Deutscher
Sprachverein
, Allgemeiner. Das gesteigerte
Selbstbewußtsein des deutschen
Volkes im neuen
Reich hat seit der
Gründung des letztern vielfach den
Wunsch angeregt, daß die hergestellte
Einheit auch der
Pflege der gemeinsamen
Sprache
[* 2] zu
gute kommen möge. Nachdem das Bestreben, zunächst eine gemeingültige, folgerechte
Rechtschreibung herzustellen, mit
einem unleugbar erfreulichen Fortschritt vorläufig abgeschlossen, hat sich die allgemeine
Aufmerksamkeit in den letzten
Jahren
namentlich der Reinheit der
Sprache zugewandt, die durch mangelnde Einsicht, Nachlässigkeit und Modethorheit in der That
oft unbillig hintangesetzt und durch Einmischung zahlloser
Fremdwörter getrübt wird. Nachdem einzelne leitende
Männer im
öffentlichen
Dienst, zumeist der Reichspostmeister v.
Stephan, innerhalb ihres
Kreises in diesem
Sinn vorzugehen
begonnen hatten, gelang es dem Museumsdirektor H.
Riegel zu
Braunschweig,
[* 3] mit zwei kleinen
Schriften: »Ein
Hauptstück von unsrer
Muttersprache« (Leipz. 1885) und »Der Allgemeine
Deutsche
[* 4] Sprachverein«
(Heilbr. 1885), die
Bewegung in festere
Bahnen zu leiten.
Der vorgeschlagene Verein trat im August 1885 ins Leben und konnte unter lebhafter Beteiligung schon 1887 in Dresden [* 5] u. 1888 in Kassel [* 6] seine Jahresversammlungen halten. Der Verein verfolgt nach §1 der Satzungen den Zweck: »a) die Reinigung der deutschen Sprache von unnötigen fremden Bestandteilen zu fördern, b) die Erhaltung und Wiederherstellung des echten Geistes und eigentümlichen Wesens der deutschen Sprache zu pflegen und c) auf diese Weise das allgemeine nationale Bewußtsein im deutschen Volk zu kräftigen«.
Durch Begründung von Zweigvereinen, öffentliche Versammlungen, Entsendung von Wanderrednern, Preisaufgaben, namentlich aber durch Herausgabe einer Vereinszeitschrift (seit 1886) wußte der Verein ein reges Leben zu erhalten. Anfang 1890 bestanden 147 Zweigvereine (darunter 20 in Österreich) [* 7] mit 12,000 Mitgliedern. Neben diesem äußern Erfolg hat der Gesamtverein eine Reihe von Zustimmungserklärungen seitens hervorragender Männer, Körperschaften und Behörden (unter andern des Reichspostmeisters und des preußischen Kultusministers v. Goßler) zu verzeichnen. Aber auch an Widerspruch und Bedenken hat es nicht gefehlt. Aufsehen erregte zunächst der Angriff des inzwischen verstorbenen Tübinger ¶
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Uni-230 versitätskanzlers Gustav Rümelin in dessen Rede zur akademischen Preisverteilung die er mit einem Fremdwörterverzeichnis unter dem Titel: »Die Berechtigung der Fremdwörter« (2. Aufl., Freiburg [* 9] 1887) besonders herausgab. Rümelin sieht die Fremdwörter als naturgemäßen Erwerb aus der geschichtlichen Entwickelung des deutschen Geistes an, der eben nicht für sich und getrennt, sondern unter dem starken Einfluß der alten Kultur und in reger Wechselwirkung mit den Nachbarvölkern sich gebildet hat. Er teilt daher nicht den leidenschaftlichen Haß gegen die Eindringlinge, der gegenwärtig in weiten Kreisen herrscht, und fürchtet von grundsätzlicher Bekämpfung der Fremdwörter einen wesentlichen Schaden für die deutsche Sprache der Gegenwart.
Wenngleich mit Recht von den Leitern des Deutschen Sprachvereins
gegen die Ausstellungen Rümelins eingewandt ist, daß sie unmittelbar
nur die einseitige Überspannung des Gegensatzes gegen die Fremdlinge in unsrer Sprache treffen, so bleibt doch eine wesentliche
Verschiedenheit des Gesichtspunktes übrig. Man begegnet daher dem Kanzler wieder bei der zweiten gleich
bedeutenden Kundgebung gegen den Sprachverein
, der Erklärung, die 41 Gelehrte und Schriftsteller, großenteils von hohem Ruf,
am in den »Preußischen Jahrbüchern« abgaben.
Die Unterzeichner erklären sich auch ihrerseits gegen den herrschenden Überschwang der Sprachmengerei und erkennen die
maßvolle Fassung der Vereinsgesetze an. Sie verwahren sich aber dagegen, daß die Pflege der Muttersprache
vornehmlich in Abwehr der Fremdwörter beruhe und diese zum Gebot des Nationalstolzes erhoben werde. »Es genügt«, so erklären
sie, »daß unsre Jugend durch wissenschaftlich und pädagogisch gebildete Lehrer wie bisher zum saubern Gebrauch der Sprache
und zu fortschreitender Versenkung in die Schätze der Nationallitteratur angeleitet werde.« Als Anlaß
zu dem Hervortreten der Verwahrenden wird ausdrücklich bezeichnet, daß der Gesamtvorstand des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins
durch Anträge an die deutschen Schulverwaltungen versucht habe, die Schule in den Dienst seines Bestrebens zu ziehen und nach
dem Muster der Rechtschreibung auch den Sprachgebrauch von obenher zu regeln.
Ihr Widerspruch richtet sich aber außerdem gegen den im Schoß des Vereins und in dessen Zeitschrift wiederholt verfochtenen Gedanken, öffentliche Behörden, namentlich eine »Reichsanstalt für die deutsche Sprache«, einzusetzen, die nach Art der französischen Akademie die deutsche Sprache meistern könnten, sowie endlich gegen den blinden Eifer, mit dem innerhalb des Vereins durch sprach- und sinnwidrige Schnellprägung von Ersatzwörtern Schade angerichtet werde.
Die Spitze der letzten Andeutung richtet sich gegen die vom Sprachverein
auf Grund von Vorarbeiten in den Zweigvereinen herausgegebenen
Verdeutschungsbücher, durch die auf einzelnen Gebieten, wie Gerichts-, Verwaltungs-, Hof-, Kriegs-, Versicherungs-, Schulwesen,
Handel, Gewerbe u. dgl., für die
gebräuchlichen Fremdwörter Ersatz dargeboten wird, der allerdings nicht durchweg glücklich gewählt ist und dem Ernste der
Sache oft mehr schadet als nützt. Man kann diesen Bedenken ihr volles Recht lassen, ohne doch das Gute der Vereinsarbeit zu
verkennen. In diesem Sinn haben öffentliche Meinung und Presse
[* 10] sich wirklich zumeist entschieden.
Vgl. außer den bereits angeführten Schriften noch Pietsch, Der Kampf gegen die Fremdwörter (Berl. 1887);
Dunger, Die Sprachreinigung und ihre Gegner (Dresd. 1887);
Grün, Der Deutsche Sprachverein
und seine Gegner (Straßb. 1888).