer Feldherren und durch den Opfermut und die Ausdauer der Soldaten weitaus das meiste leisteten, so dankte man den endlichen Sieg bei Leipzig doch wesentlich dem Beitritt Österreichs. Aber er ward auch teuer erkauft. Die diplomatische Leitung nahm nun Metternich in die Hand, und sein Ziel war nicht die Wiederherstellung des Deutschen Reichs in früherm Glanz und alter Herrlichkeit, sondern die Vergrößerung Österreichs und die Begründung seines Übergewichts in Deutschland und Italien. Von der Proklamation von Kalisch war nun nicht mehr die Rede. In den Verträgen, die Metternich mit den von dem gestürzten Weltherrscher abgefallenen Rheinbundstaaten schloß, wurden ihnen die Integrität ihres Gebiets und ihre Souveränität garantiert. Um Preußens Macht nicht übermäßig anschwellen zu lassen, hemmte er in entscheidenden Momenten seinen Siegeslauf durch Friedensverhandlungen, welche zum Glück Napoleons verblendeter Trotz stets scheitern machte. Die Ströme deutschen Blutes, mit denen 1813 und 1814 der deutsche und französische Boden getränkt wurde, vermochten bloß Deutschland von der Fremdherrschaft zu befreien, aber nicht einen starken deutschen Staat zu schaffen. Im ersten Pariser Frieden behielt Frankreich die Grenzen von 1792 mit Landau und dem Saarbecken. Selbst nach dem neuen Krieg, der 1815 mit Napoleons Rückkehr von Elba ausbrach, und nach dem glänzenden Sieg von La Belle-Alliance erhielt Deutschland Elsaß und Deutsch-Lothringen nicht zurück, weil Rußland und England es aus Eifersucht gegen die deutschen Mächte nicht zugaben. Nur Landau und das Saargebiet mußte Frankreich abtreten.
Die territoriale Gestaltung und die Verfassung Deutschlands gehörten zu den schwierigsten Fragen, welche der seit in Wien versammelte Kongreß der Mächte zu beraten hatte. Von einer Wiederherstellung der durch den Reichsdeputationshauptschluß vernichteten geistlichen Staaten ward ebenso abgesehen wie von der Restitution der mediatisierten Stände in ihre reichsunmittelbare Freiheit. Vielmehr wurde der Stand der Dinge bei Auflösung des Reichs 1806 zu Grunde gelegt.
Die vertriebenen norddeutschen Fürsten, der zum König erhobene Kurfürst von Hannover, die Herzöge von Oldenburg und Braunschweig, der Kurfürst von Hessen, traten wieder die Regierung ihrer Lande an. Preußen ergriff ohne Widerspruch von seinen alten Landen links der Elbe wieder Besitz; nur Hildesheim, Goslar und Ostfriesland trat es an Hannover ab. Auch Großpolen (Posen) erhielt es zurück. Für die Erwerbung der dritten polnischen Teilung, Neuostpreußen mit Warschau, welches Rußland für sich verlangte, beanspruchte Preußen Sachsen, dessen König in Leipzig als Kriegsgefangener in die Hände der Verbündeten gefallen und dessen Land von diesen in Besitz genommen worden war.
Der Neid Österreichs sowie die Ränke Englands und Frankreichs bewirkten jedoch, daß es bloß den nördlichen, zwar größern, aber ärmern und dünner bevölkerten Teil erhielt, das südliche als Königreich unter der alten Dynastie bestehen blieb. Dafür wurden Preußens westliche Lande durch Jülich, Berg, die Stifter Köln, Trier u. a. erheblich vergrößert und abgerundet, wenn auch nicht mit dem Osten verbunden, und Neuvorpommern erworben. Daß Preußen für Polen durch deutsche Lande entschädigt und ein großer
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Teil seines Gebiets an die Westgrenze Deutschlands verlegt wurde, war für die künftige Haltung der preußischen Politik und die Entwickelung Deutschlands von den wichtigsten Folgen. Hessen-Darmstadt, Nassau, Baden und Württemberg blieben in den von Napoleon geschaffenen Grenzen. Bayern trat Tirol und Salzburg an Österreich ab, behielt aber die althohenzollerischen Fürstentümer Ansbach und Baireuth und bekam Würzburg und die Rheinpfalz; von der letztern abgesehen, bildete es fortan einen kompakten, wohlabgerundeten Staat. Österreich verzichtete auf seinen frühern Besitz am Oberrhein, erlangte aber (außer Tirol und Salzburg) Galizien, Illyrien, Dalmatien und Istrien zurück und dazu das Lombardisch-Venezianische Königreich. Es gewann damit im mittlern Donaugebiet, zu beiden Seiten der Alpen und in Italien eine herrschende Stellung, die hier durch die Wiederherstellung seiner Sekundogenituren in Modena und Toscana verstärkt wurde.
Österreich zog sich aus Deutschland möglichst zurück und gab damit zu erkennen, daß es auf eine unmittelbare Herrschaft über Deutschland durch Erneuerung der Kaiserwürde zu verzichten gesonnen sei. Diese ward in der That bei den Verhandlungen über die Deutschland zu gebende Verfassung ausgeschlossen, obwohl die kleinern deutschen Staaten sie ausdrücklich beantragten. Die größten Schwierigkeiten bereiteten in der deutschen Verfassungsfrage die Regelung des Verhältnisses der beiden deutschen Großmächte und der Widerspruch der größern Mittelstaaten, Bayerns, Württembergs und Hannovers, gegen jede starke Zentralgewalt.
Trotz seiner glänzenden Heldenthaten im Befreiungskrieg konnte Preußen unmöglich auf die Hegemonie Anspruch machen; dem standen die Vergangenheit, nicht am wenigsten auch die preußische Politik 1795 bis 1806 und die Eifersucht der andern deutschen Dynastien entgegen. Mehr als eine Ehrenstellung wollte Preußen aber Österreich über sich nicht einräumen, da dieses die deutschen Interessen wirksam zu wahren und eine rein deutsche Politik zu treiben weder willens noch in der Lage war. Deutschland unter die Herrschaft von Österreich und Preußen zu teilen und den Dualismus damit zu verewigen, widerstrebte allen patriotischen Männern aufs äußerste. So kam man denn auf den Ausweg, die Rivalität der Großmächte dadurch abzustumpfen, daß man ihren Einfluß auf die Bundesgewalt verringerte, sie nur mit einem Teil ihres Gebiets in den Bund eintreten ließ und die Mittel- und Kleinstaaten mehr an der obersten Leitung beteiligte.
Hierdurch wurde das Streben der Mittelstaaten, die Befugnisse der Zentralgewalt möglichst zu verringern und den Bund zu einem bloß völkerrechtlichen Verein zu machen, begünstigt, und als Napoleons Landung in Frankreich zu einem schleunigen Abschluß drängte, begnügte man sich endlich, um nur etwas zu stande zu bringen, mit einem Minimum; selbst das Bundesgericht wurde in letzter Stunde fallen gelassen. Man tröstete sich damit, daß es besser sei, einen unvollkommenen Bund zu bilden als gar keinen, und daß derselbe keine Verbesserung ausschließe; die unbefriedigten Erwartungen der Nation werde die Zukunft erfüllen.
Der Deutsche Bund.
Die Bundesakte vom sagte in ihrem 1. und 2. Artikel: »Die souveränen Fürsten (die Könige von Bayern, Sachsen, Hannover und Württemberg, der Kurfürst von Hessen, die Großherzöge von Hessen, Sachsen, Baden, Mecklenburg und Oldenburg, die Herzöge von Sachsen [4], von Anhalt [3], Braunschweig und Nassau, die Fürsten von Schwarzburg, Reuß, Lippe, Hohenzollern, Liechtenstein und Waldeck) und die Freien Städte (Lübeck, Bremen, Hamburg und Frankfurt a. M.) mit Einschluß des Kaisers von Österreich und des Königs von Preußen, beide für ihre gesamten vormals zum Deutschen Reiche gehörigen Besitzungen, ferner der König von Dänemark für Holstein, der König der Niederlande für Luxemburg vereinigen sich zu einem beständigen Bund, welcher der Deutsche Bund heißen soll. Zweck desselben ist die Erhaltung der äußern und innern Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten.« Die Angelegenheiten des Bundes besorgte eine Bundesversammlung (Bundestag),
welche aus den Gesandten der Staaten bestand, in der Österreich den Vorsitz führte, und die in Frankfurt a. M. tagte (über ihre Geschäftsordnung s. den Art. »Deutscher Bund«). Streitigkeiten der Bundesglieder sollten durch Vermittelung des Bundes und, wenn diese fehlschlage, durch eine Austrägalinstanz beigelegt werden. In allen Bundesstaaten sollte eine landständische Verfassung bestehen, ebenso Gleichberechtigung der christlichen Religionsparteien. Als nächste Aufgaben der Bundesversammlung wurden die Abfassung der Grundgesetze des Bundes und dessen organische Einrichtung in Rücksicht auf seine auswärtigen, militärischen und innern Verhältnisse sowie Vereinbarungen über Preßfreiheit und Sicherstellung des Verlags- und Autorrechts und über Regelung des Handels und Verkehrs bezeichnet.
Unzweifelhaft ließ diese Akte viele berechtigte Wünsche der Nation, sowohl was Einheit als was Freiheit betraf, unbefriedigt und entsprach weder der geistigen Entwickelung des deutschen Volkes, das in dem mächtigen Aufschwung der schönen Litteratur und der Wissenschaften eine den ersten Kulturvölkern ebenbürtige Bildung und ein Anrecht auf freie und nationale politische Institutionen erworben hatte, noch den großen Opfern, die im Befreiungskrieg an Blut und Geld gebracht worden waren.
Dennoch war der Bund lebens- und entwickelungsfähig, wenn der gute Wille, welchen die Regierenden bei seiner Begründung bekundeten, auch in der Zukunft ernst und aufrichtig bethätigt wurde und die Stimme der Nation, wie sie sich in der Presse und der Litteratur äußerte, die gebührende Berücksichtigung fand. Namentlich das Versprechen landständischer Verfassungen in den Einzelstaaten mußte ehrlich erfüllt werden. Dies geschah aber nur in wenigen Mittel- und Kleinstaaten, wie Sachsen, Weimar, Baden, Bayern, Württemberg, vor allem nicht in Österreich und Preußen, obwohl der König Friedrich Wilhelm III. durch seinen Erlaß vom die Berufung von Reichsständen mit konstitutionellen Rechten ausdrücklich versprochen hatte.
Anfangs waren es die Schwierigkeiten der Neuorganisation der Verwaltung, welche die Ausführung des Versprechens in Preußen verzögerten. Bald aber machte sich der unheilvolle Einfluß reaktionärer, konterrevolutionärer Strömungen, welche von Österreich und Rußland mit Eifer unterstützt wurden, in Deutschland und Preußen immer mehr bemerkbar. Alle lebhaftern Äußerungen liberalen und nationalen Geistes von seiten der Männer der Wissenschaft und der studentischen Jugend wurden von den Häuptern der Reaktion in Preußen, Tzschoppe, Kamptz und Schmalz, von den österreichischen Staatsmännern Metternich und Gentz und von den russischen Agenten Kotzebue und Stourdza ausgebeutet, um die deutschen Regierungen einzuschüchtern, ihnen Furcht vor einer gewaltsamen Umwälzung einzujagen und sie
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zu polizeilicher Unterdrückung aufzufordern. Görres' »Rheinischer Merkur« ward verboten, der Tugendbund aufgehoben, und das Wartburgfest der Jenaer Burschenschaft wurde zum Anlaß genommen, Karl August von Weimar zur Wiedereinführung der Zensur und zur Beschränkung der studentischen Freiheit zu nötigen. Die Bekämpfung des sogen. revolutionären Geistes in seinen unschuldigsten Regungen war auf dem Aachener Kongreß (1818) ein Hauptgegenstand der Beratung der Monarchen.
Die Wiener Politiker, welche am liebsten in Europa und in Deutschland eine Kirchhofsruhe hergestellt hätten, um ungestört ihrer epikureischen Genußsucht frönen zu können, benutzten namentlich die Ermordung Kotzebues durch einen Jenaer Studenten, K. L. Sand (1819), dazu, um deutsche Ministerkonferenzen nach Karlsbad (August 1819) zu berufen, welche sich über gewisse Beschlüsse gegen die Presse, die Burschenschaft, das Turnwesen und die Freiheit der Universitäten vereinigten. Diese Karlsbader Beschlüsse wurden vom Bundestag in einer einzigen Sitzung sämtlich bestätigt.
Während alle in der Bundesakte versprochenen Dinge, organische Bundeseinrichtungen, Grundgesetze, Sicherung der Freiheit der Presse und des Handels und Verkehrs, landständische Verfassungen u. dgl., seit 1815 nicht im geringsten gefördert worden waren, ward jetzt sofort eine Exekutivordnung für die Ausführung von Bundesbeschlüssen, welche die Sicherung der öffentlichen Ordnung bezweckten, beschlossen, die Überwachung sämtlicher Universitäten und eine strenge Zensur eingeführt und in Mainz eine Zentraluntersuchungskommission gegen die demagogischen Umtriebe eingesetzt, die eine Menge meist schuldloser junger Leute verhaften ließ und jahrelang in Gefängnissen herumschleifte. Die gewissenhaften, aber rauhen preußischen Behörden verfuhren bei den Demagogenverfolgungen mit gehässigem Ungeschick. Männer wie Arndt, Welcker und Jahn wurden verhaftet und ihrer Ämter entsetzt.
Damit noch nicht zufrieden, bewirkte Metternich, stets getreulich von Preußen unterstützt, die Annahme der Wiener Schlußakte welche den Deutschen Bund zu einem völkerrechtlichen Verein zur Erhaltung innerer und äußerer Ruhe herabdrückte und den Bundestag zu einem bloßen Polizeiorgan der beiden deutschen Großmächte, hinter denen Rußland stand, machte. Selbst das Versprechen landständischer Verfassungen wurde dahin deklariert, daß in dem Staatsoberhaupt in seiner Eigenschaft als Souverän die gesamte Staatsgewalt vereinigt bleiben müsse und dasselbe nur hinsichtlich der Ausübung bestimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden sei, sowie daß keiner der Fürsten durch die Verfassung an der Erfüllung seiner bundesmäßigen Pflichten behindert werden dürfe.
Die süddeutschen Staaten, in welchen sich ein konstitutionelles Leben in den Landtagen entwickelt hatte und ein liberaler Geist herrschte, namentlich Württemberg, suchten sich den Karlsbader Beschlüssen zu entziehen und eine freisinnige Haltung gegen Presse, Vereinswesen und Universitäten zu bewahren. Sie mußten sich zwar dem Druck der Mächte fügen, rechtfertigten aber durch ihr Auftreten nachträglich ihre unpatriotische Opposition auf dem Wiener Kongreß gegen eine starke Zentralgewalt.
Denn nun sah ja die Nation, wie eine solche nicht zur Begründung eines einheitlichen Staatswesens, sondern nur zur Unterdrückung der Freiheit verwendet wurde, und mußte froh sein, daß die Staaten noch genug Selbständigkeit gerettet hatten, um der Polizeiwillkür einige Schranken zu ziehen. Der Bundestag verfiel seitdem der gerechten allgemeinen Verachtung, und von ihm hoffte man nichts mehr. Die Masse des Volkes ging damals allerdings noch ganz in den Sorgen des täglichen Lebens auf, in der Heilung der Kriegswunden durch gesteigerte gewerbliche und kommerzielle Thätigkeit, und das Nationalgefühl machte bei ihr wenig Fortschritte. Die gebildeten Kreise aber, die geistigen Führer Deutschlands, richteten ihre Aufmerksamkeit vor allem auf die Erringung der Freiheit und nahmen sich ein Vorbild an den französischen Liberalen, deren Bestrebungen und Ideen namentlich in Süddeutschland maßgebend wurden.
Die Pariser Julirevolution von 1830 gab denn auch in Deutschland den Anlaß zu einer liberalen und unitarischen Bewegung. In Braunschweig wurde der Herzog Karl, der sein Land durch eine tolle Mißregierung aufs äußerste gereizt hatte, vertrieben und im Oktober 1832 eine neue, freisinnigere Verfassung proklamiert. Der Kurfürst Wilhelm II. von Hessen wurde gezwungen, seinen Sohn zum Mitregenten anzunehmen und die seit 14 Jahren nicht versammelten Landstände zu berufen, welche eine liberale Verfassung zu stande brachten.
Auch in Sachsen wurde durch Unruhen in verschiedenen Städten die Einsetzung eines freisinnigen Ministeriums und der Beginn von Reformen veranlaßt. In Hannover endlich wurde das ständisch-aristokratische Grundgesetz von 1819 durch ein echt konstitutionelles ersetzt (1833). Im badischen und hessen-darmstädtischen Landtag wurden Anträge auf Berufung einer deutschen Nationalrepräsentation eingebracht. Die reaktionären Staatsmänner gerieten schon in die höchste Unruhe, als zwei unkluge Ausschreitungen, welche durch das Vordrängen unreifer republikanischer und revolutionärer Elemente herbeigeführt wurden, das Hambacher Fest und das ganz kopflose Frankfurter Attentat einiger Studenten gegen den Bundestag ihnen den Vorwand gaben, von Bundes wegen mit scharfen Polizeimaßregeln gegen den Liberalismus einzuschreiten.
Der Bundestag faßte 28. Juni und mehrere von Metternich diktierte Beschlüsse, wonach die Regierungen verpflichtet wurden, nichts zu dulden, was den Beschlüssen des Bundestags zuwiderlaufe, und der Bund sich selbst das Recht vorbehielt, gegen revolutionäre Bewegungen unaufgefordert mit bewaffneter Hand einzuschreiten; Steuern, zur Deckung von Bundeskosten bestimmt, sollten die Landstände gar nicht verweigern dürfen. Alle Vereinigungen politischen Charakters und alle Volksversammlungen wurden verboten und die existierenden liberalen Zeitungen unterdrückt. 1833-34 wurden wieder Ministerkonferenzen in Wien abgehalten, die trotz des Widerspruchs mehrerer mittelstaatlicher Vertreter beschlossen, daß den Ständeversammlungen das Steuerverweigerungsrecht überhaupt nicht zustehe, die Zensur auf die Veröffentlichung der ständischen Verhandlungen ausgedehnt, diese auf die Beratung innerer Angelegenheiten beschränkt, die Universitäten einer noch strengern Kontrolle unterworfen, endlich zur Ausrottung des Demagogentums eine neue Zentraluntersuchungskommission in Frankfurt eingesetzt werden sollte. Wieder wurden ein paar Hundert ältere (Jordan und Weidig), besonders aber junge Männer in die Verbannung getrieben oder durch Verurteilung zu langer Festungshaft unglücklich gemacht. Den Handwerksgesellen wurde das Wandern in die Schweiz, nach Frankreich und Belgien verboten, damit sie nicht vom Liberalismus angesteckt würden. In Baden mußte
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die freisinnige Preßgesetzgebung aufgehoben werden, und die Vorkämpfer des Liberalismus, Rotteck und Welcker, wurden ihrer Professuren an der Freiburger Universität entsetzt. Der schamlose Rechtsbruch, mit welchem 1837 König Ernst August von Hannover aus Eigennutz die Verfassung von 1833 umstieß und an deren Stelle eine neue, »den wahren Bedürfnissen des Landes« und dem Vorteil seiner Zivilliste entsprechende verhieß, wurde vom Bundestag geradezu gebilligt, indem er sowohl den Protest der sieben Göttinger Professoren, welche dafür aus Hannover ausgewiesen wurden, als die Bitte der hannöverschen Kammer um seine Intervention gegen die Rechtsverletzung ablehnte.
Auch in der Wahrung der äußern Interessen Deutschlands leistete der Bundestag nichts. Die Deutschen im Ausland fanden höchstens den Schutz, den ihnen Österreich oder Preußen leihen konnte und wollte. Die Einrichtung einer Kriegsflotte zum Schutz des deutschen Handels und die Befestigung der Küsten hat der Bundestag nie auch nur erwogen. Die Verbesserung der Kriegsverfassung kam trotz wiederholter Anträge Preußens nicht zu stande; die Frage namentlich über den Oberbefehl wurde nicht entschieden.
Der Ausbau der Grenzfestungen am Rhein verzögerte sich von Jahr zu Jahr, obwohl bereits 1829 von neuem die Gefahr eines französischen Angriffs, um die Rheinlande Deutschland zu entreißen, gedroht hatte; die Mittel dazu lagen aus der französischen Kriegsentschädigung von 1815 bereit, der Bund ließ sie aber dem Haus Rothschild gegen 2 Proz. Zinsen. Den gehässigen Schwierigkeiten, welche die selbstsüchtigen Holländer der freien Entwickelung der Rheinschiffahrt bereiteten, wußte der Bund ebensowenig ein Ende zu machen wie den Rheinzöllen.
Als Belgien sich von den Niederlanden losriß und auch den deutschen Staat Luxemburg beanspruchte, verstand sich der Bund zu einer Teilung und nahm das ohne die Festungen Maastricht und Venloo militärisch ganz wertlose Limburg zur Entschädigung. Als die schleswig-holsteinischen Stände sich über die Verletzung ihrer Privilegien durch die dänische Krone beschwerten und König Christian VIII. in seinem »offenen Brief« die rechtmäßige Thronfolgeordnung in den Herzogtümern und ihre untrennbare Vereinigung bedrohte, verwies der Bund die Stände 17. Sept. auf ihre Bitte um Schutz auf die Erklärung des dänischen Königs, der die Rechte aller zu beachten versprochen habe. Den Frieden, den Deutschland 1815-48 genoß, dankte es also nur der nachgiebigen Schwäche des Bundestags.
Nicht einmal auf dem ganz neutralen Gebiet des Zollwesens vermochte derselbe etwas zu leisten. Als 1817 nach einer Mißernte eine große Teurung eintrat, welche infolge des durch Zollschranken zwischen den einzelnen Staaten, ja durch Binnenzölle zwischen Provinzen gehemmten Verkehrs zu einer furchtbaren Hungersnot anwuchs, ging Preußen mit der Aufhebung der Wasser- und Binnenzölle in seinem Gebiet voran, proklamierte 1818 das Prinzip der Handelsfreiheit und eröffnete 1821 mit der Konvention über Befreiung der Elbschiffahrt die Reihe von Verträgen, welche 1833 zur Begründung des Deutschen Zollvereins führten; derselbe umfaßte mit Ausschluß Österreichs fast sämtliche deutsche Staaten, und seine segensreichen Wirkungen für Industrie und Handel machten sich bald bemerklich.
Als 1840 der geistreiche, schwungvolle König Friedrich Wilhelm IV. den preußischen Thron bestieg, knüpfte man in Deutschland daran noch weitere Hoffnungen auf eine freiheitliche Entwickelung in den Einzelstaaten und auf Erfüllung des allgemeinen Wunsches nach nationaler Einheit. Wirklich regte Friedrich Wilhelm in Wien eine Reform der Bundesverfassung wiederholt an, da die Nation mit Recht erwarte und verlange, daß ihre gemeinsamen Interessen, ihre unabweisbaren Bedürfnisse volle Befriedigung fänden. Er erließ eine allgemeine politische Amnestie, welche die Opfer der Demagogenverfolgungen befreite, und milderte die Zensur.
Aber sein Zaudern, Preußen eine Verfassung zu geben, die enge Beschränkung der Rechte des Vereinigten Landtags, der endlich 1847 berufen wurde, seine mit Vorliebe kundgegebenen mittelalterlich-ständischen Ansichten und seine Hinneigung zur kirchlichen Orthodoxie ernüchterten die Nation. Das Metternichsche System schien dauernd begründet zu sein, und dennoch hatte niemand ein festes Vertrauen auf seinen Bestand. Der Bundestag befriedigte außer Österreich weder Fürsten noch Volk, obwohl man ihn nicht zu reformieren wußte. Unter den Liberalen nahmen teils partikularistische, teils republikanische Neigungen zu und vermehrten die allgemeine Gärung, welche zum zweitenmal durch eine Umwälzung im westlichen Nachbarland, durch die Pariser Februarrevolution 1848, zum Ausbruch kam.
Die Frankfurter Nationalversammlung und die deutschen Einheitsbestrebungen.
Unmittelbar auf die erste Nachricht von der Pariser Revolution stellte Heinrich v. Gagern in der darmstädtischen Kammer den Antrag auf Errichtung einer deutschen Zentralgewalt mit Volksrepräsentation, und bereits 5. März faßte eine zu Heidelberg aus eignem Antrieb zusammengetretene Versammlung von 51 angesehenen deutschen Männern, meist Mitgliedern deutscher Kammern, den Beschluß, die deutschen Regierungen auf das dringendste anzugehen, so bald wie möglich eine Vertretung der deutschen Nation ins Leben zu rufen.
Zugleich wurde eine Siebenerkommission beauftragt, Vorschläge über eine angemessene Volksvertretung vorzubereiten und die Grundlagen für eine neue deutsche Verfassung zu beraten, und 12. März forderte diese die frühern oder gegenwärtigen deutschen Landtagsmitglieder auf, 30. März sich zu einer Vorberatung in Frankfurt a. M. zu versammeln. Der Bundestag trat dem nicht entgegen, beschloß vielmehr selbst 10. März, eine Revision der Bundesverfassung unter Zuziehung von 17 Vertrauensmännern, welche die bedeutendsten Staaten deputieren sollten, vorzunehmen.
Die Regierungen hatten mit einemmal alles Selbstbewußtsein und allen Mut verloren und wichen fast überall ohne Widerstand den stürmischen Forderungen des Volkes. Römer, ein Mitglied der Siebenerkommission, wurde in das württembergische, Gagern in das hessische, Stüve in das hannöversche Ministerium berufen. In Wien wurde Metternich durch einen Volksaufstand gestürzt und vertrieben. König Ludwig von Bayern, dessen Stellung durch den Lola Montez-Skandal erschüttert war, dankte 20. März zu gunsten seines Sohns Maximilian II. ab, der sofort ein liberales, den Volkswünschen geneigtes Ministerium berief.
Auch in Berlin hatte sich Friedrich Wilhelm IV. durch die stürmischen Weltereignisse und die Volksdemonstrationen bestimmen lassen, den Vereinigten Landtag sofort zusammenzuberufen und in dem Ausschreiben auch die Errichtung eines deutschen Bundesstaats mit Nationalrepräsentation, gemeinsamer Heeresverfassung, deutscher Flotte, Bundesgericht, Freizügigkeit, Preßfreiheit u. a. als Programm seiner Regierung aufzustellen. Aber der
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Straßenaufstand 18. März, der in gewisser Beziehung siegreich blieb, die schwankende Haltung des Königs und die Schwäche der preußischen Behörden raubten der Regierung Preußens gerade in dem Augenblick die notwendige Autorität und Kraft, wo sie an die Spitze der deutschen Bewegung hätte treten müssen. Erst jetzt erteilte der König seine Zustimmung zu der Berufung einer preußischen Nationalversammlung, welche dem Staat eine liberale Verfassung geben sollte.
Dieselbe trat 22. Mai zusammen, beriet das ganze Jahr hindurch, stürzte ein Ministerium nach dem andern und untergrub das Ansehen der Regierung im eignen Lande durch Einmischung in die Verwaltung. Zugleich steigerte sie den Haß des Königs gegen den Liberalismus durch anmaßende Eingriffe in seine Rechte und machte ihn auch der deutschen Bewegung abgeneigt, kurz lähmte Preußens Aktion nach außen so, daß man in Frankfurt sich bald jeder Rücksicht auf den im Grunde doch unerschütterten und im Besitz wirklich bedeutender Machtmittel befindlichen Staat überhoben glaubte.
Am 30. März war nämlich in Frankfurt das Vorparlament unter Mittermaiers Vorsitz zusammengetreten. Es bestand aus über 500 Mitgliedern, darunter 141 Preußen, 84 Darmstädter, 75 Badenser, aber nur 2 Österreicher. Statt sich auf das Notwendigste zu beschränken, da es eine wirklich berechtigte Volksvertretung doch nicht war, und mit den Regierungen die Grundlagen der Reichsverfassung und die Berufung der Nationalversammlung zu vereinbaren, faßte es eine Anzahl schwer ausführbarer Resolutionen, wie Aufnahme Schleswigs in den Deutschen Bund, Sühnung des an Polen begangenen Unrechts, Proklamation der Volkssouveränität u. dgl., und ließ sich mit den Republikanern Hecker und Struve auf eine heftige Debatte über die Vorzüge der Republik ein; als diese sich geschlagen sahen, suchten sie durch eine gewaltsame Schilderhebung im badischen Oberland ihr Ziel zu erreichen, die aber 20. April bei Kandern sofort unterdrückt wurde.
Schließlich übertrug das Vorparlament mit Zustimmung der Regierungen seine Aufgabe einem Fünfzigerausschuß, der am 7. April mit der Vorbereitung der Wahlen für die Nationalversammlung begann; in allen Ländern des bisherigen deutschen Bundesgebiets, außerdem in der Provinz Preußen sollten durch allgemeine Wahlen die Deputierten (je einer auf 50,000 Seelen) gewählt werden. Während eine Kommission der 17 Vertrauensmänner einen Verfassungsentwurf ausarbeitete, der ein erbliches, unverantwortliches Reichsoberhaupt, verantwortliche Minister und Einheit in Wehr- und Rechtsverfassung, Diplomatie und Verwaltung verlangte, fanden die Wahlen statt, von denen einige slawische Bezirke Österreichs sich ausschlossen.
Die Eröffnung der ersten deutschen Nationalversammlung, die 586 Mitglieder zählte, erfolgte 18. Mai der Paulskirche zu Frankfurt a. M. Heinrich v. Gagern wurde zum Präsidenten, Soiron zum Vizepräsidenten gewählt. Es war eine Reihe der trefflichsten Männer hier vereinigt, darunter die bedeutendsten Gelehrten (an 100) Deutschlands. Aber die mangelnde politische Schulung machte sich in einer allzu idealistischen Geringschätzung der praktischen Verhältnisse und der staatlichen Faktoren, mit denen man zu rechnen hatte, geltend.
Die augenblickliche Schwäche und Unthätigkeit der Regierungen verleitete die Versammlung, sich, als lediglich aus dem Volkswillen hervorgegangen, für souverän zu halten und jede Mitwirkung der Regierungen bei der Schaffung der neuen Reichsverfassung auszuschließen; übrigens konnte sie sich selbst nicht einmal über einen Verfassungsentwurf als Grundlage einigen. Ein Zentral- und Vermittelungsorgan für die Verständigung mit den Regierungen wurde nicht geschaffen, vielmehr 27. Mai auf Antrag Wernhers der souveräne Standpunkt der Nationalversammlung dahin präzisiert, daß den Bestimmungen der künftigen deutschen Verfassung prinzipiell der Vorrang vor widersprechenden Bestimmungen einzelner Landesverfassungen gebühre.
Nur die äußerste Rechte, die Konservativen (Partei Milani) unter der Führung von Radowitz und Vincke, verlangte die Vereinbarung der Verfassung mit den Einzelregierungen und die Beschränkung der Versammlung auf diese eine Aufgabe. Das rechte Zentrum (Kasinopartei, Bassermann, Mathy, Beckerath, Dahlmann, Heckscher, Simson, Welcker, Schmerling u. a.) wollte zwar Rücksichten auf die Staaten nehmen, hielt aber prinzipiell an der Souveränität der Versammlung fest, noch mehr das linke Zentrum (Württemberger Hof) und die gemäßigte Linke.
Die Linke endlich (Deutscher Hof) forderte Volkssouveränität mit allgemeinem Wahlrecht, ausschließliche Überlassung der gesetzgebenden Gewalt an die Volksvertretung, eine verantwortliche, auf bestimmte Zeit gewählte Vollziehungsbehörde und Berechtigung jedes Einzelstaats, sich nach eigner Wahl als demokratischer Freistaat oder als demokratische Monarchie zu konstituieren; sie neigte also entschieden zur Republik hin, deren revolutionärste Prinzipien die äußerste Linke ganz offen bekannte.
Als sich das Bedürfnis nach einer provisorischen Exekutive, einer Zentralgewalt, dennoch herausstellte, wählte man nicht, wie Dahlmann vorschlug, gemeinsam mit den Regierungen drei Vertrauensmänner, sondern auf Betrieb des Österreichers Schmerling 29. Juni einen Reichsverweser in der Person des persönlich sehr populären Erzherzogs Johann von Österreich. Obwohl sich Preußen durch diese Wahl nicht verletzt zeigte, war sie doch um so unkluger, als Österreich damals durch innere Wirren so in Anspruch genommen war, daß es dem Reichsverweser und dem Parlament gar keinen Machtrückhalt hätte gewähren können, selbst wenn es gewollt hätte.
Auf Österreich, das ohnmächtig war, nahm die Frankfurter Versammlung zu viel Rücksicht, auf Preußen, dessen man nicht entbehren konnte, gar keine. Erzherzog Johann traf 11. Juli Frankfurt ein, löste 12. Juli gemäß Parlamentsbeschluß den Bundestag auf und bildete ein Reichsministerium, das unter dem Vorsitz des Fürsten von Leiningen aus Schmerling für Inneres und Äußeres, dem preußischen General v. Peucker für Kriegswesen, dem Hamburger Advokaten Heckscher für die Justiz, Beckerath für die Finanzen und Duckwitz aus Bremen für Handel bestand.
Der preußische Antrag, neben dieser Zentralgewalt die Bevollmächtigten der einzelnen Staaten zu einem Rat zu vereinigen, der die organische Verbindung der Reichsregierung mit denen der Staaten herstelle, wurde abgelehnt. Dagegen erließ das Reichsministerium direkte Befehle an die letztern, wie z. B. den der allgemeinen Huldigung für den Reichsverweser durch die Landestruppen, der in Österreich ganz unbeachtet blieb, in Preußen aber einen Armeebefehl des Königs vom 21. Juli zur Folge hatte, in welchem derselbe seine Zustimmung zur Wahl des Reichsverwesers aussprach. Weitere Konflikte in dieser Frage wurden übrigens vermieden, indem sich die Nationalversammlung nun endlich der Beratung der Verfassung und zwar zunächst des von Dahlmann, R. v. Mohl und Mühlfeld ausgearbeiteten Entwurfs der
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»Grundrechte des deutschen Volkes« zuwendete. Die Debatten über diese theoretischen Paragraphen waren eingehend, teilweise gediegen und mitunter heftig, zogen sich aber endlos hin und wurden durch eine wichtige Frage der auswärtigen Politik unterbrochen.
Das Parlament und die Zentralgewalt hatten den Versuch gemacht, Deutschland dem Ausland gegenüber als einen einheitlichen Staat zu repräsentieren. Aber ihre Bevollmächtigten hatten an den Höfen der Großmächte ebensowenig eine förmliche Anerkennung erlangen können wie die neue schwarz-rot-goldene Kriegs- und Handelsflagge. Dennoch beanspruchten sie, auch in der äußern Politik die höchste Instanz für die deutschen Staaten zu bilden. Als die Erhebung Schleswig-Holsteins gegen Dänemark im März 1848 wegen ungenügender Streitkräfte zu scheitern drohte, hatte der Bundestag Preußen damit beauftragt, die Unabhängigkeit der Herzogtümer zu schützen, und Friedrich Wilhelm war auch bereitwillig darauf eingegangen. Im Verein mit den Schleswig-Holsteinern schlugen die Preußen unter Wrangel 23. April die Dänen bei Schleswig und rückten im Mai in Jütland ein.
Die Nationalversammlung faßte 2. Juni die Resolution, daß energische Maßregeln getroffen werden müßten, um den Krieg zu Ende zu führen und beim Friedensschluß die Rechte der Herzogtümer und die Ehre Deutschlands zu wahren. Am 1. Aug. befahl der Reichsverweser den Marsch eines beträchtlichen süddeutschen Heers nach dem Kriegsschauplatz. Die energische Intervention Englands und Rußlands zu gunsten Dänemarks jedoch, die Lähmung des preußischen Handels durch die dänische Blockade, gegen welche Deutschland ohne Kriegsflotte wehrlos war, und die geheime Abneigung Friedrich Wilhelms gegen die Schleswig-Holsteiner, welche er für Rebellen gegen ihren rechtmäßigen König hielt, bewogen die preußische Regierung, 26. Aug., ohne die Genehmigung der Reichsregierung vorzubehalten, den Waffenstillstand von Malmö mit Dänemark auf sieben Monate abzuschließen, der alle Beschlüsse der provisorischen Regierung von Schleswig-Holstein für ungültig erklärte und eine halb von Dänemark, halb von Preußen ernannte gemeinschaftliche Regierung einsetzte.
Die Nachricht hiervon rief in Frankfurt allgemeine Entrüstung hervor. Der Antrag der Rechten, in anbetracht der Zwangslage Preußens den Waffenstillstand dennoch zu genehmigen, wurde bei der ersten Verhandlung der schleswig-holsteinischen Angelegenheit 5. Sept. abgelehnt. Als aber nun das Reichsministerium zurücktrat und ein neues zu bilden nicht gelang, genehmigte die Majorität der Versammlung bei einer zweiten Verhandlung 16. Sept. den Vertrag vorbehaltlich einiger Modifikationen.
Inzwischen hatte die äußerste Linke die Volksmassen, die in Frankfurt zusammengeströmt waren, durch agitatorische Reden gegen die Versammlung aufgereizt. Eine große Volksversammlung auf der Pfingstweide 17. Sept. erklärte die 258 Abgeordneten, welche für den Vertrag gestimmt hatten, für Verräter des Volkes, der deutschen Freiheit und Ehre. Am 18. Sept. war die Nationalversammlung selbst ernstlich bedroht; ein allgemeiner Aufstand war organisiert und Barrikaden erbaut.
Österreichisches und preußisches Militär schützte die Paulskirche, nahm die Barrikaden und trieb das Volk auseinander; dagegen fielen zwei Abgeordnete, General v. Auerswald und Fürst Lichnowski, der Volkswut zum Opfer. Die Republikaner versuchten nun an andern Orten Erhebungen des Volkes zu veranlassen. Struve machte einen Einfall von Basel in das Badische und proklamierte die Republik, indes wurde er rasch vertrieben, und auch sonst blieben die Bewegungen erfolglos.
Die Majorität der Versammlung erkannte jedoch nun, daß sie mit den Regierungen engere Fühlung suchen und die Beratung der Verfassung rasch zu Ende führen müsse, um den radikalen Wühlereien nicht so viel Spielraum zu gönnen. Am 20. Okt. wurde die Beratung der Grundrechte vorläufig abgebrochen und mit der Beratung über den Verfassungsentwurf begonnen, welchen der Verfassungsausschuß 8. Okt. vorgelegt hatte. Derselbe wurde in den Hauptpunkten angenommen: die Reichsgewalt erhielt die ausschließliche Vertretung Deutschlands nach außen, die Verfügung über die ganze Heeresmacht und das Recht der Gesetzgebung auf allen Gebieten der materiellen Entwickelung, des Handels und Verkehrs.
Eine besondere Tragweite hatte die Bestimmung des Entwurfs, daß jeder deutsche Staat, der mit nichtdeutschen Territorien verbunden sei, dieselben nur in Personalunion besitzen dürfe. Dieselbe war gegen Österreich gerichtet, dessen Regierung nach den Siegen Radetzkys in Italien und nach der Einnahme Wiens durch Windischgrätz (31. Okt.) die habsburgischen Lande durch eine Gesamtstaatsverfassung enger zu vereinigen strebte und ihre Geringschätzung der Frankfurter Versammlung und ihre Absicht, sich nicht durch deren Verfassung binden zu lassen, in schroffster Weise dadurch kundgab, daß sie zwei Abgeordnete derselben, die in Wien hatten Frieden stiften sollen, verhaften und den einen, Robert Blum, den gefeierten Führer der Linken, 9. Nov. erschießen ließ. Der österreichische Ministerpräsident erhob sogar 27. Nov. in seinem Regierungsprogramm den Anspruch, daß die Stellung Österreichs zu D. erst dann geregelt werde, wenn ersteres zu neuen, festen Formen gelangt sei, bis dahin aber Österreich seinen Bundespflichten treulich nachkommen, also nicht ausscheiden werde; er verlangte also unbedingte Unterordnung der deutschen unter die österreichischen Interessen. Der Gegensatz Österreichs zu den Zielen der Nationalversammlung war damit so deutlich ausgesprochen, daß Schmerling 17. Dez. das Präsidium des Reichsministeriums niederlegte. Dasselbe übernahm Heinrich v. Gagern, an dessen Stelle als Präsident der Nationalversammlung der bisherige Vizepräsident, Simson, trat.
Mit entschiedener Offenheit trat Gagern 18. Dez. mit seinem Programm (der sogen. kleindeutschen Partei) vor die Versammlung, das die Trennung Österreichs von Deutschland und die Regelung der Verhältnisse beider zu einander durch eine zu vereinbarende Bundesakte als den einzigen Weg zur Rettung des Bundesstaats bezeichnete. Hiermit erleichterte er jedoch Österreich und seinen Anhängern ihre Stellung, indem sie, anstatt selbst Vorschläge zu einer bundesstaatlichen Verfassung mit Gesamtösterreich machen zu müssen, die sich sofort als unmöglich erwiesen hätten, nun mit einer negativen Kritik und Opposition sich begnügen durften, wobei sich ihnen Ultramontane und Radikale bereitwilligst anschlossen.
Die österreichische Regierung protestierte 28. Dez. formell gegen das Gagernsche Programm und erklärte, daß die deutsche Verfassungsfrage nur gelöst werden könne auf dem Weg der Verständigung mit den deutschen Regierungen, unter welchen die kaiserliche den ersten Platz einnehme. Dazu kam, daß die liberalen Anhänger Preußens durch den Bruch der preußischen Regierung mit der dortigen Nationalversammlung, die Berufung des konservativen Ministeriums Brandenburg und die Oktroyierung einer Verfassung (5. Dez.) mißtrauisch gemacht worden waren. Daher wurde Gagern die
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verlangte Ermächtigung zu Unterhandlungen mit Österreich nach heftiger Debatte (11.-13. Jan. 1849) nur mit 261 gegen 224 Stimmen erteilt, und 60 Österreicher protestierten von vornherein gegen jeden Beschluß, der den Ausschluß Österreichs herbeiführe. Der Antrag, daß die Würde des Reichsoberhauptes einem der regierenden deutschen Fürsten übertragen werde, ward 19. Jan. mit 258 gegen 211 Stimmen angenommen, die Erblichkeit der Würde aber verworfen und nur der Titel »Kaiser von Deutschland« mit 214 gegen 205 Stimmen zugestanden (25. Jan.). Hiermit war die erste Lesung des Verfassungsentwurfs beendet. Österreich protestierte dagegen 4. Febr. und veranlaßte die Bildung eines »großdeutschen Klubs«, schnitt aber selbst jede Verständigung mit der deutschen Zentralgewalt ab, indem es 7. März eine österreichische Verfassung oktroyierte, welche ganz Österreich mit Ungarn und Lombardo-Venetien für eine unteilbare konstitutionelle Monarchie erklärte; es war für Österreich fortan im neuen deutschen Bundesstaat kein Platz, wenn es sich nicht zum unbedingten Herrscher desselben aufschwingen konnte. Nun beantragte selbst ein bisheriger Gegner der erbkaiserlichen Partei, Welcker, 12. März, die Verfassung, wie sie vorliege, sofort ohne zweite und dritte Lesung endgültig anzunehmen, etwanige Verbesserungen einem nächsten Reichstag vorzubehalten und die erbliche Kaiserwürde dem König von Preußen zu übertragen. Durch die vereinten Anstrengungen der Gegner der Kleindeutschen ward 21. März die Ablehnung dieses Antrags mit 283 gegen 252 Stimmen erreicht. Die Beratung über die Verfassung ging also ihren regelmäßigen Gang weiter. Mit äußerster Kraftanspannung setzte die Einheitspartei, 267 gegen 263 Stimmen, 27. März die Erblichkeit der Kaiserwürde durch. Am 28. März fand die Kaiserwahl statt: von 538 Anwesenden wählten 290 den König von Preußen (248 enthielten sich der Abstimmung). Unter Glockengeläute und Kanonendonner wurde die Wahl Friedrich Wilhelms IV. zum erblichen Kaiser von Deutschland proklamiert. Hiermit war die Reichsverfassung, der im voraus 28 Regierungen sich unterwerfen zu wollen erklärt hatten, abgeschlossen; ihre Publikation erfolgte
Die Reichsverfassung beschränkte die Rechte der Einzelstaaten nicht unbedeutend: sie verloren das Recht, eigne Gesandte zu halten, ihre Truppenmacht wurde der Zentralgewalt untergeordnet u. dgl. Der Reichsgewalt war die oberste Gesetzgebung vorbehalten. Der Kaiser übt seine Gewalt durch verantwortliche Minister, erklärt Krieg und schließt Frieden, beruft und schließt den Reichstag, welcher in ein Staatenhaus und ein Volkshaus zerfällt. Das erstere bilden die Vertreter der einzelnen Staaten, welche zur Hälfte die Regierung, zur Hälfte die Volksvertretung des einzelnen Staats ernennt; das Volkshaus wird durch allgemeine, direkte Wahlen (auf 100,000 Seelen ein Abgeordneter) gebildet.
Den Beschlüssen des Reichstags gegenüber hatte der Kaiser nur ein suspensives Veto, eine Bestimmung von geringer politischer Bedeutung, welche jedoch die Autorität des Reichsoberhauptes von vorherein zu sehr schwächte. Der radikal-demokratische Charakter der Verfassung prägte sich namentlich im sechsten Abschnitt aus, welcher die »Grundrechte des deutschen Volkes« enthielt: unbeschränkte Freizügigkeit, unbedingte Preßfreiheit, welche selbst nicht durch Konzessionen, Kautionen und Staatsauflagen beschränkt werden darf, volle Glaubens- und Gewissensfreiheit, Aufhebung der Staatskirchen, Gleichheit der bürgerlichen Rechte ohne Rücksicht auf Stand und Glauben, Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre, Unentgeltlichkeit des Volksunterrichts, fast unbeschränktes Vereins- und Versammlungsrecht, Abschaffung der Adels und aller Titel: Grundsätze, die teilweise das politisch noch unreife Volk selbst nicht durchgeführt hätte sehen mögen, viel weniger die Regierungen. Gleichwohl war die Reichsverfassung lebens- und verbesserungsfähig, und es kam nur darauf an, ob der Fürst, dem die Nation die Reichsgewalt anvertraute, entschlossen war, sie zu verwirklichen. Noch schien der Einheitsdrang mächtig genug, um den Widerstand, der sich gegen das neue Reich regte, im Verein mit Preußens Kraft niederzuwerfen.
Aber Friedrich Wilhelm vermochte diesen Entschluß nicht zu fassen. Zwar erkannte er wohl, daß Deutschlands Macht und Einheit nur in der Richtung zu finden war, welche die Mehrheit des Frankfurter Parlaments, Männer, deren Mäßigung, Besonnenheit und Loyalität er anerkennen mußte, in den letzten entscheidenden Beschlüssen eingeschlagen hatte. Aber seinen romantischen Vorurteilen widerstrebte es, die Kaiserkrone aus der Hand der »Revolution«, wie er die Bewegung von 1848 nannte, zu empfangen. Er erklärte daher der Kaiserdeputation in feierlicher Audienz im königlichen Schloß zu Berlin daß die Wahl ihm ein Anrecht gebe, dessen Wert er zu schätzen wisse, daß er sie aber ohne das freie Einverständnis der Fürsten und Freien Städte Deutschlands nicht annehmen könne.
Eine Note des preußischen Ministeriums vom 4. April bestätigte die Absicht des Königs, die deutsche Verfassung auf dem Weg der Vereinbarung zu stande zu bringen, und lud die deutschen Regierungen ein, zu diesem Zweck Bevollmächtigte nach Frankfurt zu senden. Die Nationalversammlung ernannte 11. April ihrerseits hierzu einen Dreißigerausschuß. Noch war die Sache nicht hoffnungslos. Österreich hatte zwar seine Abgeordneten zurückgerufen und damit kundgethan, daß es sich nicht gutwillig fügen werde.
Aber damals erlitten seine Heere in Ungarn Niederlage auf Niederlage, die es dem Untergang nahebrachten. Am 14. April übergaben die Vertreter der 28 Regierungen dem preußischen Bevollmächtigten in Frankfurt a. M. eine Note, in der sie der Wahl des Königs von Preußen zum Kaiser und der Reichsverfassung zustimmten. Allerdings fehlten die vier Königreiche. Aber König Wilhelm von Württemberg, der zuerst mit Entschiedenheit verkündet hatte, er unterwerfe sich keinem Hohenzoller, fügte sich 24. April aus Furcht vor einem Volksaufstand, und in Bayern, Sachsen und Hannover drängte ein großer Teil der Bevölkerung zu demselben Entschluß. Am 21. April nahm die preußische Zweite Kammer einen Antrag von Rodbertus auf Anerkennung der Rechtsbeständigkeit der deutschen Reichsverfassung an und stellte ihren Beistand der Regierung zur Verfügung.
Jedoch gerade dieser Beschluß, welcher als ein Eingriff in die königlichen Prärogativen aufgefaßt wurde, verhalf der reaktionären Strömung in Berlin zum Sieg. Am 27. April wurde die Kammer aufgelöst, und in einer Note an die deutsche Zentralgewalt vom 28. April verwandelte die preußische Regierung die bedingte Ablehnung der Kaiserkrone in eine unbedingte, indem sie zugleich erklärte, daß, wenn die Nationalversammlung nicht auf eine Vereinbarung mit den Regierungen eingehe, diese selbst eine Verfassung oktroyieren müßten. Durch diese unnötige und auch gar nicht ausführbare Drohung warf der preußische König dem Frankfurter Parlament den Fehdehandschuh hin und überlieferte einen großen Teil Deutschlands aufs neue der
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Revolution und der Anarchie. Denn die Versammlung, in welcher das Verfahren des Königs den radikalen Elementen wieder das Übergewicht verschaffte, konnte sich nicht ohne weiteres von ihrem Rechtsboden, der Reichsverfassung, verdrängen lassen und mußte versuchen, die gefaßten Beschlüsse auch ohne und gegen den König von Preußen durchzuführen. Am 4. Mai forderte sie die gesamte Nation, Volk und Regierungen, auf, die beschlossene Verfassung des Deutschen Reichs zur Geltung zu bringen. Sie entfesselte damit eine Bewegung, deren sich die Republikaner und Revolutionäre mit ungeduldiger Begierde bemächtigten, und die der Versammlung selbst bald über den Kopf wuchs und ihre Auflösung herbeiführte.
Die Bewegung begann in der Pfalz, wo eine große Volksversammlung in Kaiserslautern 1. Mai bayrischen Regierung den Gehorsam aufkündigte, weil sie die Reichsverfassung anzuerkennen sich weigerte, und einen Landesverteidigungsausschuß einsetzte; zu gleicher Zeit kam es in Dresden zu einem Aufstand, vor dem der König und seine Minister auf den Königstein flüchteten. Nach mehrtägigen Barrikadenkämpfen ward mit Hilfe preußischer Bataillone die Erhebung in Dresden 9. Mai unterdrückt.
Indes trotz dieser Niederlage an Einer Stelle griff die Bewegung weiter und weiter: in Hessen, Baden, am Rhein, in Frankfurt, in Württemberg und Franken forderte man in stürmischen Volksversammlungen schleunigste Bewaffnung und Organisation zur Durchführung der Reichsverfassung. In mehreren rheinischen Städten kam es zu gewaltsamen Konflikten mit dem Militär und zu offener Gehorsamsverweigerung der eingezogenen Landwehr. Zum vollen Durchbruch aber kam die neue Revolution indem seit langem unterwühlten Baden, obwohl Großherzog und Regierung die Reichsverfassung mit zuerst und unumwunden anerkannt hatten. In Freiburg und Rastatt brachen die Soldaten 11. Mai offene Meuterei aus und verbündeten sich mit den Bürgerwehren; eine Empörung der Garnison in Karlsruhe 14. Mai zwang den Großherzog mit den Behörden zur Flucht, und das ganze Land unterwarf sich nun dem republikanischen Landesausschuß, welcher 17. Mai mit der revolutionären Regierung der Pfalz ein Schutz u. Trutzbündnis abschloß. Die Bewegung verpflanzte sich schon in bedrohlicher Weise nach Württemberg.
Die Reichsgewalt war dem gegenüber ohnmächtig. Am 10. Mai hatte das Ministerium Gagern seine Entlassung genommen und der Reichsverweser 16. Mai ein neues durch ein Mitglied der äußersten Rechten, den preußischen Justizrat Grävell, gebildet, welches beim Parlament nicht den geringsten Einfluß hatte und daher die Auflösung der Versammlung beschleunigte. Diese selbst trug durch ihre radikalen Beschlüsse nach Kräften bei. Am 10. Mai nahm sie einen energischen Protest gegen Preußens »Reichsfriedensbruch« in Sachsen an; ein Beschluß vom 12. verlangte die Verpflichtung der gesamten bewaffneten Macht Deutschlands auf die Reichsverfassung. Am 14. Mai rief darauf die Berliner Regierung die preußischen Abgeordneten ab, am 21. folgte ihr Sachsen, am 23. Hannover, und am 20. zeigte der Rest der erbkaiserlichen Partei, 90 Mitglieder, Gagern an der Spitze, seinen Austritt an. Da sich inzwischen in der Nähe Frankfurts Truppenmassen zusammenzogen und die Anwesenheit in Stuttgart der Revolution in Württemberg möglicherweise zum Sieg verhalf, so beschloß das Parlament 30. Mai, seine nächste Sitzung 4. Juni Stuttgart abzuhalten.
Dort trat die Versammlung, noch 104 Mitglieder zählend (Rumpfparlament), 6. Juni unter Löwes Vorsitz wieder zusammen, setzte zum Zweck der Durchführung der Reichsverfassung eine Reichsregentschaft ein, welche aus fünf Mitgliedern, Raveaux, K. Vogt, H. Simon, Schüler und Becher, bestand, stellte 16. Juni die Bewegungen in Baden und der Pfalz unter den Schutz des Deutschen Reichs und forderte von der württembergischen Regierung Truppen zur Ausführung ihrer Beschlüsse.
Der Minister Römer, in die Mitte gestellt zwischen eine hoffnungslose Revolution und die Pflichten gegen das eigne Land, lehnte dies Ansinnen ab, forderte von der Versammlung ihre Verlegung in einen andern Staat und verhinderte 18. Juni ihren Zusammentritt durch militärische Gewalt. Zu einer fernern Sitzung kam es nicht mehr, und so endete in kläglicher Ohnmacht die erste deutsche Nationalversammlung, auf welche das deutsche Volk die höchsten Hoffnungen gesetzt hatte.
Obwohl nicht ohne Schuld an dem Scheitern ihres Werkes, lebte diese Versammlung, welche die besten Geister der Nation vereinigt hatte, dennoch als eine große und rühmliche Erinnerung im Volk fort, an welcher es sich während der nun folgenden Mißregierung trösten und erheben konnte; und auch ihre Arbeit war nicht vergeblich: die Reichsverfassung von 1849 blieb das Ideal der deutschen Einheitsbestrebungen und das Muster, auf das die Zukunft mit Glück zurückgreifen konnte.
Wiederherstellung des Bundestags.
Inzwischen war es den preußischen und Reichstruppen gelungen, den Aufruhr in der Pfalz und in Baden zu dämpfen, in letzterm Land allerdings nicht ohne blutige Kämpfe, in welchen sich aber die Überlegenheit der preußischen Armee bewährte. Als Friedrich Wilhelm IV. Sachsen durch seine in Dresden geleistete Hilfe gerettet hatte und sich anschickte, den bedrängten süddeutschen Fürsten Hilfe zu bringen, unternahm er es, früherer Verheißungen eingedenk, die Herstellung der deutschen Einheit unter Preußens Führung auf dem Weg freier Zustimmung der deutschen Regierungen, auch Österreichs, zu erreichen.
Eine Proklamation an das Volk vom 15. Mai enthielt die Grundzüge der beabsichtigten preußischen Union: die zu vereinbarende Verfassung werde eine einheitliche Exekutive und freiheitliche Institutionen, gesichert durch eine gesetzgebende Volksvertretung, errichten;
die Reichsverfassung sollte ihr zu Grunde gelegt, mit Österreich ein besonderes Bundesverhältnis vereinbart werden.
Ein in diesem Sinn abgefaßter Entwurf war dem Dreikönigsbündnis zu Grunde gelegt, welches Preußen, Sachsen und Hannover 26. Mai auf ein Jahr abschlossen. Die erbkaiserliche Partei des Frankfurter Parlaments war geneigt, den Entwurf zu unterstützen; auf einer Versammlung zu Gotha (26. Juni) sprachen sich 130 von 148 Mitgliedern für die neue Verfassung aus. Bis zum September schlossen sich 21 deutsche Staaten dem Dreikönigsbündnis an, 5 andre zeigten sich geneigt. Nur Bayern und Württemberg weigerten sich entschieden, der preußischen Union beizutreten, und fanden hierbei jetzt einen mächtigen Rückhalt an Österreich, dessen Bedrängnis in Ungarn Friedrich Wilhelm nicht durch rasches Handeln ausgebeutet hatte, und das nun nach Unterdrückung der ungarischen Insurrektion mit russischer Hilfe sofort die Wiederherstellung des alten Bundestags in Angriff nahm. Ja, Preußen bahnte ihm selbst hierzu die Wege, indem es mit Österreich das sogen. Interim schloß, einen Vertrag zur Einsetzung einer provisorischen Bundesgewalt, die durch je zwei Bevollmächtigte beider Staaten bis in Frankfurt ausgeübt werden sollte. In die Hand dieser Gewalt
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legte der Reichsverweser 20. Dez. sein längst ohnmächtiges, für die preußische Unionspolitik aber immerhin störendes Amt nieder. Als der Verwaltungsrat der Union 19. Okt. die Wahlen für das Volkshaus auf ausschrieb und dann den künftigen Reichstag zum 20. März nach Erfurt berief, wogegen Österreich sofort protestierte, nahmen Sachsen und Hannover an diesen Akten schon nicht mehr teil, weil ihre Voraussetzung der Vereinigung aller deutschen Staaten durch Bayerns und Württembergs Weigerung nicht erfüllt sei, sagten sich im Februar 1850 ganz vom Dreikönigsbündnis los und schlossen mit den süddeutschen Königreichen das Vierkönigsbündnis ab, in welchem ein neuer Verfassungsentwurf mit einer Volksvertretung von 300 durch die Kammern der Einzelstaaten zu wählenden Mitgliedern aufgestellt wurde. Österreich erklärte sich bereit, dem Bund beizutreten, wenn ihm der Eintritt mit dem ganzen Umfang seiner Staaten ermöglicht würde.
Die zaudernde, schwächliche Politik der Regierung zu Berlin, wo sich zwei Parteien, zwischen denen der König schwankte, bekämpften, indem die eine die Unionspolitik bis an die Grenze des Möglichen verfocht, die andre die Union als ein Gewächs der Revolutionszeit verabscheute, mußte ihre Gegner immer mehr ermutigen. Zwar wurde das Erfurter Parlament mit einer entschieden unionistischen Rede des Generals v. Radowitz eröffnet, und die Majorität desselben nahm 17. April den Verfassungsentwurf des Dreikönigsbündnisses mit Verzicht auf jede Einzelberatung an, setzte aber dadurch die unentschlossene preußische Regierung in solche Verlegenheit, daß dieselbe das Parlament 29. April plötzlich vertagte, um es nicht wieder zusammenzuberufen.
Als Österreich hierauf sämtliche Mitglieder des Deutschen Bundes einlud, zum 10. Mai ihre Gesandten nach Frankfurt zu schicken, antwortete Preußen mit der Berufung der Unionsfürsten nach Berlin, und die Kleinstaaten folgten fast alle seinem Ruf, während die vier Könige, ferner Dänemark, die Niederlande und die beiden Hessen die österreichische Partei ergriffen. Die Unionsfürsten wurden aber den ganzen Sommer hindurch mit leeren Verhandlungen hingehalten und ihnen der Rücktritt von der Union förmlich nahegelegt.
Einer nach dem andern benutzte diese Freiheit, um sich dem Frankfurter Kongreß anzuschließen oder Beziehungen zu ihm anzuknüpfen, um so mehr, da derselbe energisch vorging, sich für den alten nur suspendierten, nicht aufgehobenen Bundestag erklärte und als solcher unter Vorbehalt des demnächstigen Eintritts der wenigen Staaten, welche noch zur Union hielten, seine Sitzungen unter dem Vorsitz Österreichs wieder eröffnete. Er bekam sofort Gelegenheit, seine Macht der preußischen Unionspolitik gegenüber zu erproben.
Der Kurfürst von Hessen hatte mit Hassenpflugs Hilfe die Verfassung von 1831 zu stürzen versucht, war aber bei dem einmütigen, entschlossenen Widerstand des Landes 12. Sept. nach Frankfurt entflohen und rief nun hier die Hilfe des Bundes an. Er erwirkte auch 21. Sept. einen ihm günstigen Bundesbeschluß. Auf einer Zusammenkunft des Kaisers von Österreich mit den Königen von Bayern und Württemberg in Bregenz (10.-14. Okt. 1850) wurde verabredet, in Kurhessen von Bundes wegen zu intervenieren und das Land durch ein österreichisch-bayrisches Heer besetzen zu lassen. Am 25. Okt. beschloß der Bund die Intervention, und 1. Nov. überschritt das Exekutionsheer die kurhessische Grenze. Zu gleicher Zeit ratifizierte der Bund den Frieden mit Dänemark, den Preußen, nachdem der Krieg 1849 von neuem ausgebrochen, aber bereits 10. Juli d. J. durch einen Waffenstillstand beendet worden war, zu Berlin abgeschlossen hatte; man überließ die Herzogtümer nicht bloß ihrem Schicksal, sondern erwog auch bereits eine Bundesexekution, um sie dem Verlangen der europäischen Mächte gemäß zur Unterwerfung unter Dänemark zu zwingen.
Preußen schien zu mannhafter Verteidigung seiner Unionspolitik entschlossen: am 26. Sept. war Radowitz, die Seele derselben, zum Minister des Auswärtigen ernannt worden, und preußische Truppen rückten in Kurhessen ein und besetzten die vertragsmäßigen Etappenstraßen. Angesichts des drohenden Konflikts wendeten sich beide Mächte, Österreich und Preußen, an Rußland. Kaiser Franz Joseph begab sich selbst zu einer Zusammenkunft mit Kaiser Nikolaus nach Warschau (26.-28. Okt. 1850), Friedrich Wilhelm schickte seinen Ministerpräsidenten, den Grafen Brandenburg, dahin.
Der hochmütige Zar, der sich berufen glaubte, die Revolution in ganz Europa bis zur Wurzel auszurotten, stellte sich entschieden auf die Seite Österreichs. Friedrich Wilhelm wurde nun wieder schwankend. Die Armee wurde zwar 6. Nov. mobil gemacht, aber Radowitz entlassen und durch Manteuffel ersetzt. Dieser erbot sich zur Befolgung der Bundesbeschlüsse betreffs Kurhessens und Schleswig-Holsteins und verlangte nur noch freie Verhandlung über die Verfassungsfrage.
Aber Schwarzenberg forderte die sofortige Anerkennung des Bundestags und Auflösung der Union, also bedingungslose Unterwerfung. Schon kam es in Kurhessen bei Bronnzell 8. Nov. zwischen preußischen und Bundestruppen zu einer Plänkelei. Aber da die Mobilmachung erhebliche Schäden im preußischen Heerwesen aufgedeckt hatte, wagte der König keinen Krieg und zog die demütige Unterwerfung unter Österreichs Bedingungen vor. Am 29. Nov. unterzeichnete Manteuffel den Olmützer Vertrag, welcher Preußen den Verzicht auf sein Unionsprojekt und auf die mit Baden, Anhalt, Mecklenburg und Braunschweig abgeschlossenen Militärkonventionen, die Räumung von Baden und Hessen und die Rückführung der schleswig-holsteinischen Armee hinter die Eider durch preußisch-österreichische Kommissare auferlegte; die deutsche Verfassungsfrage sollte auf freien Ministerkonferenzen verhandelt werden.
Ende November kehrten der Kurfürst und Hassenpflug unter dem Schutz der Exekution nach Kassel zurück und schalteten nach Beseitigung der Verfassung von 1831 nach Willkür und Laune im Land. Am trafen die österreichisch-preußischen Kommissare in Kiel ein, lösten die schleswig-holsteinische Landesversammlung und das Heer auf und überlieferten das Land wehrlos den Dänen. Die zur Beratung der Verfassungsfrage berufenen freien Dresdener Konferenzen wurden eröffnet, brachten aber bei dem hochmütigen Verhalten Österreichs, das auch nicht die geringste Konzession zu machen gewillt war, nach monatelangen Verhandlungen (bis nur einen Stoß Protokolle zu stande, die als »schätzbares Material« für die deutsche Frage in das Bundesarchiv wanderten. Schon Ende März 1851 forderte Preußen die Staaten der Union auf, gleich ihm selbst den alten Bundestag wieder zu beschicken.
Unter dem Schutz des alten Bundestags, der am eine Bundeszentralkommission einsetzte, welche die Aufgabe hatte, die bestehenden
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Verfassungen zu revidieren und alles Staatsgefährliche daraus zu entfernen, feierte die Reaktion in der Verfolgung aller nationalen und freiheitlichen Bestrebungen ihre Triumphe. Das Schicksal Schleswig-Holsteins wurde durch das Londoner Protokoll besiegelt. Die aus den freiwilligen Gaben der Nation gebildete deutsche Flotte ward zur Versteigerung verurteilt. Die kurhessische Verfassung von 1831 wurde durch Bundesbeschluß vom für mit den Grundgesetzen des Bundes unvereinbar erklärt.
Die konstitutionelle Verfassung Mecklenburgs mußte der alten feudalständischen wieder weichen. Das hannöversche Ministerium Borries wurde bei seinem neuen Verfassungsbruch vom Bund eifrig unterstützt. Fast in allen deutschen Staaten suchte ein reaktionäres Polizeiregiment die Erinnerungen an das Jahr 1848 wieder auszutilgen und durch Beschränkung der Volksrechte, Präventivmaßregeln und strenge büreaukratische Kontrolle der Wiederkehr einer solchen Katastrophe vorzubeugen.
Der Thron schloß zu diesem Zweck einen Bund mit dem Altar, und während an protestantischen Höfen die buchstabengläubige, herrschsüchtige Orthodoxie sich breit machte, verstand es die katholische Kirche vortrefflich, die in der Revolutionszeit errungene Freiheit von staatlicher Aufsicht durch besondere Konkordate sich zu sichern. Der Nation bemächtigte sich aber teils eine pessimistische Verzweiflung, da die edelste, schönste Erhebung des gesamten Volkes ein so erbärmliches Ende gefunden, teils eine stumpfe Resignation, die sich auf die nächstliegenden Sorgen beschränkte. Die Auswanderung (1851: 113,000 Personen) bewies, welcher Überdruß sich aller Kreise bemächtigt hatte.
Nur auf einem Gebiet wurde die Selbständigkeit der deutschen Entwickelung gewahrt, auf dem der wirtschaftlichen Politik. Auch hier hatte Österreich den Versuch gemacht, das besiegte Preußen sich dienstbar zu machen. Im Mai 1850 stellte es den Antrag, mit seinem Gesamtstaat in den Zollverein aufgenommen zu werden. Sämtliche Mittelstaaten, mit Ausnahme von Hannover, erklärten sich auf einer Konferenz in Darmstadt bereit, dies Verlangen bei der 1854 erforderlichen Erneuerung der Zollvereinsverträge zu unterstützen.
Entweder also war zu befürchten, daß das wenig entwickelte Österreich den Deutschen Zollverein zu seinem Vorteil ausbeutete und beherrschte, oder daß Deutschland in zwei Zollgebiete, ein österreichisches und ein preußisches, geteilt wurde. Preußen ließ es auf diese letztere Gefahr ankommen und vereitelte dadurch den Plan seiner Gegner. Nach längern Verhandlungen gab Österreich sein Verlangen auf und schloß mit Preußen und den Zollvereinsstaaten einen Handels- und Schiffahrtsvertrag auf dessen Grundlage später eine engere Annäherung herbeigeführt werden sollte. Münz- und Postverträge folgten. 1856 wurde auf Antrag Bayerns ein Ausschuß eingesetzt, der ein allgemeines deutsches Handelsgesetzbuch ausarbeiten sollte; dasselbe kam 1861 zu stande. Während das öffentliche Leben der Nation nur unerfreuliche Bilder darbot, war die stille Friedensarbeit in Kunst und Wissenschaft, Gewerbe und Handel von günstigem Erfolg begleitet und die Saat einer bessern Zukunft gestreut.
Vergebliche Versuche einer Bundesreform.
Wenn in den 20er und 30er Jahren die Mittelstaaten als die Zufluchtsstätte freiheitlicher konstitutioneller Entwickelung gegolten hatten, so hatten sie jetzt, wo die Minister Pfordten in Bayern, Beust in Sachsen, Linden in Württemberg und Borries in Hannover den reaktionärsten Anschauungen huldigten und die liberalen Elemente im Volk nach Kräften zu unterdrücken suchten, alle Sympathien im deutschen Volk verwirkt. Man erwartete nichts Heilbringendes von ihnen, und die Versuche, die einige Mittelstaaten, besonders Bayern, machten, nach der Niederlage Preußens den Dualismus der beiden deutschen Großmächte dadurch unschädlich zu machen, daß die Mittel- und Kleinstaaten zu einer dritten, rein deutschen Macht vereinigt und Deutschland so in drei Teile (Trias) geteilt wurde, hatten nicht den geringsten Erfolg.
Die Ohnmacht der Mittel- und Kleinstaaten neben Österreich und Preußen zeigte sich deutlich während des Krimkriegs (1854-56). Österreich glaubte seine Interessen im Orient durch eine entschieden antirussische Haltung in Anlehnung an die Westmächte wahren zu müssen, während Preußen an einer strikten Neutralität festhielt. Dies ermutigte die Mittelstaaten, Ende Mai 1854 auf den Bamberger Konferenzen den Versuch zu machen, auch Großmachtspolitik zu treiben: sie verlangten in russischem Interesse, daß, wenn von Rußland die Räumung der Donaufürstentümer verlangt werde, die Westmächte auch das türkische Gebiet räumen müßten, und daß dem Deutschen Bund beim Friedensschluß eine Stimme eingeräumt werde.
Indes Österreich und Preußen, die sich inzwischen über ein Schutz- und Trutzbündnis geeinigt hatten, nötigten 24. Juni dem Bund den Beitritt zu ihrer Allianz auf, »um jeden Zweifel zu beseitigen, daß alle Bundesgenossen fest entschlossen seien, kräftig zusammenzustehen in den Prüfungen, welche die nächste Zukunft dem Vaterland bringen könnte«. Von einer Beteiligung des Bundes am Pariser Friedenskongreß war keine Rede. Für Deutschland hatte übrigens der Krimkrieg die Wirkung, daß er das russisch-österreichische Bündnis, welches 1850 so verhängnisvoll gewirkt, zerriß und die von Österreich geleitete Reaktion des russischen Rückhalts beraubte.
Das öffentliche Leben nahm einen freiern Aufschwung, und die Hoffnungen der Nation lebten wieder auf. Die innern Verhältnisse Preußens und seine Stellung zum deutschen Volk erhielten mit dem Regierungsantritt des Prinz-Regenten (1858) eine ganz andre Richtung, und wiederum wendeten sich die Blicke der national gesinnten, liberalen Deutschen auf den Hohenzollernstaat, während in Österreich das künstliche absolutistische Machtgebäude mehr und mehr ins Wanken geriet.
Der Krieg zwischen Österreich und Frankreich um Italien (1859) drohte Deutschland von neuem in Zwist und Verwirrung zu stürzen, brachte aber schließlich eine heilsame Krisis hervor. Der unerwartete Angriff Napoleons III. auf Österreichs Herrschaft in Italien rief in Süddeutschland anfangs lebhafte Besorgnisse hervor; man befürchtete, daß der Napoleonide damit nur nach dem Muster seines Oheims die Reihe seiner Eroberungen beginnen wolle, daß nach Niederwerfung Österreichs Deutschland ihm wehrlos preisgegeben sei, und glaubte, daß der Rhein am Po verteidigt werden müsse.
In der Presse wie in manchen Kammern kam diese Anschauung zum lebhaftesten Ausdruck, und Österreich säumte nicht, sie zu seinen gunsten auszubeuten, indem es für seinen Krieg mit Frankreich die bewaffnete Hilfe des Bundes in Anspruch nahm. Auch beschloß der Bund 24. April Marschbereitschaft der Bundeskontingente und Armierung der Bundesfestungen. Aber die von Hannover 13. Mai beantragte Aufstellung eines Beobachtungsheers am Rhein lehnte Preußen ab. Dies war entschlossen, das deutsche Bundesgebiet gegen jeden Angriff zu verteidigen; als nach der Schlacht bei
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Magenta das französisch-italienische Heer sich der südlichsten deutschen Bundesgrenze näherte, machte es seine eigne Armee mobil und beantragte 25. Juni auch die der Bundesarmeekorps. Doch beanspruchte es die Führung dieses Kriegs als selbständige Großmacht, während Österreich dem preußischen Prinz-Regenten nur die Stellung eines Bundesfeldherrn im Dienste des unter seinem Einfluß stehenden Bundestags einräumen wollte. Als Franz Joseph erkannte, daß Preußen sich hierzu unter keinen Umständen verstehen würde, zog er es vor, um seine herrschende Stellung in Deutschland zu behaupten, mit Napoleon die Friedenspräliminarien von Villafranca zu schließen und in einem Manifest den unglücklichen Ausgang des Kriegs dem Abfall seines »ältesten und natürlichen Bundesgenossen« aufzubürden. Preußen nahm dagegen die Vorfälle während des Kriegs zum Anlaß, die Reform des Bundes von neuem anzuregen und vor allem auf eine Reorganisation der Kriegsverfassung zu dringen. Es trat damit wieder in den Vordergrund der deutschen Politik und konnte dem österreichischen Einfluß durchaus ebenbürtig entgegentreten.
Die nationalen und liberalen Elemente der Nation fühlten sich hierdurch aufgefordert, nach zehnjährigem Druck an die Öffentlichkeit zu treten und die Lösung der deutschen Frage in die Hand zu nehmen. Nicht wenig aneifernd wirkte dabei das Beispiel Italiens, wo die Nation nach tausendjähriger Zerrissenheit sich einmütig um das thatkräftige Sardinien scharte und durch einheitliches, entschlossenes Handeln Großes erreichte. Mit richtigem Takt erkannte man, daß es bei Gründung eines deutschen Bundesstaats vor allem darauf ankomme, den Dualismus der Großmächte zu beseitigen und sich für eine derselben als Spitze zu entscheiden; daß dies nur Preußen sein könne, konnte kaum zweifelhaft sein.
Auf Betrieb des liberalen hannöverschen Abgeordneten R. v. Bennigsen trat im August 1859 ein kleiner Kreis liberaler Männer in Eisenach zusammen mit dem Zweck, auf dem Wege gesetzmäßiger Agitation eine Reform des Bundes, die Herstellung einer Zentralgewalt und eines Reichsparlaments durch preußische Initiative zu erstreben. Bald breitete sich dieser Verein als »Deutscher Nationalverein« über alle Teile Deutschlands, besonders Preußens, aus und zählte zuletzt über 20,000 Mitglieder.
Die erhebende Säkularfeier des Geburtstags Schillers steigerte das Nationalgefühl und die Sehnsucht nach der deutschen Einheit. Auf den zahlreichen Versammlungen, welche wissenschaftliche, volkswirtschaftliche und gesellige Vereine, Sänger- und Schützenbünde Deutschlands veranstalteten, wurde das Interesse für die nationale Sache wenigstens wach erhalten. Die großdeutschen Elemente in Süddeutschland gründeten, um ihren Eifer für dieselbe Sache zu bethätigen, den »Reformverein«.
Auch die Mittelstaaten mußten sich nun zu einer veränderten Politik bequemen. Im Innern lenkten sie wieder in liberale konstitutionelle Bahnen ein. Die Konkordate Württembergs und Badens mit dem römischen Stuhl wurden im letzten Augenblick noch rückgängig gemacht. Baden ging unter dem vortrefflichen Ministerium Lamey-Roggenbach auf der Bahn freiheitlicher Entwickelung und nationaler Politik allen andern Staaten mit leuchtendem Beispiel voran. Die deutsche Verfassungsfrage kam auch am Bundestag wieder in Fluß.
Die Mittelstaaten, Pfordten und Beust an der Spitze, bemühten sich, die Forderungen der Nation durch kleine Zugeständnisse zu beschwichtigen. Im Spätherbst 1860 vereinbarten mehrere mittelstaatliche Minister auf den Würzburger Konferenzen einen Verfassungsentwurf, welcher unter anderm die Einsetzung eines Bundesgerichts und die Verbesserung der Reichskriegsverfassung enthielt. Hannover, welches sich als den deutschen Admiralstaat betrachtete, beantragte die Begründung einer Flotte.
Beust legte ein umfassendes, auf dem Triasgedanken beruhendes Bundesreformprojekt vor, welches den größern Mittelstaaten einen Anteil an der Exekutive verschaffte und dem Bundestag eine aus Delegierten der Landtage bestehende Abgeordnetenversammlung, jedoch nur mit beratender Stimme, zur Seite stellte. Österreich verhielt sich diesen Anträgen gegenüber meist neutral; es wußte, daß sie nicht ernst gemeint waren. Preußen sprach sich entschieden gegen sie aus und bewirkte ihre Ablehnung. Umgekehrt lehnten die Mittelstaaten alle preußischen Anträge auf Reform der Bundeskriegsverfassung und Gründung einer Flotte ab und trafen Anstalten, als Preußen 1862 im Namen des Zollvereins einen Handelsvertrag mit Frankreich schloß, sich auch dieser Hegemonie Preußens zu entziehen und den Eintritt Österreichs in den Zollverein zu erzwingen.
Preußen ließ sich hierdurch aber nicht einschüchtern, schritt ruhig auf dem Weg selbständiger Ausbreitung seines Einflusses fort und begnügte sich zunächst mit kleinen Erfolgen. Es zwang den Kurfürsten von Hessen im November 1862, endlich der zehnjährigen innern Krisis durch Wiederherstellung der Verfassung von 1831 ein Ende zu machen, und schloß mit einigen Kleinstaaten Militärkonventionen. In der Note des Grafen Bernstorff, welche das Beustsche Reformprojekt ablehnte, präzisierte es seinen Standpunkt in der deutschen Frage: eine Reform der Bundesverfassung auf dem bundestäglichen Weg sei absolut unmöglich, da sie Einhelligkeit sämtlicher Bundesglieder voraussetze;
das Richtige sei vielmehr, den völkerrechtlichen Charakter des Bundes in seiner Reinheit festzuhalten und die engere Vereinigung seiner Glieder auf dem Weg freier Vereinigung zu suchen. Es kam also auf die Unionspolitik zurück.
Jedoch ein wirkliches Vorgehen auf diesem Weg wurde durch den innern Konflikt in Preußen unmöglich gemacht. Als erstes Erfordernis für eine kräftige und erfolgreiche Politik sah der Prinz-Regent, seit König Wilhelm I., die Heeresreorganisation an. Über diese kam es aber zum Streit mit dem Abgeordnetenhaus, der durch beiderseitiges Festhalten an dem Gewollten zu einem förmlichen Kampf zwischen Königtum und Volksvertretung anwuchs und 1862-66 die innere Geschichte Preußens ausfüllte.
Die schroffe Art, mit welcher Bismarck der parlamentarischen Opposition entgegentrat, die polizeilichen Maßregelungen u. a. ließen die Wiederkehr der schlimmsten Reaktion befürchten und entfremdeten Preußen die liberalen Elemente des deutschen Volkes. In diesen wurde jetzt die Anschauung herrschend, daß die Hegemonie in Deutschland nicht ein ehren- und mühevolles Amt sei, das dem mächtigsten deutschen Staat zukomme, sondern ein Preis für Wohlverhalten, der jederzeit wieder entzogen werden könne.
Selbst im Nationalverein wagte man kaum noch von preußischer Spitze zu reden, und wenn das Votum Preußens bei der Abstimmung über das Beustsche Delegiertenprojekt die Worte enthielt: »Nur in einer Vertretung, welche aus unmittelbarer Wahl hervorgeht, kann die deutsche Nation das berechtigte Organ ihrer Einwirkung auf die gemeinsamen Angelegenheiten finden«, erklärte das die öffentliche Meinung in Preußen selbst für Bismarcksche Spiegelfechterei.
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Dennoch erkannten die österreichischen und mittelstaatlichen Politiker, daß Preußen in Bismarck einen energischen, kühnen Staatsmann besaß, von dem man das Schlimmste befürchten mußte, und sie faßten daher den Plan, um Österreich seine Stellung an der Spitze Deutschlands zu retten und die Mittel- und Kleinstaaten vor einer preußischen Union zu bewahren, Preußen, solange es noch durch den Verfassungskonflikt gelähmt war, mit einer großdeutschen Bundesreform zuvorzukommen. Am trat auf Österreichs Einladung der deutsche Fürstentag unter Vorsitz des Kaisers von Österreich in Frankfurt a. M. zur Beratung des von Schmerling verfaßten österreichischen Bundesreformprojekts zusammen.
Was bisher den Männern des Volkes und den Kabinetten mißlungen war, sollte hier durch den persönlichen Meinungsaustausch der Fürsten zu stande gebracht werden; es schien unmöglich, daß eine so ungewöhnliche Versammlung, welche in der Nation hochgespannte Erwartungen erregte, resultatlos auseinander gehen konnte. In der That erschienen fast alle deutschen Fürsten und Vertreter der Freien Städte; aber es fehlte der König von Preußen, welcher selbst eine persönliche Einladung Franz Josephs im Bad Gastein (2. Aug.) ablehnend beantwortet hatte. Das österreichische Reformprojekt, welches den Fürsten in Frankfurt vorgelegt wurde, schlug vor, die Leitung der Bundesangelegenheiten mit erweiterter Befugnis einem Direktorium zu übertragen, welches aus dem Kaiser von Österreich, dem König von Preußen, dem von Bayern und zwei andern alternierenden Fürsten bestehen sollte; ihm zur Seite sollte die Bundesversammlung der Vertreter der Regierungen stehen und in beiden Verhandlungen Österreich zur formellen Leitung der Geschäfte den Vorsitz führen; alle drei Jahre würde eine aus 300 Mitgliedern der Landtage bestehende Bundesdelegiertenversammlung zur Beratung und Beschlußfassung über die ihr vorzulegenden Gesetzvorlagen zusammentreten und deren Beschlüsse dann einem Fürstenrat zu freier Verständigung unterbreitet werden. Auch ein Bundesgericht war vorgeschlagen. In geheimen Sitzungen unter persönlicher Leitung des Kaisers Franz Joseph ward der Entwurf bis 1. Sept. durchberaten und in manchen Punkten verbessert; ein Krieg des Bundes zu gunsten eines Bundesstaats, welcher außerhalb des Bundesgebiets Besitzungen hat, sollte nur mit Zweidrittelmajorität beschlossen werden dürfen, besagte die endgültige Fassung und kam damit dem Interesse Österreichs schon weit genug entgegen.
Das Bundesreformprojekt wurde schließlich fast mit Stimmeneinheit angenommen, aber die Zustimmung Preußens trotz einer Kollektiveinladung des Fürstentags an König Wilhelm nicht erreicht. In einem Bericht des preußischen Ministeriums vom 15. Sept. unterwarf Bismarck die österreichische Bundesreform einer scharfen Kritik, in welcher schließlich nochmals betont wurde, daß eine Bürgschaft dafür, daß Preußen nicht fremden Interessen geopfert werde, nur in einer aus direkter Beteiligung der ganzen Nation hervorgegangenen Nationalvertretung liege, da die Interessen und Wünsche des preußischen Volkes wesentlich und unzertrennlich identisch mit denen des deutschen Volkes seien.
Das war auch das Urteil des deutschen Abgeordnetentags, welcher, aus liberalen Mitgliedern der deutschen Landtage bestehend, sich gleichzeitig mit dem Fürstentag 21. und 22. Aug. in Frankfurt versammelte und bei aller Anerkennung der Tendenz des österreichischen Entwurfs denselben doch nicht für genügend erachten konnte. Aber eine Verständigung zwischen Bismarck und den Vertretern der Nation war unmöglich, solange der preußische Verfassungskonflikt nicht beendigt wurde, wozu bei der Hartnäckigkeit beider Teile keine Aussicht war. So war das Verdienst Preußens nur ein negatives; es hatte die österreichische Bundesreform verhindert, die nur ein Scheinwesen geschaffen hätte, und durch seinen erfolgreichen Widerspruch von neuem klar dargelegt, daß die deutsche Frage im Grund eine Machtfrage zwischen Österreich und Preußen war. Seine eignen positiven Vorschläge wurden aber von der Nation nicht ernst genommen, und die Entfremdung zwischen der preußischen Regierung und den eifrigsten Vertretern der deutschen Einheitsidee wurde durch die schleswig-holsteinische Frage vergrößert, die Ende 1863 durch den Tod des dänischen Königs Friedrich VII. wieder brennend wurde.
Die schleswig-holsteinische Frage und der deutsche Entscheidungskampf.
In Dänemark hatte die eiderdänische Partei eben eine neue Verfassung zu stande gebracht, welche Holstein und Lauenburg ihre Selbständigkeit ließ, Schleswig aber völlig in den dänischen Staat einverleibte, und damit sowohl die alten Rechte auf die Vereinigung der Herzogtümer als die völkerrechtlichen Verpflichtungen Dänemarks verletzt, als der Tod des Königs Friedrich VII. (15. Nov.) den Prinzen von Glücksburg, Christian IX., auf Grund des Londoner Protokolls von 1852 auf den Thron rief. Da dieser sich vom Kopenhagener Pöbel zur Bestätigung der Gesamtstaatsverfassung bewegen ließ, so weigerten sich die Stände und Einwohner der Herzogtümer, ihn als Landesherrn anzuerkennen, und proklamierten den Prinzen Friedrich von Augustenburg als ihren Herzog, dessen Thronfolge zugleich die ersehnte Trennung von Dänemark herbeiführte. Auch in Deutschland erklärte sich die öffentliche Stimme allgemein für ihn; mehrere Volksvertretungen drangen auf seine Anerkennung, Sachsen beantragte 28. Nov. beim Bundestag die Lossagung vom Londoner Protokoll, welches der Bund übrigens niemals anerkannt hatte, und 21. Dez. versammelten sich in Frankfurt 500 Abgeordnete aus allen Parteien, klein- und großdeutsche, sprachen sich für die gänzliche Trennung der Herzogtümer von Dänemark durch Anerkennung Friedrichs VIII. aus und setzten den Sechsunddreißiger-Ausschuß ein, um mit allen Mitteln hierfür zu agitieren. Indes die beiden Vormächte Österreich und Preußen schlossen sich dieser Bewegung nicht an, weil sie an das Londoner Protokoll gebunden waren und die Mächte, namentlich England, nicht zur Unterstützung Dänemarks zwingen wollten. Sie beharrten dabei, daß man sich mit dem Einspruch gegen die Novemberverfassung und mit der auf Grund desselben schon beschlossenen Bundesexekution begnügen müsse. Sie setzten auch ihren Willen 7. Dez. beim Bunde durch, und Ende Dezember rückten sächsische und hannöversche Truppen in Holstein ein, welches die Dänen ohne Widerstand räumten. Als sich jedoch der Bund weigerte, sich dem Standpunkt der Großmächte anzuschließen und bloß die Aufhebung der Novemberverfassung von Dänemark zu fordern, erklärten Österreich und Preußen, daß sie fortan die Geltendmachung der deutschen Rechte in ihre eigne Hand nähmen. Trotz des Protestes der Bundestagsmajorität richteten sie Ende Januar an Dänemark die Aufforderung, die Novemberverfassung für Schleswig außer Kraft zu setzen, und als dieselbe erfolglos blieb, ließen sie ohne Verständigung mit den Bundesexekutionskommissaren ihre Truppen in Holstein einrücken und 1. Febr. die schleswigsche Grenze überschreiten.
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Dies Verfahren erregte in Deutschland allgemeine Entrüstung, da man Bismarcks eigentliche Absichten nicht begriff. Indem das preußische Abgeordnetenhaus jede Verständigung mit der Regierung über die schleswig-holsteinische Frage grundsätzlich ablehnte, die geforderten Geldmittel verweigerte und die Resolution faßte, einer solchen deutsche Interessen preisgebenden Politik mit allen gesetzlichen Mitteln entgegentreten zu wollen, beraubte es Bismarck der Gelegenheit, das Haus über seine Pläne aufzuklären.
Man glaubte nicht anders, als daß Österreich und Preußen ihr Verfahren von 1850-51 wiederholen würden und die Bundestruppen nur beiseite schöben, um die Herzogtümer wie damals wehrlos an Dänemark auszuliefern. Der Sechsunddreißiger-Ausschuß forderte geradezu zum Kriege gegen Österreich und Preußen auf, um sie an diesem Verrat zu hindern. Daß Bismarck sich auf den Boden des Londoner Protokolls stellte, um den Mächten jeden Vorwand zur Intervention zu benehmen, daß er die schwerfällige Bundesexekution beseitigte, um die Dinge zu einer raschen Entscheidung zu bringen und vor allem einen allgemeinen Krieg zu verhüten, ahnten wenige. Denn niemand hielt es für möglich, daß Dänemark im Vertrauen auf fremde Hilfe so hartnäckig sein würde, selbst die Novemberverfassung nicht ändern zu wollen.
Auch der glückliche Fortgang des schleswig-holsteinischen Kriegs, die Eroberung der Düppeler Schanzen (18. April) und die Besetzung eines großen Teils von Jütland, besänftigte die erzürnten Gemüter nicht ganz. Erst als auf der Londoner Konferenz, wo auch der Deutsche Bund durch einen besondern Gesandten, Beust, vertreten war, Dänemark alle Vermittelungsvorschläge hartnäckig zurückwies und die deutschen Mächte sich vom Londoner Protokoll lossagten und gänzliche Trennung der Herzogtümer und Einsetzung des Herzogs von Augustenburg forderten, schwand das Mißtrauen im Volk gegen die geheimen Pläne der Großmächte. Am 1. Aug. kamen bereits die Friedenspräliminarien mit Dänemark und 30. Okt. der Wiener Friede zu stande, in welchem Dänemark beide Herzogtümer nebst Lauenburg gemeinsam an Österreich und Preußen abtrat; die Herzogtümer übernahmen eine Quote der dänischen Staatsschuld (29 Mill. Reichsthaler) und sollten den beiden Mächten für die Erstattung der Kriegskosten haften.
Daß die Mächte sich die Erstattung ihrer Kosten vorbehielten, daß besonders Preußen von dem neuzubegründenden Mittelstaat gewisse Zugeständnisse für seine militärische und maritime Machtstellung verlangte, erschien selbstverständlich, und Preußen würde in einem großen Teil des Volkes, welcher sich für das immerhin zweifelhafte Erbrecht des Augustenburgers nur deshalb erwärmt hatte, weil es der einzige Rechtsboden für die vollständige Losreißung der Herzogtümer von Dänemark zu sein schien, jetzt, nachdem dieses Ziel auf anderm Weg erreicht war, auch für seine weiter gehenden Annexionspläne Sympathien gefunden haben, wenn nicht der Verfassungskonflikt noch immer bestanden hätte.
Das Abgeordnetenhaus gefiel sich in einer kleinlichen Opposition gegen Bismarcks so erfolgreiche auswärtige Politik, die Regierung anderseits mochte sich auch nicht zum kleinsten Zugeständnis in der Militärfrage verstehen. Die heftigsten Gegner der preußischen Forderungen auf gewisse Oberhoheitsrechte in Schleswig-Holstein waren die Mittelstaaten, einmal, weil ein solches Verhältnis eines deutschen Staats zu Preußen ein gefährliches Präjudiz abgegeben und die Unionspolitik wieder ins Leben gerufen hätte, dann, weil sie in ihrem Selbstbewußtsein durch die Beiseiteschiebung der Bundesexekution und die Ende 1864 von den Mächten geforderte und auch erzwungene Räumung Holsteins von seiten der sächsischen und hannöverschen Exekutionstruppen auf das empfindlichste gekränkt waren.
Eine offene Opposition gegen Preußen wagten die Mittelstaaten 1864 noch nicht, denn gerade damals bedrohte sie Preußen mit Auflösung des Zollvereins, wenn sie bei ihrer Opposition gegen den französischen Handelsvertrag beharrten, und zwang sie zur Unterwerfung. Überdies hatten sie sich noch nicht mit Österreich verständigt. Aber auf ihren Antrieb geschah es, daß der Augustenburger die preußischen Forderungen, die Bismarck ihm in einer persönlichen Unterredung vorlegte, anzunehmen sich weigerte.
Bismarck faßte nun die Erwerbung der Herzogtümer für Preußen ernstlich ins Auge: eine Adresse von preußischen Konservativen und eine andre von schleswig-holsteinischen Prälaten und Rittern verlangten einen möglichst engen Anschluß an Preußen. Die Ansprüche des Großherzogs von Oldenburg wurden gegen die augustenburgischen ins Gefecht geführt, und ein Gutachten der preußischen Kronjuristen erklärte die letztern überhaupt für unberechtigt, da die frühere Verzichtleistung des Vaters des Herzogs Friedrich noch zu Recht bestehe, daß also König Christian IX. der berechtigte Erbe gewesen und durch den Wiener Frieden die beiden Mächte in dessen Recht eingetreten seien.
Zwar erhoben sich nicht bloß die Mittelstaaten gegen diese Deduktion, auch die Bevölkerung Schleswig-Holsteins sprach sich in überwiegender Majorität für die Selbständigkeit des Landes aus, und der deutsche Liberalismus, der im Sechsunddreißiger-Ausschuß sein Organ hatte, forderte vor allem Berufung der schleswig-holsteinischen Stände, um das unveräußerliche Recht der Selbstbestimmung den Schleswig-Holsteinern zu wahren. Indes das Wichtigste für Preußen war die Auseinandersetzung mit dem Mitbesitzer Österreich, und so spitzte sich die schleswig-holsteinische Frage ebenso wie die deutsche zu einer Machtfrage zwischen den beiden Großmächten zu.
Österreich erkannte allmählich, daß es einen Fehler begangen hatte, als es sich in der schleswig-holsteinischen Frage von den deutschen Mittel- und Kleinstaaten, die es eben noch unter seiner Hegemonie hatte vereinigen wollen, trennte und aus Rücksicht auf seine Stellung als europäische Großmacht sich der preußischen Politik anschloß. Der Besitz Schleswig-Holsteins war ihm wertlos, ein territoriales Äquivalent von Preußen nicht zu erlangen, und die von diesem angebotene Allianz und Garantie seiner Besitzungen glaubte es entbehren zu können.
Nachdem Graf Rechberg Ende Oktober 1864 durch einen Militär, Mensdorff-Pouilly, ersetzt worden war, suchte dieser sich durch Begünstigung des Augustenburgers mit den Mittelstaaten zu verständigen und die Entscheidung in der Frage dem Bund in die Hände zu spielen. Am schlug Österreich in Berlin vor, die Lande nunmehr thatsächlich dem Herzog Friedrich als dem bestlegitimierten Prätendenten zu übergeben und die Entscheidung über die übrigen Rechtsansprüche dem bundesmäßigen Austrägalgericht zu überweisen. Preußen lehnte das ab. Anderseits wies Österreich die in einer preußischen Note vom zusammengefaßten Bedingungen zurück, unter welchen Preußen allein die Errichtung eines selbständigen holsteinischen Staats gestatten wollte. Nicht ohne Zuthun Österreichs beschloß der Bundestag