Dessau
,
[* 1]
Haupt- und Residenzstadt des Herzogtums
Anhalt,
[* 3] liegt am linken
Ufer der
Mulde, welche 3 km unterhalb der Stadt
in die
Elbe mündet, und an der
Berlin-Anhalter
Eisenbahn, die sich bei Dessau
nach
Bitterfeld
[* 4] und
Köthen
[* 5] spaltet,
in einer angenehmen, durch die
Kunst verschönerten, gartenähnlichen
Ebene, enthält außer dem ältesten Stadtteil an der
Mulde breite und regelmäßig angelegte, wenn auch wenig belebte
Straßen mit großstädtischen
Häusern und schöne
Plätze,
darunter den
Großen
Markt mit dem Standbild des »alten
Dessauers«, den
Neumarkt, seit 1858 mit dem des
Herzogs
Leopold
Friedrich
Franz (modelliert von
Kiß), den
Kleinen
Markt mit dem 1867 errichteten Brunnendenkmal der Wiedervereinigung
Anhalts, den
Kaiser- und den Albrechtsplatz mit schönen An-
[* 1]
^[Abb.:
Wappen
[* 6] von Dessau.]
¶
mehr
lagen. Das herzogliche Schloß, 1748 erbaut und 1875 mit einem Vorbau im mittlern Renaissancestil geschmückt, enthält das
herzogliche Archiv, eine wertvolle Gemäldegalerie (über 600 Ölbilder, namentlich gute Italiener und Niederländer des 17. Jahrh.)
und in der sogen. Gipskammer Sammlungen von Kostbarkeiten, Kupferstichen, Münzen
[* 8] etc. Hervorzuheben sind ferner: das 1856 nach
Entwürfen von Langhans neu ausgebaute Schauspielhaus, das Palais des Erbprinzen, die Gebäude des Landgerichts
und der Behörden, sämtlich Neubauten, und unter den vier Kirchen die Schloß- und Stadtkirche zu St. Marien, die 1506-12 erbaut, 1857 im
Innern völlig restauriert wurde und die fürstliche Gruft sowie einige gute Bilder von Cranach (namentlich
sein bekanntes Abendmahl mit den Bildnissen der bedeutendsten Förderer der Reformation) enthält, und die katholische Kirche
von 1860. Die Juden haben eine 1861 im orientalischen Stil restaurierte Synagoge, in welcher bereits 1808 (vielleicht zuerst
in Deutschland)
[* 9] deutsche Vorträge gehalten wurden. In der Nähe des Bahnhofs steht ein Denkmal zur Erinnerung
an die im Krieg von 1870/71 Gefallenen. Dessau
hatte 1880: 23,266 Einw. (477 Katholiken, 540 Juden) und 1884: 27,500 Einw., als
Garnison ein Infanterie-Bataillon Nr. 93.
Die mannigfaltige Gewerbthätigkeit beschäftigt mehrere Anstalten von bedeutendem Umfang, namentlich die Zuckerraffinerie (großartige Anstalt mit 900 Arbeitern), Tuchfabrikation, Maschinenbau und Eisengießerei, [* 10] Wollgarnspinnerei, Tapeten- und Rouleausfabrikation; auch Kunstgärtnerei wird stark betrieben. Der Handel, durch die Eisenbahnen, die Anhalt-Dessauer Landesbank (seit 1847) und den 1860 neu errichteten Wallwitzhafen unterstützt, ist sehr lebhaft.
Besonders ist Dessau
als Getreidemarkt von Bedeutung. Die Stadt hat Gas- und Wasserleitung,
[* 11] und es erscheinen hier zwei Zeitungen.
An Bildungsanstalten bestehen: ein Gymnasium mit Realgymnasium, eine höhere Töchterschule und ein Lehrerinnenseminar;
außerdem ein herzogliches Hoftheater und eine Hofkapelle, die Vorzügliches leisten, eine herzogliche Bibliothek von über 30,000 Bänden und verschiedene künstlerische, wissenschaftliche und gemeinnützige Vereine.
Zahlreich sind auch die milden
Stiftungen, darunter das Versorgungshaus Leopoldsdank von 1749, das 1766-70 errichtete Armen- und Arbeitshaus
mit trefflich eingerichtetem Krankenhaus
[* 12] und besonders die Armenversorgungsanstalt Amalienstift, von der Tochter des Fürsten
Leopold, Henriette Amalie (gest. 1793), gegründet; in den Gebäuden der letztern hatte von 1774 bis 1793 das
Basedowsche Philanthropin seinen Sitz, und gegenwärtig befindet sich darin eine bedeutende Gemäldesammlung, namentlich mit
Gemälden niederländischer und deutscher Meister des 17. und 18. Jahrh. Dessau
ist Sitz aller höchsten Landesbehörden:
des Staatsministeriums, der Regierung, eines Landgerichts (für die elf Amtsgerichte zu Ballenstedt, Bernburg,
[* 13] Dessau
, Harzgerode, Jeßnitz,
Koswig, Köthen, Oranienbaum, Roßlau, Sandersleben und Zerbst),
[* 14] des Konsistoriums, eines Hauptsteueramtes und eines preußischen
Eisenbahnbetriebsamts. Die freundlichen Umgebungen der Stadt erhalten einen besondern Reiz durch die dem
Publikum stets zugänglichen herzoglichen Gärten und Schlösser: Georgium, Luisium, Kühnau und Haideburg. Etwa 18 km entfernt
liegt Wörlitz (s. d.) mit seinen altertümlichen Parkanlagen. In Dessau
wurde
der Philosoph Mendelssohn geboren; der Griechenliederdichter Wilhelm Müller und der Komponist Fr. Schneider lebten und wirkten
daselbst.
Dessau
(anfangs Dissouwe,
dann Deßo) wurde wahrscheinlich unter Albrecht dem Bären in der zweiten Hälfte
des 12. Jahrh. durch eingewanderte Flamänder erbaut; als Stadt wird es urkundlich zuerst 1213 erwähnt. Schon vor 1313 bestand
hier eine von dem Klerus unabhängige Schule, die älteste in Anhalt. Nach der Überlieferung soll die
ganze Stadt, mit Ausnahme der Marienkirche, ein Raub der Flammen geworden sein. 1525 wurde hier zwischen dem Kurfürsten von
Mainz
[* 15] und den Herzögen Georg von Sachsen
[* 16] und Heinrich von Braunschweig
[* 17] ein Bund zur Aufrechthaltung der römisch-katholischen Kirche
geschlossen.
Seit der letzten Teilung Anhalts (1603) ist Dessau
die Residenz des Fürsten von Anhalt-Dessau. Im Dreißigjährigen
Krieg traf mancherlei Kriegsnot die Stadt, die schon vorher durch die Pest sehr gelitten hatte, namentlich während der Kämpfe
Ernsts von Mansfeld mit Wallenstein um die Dessauer Brücke Von neuem hob sich die Stadt unter dem Fürsten Leopold
I., der die Wasserstadt, die Fürsten-, die Kavalier- und die Leipziger Straße anlegte. Fürst Leopold Maximilian
erbaute das Schloß, sein Sohn Leopold Friedrich Franz legte die Fortsetzung der Kavalierstraße, die sogen. Franzstraße, an.
Von Bedeutung war die am Ende des 18. Jahrh. von Basedow in Dessau
begründete Erziehungsanstalt, das Philanthropinum, wodurch
die Jugend im Geiste der damaligen Aufklärung herangebildet werden sollte; doch war die Gründung nicht
von langer Dauer (s. oben). Der Neumarkt und die Neustadt
[* 18] haben erst seit 1825 ihre jetzige Gestalt erhalten.
Vgl. Siebigk,
Ein Bild aus Dessaus
Vergangenheit (Dessau 1864);
Würdig, Chronik der Stadt Dessau
(das. 1876).