Titel
Deutsches
Heerwesen. I. Landheer. A. Altertum. Das Kriegswesen der Germanen beruhte auf der allgemeinen Wehrpflicht im weitesten Sinne; Volk und Heer waren identisch, Recht und Pflicht des Kriegsdienstes (nach Waitz) an den freien Grundbesitz gebunden. Im Alter von 14 oder 15 J. wurde der Jüngling in der Volksversammlung wehrhaft gemacht und damit ein Glied [* 2] des Staates. Größere kriegerische Unternehmungen, namentlich Angriffskriege, mußten von der Volksversammlung beschlossen werden, zur Verteidigung gegen feindlichen Angriff war jedermann ohne einen solchen Beschluß verpflichtet, und besondere Boten riefen den Heerbann auf.
Man diente zu Fuß oder zu Roß und stand im Kampfe nach Geschlechtern und Stämmen zusammen. Hauptwaffe war die Frame (s. d.); zur Zeit der Völkerwanderung kamen daneben Lanzen mit langer, breiter Spitze, sowie Schwerter [* 3] aus Eisen [* 4] oder Bronze [* 5] in Gebrauch, im Norden [* 6] bediente man sich schon vorher kurzer, messerartiger Schwerter, auch sind in den Gräbern Streithämmer und Keulen gefunden worden. Als Schutzwaffe dienten buntbemalte, den ganzen Mann deckende Schilde aus Holz [* 7] oder Flechtwerk, mit Leder überzogen und später mit Metallstreifen besetzt; die nördl. Stämme führten kleine, runde Schilde, bei den östlichen kommen Panzer vor. Helme [* 8] aus Erz oder Leder besaßen nur einzelne.
Einzelne Stämme, wie die Tenkterer, Chauken, Alamannen und Vandalen, hatten eine starke Reiterei, doch lag die Hauptkraft im Fußvolke. Bezeichnend ist die Zusammenstellung von Reiterei und Fußvolk zu besondern Korps, die in der Schlacht das Vortreffen bildeten und aus der jüngsten Mannschaft bestanden (im Heere Ariovists je 6000 Mann Reiterei und Fußvolk). Das Hauptheer stand in keilförmiger Ordnung, die dem Angriffe große Kraft [* 9] verlieh, doch war der Heerbann auch geübt, in ¶
mehr
zerstreuter Ordnung zu kämpfen, namentlich in bewaldetem oder sumpfigem Gelände. Der Angriff erfolgte mit lautem Kriegsruf, das Vorrücken unter Schildgesang; hinter der Schlachtlinie stand die von den Frauen verteidigte Wagenburg. Der König oder ein auf die Dauer des Feldzugs gewählter Herzog führten den Oberbefehl über das Heer; bei größern, aus mehrern Völkerschaften zusammengesetzten Heeren sind zuweilen zwei oberste Führer bestellt worden. An Könige und Fürsten schloß sich eine Gefolgschaft junger Männer freien, oft edeln Standes an, die im Frieden mit ihnen lebten und sie im Kampfe umgaben; den im Kampfe gefallenen Gefolgsherrn zu überleben, galt als Schimpf für das ganze Leben.
B. Mittelalter. Da der aus der allgemeinen Dienstpflicht hervorgegangene Heerbann den gesteigerten Anforderungen nicht mehr genügte, so bildete die Durchführung des Lehnswesens im Rittertum einen berufsmäßigen Kriegerstand heraus. Zwar wurde niemals die allgemeine Dienstpflicht ausdrücklich aufgehoben, doch bediente man sich des Aufgebotes nur noch ausnahmsweise für die Landesverteidigung, niemals zu Angriffskriegen. Die von König Heinrich I. zur Abwehr gegen die Slawen geschaffenen Einrichtungen erhielten sich jedoch in Sachsen [* 11] bis in das 11. Jahrh., wo das Aufgebot zu Roß dienender Bauern noch mehrfach vorkam, und in Holstein kämpften noch im 12. Jahrh. Bauern mit Ritterwaffen zu Roß.
Seitdem sind wieder berufsmäßige Krieger, die nicht dem Ritterstande angehörten (Servientes, Sarjanten, Brabançons, s. d.), aufgetreten. Zur Reichsheerfahrt waren nunmehr nur die vom Reiche unmittelbar Lehen Empfangenden verpflichtet, also die Fürsten, freien Herren und Reichsdienstleute. Später beanspruchten die Verpflichteten stipendium, i. Sold und Naturalverpflegung; das Stipendium war jedoch so knapp bemessen, daß die Leistung des Kriegsdienstes für die Fürsten eine schwere Last blieb.
In der Zeit der Merowinger bestanden die Heere, noch zum größten Teil aus Fußvolk, teils aus Schwerbewaffneten mit Schwertern, zweischneidigen Streitäxten, Schilden, Helmen und Harnischen, teils aus Leichtbewaffneten mit Bogen [* 12] und leichten Wurfspießen. In der Zeit der Karolinger trat das Fußvolk immer mehr zurück, die schwere Reiterei immer mehr in den Vordergrund. Franken und Langobarden kämpften seit dem 8. Jahrh. vorzugsweise zu Roß, bei den Sachsen überwog dagegen das Fußvolk. Feste Plätze waren zahlreich.
Über das Heerwesen des spätern Mittelalters sind wir mangelhaft unterrichtet, weil die Berichterstatter meist geistliche Herren waren, deren Angaben über Taktik, Stärke [* 13] und Aufstellung der Heere sehr unzuverlässig sind. Bis um die Mitte des 11. Jahrh. war der König unbeschränkt im Aufgebote der Heerfahrt; Ungehorsam gegen das Aufgebot konnte den Verlust des Reichslehns herbeiführen. Seit Heinrich IV. durfte die Heerfahrt nur mit Zustimmung der auf einem Reichstage versammelten Fürsten angesagt werden; lehnten diese den Antrag ab, so standen dem Könige nur die unmittelbar belehnten Vasallen und Ministerialen zu Gebote, deren Streitmacht für größere Unternehmungen unzulänglich war.
Wurde die Heerfahrt angenommen, so verpflichteten sich die Fürsten (bis 1240 durch einen besondern Eid), zu bestimmter Zeit an dem bestimmten Sammelplatze zu erscheinen, auch wurde über die Höhe der von ihnen ins Feld zu stellenden Kontingente Bestimmung getroffen. Zuweilen verstattete der Kaiser einzelnen Fürsten ein Abkaufen der Heerfahrt, auch folgten eine Anzahl deutscher Fürsten der Heerfahrt erst als zweites Aufgebot. Zwischen der Ansage und dem Antritte der Heerfahrt blieb eine angemessene Frist, für Romfahrten 1 Jahr 6 Wochen und 3 Tage, für andere Heerfahrten gewöhnlich 40 Tage, häufig jedoch weniger.
Die Ebene bei Augsburg [* 14] war der gewöhnliche Sammelplatz für Romfahrten, und vor dem Beginne des Feldzugs fand eine Musterung des Heers statt, bei Romfahrten unter besonders feierlichen Formen in der Regel auf der Ebene von Roncaglia. Bei Romfahrten waren die Fürsten verpflichtet, mit ihren Truppen bis zur Kaiserkrönung im Felde zu bleiben, bei Heerfahrten «binnen deutscher Zunge» 6 Wochen auf eigene Kosten; unter mächtigen Königen dauerte die Heerfahrt jedoch bis zur Entlassung des Heers.
Bis in das 14. Jahrh. bestanden die deutschen Heere vorzugsweise aus schwerer Reiterei, die mit Schwert, Lanze, Wurfspeer und Schild [* 15] bewaffnet war. Daneben trug man vom 10. Jahrh. ab Arm- und Beinschienen, Handschuhe und Dolche, vom 11. Jahrh. an Helm und Harnisch; von Beginn des 13. Jahrh. ab waren auch die Streitrosse gepanzert. Neben den geharnischten Rittern und deren Mannen gab es leichte, mit Pfeil und Bogen bewaffnete Reiter. Die Ritter führten mehrere Schlachtrosse mit und ritten auf dem Marsche Klepper; Saumtiere und Wagen, zuweilen Schiffe, [* 16] schafften die Verpflegung nach, ein zahlreicher Troß folgte dem Heere, nebst Handwerkern und Kaufleuten.
Man lagerte unter Zelten oder Baracken, im Lager [* 17] sorgte der Marschall für die nötige Ordnung. Das Heer stellte sich in mehrern Treffen zur Schlacht, seit dem 11. Jahrh. standen die Schwaben im «Vorstritt» (1. Treffen), weshalb Württemberg [* 18] später die Reichssturmfahne führte. Die Fürsten führten ihre Banner und befehligten persönlich oder durch Stellvertreter ihre Mannschaft, das Banner des Königs wurde von einem Fürsten getragen. Diese Reiterheere vermochten festen Plätzen wenig anzuhaben, und selbst kleine Burgen [* 19] konnten oft erst nach monatelanger Einschließung durch Aushungern bezwungen werden. Das Scheitern der Romfahrt Ruprechts von der Pfalz 1401, die Einführung von Feuerwaffen, der Verfall des Rittertums und die Not der Hussiten- und Türkenkriege zwangen im Laufe des 15. Jahrh. zu Änderungen, die aber erst unter Kaiser Karl V. auf dem Reichstage von 1521 zum Abschluß gelangt und dann drei Jahrhunderte hindurch maßgebend für das Heerwesen des Deutschen Reichs geblieben sind.
C. Neuere Zeit bis 1816. Seit dem Reichstage zu Worms, [* 20] 1521, bestand die persönliche Dienstpflicht nur noch für die Reichsritter, doch zahlten dieselben dem Kaiser an Stelle der Leistung, die niemals mehr beansprucht wurde, Geld (Charitativsubsidien). Dagegen waren die Reichsstände verpflichtet, bestimmte Kontingente im Falle eines Reichskrieges zu stellen, deren Aufbringung ihrem Ermessen überlassen blieb. Die Erklärung eines Reichskrieges konnte nur durch Beschluß der Kurfürsten, Fürsten und Stände mit Genehmigung des Kaisers stattfinden; daneben war seit dem Westfälischen Frieden jeder Reichsstand zu selbständiger Kriegführung berechtigt. Das Simplum des zum Reichsheere zu stellenden Kontingents betrug seit 1521 für Österreich [* 21] und Burgund 240 Reiter und ¶
mehr
1200 Mann Fußvolk, für Böhmen [* 23] 400 Reiter und 600 Mann, für die übrigen Kurfürsten je 60 Reiter und 277 Mann; fast ebenso hoch für Lothringen, Bayern, [* 24] Hessen, [* 25] Württemberg, Holstein, Lüttich, [* 26] Utrecht, [* 27] Würzburg, [* 28] sowie für die Städte Ulm, [* 29] Nürnberg, [* 30] Frankfurt [* 31] a. M., Straßburg [* 32] i. E., Köln [* 33] und Lübeck [* 34] bemessen, und die kleinern Stände hatten einen Reiter und wenige Mann Fußvolk zu stellen. Nach Maßgabe des Bedarfs wurde durch Reichsbeschluß das Duplum, Triplum u. s. w. des Kontingents bewilligt. Der Reiter empfing 12, der Fußsoldat 4 Gulden monatlich; die Gesamtsumme der hiernach von jedem Stande zu zahlenden Löhnung, der «Römermonat», war Grundlage aller Geldbewilligungen.
Im J. 1681 wurde eine neue Reichsmatrikel ausgestellt, die die Lasten etwas gerechter auf die einzelnen Stände verteilte. Man bestimmte das Simplum der Reichsarmee auf 40000 Mann (12000 Reiter und 28000 Mann Fußvolk) und verteilte dasselbe auf die 10 Reichskreise, denen die weitere Verteilung auf die einzelnen stände überlassen blieb. Die Kreise [* 35] hatten auch die leichte Feldartillerie aufzubringen und gemeinsam das schwere Geschütz nebst Pontontrain, sowie die erforderlichen Ingenieure und Pioniere zu stellen. Ein stehendes Heer besaß das Reich nicht, wohl aber unterhielten die größern Reichsstände seit dem Westfälischen Frieden stehende Truppen und seit 1700 auch der südwestl. Reichskreis Kreistruppen.
Trat das Reichsheer zusammen, so wurde es für Kaiser und Reich vereidigt, erhielt Kriegsgesetze (Artikelbrief, s. Kriegsartikel) und trat unter Befehl der Reichsgeneralität. Die Truppen jedes Kreises standen unter dem Kreisobersten, meist einem im Kreise angesessenen Fürsten, seit dem Westfälischen Frieden unter den vom Reichstage bestellten Generalfeldmarschällen und Generalen. Die Offiziere der Truppen ernannte der Kontingentsherr. Seit 1727 waren die Stellen der Reichsgenerale auch im Frieden besetzt und zwar in den einzelnen Rangstufen zu gleichen Teilen mit Protestanten und Katholiken, doch erhielten deren Inhaber im Frieden keinen Sold.
Ein Reichskriegsrat trat bis 1750 einigemal, später jedoch nicht mehr in Thätigkeit, und jeder Stand trug die Kosten für das von ihm gestellte Kontingent, das Reich nur die Kosten des Oberbefehls und der Hauptleitung (höhere Stäbe, Nachrichtenwesen u. s. w.), zu deren Bestreitung eine Anzahl Römermonate bewilligt wurde. Die Gelder wurden kreisweise in sog. Legestädten gesammelt und an die Reichspfennigmeister abgeführt; später führte die Kämmerei der Stadt Regensburg [* 36] die Verwaltung der Reichskriegskasse und zahlte an die Reichsgenerale oder auf deren Anweisung.
Diese Heeresverfassung bestand gesetzlich, ist jedoch nie vollständig zur Durchführung gekommen. In Österreich und Burgund blieb die Kreisverfassung unausgeführt, in Niedersachsen ging 1677 der Kreistag ein, und größere Reichsstände stellten ihre Truppen lieber als selbständige Korps ins Feld als zu den Kreiskontingenten. So kam es, daß man nur auf 20000 Mann rechnen konnte, wenn ein Triplum, i. 120000 Mann, bewilligt worden war, und daß der Ertrag eines Römermonats von 128000 Gulden auf 50000 Gulden herabsank.
Die Kontingente der kleinern Stände waren militärisch völlig wertlos; das Fuggersche Reiterregiment des schwäb. Kreises bestand 1732 aus 58 Kontingenten, deren stärkstes (von Augsburg) 48 Mann zählte, während 17 Stände nur je einen Reiter dazu stellten. Die Offiziere hatten keine Aussicht auf Beförderung; denn in einer Compagnie schwäb. Kreistruppen ernannte z. B. die Stadt Gmünd [* 37] den Hauptmann, Rotweil den ersten, die Äbtissin von Rotenmünster den zweiten Lieutenant und der Abt von Gengenbach den Fähnrich.
Ein ungeheurer Troß (jedes Kontingent hatte sich selbständig zu verpflegen) verhinderte schnelle Bewegungen; auch war keine Fürsorge für Krankenpflege getroffen. Bekleidung und Bewaffnung waren sogar innerhalb der Regimenter ungleichartig; Mannszucht fehlte diesen Truppen gänzlich. So kam es, daß die Reichsarmee im 18. Jahrh. das Gespött Europas war, während die Truppen Preußens, [* 38] Sachsens und Hannovers damals auf vielen Schlachtfeldern die alte Kriegstüchtigkeit der Deutschen bewährten und unvergänglichen Ruhm gewannen.
Litteratur. Weiland, Deutsche [* 39] Reichsheerfahrt von Heinrich V. bis Heinrich VI. (in den «Forschungen zur deutschen Geschichte», Bd. 7, Gött. 1867);
Mone, Kriegswesen im 13.-17. Jahrh. (in der «Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins», Karlsr. 1852 fg.);
San-Marte, Zur Waffenkunde des ältern deutschen Mittelalters (Quedlinb. 1868);
M. Jähns, Zur Geschichte der Kriegsverfassung des Deutschen Reichs (in den «Preuß. Jahrbüchern», Jahrg. 39, Berl. 1877);
Lünig, Corpus juris militaris des Heiligen Römischen Reichs (Lpz. 1723);
von Peucker, Das deutsche Kriegswesen der Urzeiten (Abteil. 1, 2 und 3, 1. Tl., Berl. 1860-64).
Deutsches.
Die Zeit des Deutschen Bundes (1816-66). Nach Wiedervereinigung der deutschen Staaten zum Deutschen Bunde fanden mehrere Jahre
hindurch Vorberatungen der Bundesversammlung statt, deren Ergebnis die Grundsätze für die Kriegsverfassung
des Bundes feststellte. Diese Grundsätze sind niedergelegt in den Plenarbeschlüssen der Bundesversammlung vom und
den Beschlüssen des engern Rats vom und von denen die zuletzt erwähnten die nähern Bestimmungen enthalten.
Der Bundesversammlung stand die oberste Leitung aller, auch der militär. Bundesangelegenheiten zu; eine aus sieben stimmführenden höhern Offizieren zusammengesetzte Militärkommission war ihr unterstellt für die Beratung rein militär. und technischer Angelegenheiten. Der Vertreter Österreichs war Vorsitzender dieser Kommission, in der nur Preußen [* 40] und Bayern noch einen ständigen Vertreter hatten. Die vier übrigen stimmführenden Mitglieder wurden mit je einjährigem Wechsel gestellt von Württemberg, Baden, [* 41] Hessen-Darmstadt - Sachsen, Kurhessen, Holland - Hannover, [* 42] Mecklenburg, [* 43] Dänemark, [* 44] bez. den übrigen Bundesstaaten. Die nicht stimmführenden Staaten konnten ihre Vertreter an den Sitzungen der Militärkommission teilnehmen lassen. Die für die Bundesfestungen und das Bundesheer aufzubringenden Gelder wurden nach Maßgabe der Bevölkerungszahl von 1818 auf die einzelnen Bundesstaaten verteilt. Diese Matrikel erlitt späterhin sechsmal Berichtigungen, zuletzt 1860.
Das Bundesheer bestand aus den Kontingenten der Bundesstaaten und einer Reserve. Der Oberfeldherr sollte nur bei einer Aufstellung des Heers und für deren Dauer gewählt werden; derselbe war der Bundesversammlung verantwortlich. Die Vereinigung der Kontingente verschiedener Staaten war unzulässig. Die Stärke des ¶