Titel
Deutsch-Ostafrika
(s. den betr. Abschnitt auf der Karte »Deutsche [* 2] Kolonien«, Bd. 17), großes, unter deutschem Reichsschutz stehendes Kolonialgebiet in Ostafrika, wird im S. begrenzt vom Rovumafluß, welcher das deutsche Gebiet vom portugiesischen scheidet, im O. durch die großen Seen Nyassa, Tanganjika und Ukerewe(Anmerkung des Editors: Malawisee, Tanganjika-See und Viktoriasee), ohne daß die Grenze auf den Strecken zwischen denselben festgestellt wäre; im N., wo die deutsche Interessensphäre an die englische stößt, geht die Grenze von der Mündung des Flüßchens Umba oder Wanga in den Indischen Ozean unter 4° 40' südl. Br. aus in gerader nordwestlicher Richtung zum Jipesee, überschreitet den Fluß Lumi, umschreibt dann in einem nach NO. sich richtenden Bogen [* 3] durch die Landschaften Taveta und Dschagga das Massiv des Kilima Ndscharo u. geht dann in gerader nordwestlicher Richtung nach demjenigen Punkt am Ostufer des Ukerewe, welcher unter 1° südl. Br. liegt. Nach O. wird das deutsche Gebiet begrenzt von einem 10 km breiten Küstenstreifen, welcher dem Sultan von Sansibar [* 4] gehört, aber unter deutscher Verwaltung steht. Das Gebiet umfaßt etwa 1,1 Mill. qkm (19,977 QM.). Durch die britische Interessensphäre (s. Britisch-Ostafrika, Bd. 17) wird das deutsche Gebiet von dem ¶
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deutschen Witu geschieden sowie von der ebenfalls zur deutschen Interessensphäre gehörigen Somalküste, welche sich nördlich bis Kismaju, das dem Sultan von Sansibar gehört, erstreckt. Da D. somit in dem größern südlichen Teil keinen Hafen besitzt, so wurde mit dem Sultan von Sansibar ein Übereinkommen getroffen, wonach derselbe den Deutschen gegen eine jährliche Entschädigung zunächst die Hafenplätze Dar es Salam [* 6] und Pangani überließ; aber schloß Sultan Kalifa, der seinem Bruder Said Bargasch gefolgt war, nach dem Vorgang Englands einen Vertrag ab, wonach er die gesamte Verwaltung des Küstenstrichs einschließlich der Zölle gegen eine Abgabe der Hälfte der Einnahmen auf 50 Jahre an die Deutschen verpachtete.
Unter denselben Bedingungen überließ er den Engländern später auch die nördlich von Witu gelegenen Küstenplätze Kismaju, Barawa, Merka und Makdischu. Die deutsche Interessensphäre (ohne die Somalküste) umfaßt eine große Zahl von Landschaften, worunter die bedeutendsten sind: Makonde, Magwangwara, Mamwera, Wangindo, Mahenge, Uhehe, Ubena, Utschungu, Fipa, Kawende, Ugalla, Uwinsa, Uniamvesi, Ussukuma, Ururi, Turu, Ujansi, Ugogo, Usagara, Khutu, Usaramo, Ukami, Usegua (Anmerkung des Editors: (auch: »Useguha«) ), Nguru, Gedja, Usambara und Pare. Von ihnen sind aber nur Usegua, Nguru, Ukami und Usagara direkt unter deutschen Reichsschutz gestellt.
Physische Verhältnisse, Naturerzeugnisse.
Die Küste ist außerordentlich einförmig und zeigt weder durch stark hervortretende Vorgebirge oder tief einspringende Meeresarme noch durch breite Flußmündungen, mit Ausnahme der Baien von Tanga, Pangani und Kiloa, der tiefen Bai, in welche der Lindifluß mündet, endlich der Mikindanibai nördlich von Kap Delgado, irgend welche wesentlichere Abwechselungen. Ein labyrinthischer Zug kleiner, flacher Koralleninseln begleitet den Küstenrand bis Kiloa und erschwert Schiffen die Annäherung, macht sie sogar stellenweise höchst gefährlich.
Weiter vorgelagert sind die größern Inseln Pembia [^richtig: Pemba], Sansibar und Mafia, ebenfalls an ihrer Westseite von Korallenriffen besäumt. Der Küstenrand ist im größten Teil seiner Länge ein teils aus verwitterten Korallenkalkmassen, teils aus Dünensand, hin und wieder an den Flußmündungen aber auch aus fruchtbaren Flußalluvionen gebildeter Landstrich, dessen Erhebung über den Meeresspiegel so gering ist, daß sich öfters eine Anlage zu Sumpfbildung zeigt.
Die Flüsse [* 7] verzweigen sich vor ihrem Austritt in den Ozean meist in zahlreiche Arme, welche sehr ansehnliche, mit Mangrovewaldungen bedeckte Deltas bilden und in der Regenzeit rasch weit und breit ihre Ufer überschwemmen. Weiter nach dem Innern zu hebt sich das Land terrassenförmig, und zwar liegen die höhern Gegenden im S. weiter von der Küste entfernt als im N. Auf die erste 1500 - 1800 m hohe Hochfläche folgen weite, unfruchtbare Savannen, aus denen vereinzelte Gebirge sich erheben.
Das bedeutendste derselben ist der an der Nordgrenze unvermittelt aus der Ebene bis weit über 6000 m emporsteigende Kilima Ndscharo mit seinen beiden Gipfeln Kibo und Kimawenzi, welche einem 4000 m hohen Hochplateau aufgesetzt sind. Eine Menge wasserreicher Quellen rauschen von seinen Nord-, Ost- und Südabhängen herab, um in den Ruvu und den zum englischen Gebiet gehörigen Sabaki sich zu ergießen. Alle Zonen, von dem glühenden Tropenklima bis zur eisigen Kälte des Polarklimas, sind an seinen Abhängen vertreten.
Gebirgig sind auch die Landschaften Usagara, Makata, Khutu und Ukami; in Uhehe erreichen die Berge eine Höhe von 1800 m, die Wasserscheiden zwischen den Seen und dem Terrassenland der Küste sind kaum irgendwo unter 1500 m Höhe. Die Bewässerung ist mit einigen Ausnahmen eine reichliche. Zwar können die Flüsse dem Verkehr nur in beschränktem Maß dienen, da ihr Lauf meist von zahlreichen, hohen Katarakten unterbrochen wird; doch führen sie das ganze Jahr hindurch Wasser, das die Bewohner einiger Landschaften bereits durch Kanäle ihren Feldern zuführen.
Der Ruvu, dessen Quellen am Kilima Ndscharo liegen, ist von Pangani an seiner Mündung eine bedeutende Strecke aufwärts schiffbar; in seinem obern Lauf stürzt er in mächtigen Wasserfällen von Stufe zu Stufe. Die nicht weit voneinander gegenüber der Insel Sansibar bei Sadani, resp. Kingani mündenden Wami und Rufua sind beide in ihrem Unterlauf schiffbar. Der Wami durchströmt in seinem Oberlauf die Makataebene, in der trocknen Zeit eine dürre, verbrannte Gegend mit ziegelhartem Boden, in welchem weite Risse klaffen, in der Regenzeit ein tiefer, undurchdringlicher Sumpf, der jeden Zugang abwehrt.
Der bedeutendste Fluß des Gebiets ist der Rufidschi oder Lufidschi, der tief im Innern entspringt, mehrere bedeutende Zuflüsse, aufnimmt und an feiner Mündung, gegenüber der Insel Mafia, ein Delta [* 8] bildet. Zwar ist der Eingang zu seiner Mündung größern Schiffen durch Untiefen versperrt, doch kann derselbe in seinem ganzen Lauf mit großen Kähnen ohne irgend welches Hindernis befahren werden. Seine fruchtbaren Ufer eignen sich vor allen andern zum Plantagenbau.
Ebenfalls sehr bedeutend ist der Grenzfluß Rufuma oder Lufuma, welcher, in seinem untersten Lauf inselreich und von außerordentlicher Breite, [* 9] in die Rovumabai sich ergießt, aber leider nicht schiffbar ist. Von den westwärts ziehenden Flüssen ist der Malagarasi zu nennen, der südlich vom Handelsplatz Udschidschi in den Tanganjika sich ergießt; auch der am Südostende des Tanganjika gelegene viel kleinere Rikwa- oder Leopoldsee empfängt ansehnliche Zuflüsse.
Das Klima, [* 10] an der Küste heiß und feucht, ist Europäern durchaus nicht zusagend, Fieber befallen dieselben fast ausnahmslos. Besser sind die Gesundheitsverhältnisse auf den höhern Stufen des Innern; das Klima einzelner Gegenden, insonderheit der Abhänge des Kilima Ndscharo, gestattet Europäern sogar dauernden Aufenthalt. Indes wird trotz der allgemein bedeutenden Erhebung des Landes über das Meer Ackerbaukolonisation in diesem Gebiet niemals eine bedeutende Ausbreitung gewinnen können.
Die tropische Lage stellt nur Pflanzungs- und Handelskolonisation in Aussicht. Höchstens mögen sich einzelne Berginseln finden, welche Ackerbaukolonisten aufzunehmen geeignet sind. Was die Bodenbeschaffenheit des Landes betrifft, so ist dieselbe eine äußerst verschiedene. Fruchtbare, wasserreiche Landschaften mit prächtigen Wäldern und großen Weidestrecken wechseln ab mit Sandwüsten und öden Ebenen, welche mit dornigen Mimosen, scharfrandigen Schilfgewächsen, Euphorbien und Akaziengestrüpp bedeckt sind, wie eine solche das schöne Kilima Ndscharo-Gebiet von den Küstenlandschaften trennt. Auch in den besten Gegenden liegt die bestellbare Bodenschicht nirgends so tief, daß man dasselbe Land auf Jahre hinaus bebauen könnte, ohne seine Fruchtbarkeit zu erschöpfen. Die Vegetation ist in dem heißen, feuchten Küstenstrich überaus üppig und gänzlich tropisch, von der Flora der entsprechenden Westküste Afrikas indes durchaus verschieden. Kasuarinen- und ¶
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Kokospalmenwaldungen begrenzen den Meeresstrand, neben ihnen findet sich die Arekapalme, die ostindische Palme; [* 12] bis an den mittlern Lauf der großen Flüsse geht die Mikanapalme. Dichte Waldungen von Flaschenbäumen, Tamarinden, Melonenbäumen, wilden Maulbeerbäumen, bittern Orangen, Mangobäumen, Acajoubäumen bedecken die Höhen; ein Hauptnahrungsmittel bietet die Kassawa, Zuckerrohr wächst wild, ebenso in trefflicher Qualität die Baumwolle. [* 13] Einen wichtigen Handelsartikel bildet der Kopal von dem Kopalbaum, wild wachsende und kultivierte Ölpalmen liefern Öl für die Ausfuhr nach Indien.
Man baut Sorghum, Kürbisse, Erbsen, Maniok, Bananen, Sesam. Die Tierwelt ist die Mittelafrikas überhaupt. Affen, [* 14] besonders Paviane und Meerkatzen, beleben die Wälder; Löwen [* 15] sind selten, dagegen Leoparden, Hyänen, Schakale häufig, ebenso Rhinozerosse, Flußpferde, wilde Büffel, Schweine; [* 16] Antilopenarten, Giraffen, Zebras, Quaggas und wilde Esel schweifen über die Ebenen des Innern, Krokodile [* 17] finden sich in allen Seen und Flüssen. Auch der Elefant [* 18] ist an den Seen Zentralafrikas nicht selten. Die Zibetkatze wird in manchen Gegenden zahm gehalten. Auch an Vögeln und Fischen ist das Land reich. An den Küsten wird die im ganzen Sudán als Geld dienende Kaurimuschel in großen Mengen gesammelt. Zahlreich sind Ameisen und Termiten; [* 19] in manchen Teilen kommt auch die Tsetsefliege vor. AIs Haustiere hält man Rinder, [* 20] Ziegen. Schafe [* 21] und Esel.
Bevölkerungsverhältnisse, Kultur.
Die Bevölkerung
[* 22] tritt hier in so mannigfachen Verhältnissen auf, daß sie kaum von der einer andern
Kontinentalgegend übertroffen werden möchte. Wir haben hier vornehmlich drei Völkerelemente zu unterscheiden: die Handelsaraber,
die Krieger- und Nomadenvölker der schwarzen Rasse, endlich die Beute der beiden erstern, die Schwarzen des ostafrika
nischen
Terrassenlandes und Binnenseegebiets. Araber haben sich unter den einheimischen Stämmen schon seit Jahrhunderten
niedergelassen, zuerst an der Küste, dann sind sie weiter und weiter nach W. vorgedrungen, so daß man sie jetzt überall
in den wichtigen Handelsplätzen bis zu den großen Seen und darüber hinaus antrifft.
Sie stammen aus Südarabien, haben sich aber mit der einheimischen Bevölkerung stark vermischt und sind jetzt durch das Klima, die Bequemlichkeit des Sklavenhaltens und die Vielweiberei verkommen. In den Küstenplätzen wohnen zahlreiche Hindu, Banianen von Kutsch und Dschamnaggar und die mohammedanischen Sekten der Khodscha und Bora von Kutsch, Surat und Bombay, [* 23] meist schlaue Händler und Geldausleiher, welche es verstanden haben, sich Wohlstand und oft großen Reichtum auf Kosten der übrigen Bevölkerung zu erwerben.
Die räuberischen Kriegervölker sind von N. und S. her eingedrungen. Von N. die jetzt zwischen Kilima Ndscharo und Ukerewe hausenden Massai, ausgesprochene Viehzüchter und dabei gefährliche Räuber, denen ihre Rinder alles liefern, was sie zum Leben brauchen. Während diese Massai zu den zwischen mittelländischen Hamiten und Negern stehenden Nubavölkern gehören, sind die von S. her eingedrungenen Raubvolker Zuluneger, also Bantu. Die zu ihnen gehörigen Watuta drangen am Ostufer des Tanganjika aufwärts und von dort nach Uniamwesi, wo sie ein Reich gründeten.
Ein andres dieser Raubkriegervölker sind die Yao, welche in den jüngsten Aufständen ein ganzes Heer Bewaffneter an die Küste nach Lindi und Mikindani sowie nach dem benachbarten portugiesischen Gebiet entsandten. In den Küstenlandschaften vom Kap Delgado im S. bis zu den Ansiedelungen der Somal im N. wohnen die Suaheli, welche die Portugiesen schon um 1500 hier antrafen, eine stark mit arabischem Blut vermischte Händler und Trägerbevölkerung, welche im Dienste [* 24] der arabischen und indischen Händler und für sich weit ins Innere hinein ihrem Verkehrserwerb nach geht und dem halben Äquatorialafrika [* 25] ihre Sprache [* 26] (das Kisuaheli) aufgedrängt hat.
Endlich haben wir hier noch die eigentlichen einheimischen, zu den östlichen Bantu gehörigen Völkerschaften, welche von Arabern und Hindu wie von jenen Räubervölkern ausgebeutet werden. Es sind dies die Wasagara in Usagara, die Wasambara in Nsambara und sne Wanika nördlich von den letztern. Die Wagogo wohnen in Ugogo und die Waheho zwischen Usagara und Ugogo. Es sind meist wohlgebildete, mittelgroße Gestalten von brauner bis schwarzer Hautfarbe Am Kilima Ndscharo treiben die Dschagga schon mit viel Verständnis Ackerbau und ziehen selbst Erbsen und Bohnen.
Die Religion der Suaheli an der Küste ist der Islam, der ihnen von den Arabern gebracht wurde, obschon sie wenig mehr als das Zeremoniell gelernt haben. Durch arabische Handelsleute ist der Islam weiter ins Innere getragen worden und noch in steter Ausdehnung [* 27] begriffen. Im übrigen sind die Völker dieses Gebiets Heiden, ohne aber zu klaren Vorstellungen über die von ihnen verehrten Gottheiten gekommen zu sein. Bei allen herrscht viel Aberglaube: Zauberei, Regenmacherei, Hexerei; bei den Mangandscha und Maravi sind Gottesurteile im Gebrauch, die Manika opfern auf den Gräbern ihrer Vorfahren. Viele Stämme, auch die heidnischen, üben die Beschneidung. Auf den Frauen ruht fast die ganze Last der Arbeit: Feldbau, häusliche Arbeit, bei einigen Stämmen selbst der Häuserbau. Vielweiberei ist gewöhnlich; die Frau wird von den Eltern derselben gekauft, bei den Wakamba muß sie außerdem noch geraubt werden.
Die Mission hat in diesem Gebiet schon seit vielen Jahren gearbeitet. Namentlich sind die Engländer hier thätig gewesen. Sechs englische protestantische Missionsgesellschaften haben 25 Stationen gegründet, auf denen bis vor kurzem 83 europäische und 46 eingeborne Gehilfen wirkten; die Zahl der gesammelten Christen betrug 1887 allerdings nur 1259, die der Kommunikanten 327 und dies bei einer Ausgabe von 810,599 Mk. Auch französische katholische Missionäre arbeiten schon seit Jahren an der Bekehrung der Eingebornen.
Nach der Besitzergreifung des Landes durch Deutschland [* 28] bildete sich auch in Berlin [* 29] eine Missionsgesellschaft für Ostafrika, deren erste Station sich in Dar es Salam befindet, während ein Krankenhaus [* 30] auf der Insel Sansibar errichtet wurde. Durch den unter Leitung der arabischen Händler an der Küste ausgebrochenen Aufstand ist auch das Missionswerk ernstlich gefährdet worden; mehrere Missionäre wurden ermordet, andre erst nach Zahlung eines Lösegeldes aus der Gefangenschaft befreit.
Ackerbau und Viehzucht [* 31] sind schon seit langer Zeit in Ostafrika eingeführt worden, besonders werden schöne Rinder und Fettschwanzschafe gezogen. Der Reis hat bereits außerordentliche Verbreitung, Bienenzucht [* 32] wird eifrig betrieben, Tomaten, verschiedene Melonenarten und gute Hülsenfrüchte werden gezogen. Auch Plantagenbau ist schon seit längerer Zeit durch die Araber betrieben worden, vor allem werden Kokospalmen in ungeheuern Mengen gebaut, während die Kultur von Gewürznelken nur auf den ¶