Titel
Deutsche
Kunst
, die vom deutschen
Volke seit dessen staatlicher Einigung aus verschiedenen
Stämmen zu einem nationalen
Reiche hervorgebrachte Kunst.
Sie beginnt demnach mit der Regierung der sächs.
Kaiser im 10. Jahrh. und entfaltet sich nach langem Brachliegen unter diesen und ihren
Nachfolgern schnell und kräftig zu selbständiger
Größe. (Hierzu die
Tafeln: Deutsche Kunst
[* 2] I-VIII. - Taf. I-III:
Baukunst.
[* 3] Taf. IV-V:
Bildnerei. Taf. VI-VIII: Malerei.)
I. Die
Baukunst entwickelte sich aus der Altchristlichen Kunst
(s. d.)
zunächst in den Werken
Kaiser
Karls d. Gr. Das
Münster
[* 4] zu
Aachen
[* 5] (s. Taf. I,
[* 1]
Fig. 4-6) zeigt die Übertragung der frühchristl.
Kuppelanlagen auf deutschen
Boden in höchster Vollendung. Verwandt sind die
Kirchen zu Ottmarsheim im Elsaß und zu
Essen.
[* 6] Aus diesen Anfängen entwickelte sich selbständig in
Deutschland
[* 7] der
Romanische
Stil (s. d.) und zwar zunächst
an kleinern Klosterbauten des 10. Jahrh.; Reichenau am
Bodensee mit den
Kirchen zu Ober-, Unter- und Mittelzell, der
Krypta
von Konstanz
[* 8] und Füssen bilden den einen Ausgangspunkt,
Quedlinburg
[* 9] mit der dortigen Wipertikirche,
Gandersheim und
Gernrode
(961 erbaut) einen zweiten, Corvei und
Paderborn
[* 10] weitere.
Die Formen dieser Bauten sind streng und schwer, über Bedürfnis massiv, die antiken Anklänge wiegen noch vor. Freier schon gestaltete sich die Baukunst des 11. Jahrh. zunächst in Niedersachsen. Bischof Bernward (s. d.) begann seine großartige Bauthätigkeit mit der Michaelskirche zu Hildesheim [* 11] (1033 geweiht), einer flachgedeckten Basilika. [* 12] Großartige Basiliken schließen sich diesem Bau an (Dom zu Hildesheim, 1061 geweiht; Abteikirche zu Gandersheim; Kaiserdom zu Goslar, [* 13] 1050 geweiht und 1817 abgebrochen: Schloßkirche zu Quedlinburg, 1070-1129 u. a.). Doch führte man auch das System der reinen Säulenbasilika in fein abgewogenem Aufbau nach dem Norden [* 14] über (St. Moritzkirche zu Hildesheim, zweite Hälfte des 11. Jahrh.; Klosterkirche zu Hersfeld, [* 15] 1038-1144; die Dome zu Minden, [* 16] Bremen, [* 17] Paderborn). Am Rhein, namentlich im Sprengel der hochstrebenden Erzbischöfe von Köln, [* 18] suchte man den Centralbau mit der Basilika zu vereinen, indem man zuerst bei Sta. Maria im Kapitol zu Köln (1049 geweiht) an eine Vierung mit drei mächtigen halbkreisförmigen, abgeschlossenen Kreuzflügeln als vierten ein basilikales Langhaus anlegte und somit eine großartige Raumentfaltung auf Grund eines hochentwickelten Wölbsystems erhielt. Die großen rheinischen und mainischen Kirchen aber zeigen alle die Basilikaform mit kräftigem Querschiff; so die gewaltigen Dome von Mainz [* 19] ¶
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(1016 geweiht), Speyer [* 21] (1030 gestiftet) und Worms [* 22] (1036 geweiht), welche in späterer Zeit eingewölbt wurden, die Klosterkirchen zu Limburg [* 23] an der Hardt, die Dome zu Würzburg, [* 24] Konstanz u. a.
Während allen diesen Bauten des 11. Jahrh. noch eine gewisse Befangenheit im Detail, wie in der Technik anhaftet, erlangte der romanische Stil in Deutschland seine höchste Blüte [* 25] im 12. Jahrh. in der Zeit der durch die Kreuzzüge hervorgerufenen religiösen Begeisterung. Die Einwölbung der Basiliken wird nun zur Regel, das System des roman. Kirchenbaues gelangt zu seiner vollendetsten Ausbildung, und zwar geschieht dies mit gewissen provinziellen Verschiedenheiten in fast allen Teilen des damaligen Deutschland.
Die Führung übernehmen die Rheinlande, in welchen die großen Dome von Worms, Mainz und Speyer nun ihrer Vollendung entgegen gingen, in Köln das dort an Sta. Maria im Kapitol ausgebildete System der halbkreisförmigen Endung der Querschiffe in St. Aposteln und Groß St. Martin, aber auch die völlig entwickelte Centralanlage in dem ovalen Kuppelbau von St. Gereon (1219-27) großartige Entfaltung erhielten. Die Zahl der stattlichen, namentlich auch im Detail und der Gruppierung reichen Kirchen mehrt sich derart, daß es unmöglich wird, die Bauten hier einzeln aufzuführen.
Hervorzuheben ist jedoch der 1235 geweihte Dom zu Limburg a. d. Lahn mit 7 Türmen (s. Taf. I, [* 20] Fig. 7 u. 8). Strenger und derber zeigen sich die Bauten Westfalens, sowohl hinsichtlich des Schmuckes als der malerischen Anordnung in Aufriß und Grundriß. Die Dome zu Soest, [* 26] Osnabrück, [* 27] Münster und Paderborn, obgleich stattliche Bauwerke, erheben sich doch nicht zur Wirkung der rhein. Anlagen. Interessant sind die sächs. Schöpfungen, die Klosterkirchen zu Paulinzelle, Hamersleben, Wechselburg, Riddagshausen, die Dome zu Braunschweig [* 28] (1194), Naumburg, [* 29] Königslutter, Arnstadt, [* 30] die Godehardskirche zu Hildesheim (1133-72) u. a., in denen noch vielfach Säulen [* 31] die Schiffe [* 32] trennen, die Überdeckung eine flache, erst später durch Gewölbe [* 33] verdrängte ist.
Hier zeigen sich zuerst reichere Chorentwicklungen, die den Einfluß der burgundischen Bauschule und des Cistercienserordens erkennen lassen, indem einerseits Kapellenkränze an die Chorumgänge gelegt (Hildesheim) erscheinen, andererseits eine reichere Ausgestaltung der rechtwinkligen Chöre (Riddagshausen, Loccum, Altzelle) angeordnet wurde. In Franken erhält der Stil seine üppigste Entfaltung: der Dom zu Bamberg [* 34] mit doppelten Chören und vier stattlichen Türmen (s. Taf. II, [* 20] Fig. 9), die Klosterkirchen zu Ebrach, Aschaffenburg, [* 35] Seligenstadt, Bronnbach legen Zeugnis hierfür ab. Der Oberrhein nimmt burgundische Anregungen (Emporen, offene Vorhallen) früher auf als der fernere Westen und bedient sich der dort entfalteten technischen Meisterschaft mit praktischem Sinn für das Erreichbare und Notwendige in Abmessung und Ausschmückung seiner Bauten.
Die Dome zu Basel, [* 36] Zürich, [* 37] Teile des Münsters zu Straßburg [* 38] sind als Beispiele zu nennen. Schwaben steht im allgemeinen zurück, auch Bayern [* 39] erhebt sich nur in wenigen Werken über das mittlere künstlerische Maß, wie in Ellwangen, Bebenhausen, Maulbronn dort, in Freising, [* 40] Altenstadt und die Bauten in Regensburg [* 41] (St. Emmeram, Niedermünster) hier. In den österr. Landen ragen die eines Querschiffs entbehrenden Dome zu Seccau und Gurk neben zahlreichen Klosteranlagen (Heiligenkreuz, Lilienfeld, Altenburg, [* 42] Kirchen zu Wiener-Neustadt, Salzburg, [* 43] Westansicht der Stephanskirche zu Wien [* 44] [s. Taf. II, [* 20] Fig. 6]) hervor.
Böhmen
[* 45] hat in vielen Beziehungen besondere Kunst
formen, namentlich bei kleinen Anlagen eine unverkennbare Vorliebe
für Centralkirchen (Karner). Ebenso bildet die an Hausteinen arme norddeutsche
Tiefebene ein getrenntes Gebiet, worin der
Backstein die Ornamentation bedingt. Die Dome zu Jerichow, Brandenburg,
[* 46] Salzwedel,
[* 47] Dobrilugk, Ratzeburg, Lübeck
[* 48] und die sich
ihnen anschließenden Kirchenbauten der baltischen Länder (Dom zu Riga,
[* 49] Kirche zu Üxküll u. a.) zeigen bei typischen Grundformen
vielfach eigenartige Detailbehandlung.
Die Kirche auf dem Harlunger Berg bei Brandenburg und die Michaelskirche zu Schleswig
[* 50] (beide zerstört) waren als Centralbauten
in stattlichen Abmessungen durchgeführt. So war in ganz Deutschland die kirchliche Kunst
auf Grund altchristl. Anregungen zu
durchaus nationaler Entfaltung gelangt. Die reichste Ornamentik, die zierlichste Durchbildung der Säulenknaufe, der
Rundbogenfriese (s. Taf. I,
[* 20]
Fig. 1-3), der Thoranlagen und Giebelfelder
mit einem aus unerschöpflicher Phantasie hervorquellenden Gestaltungsdrange geben den Bauwerken einen steigenden Reiz.
Auch profane Aufgaben, namentlich großartige Klostersäle, Burgen [* 51] und Pfalzen (Kaiserhaus zu Goslar; s. Tafel: Burgen II, [* 20] Fig. 1), Festungsanlagen und bürgerliche Wohnhäuser [* 52] schuf sie in reichlicher Fülle und mit völliger Beherrschung des architektonischen Systems, welches keineswegs in seiner Durchbildung abgeschlossen oder gar erschöpft war, als in der Mitte des 12. Jahrh. das in der Umgegend von Paris [* 53] erfundene System des Gotischen Stils (s. d.) eine allgemeine Wandlung des Baues herbeiführte.
Zunächst wurde dieser nur teilweise aufgenommen (sog. Übergangsstil). Schon am Kuppelbau von St. Gereon zu Köln (1219-27), am Dom zu Limburg (s. oben), an der Cistercienserkirche zu Heisterbach tritt der Spitzbogen vereinzelt auf. Er wird zur bestimmenden Konstruktionsform zuerst in Deutschland am Dom zu Magdeburg [* 54] (1207 begonnen), der schon jene der Gotik eigene Neigung zu schlanker Höhenentwicklung und in der Emporenanlage burgundische Einflüsse zeigt.
Das gotische System tritt zuerst völlig klar an der merkwürdigen Centralanlage der Liebfrauenkirche zu Trier [* 55] (1227-43) hervor, bemächtigt sich des Kölner [* 56] Grundrißsystems in der Elisabethkirche zu Marburg [* 57] (1235-83), die zugleich die erste durchgebildete Hallenkirche (s. d.) darstellt. Der Dom zu Wetzlar [* 58] und andere hess. Bauten schließen sich unmittelbar an sie an. Früh nahm der schon während der roman. Zeiten dem Westen sich zuneigende Oberrhein die Gotik auf, wo das Münster zu Freiburg [* 59] i. Br. (s. Taf. II, [* 20] Fig. 4, sowie [* 20] Fig. 2 u. 3) und das Münster zu Straßburg (s. Taf. II, [* 20] Fig. 10) großartige Denkmale der neuen Richtung sind, an denen die feinere und reichere Formensprache der gleichzeitigen franz. Gotik vollendete Ausbildung erhielt.
Straßburg wird durch die hohe Kunst
seines Steinwerkes zum wichtigsten Sitz der got. Bauschule. Neben ihm erhielt sich Köln
seine Bedeutung, wo seit 1248 der Dom (s. die Tafel: Kölner Dom) in engem Anschluß an das Vorbild der
Kathedrale von Amiens
[* 60] durch Meister Gerhard von Rile entstand. Die Kirchen zu Altenberg, ferner die zu Xanten, Oppenheim und Wimpfen
im Thal
[* 61] zeigen den got. Stil alsbald in durchgebildetster Form. In Sachsen
[* 62] äußert sich am Dom zu Halberstadt
[* 63]
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der Übergang von noch romanisierenden zu got. Formen, den man an den meisten Bauten jener Lande bemerken kann, bis in der
zweiten Hälfte des 13. Jahrh. der got. Stil in reiner Durchbildung hervortritt (Dom zu Meißen,
[* 65] Minden, Blasienkirche zu Mühlhausen).
[* 66] Als eine der edelsten Werke der Hochgotik ist der Dom zu Regensburg (1275 begonnen) zu bezeichnen, bei
dem das franz. Vorbild nachweisbar, aber die deutsche
Grundstimmung unverkennbar ist. Diese
zeigt sich am unvermischtesten in den Backsteinbauten des Nordens, vielfach großräumigen und ernsten Hallenanlagen.
Die Klosterkirchen zu Doberan, Kolberg,
[* 67] der Dom zu Lübeck, die Marienkirchen zu Prenzlau,
[* 68] Kolberg, Frankfurt
[* 69] a. O.
sind Beweise hierfür; ebenso wie die Schlösser des deutschen
Ritterordens in Preußen,
[* 70] namentlich die Marienburg
[* 71] (s. Tafel:
Burgen II,
[* 64]
Fig. 2 u. 3), Kunde von dem hohen Stande des Profanbaues ablegen. Die Ornamentation verjüngte sich stets aufs neue
an der Nachbildung der heimischen Pflanzenwelt (s. Taf. II,
[* 64]
Fig. 2 u. 3), bis gegen Ende des 13. Jahrh.
eine strengere Stilisierung in knollenartigen Gebilden, den sog. Krabben (s.
Taf. II,
[* 64]
Fig. 1 u. 8), sich bemerkbar macht.
Die Gotik des 13. Jahrh. beendet eine Zeit großartiger Bauthätigkeit und allgemeinen Aufschwunges. Die großen Unruhen im 14. Jahrh., der Niedergang des Reichs, der Zusammenbruch der alten höfischen Gesellschaftsformen führten einen allgemeinen Rückgang im Bauwesen herbei. Zudem befand sich dieser selbst in einer Zeit des Überganges aus den Händen der früher vorwiegend geistlichen Bauleute an die bürgerlichen Steinmetzen. Auch wurden nun die Städte mit ihrer wachsenden Volkszahl die eigentlichen Bauherren, während es bisher vorzugsweise die Klöster und Stifter gewesen waren. Es wurde in den Kirchen größere Raumentfaltung gesucht; die Hallenkirche wurde daher bevorzugt, die Schiffe wurden breiter, die Anlagen im ganzen einfacher, nüchterner, mehr dem Zwecke angemessen.
Die Führung im Bauwesen ging vom Westen an den Osten über, seit die luxemb. Kaiser in Böhmen eine großartige Bauthätigkeit entfalteten. Der Dom zu Prag [* 72] entstand seit 1344 nach dem Vorbilde von Bauten in Languedoc, die Klosterkirche zu Zwettl, die Bartholomäuskirche zu Kolin, [* 73] die Barbarakirche zu Kuttenberg, die Kreuzkirche zu Schwäbisch-Gmünd, die Chöre des Münsters zu Freiburg i. Br. und der Lorenzerkirche zu Nürnberg [* 74] entstanden unter dem Einfluß der Prager Bauschule (Matthias von Arras; [* 75] die Familie Arler oder Parler von Gmünd) [* 76] in ähnlichen Formen, nämlich als breite, aus dem Polygon geschaffene, mit Umgang und mehrfach auch mit Kapellenkranz versehene Anlagen. In Bayern bieten München, [* 77] Ingolstadt, [* 78] Landshut [* 79] derartige Anlagen. Daneben entstanden querschifflose Langhäuser, wie sie die Theynkirche zu Prag, die Sandkirche zu Breslau, [* 80] der Dom zu Schwerin, [* 81] die Marienkirchen zu Rostock, [* 82] Brandenburg, Wismar, [* 83] Stralsund [* 84] und Stargard [* 85] bei verschiedenartiger Choranlage (Umgang oder getrennten Abschlüssen vor jedem der drei Schiffe) aufweisen. Ähnlich sind die Hallenkirchen Westfalens, namentlich die Lambertskirche zu Münster (s. Taf. II, [* 64] Fig. 7) mit ihren säulenartigen Pfeilern und reich entwickeltem Netzgewölbe, die mächtige Stephanskirche zu Wien (1359 begonnen; s. Taf. II, [* 64] Fig. 5 u. 6), während an den Münstern zu Überlingen und Ulm [* 86] ein Chor zwischen zwei Türmen sich erhebt. Auch Centralbauten, wie die Karlskirche zu Prag, Stiftskirche zu Ettel, entstehen in dieser Zeit.
Der höchste Wert wird in dieser Zeit auf die Ausgestaltung der Türme gelegt, welche weit über das eigentliche Bedürfnis des Erhöhens der Glocken hinaus zu Gegenständen des Wetteifers der bauenden Städte und Stifter wurden. Für das Straßburger Münster wie für den Kölner Dom waren davon alsbald zwei vorgesehen. Zugleich treten die einzelnen Baukünstler mehr und mehr hervor, und zwar zumeist in weitverzweigten Familienverbindungen. Die erste dieser waren die von Straßburg ausgehende Familie Erwins gewesen, dann waren die Prager Parler, die mythisch gewordenen «Jungherren von Prag» gefolgt. Weiter sind die Ensinger zu nennen. Ulrich von Ensingen (gest. 1419) legte nach dem Vorbilde von Freiburg i. Br. einen Turm [* 87] vor die Westfront des Ulmer Münsters und führte den Nordturm des Straßburger Münsters (s. Taf. II, [* 64] Fig. 10) bis zum achteckigen Glockenhaus auf, den Joh. Hültz aus Köln (1439) vollendete. Von diesem dürfte auch die durch ihren schönen Turm ausgezeichnete Frauenkirche zu Ehlingen (1406-1522) stammen. Matthäus von Ensingen arbeitete am Dom zu Bern, [* 88] an den Münstern zu Straßburg und Ulm, Vincenz in Bern und Konstanz, Hans und Caspar Kun, Angehörige der Familie, in Ulm. In Eßlingen [* 89] bildeten sich die Böblinger aus, von denen Hans Böblinger (gest. 1482) den Turmhelm vollendete, Matthäus (gest. 1505) nach neuem Plan den Ulmer Turm fortführte.
In den Donaulanden war die scheinbar von den Pragern abstammende Schule von Krumau vorherrschend, der der seit 1404 den Südturm der Stephanskirche in Wien (s. oben) bauende Meister Wenzel, wie der die Kirche zu Braunau errichtende, in Wien und Salzburg thätige Stephan Krumauer sowie endlich die in Regensburg und Nürnberg thätige Familie der Roritzer angehört. Alle diese Künstler zeigen ein hoch gesteigertes formales Können, eine gewisse Neigung zu mathem. Spitzfindigkeiten, eine feste Schulung, die sich namentlich in einer außerordentlich entwickelten Meißelfertigkeit kundgiebt und die Spätgotik zu ihren reichsten Formen ausbildet.
Diese fördert zu Ende des 15. Jahrh. unter dem Einfluß der beginnenden religiösen Bewegung eine überaus vielseitige Thätigkeit zu Tage, weniger in der Anlage größerer neuer Kirchen, als in der Um- und Ausgestaltung der vorhandenen. Auch der Profanbau findet in reichen Schloßanlagen, Rathäusern, Wohngebäuden, Brunnen [* 90] (Markt-Brunnen zu Braunschweig, Schöner Brunnen zu Nürnberg; s. Tafel: Brunnen I, [* 64] Fig. 3 u. 4), Zierbauten, Thoren u. dgl. vielfache künstlerische Ausbildung.
Gegen Ende des 15. Jahrh. machen sich zuerst Anzeichen geltend, daß die Gotik aus sich selbst heraus neue Gestaltungen zu bilden bestrebt sei. Die Detaillierung wurde eine naturalistische, der Spitzbogen wird vielfach zu Gunsten willkürlicher Bildungen aufgegeben, die Konstruktion in reiner Zweckdienlichkeit hervorgehoben. Namentlich an den sächs. Schloßbauten, wie der Albrechtsburg zu Meißen (s. Tafel: Burgen II, [* 64] Fig. 7) und an den erzgebirgischen Kirchen tritt das neue Streben hervor, bei letztern in Ausgestaltung von Predigtsälen mit Emporenumgängen (Schloßkirche zu Wittenberg, [* 91] Kirchen zu Annaberg, [* 92] Schneeberg, Brüx). Hier wie fast überall in Deutschland wurden die seit etwa 1515 zuerst auftretenden Formen der ¶