Titel
Dessau.
[* 3]
1)
Kreis
[* 4] im Herzogtum
Anhalt,
[* 5] hat 424,59 qkm und (1890) 65626 (31615 männl., 34011 weibl.) E., darunter 1411 Katholiken
und 494 Israeliten, 6823 bewohnte
Gebäude mit 15682 Haushaltungen, 5
Städte, 53 Dörfer und 23 Gutsbezirke. Der
Kreis gehört zum Reichstagswahlkreis Dessau
-Zerbst (Abgeordneter Roesicke, liberal). – 2) Haupt- und Residenzstadt
des Herzogtums
Anhalt, 51° 50’ nördl.
Br. und 12° 14’ östl. L. von Greenwich, in 63 m Höhe, an der
Mulde, 3 km von
der Mündung derselben in die
Elbe, liegt in wiesen- und waldreicher Gegend und hat breite, zum
Teil mit
Bäumen bepflanzte
Straßen und schöne Parkanlagen auf den zahlreichen Plätzen, sowie (1890) 34658 (16689 männl., 17969 weibl.)
E., gegen 27766 in 1885, i. eine Zunahme (1885‒90) von 6892
Personen oder 24,8 Proz., darunter 1034 Katholiken und 306 Israeliten; 2140 bewohnte
Wohnhäuser,
[* 6] 7494 Familienhaushaltungen, 811 einzeln lebende
Personen und 27 Anstalten. In Garnison (525
Mann) liegt das 1.
Bataillon des 93. Infanterieregiments.
Kirchen. Die Stadt- und Schloßkirche zu St. Marien am
Großen Markt, 1554 im neugot.
Stil erbaut, mit
Turm
[* 7] (56 m) und Bildern
von Cranach dem
Ältern
(Christus am
Ölberg,
Christus am Kreuz),
[* 8] dem
Jüngern
(Abendmahl) und
Franz
Schubert
aus Dessau
(Auferstehung); in der Gruft unter der
Kirche die Grabstätte mehrerer anhalt. Fürsten, so des Fürsten
Leopold, dessen
Sarkophag
[* 9] von sechs Grenadieren (Zinkguß) getragen wird;
die Georgenkirche in der Askanischen Straße ist 1712 erbaut, 1821 renoviert;
die Johanniskirche am Neumarkt, 1690 erbaut, 1866 restauriert, hat einen hohen Turm (54 m);
die 1892 vollendete evang. St. Pauluskirche am Pauliplatz.
[* 1]
^[Abb. Wappen
[* 10] von Dessau]
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Die kath. Kirche zu St. Peter und Paul, 1854 im got. Stil erbaut, hat schöne Glasmalereien von Baudri. Die Synagoge (1688) wird neu gebaut.
Weltliche Bauten, Denkmäler. Das herzogl. Schloß, von der Mulde durch einen kleinen Garten [* 12] getrennt, besteht aus einem westl. Flügel (1532), einem wertvollen Werke der beginnenden Renaissance, zu den frühesten in Deutschland [* 13] gehörig, und dem 1748‒51 durch den Berliner [* 14] Baumeister von Knobelsdorff umgebauten östl. Flügel; der Mittelbau ist 1872‒74 nach Plänen von Normanns in neuer Renaissance aufgeführt. Im Erdgeschoß die sog. altdeutschen Gemächer, im Geschmack des 16. Jahrh., in den andern Stockwerken Sammlungen von wertvollen Möbeln, Altertümern, geschichtlichen Denkwürdigkeiten und etwa 600 Ölbildern, darunter solche von Tizian, Rubens, van Dyck, Leonardo da Vinci u. a. Das Rathaus (1561) am Kleinen Markt ist 1883 in deutscher Renaissance renoviert;
in der Kavalierstraße das Palais der Prinzessin Luise und das erbprinzliche Palais, 1883‒87 nach Entwürfen von Ende und Böckmann erbaut, und das Theater [* 15] mit dem Konzertsaal (18 m lang, 10 m breit), nach dem Brand von 1855 neu erbaut im Stil des Berliner Opernhauses;
hinter dem Theater die herzogliche und die Georgsbibliothek (50000 Bände);
das Gymnasium Fridericianum und Realgymnasium (1880‒82), davor das Denkmal des Dichters der Griechenlieder Wilh.
Müller. Endlich das Landtags- und Behördenhaus (1872‒75), das Land- und Amtsgericht (1884‒85), die Gebäude der Anhalt-Dessauischen Landesbank (1850) und der Deutschen Kontinental-Gasgesellschaft (1872). Auf dem Neumarkt das Standbild (1858) des Herzogs Leopold Friedrich Franz (von Kiß), auf dem Großen Markt das Standbild (1860) des Fürsten Leopold nach dem Modell der Schadowschen Statue auf dem Berliner Wilhelmsplatz (von Kiß), am Kleinen Markt das 1867 beim 50jährigen Regierungsjubiläum des Herzogs Leopold Friedrich errichtete Jubeldenkmal zur Erinnerung an die Wiedervereinigung Anhalts (1863), mit den Standbildern Albrechts des Bären, Heinrichs Ⅰ., Joachim Ernsts und Leopold Friedrichs und vier Städtefiguren (von H. Schubert);
Denkmal für die 1870/71 gefallenen Anhaltiner;
Moses Mendelssohn-Denkmal (1890);
das vom Baron von Cohn, dem Bankier Kaiser Wilhelms Ⅰ., gestiftete Kaiser Wilhelm-Denkmal (Bronzestatue von Tondeur in Berlin, [* 16] 1892);
Denkmal des Komponisten Schneider (1893).
Verwaltung. Die Stadt wird verwaltet von einem Oberbürgermeister, zwei besoldeten Stadträten, 30 Stadtverordneten und hat freiwillige Feuerwehr, ein Wasserwerk (27 km Rohrleitung), Kanalisation, Gasanstalt und elektrische Beleuchtung [* 17] (Centralstation der Deutschen Kontinental-Gasgesellschaft), letztere für die herzogl. und einzelne Privatgebäude.
Behörden. Dessau
ist Sitz der Landesregierung, der obersten Behörde für die Verwaltung des herzogl. Hofbesitzes, einer Finanzdirektion,
eines Konsistoriums, einer Kreisdirektion, Generalsuperintendentur, eines Landgerichts (Oberlandesgericht Naumburg)
[* 18] mit 11 Amtsgerichten
(Ballenstedt, Bernburg,
[* 19] Coswig, Cöthen,
[* 20] Dessau
, Harzgerode, Jeßnitz, Oranienbaum, Roßlau, Sandersleben, Zerbst),
[* 21] Amtsgerichts, Eisenbahnbetriebsamtes (365,69 km Bahnlinien) der königlichen preuß. Eisenbahndirektion
Erfurt
[* 22] und einer Reichsbanknebenstelle.
Bildungs- und Vereinswesen. Dessau
hat ein herzogl. Gymnasium Fridericianum (1785
von dem Herzog Leopold Friedrich Franz gegründet,
Direktor Dr. Krüger, 19 Lehrer, 9 Klassen, 277 Schüler), Friedrichs-Realgymnasium (Direktor Dr. Suhle, 15 Lehrer, 8 Klassen, 226 Schüler),
herzogl. Vorschule des Fridericianum, herzogl. Antoinetten- (höhere
Mädchen-) schule mit Lehrerinnenseminar (1786 gegründet, 1839 erneuert), Knaben- und Mädchenmittelschulen, Knaben- und Mädchenvolksschulen,
gewerbliche Fortbildungs-, Handwerker-, kaufmännische Fachschule, private höhere (Ließsche) Mädchenschule, Musikschule
(von Fr. Schneider gegründet), Landes-Frauenarbeitsschule (mit dem Friederiken-Institut), je 2 Kleinkinderschulen und Kindergärten;
ferner die herzogliche öffentliche und die Behördenbibliothek (je 50000 Bände), die Volksbibliothek
(7000 Bände), die Sammlungen im Schloß, die Gemäldesammlung in der Amalienstifung (700 Nummern, meist aus dem 18. Jahrh.)
und das Hoftheater (1000 Plätze). An Vereinen hat Dessau
21 zu gegenseitiger Unterstützung der Mitglieder, 12 der Wohlthätigkeit, 9 gemeinnützigen, 12 kirchlichen,
religiösen und Missionszwecken, 12 dem Handel, Gewerbe und Industrie, 4 finanziellen Zwecken dienende Vereine, 9 zur Pflege
von Kunst und Wissenschaft, 5 Militär-, 21 Gesang-, 16 Turn-, Radfahrer-, Ruder-, 16 gesellige Vereine sowie eine Loge.
Wohlthätigkeitsanstalten. Die Amalienstiftung, eine Armenanstalt für alte Frauen, von der 1793 gestorbenen Tochter des Fürsten Leopold gegründet, Kreiskrankenhaus, Erziehungsanstalt für schwach- und blödsinnige Kinder (1887), Hospital zum Heiligen Geist, St. Georg, Elisabethhaus und Leopoldsdankstift.
Industrie, Handel. Hauptzweige der in etwa 60 Anlagen betriebenen Industrie sind Fabrikation von Tapeten, Rouleaus, Strohpapier,
Tuch, Maschinen (Berlin-Anhaltische Maschinenbau-Aktiengesellschaft), Wagen, Sprit und Zucker
[* 23] (Dessauer Aktien-Zuckerraffinerie);
ferner Spinnerei (Dessauer Wollgarnspinnerei), Eisengießerei,
[* 24] Brauerei, Ziegelei, Mahl- und Schneidemühlen.
Der Handel erstreckt sich vornehmlich auf Produkte der einheimischen Industrie. Dessau
hat eine Handelskammer für das Herzogtum
Anhalt, Reichsbanknebenstelle, Anhalt-Dessauische Landesbank, Kreissparkasse (Ende 1891: 5,68 Mill. M. Einlagen), Darlehnskasse
und 2 Sparvereine. In Dessau
haben ihren Sitz die 7. Sektion der Nordwestlichen Eisen- und Stahl- und die 3. Sektion
der Magdeburgischen Baugewerks-Berufsgenossenschaft sowie die Anhaltische Land- und Forstwirtschaftliche Berufsgenossenschaft.
Verkehrswesen. Dessau
liegt an den Linien Wittenberg-Cöthen-Aschersleben und Magdeburg-Zerbst-Leipzig der Preuß. Staatsbahnen,
[* 25] hat Post- und Telegraphenamt erster Klasse, sowie Fernsprecheinrichtung (100 Teilnehmer). Handel und Verkehr werden wesentlich
gefördert durch den 4 km nördlich an der Elbe gelegenen Hafen Wallwitzhafen (s. d.), dessen Güterverkehr
(1891) 218300 t betrug.
Vergnügungsorte und Umgebung. Nördlich vom Bahnhof der Georgengarten mit Schloß, weiter der Wallwitzberg, ein Hügel mit Burgruine, 5 km westlich davon am Kühnauer See in einem Park das herzogl. Schloß Kühnau,mit Sammlungen für anhalt. Geschichte und Altertumskunde, östlich des Georgengartens zwischen der Stadt und Wallwitzhafen der Gänsewall, schattige Promenade inmitten von Wiesen. Rechts der Mulde der Tiergarten und 4 km entfernt Schloß und Park Luisium. ¶
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7 km westlich von Dessau
das Dorf Mosigkau; im Schloß (1752), seit 1780 Sitz eines Adlig-Fräuleinstiftes, wertvolle
Gemälde. 18 km entfernt Wörlitz (s. d.).
Geschichte. Dessau, ursprünglich Dissouwe, später Desso, Dessow, wurde wahrscheinlich von Albrecht dem Bären durch einwandernde Flamländer gegründet: doch wird es erst 1213 urkundlich als Stadt erwähnt. Bei der Teilung Anhalts (s. d., Bd. 1, S. 639 a) wurde Dessau 1603 Residenz der Anhalt-Dessauischen Linie. Während des Dreißigjährigen Krieges schlug Wallenstein an der Dessauer Elbbrücke in der Nähe von Roßlau den Grafen Ernst von Mansfeld. Großen Ruf erlangte am Ende des 18. Jahrh. durch das 1774 von Basedow gegründete Philanthropin wie durch die Buchhandlung der Gelehrten und die Chalkographische Gesellschaft. Es ist Geburtsort des Dichters Wilh. Müller (1794), des Philosophen Moses Mendelssohn (1729). –
Vgl. Siebigk, Ein Bild aus D.s Vergangenheit (Dessau 1864);
Würdig, Chronik der Stadt Dessau (ebd. 1875/76).