Deutschkat
holiken,
die Anhänger einer Reformbewegung in der kath. Kirche Deutschlands, [* 2] die sich in der Zeit des immer stärker auftretenden Romanismus an verschiedenen Orten erhob, um schließlich mit der prot. Reformpartei in den Freien Gemeinden zusammenzugehen und zu erlöschen. Eine Anzahl Katholiken in Schneidemühl, [* 3] überzeugt, daß die Lehre [* 4] Jesu und seiner Apostel die Lehren [* 5] der röm. Priester ausschließe, gründete 1844 eine Christkatholische Gemeinde.
Sie erklärten die Bibel [* 6] für die einzige Quelle [* 7] des christl. Glaubens, verwarfen Cölibat, Fegfeuer und päpstl. Herrschaft, hielten aber fest an dem Dogma der Trinität, den sieben Sakramenten und der Messe und wählten den Priester Czerski (s. d.), der sich von der röm. Hierarchie losgesagt hatte und in den Ehestand getreten war, zu ihrem Pfarrer (1844). Um diese Zeit setzte Joh. Ronge (s. d.) Schlesien [* 8] und das kath. Deutschland [* 9] in Aufregung durch seinen energischen Protest gegen die Ausstellung des Heiligen Rockes (s. d.) in Trier [* 10] und das «Götzenfest» daselbst.
Allerorten erhob sich der nationalgesinnte Klerus und der aufgeklärte Laienstand. In
Breslau
[* 11] bildete
sich (1845) eine große Deutschkat
holische Gemeinde, die den inzwischen exkommunizierten Ronge zu ihrem Pfarrer berief
und
mit allen altkirchlichen Überlieferungen zu brechen entschlossen war. Sie stellte der
Heiligen Schrift die
Vernunft zur Seite
und forderte eine von jeder
Autorität freie
Auslegung der
Bibel. An
Stelle des apostolischen
Symbols setzte
sie ein neues
Bekenntnis, das den zweiten
Artikel gänzlich umgestaltete und alle dem modernen
Denken anstößigen Punkte beseitigte.
Infolge von Ronges Agitationsreisen entstanden zahlreiche andere deutschkath.
Gemeinden, die noch 1845 zu
Leipzig
[* 12] ein
Konzil
abhielten, auf dem
Czerski die strengere Kirchengläubigkeit und das apostolische
Bekenntnis samt der
Lehre
von der Gottheit Christi vertrat. Die Mehrheit huldigte rationalistischen
Anschauungen, wie sie in
Breslau zur
Anerkennung gekommen
waren, doch unter Festhalten an der
Heiligen Schrift und an dem
Glauben an
Jesus
Christus. Dieser dogmatische Gegensatz führte
zu Kämpfen zwischen
Czerski und Ronge, die erst später beigelegt wurden.
Inzwischen wuchs die Zahl der Deutschkat
holiken von
Tag zu
Tag; auch
Anton
Theiner (s. d.) schloß sich vorübergehend an.
In
Österreich
[* 13] und
Bayern
[* 14] verboten und ausgewiesen, fanden sie in
Preußen
[* 15] Duldung. Man betrachtete die
Bewegung vielfach als
den Anfang zur Wiedergeburt der kath.
Kirche. Diese selbst aber hatte für die Rongesche Sekte nur
Bann
und Fluch und bot alles auf, ihr Fortschreiten zum Stillstand zu bringen. Ende 1846 zählte man 100000 Deutschkat
holiken, davon
die Hälfte in
Schlesien. Das zweite 1847 zu
Berlin
[* 16] abgehaltene, 157 Gemeinden umfassende
Konzil gab den Einzelgemeinden große
Unabhängigkeit, den Frauen
Stimmrecht und dem
Kultus eine überaus einfache Gestalt.
Das Jahr 1848 schien der neuen, auch von
Protestanten willkommen geheißenen
Kirche günstig zu sein; aber unter den
Stürmen
der Revolution erkaltete das religiöse Interesse. Ronge, als Abgeordneter der
Demokratie, protestierte gegen die
Wahl eines
Reichsverwesers als Volksverrat, Prediger Dowiat erklärte die socialpolit. Zwecke für die Hauptsache der Deutschkat
holiken. Die 1850 vollzogene
Verschmelzung mit den
Freien Gemeinden (s. d.) auf dem
Grund voller Selbständigkeit der Einzelgemeinde überantwortete den
Deutschkat
holicismus der Reaktion. In
Österreich wurde den Freichristlichen Gemeinden die
Anerkennung entzogen, in
Bayern wurden
sie als polit.
Gesellschaften geschlossen, in
Preußen jede Unterstützung aus Kommunalmitteln verboten, da es sich nur um einen
auf den Umsturz der bürgerlichen und socialen Ordnung gerichteten polit.
Verein handle. Manche ihrer Prediger wurden ausgewiesen,
Ronge lebte als Flüchtling in
London,
[* 17] und die Gemeinden verfielen nicht ohne eigene Schuld. 1863 sammelten Ronge und
Czerski
die Trümmer derselben in dem Religiösen
Reformverein. Nur einige deutschkath.
Gemeinden haben sich lebensfähig
erwiesen und bis jetzt erhalten. 1890 zählte man im
Deutschen
Reiche 5714 Deutschkatholiken.
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Vgl. Ed. Bauer, Geschichte der Gründung und Fortbildung der deutsch-kath. Kirche (Meiß. 1845);
Kampe, Wesen des Deutschkatholicismus (Tüb. 1850);
ders., Geschichte der religiösen Bewegung der neueren Zeit (Bd. 4: Geschichte des Deutschkatholicismus und freien Protestantismus in Deutschland und Nordamerika, [* 18] Lpz. 1860).