Titel
Desinfektion
[* 2] (frz.), die Unschädlichmachung der
Krankheiten erregenden Ansteckungsstoffe oder
Kontagien (s. d.). Seitdem man die
Ursache einer ganzen Reihe der verschiedensten und gerade der gefährlichsten und verheerendsten
Krankheiten, wie
Pocken, Diphtherie,
Tuberkulose,
Typhus,
Cholera, Pyämie,
Rotlauf, Wundstarrkrampf
(Tetanus), Hospitalbrand u. a.,
in dem Auftreten gewisser niederer, zu den
Spaltpilzen oder
Bakterien (s. d.) gehörender Organismen erkannt hat, deren
Verbreitung
die Übertragung der
Krankheit von einem Individuum auf das andere, oder die
Ansteckung, veranlaßt, ist
die Möglichkeit gewährt, mit mehr oder weniger Erfolg der Ausbreitung solcher
Krankheiten durch Abtöten der betreffenden
krankheiterregenden Mikroparasiten entgegenzuwirken. Es ist dies
Aufgabe der Desinfektion
, welche demnach mit der
Heilung der
Krankheiten
direkt nichts zu schaffen hat, sondern die vorhandene
Krankheit auf die möglichst geringe Zahl von Individuen
zu beschränken und ganz vorzugsweise als vorbeugende Maßregel zu gelten hat. Die günstigen Erfolge, welche bislang durch
die Desinfektion
erzielt sind, gründen sich auf die Erkenntnis der meisten Ansteckungsstoffe als Lebewesen, als
Spaltpilze.
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Ob aber einer jeden Krankheit eine besondere Art dieser Pilze
[* 4] eigen, wie es von vielen angenommen wird, oder aber ob es nur
wenige Arten von Spaltpilzen giebt, die je nach Umständen die eine oder andere Form der Krankheiten hervorrufen, darüber sind
die Ansichten noch verschieden. Solange dieses aber der Fall ist, solange man nicht die Lebensbedingungen
eines jeden Ansteckungsstoffes genau kennt, muß man sich damit begnügen, bei der Desinfektion
auf dem Wege der Erfahrung
vorzugehen und solche Mittel in Anwendung zu dringen, von denen erfahrungsmäßig festgestellt ist, daß sie der Vermehrung
der kleinsten lebenden Organismen im allgemeinen hinderlich sind.
Da zwischen den Krankheitsbakterien und den Fäulnisbakterien große Ähnlichkeit
[* 5] besteht, so werden beide
vielfach miteinander verwechselt, und man ist geneigt, alles was zur Unterdrückung von Fäulnisprozessen geeignet ist, auch
als wirksames Desinfektion
smittel gelten zu lassen, ja man glaubt oft sogar mit der Beseitigung äußerer Fäulniserscheinungen,
wie übler Gerüche, auch zugleich das Ursächliche der Krankheitserregung zu vernichten. Wenn auch ersteres
in vielen Fällen richtig ist, wenn man mit der Unterdrückung von Fäulnisprozessen zugleich die meisten Krankheitserreger,
wenn solche vorhanden sind, vernichten kann, so ist doch nicht erwiesen, ob letztere alle in dieser Beziehung sich gleich
verhalten, und daß in dieser Beziehung sehr erhebliche Verschiedenheiten vorkommen können, erhellt am
besten aus der ungleichen Widerstandsfähigkeit der kleinsten Organismen gegen Erhitzung.
Während den bei weitem meisten krankheiterregenden Mikroorganismen durch Erwärmen auf 50 bis 60° C. in Flüssigkeiten sicherer Tod gebracht wird, gehen andere aus stundenlang fortgesetztem Kochen ungeschädigt hervor. Besonders widerstandsfähig sind die mit einer besondern Kapsel versehenen sog. Sporen. Es sei dieses nur erwähnt, um zu beweisen, daß ein Mittel, welches unter gewissen Umständen sichern Erfolg gewährt, unter andern Umständen erfolglos bleiben kann. Sicher erfolglos ist die alleinige Anwendung von Desodorisationsmitteln (s. d.).
Bei der praktischen Desinfektion
hat man zwei Ziele ins Auge
[* 6] zu fassen:
1) Die Verhütung der Ansammlung größerer Mengen von Ansteckungsstoffen und 2) die möglichste Vernichtung derselben. Die Übertragung der Ansteckungsstoffe geschieht in den meisten Fällen dadurch, daß diese in der Luft schwebend den Körper erreichen und sich in diesem mit größter Geschwindigkeit vermehren. In je größerer Zahl die Organismen in einem gegebenen Luftraume enthalten sind, um so größer ist die Wahrscheinlichkeit der Übertragung auf die darin Weilenden; bei steter Wiederaufnahme eines Krankheitsstoffes wird die Genesung verzögert, die Gefahr der Ansteckung durch die sich mehr und mehr ansammelnden Organismen vergrößert.
Diesem ist durch kräftigste Ventilation (s. d.) vorzubeugen. Mit jedem Raumteil Luft, das aus einem Krankenzimmer hinausgeschafft wird, entweichen Millionen von Organismen, die hier nur Verderben bringen können. Nichts kann mehr Schaden bringen, als die aus Unkenntnis so vielfach vorgenommene Absperrung der frischen Luft in Krankenräumen; je mehr reine Luft hier zugeführt wird, um so eher ist auf Genesung zu hoffen, um so geringer auch die Gefahr für die mit der Pflege des Patienten Betrauten.
Die an das Wunderbare grenzenden Erfolge des Barackensystems sind die deutlichsten Beweise für
diese Thatsache. Diese natürlichste
Art der Desinfektion
ist aber nicht allein auf Krankenräume, sondern ganz besonders auch für die zum dauernden Aufenthalt
von gesund zu erhaltenden Menschen bestimmten Räume anzuwenden. Es gilt dies insbesondere von Schulräumen,
in denen die für Krankheiten empfänglichen Kinder täglich viele Stunden zu verweilen haben. Ein einziges Kind kann in seinen
Kleidern wie an seinem Körper die Aussaat zur Krankheit mitschleppen, welche bei genügender Lüftung sich zerstreuen, in der
stagnierenden Atmosphäre aber Masern, Scharlach u. dgl. verbreiten kann.
Die Vermehrung aller niedern Organismen kann nur bei Gegenwart von Feuchtigkeit, von leicht zersetzbarer organischer Substanz und bei gewisser Wärme [* 7] erfolgen. Bei der Bekämpfung der Ansteckungsstoffe sind daher diese Existenzbedingungen derselben vor allem in das Auge zu fassen. Die beim zu frühen Beziehen neugebauter Wohnungen fast regelmäßig ausbrechenden Krankheiten werden nicht, wie irrtümlich angenommen, durch einen zu hohen Feuchtigkeitsgehalt der Luft oder durch mangelnde Wärme herbeigeführt, sondern dadurch, daß die Mikroorganismen an den mit Wasser gesättigten Wänden sich üppig vermehren können und von da aus sich in die Luft verbreiten. Die gründliche Austrocknung sowie das Verbot des Bewohnens von feuchten Kellerwohnungen sind nicht genug zu beachtende desinfektorische Maßnahmen.
Überall, wo leicht zersetzbare organische Substanz, i. Unrat aller Art sich ansammelt, ist eine Brutstätte für Spaltpilze gegeben, die als harmlose Fäulniserreger auftreten können und sich dann durch den von ihnen verbreiteten Geruch zu erkennen geben, andererseits aber auch Krankheitsträger sein können. Man dulde daher in keinem Teile der Wohnung die Ansammlung irgendwelcher Stoffe dieser Art. Man kann im allgemeinen sagen, daß die Gesundheit einer Wohnung direkt proportional dem in ihr herrschenden Reinlichkeitsgrade sei.
Aber selbst in der reinlichsten Wohnung kann es verderbenbringende Räume, ja ganz bestimmt umschriebene Stellen geben, von denen sich Krankheiten, wie Typhus u. dgl. verbreiten. Die Ursache hiervon liegt nicht selten an Stellen, die dem sorgsamsten Auge verborgen, der reinlichsten Wirtschafterin nicht zugängig sind. Es sind dies die durch den Belag der Fußböden verdeckten Räume zwischen den Etagen, die sog. Zwischendecken, zu deren Ausfüllung manchmal, statt eines reinen Sandes oder sonstigen von organischen Stoffen freien Materials, alter Bauschutt u. dgl. verwandt wird. Ist solcher Schutt, wie nicht selten, schon mit Krankheitsträgern beladen, oder ist er mit organischen Substanzen imprägniert, so kann von solchen Stellen und durch lange Zeiten hin der Ausgangspunkt von Krankheiten sich entwickeln, ohne daß man ihre Ursache wahrnimmt.
Die Vernichtung vorhandener Ansteckungsstoffe kann durch Erhitzung erfolgen, der, wenn sie genügend weit getrieben wird,
kein lebendes Wesen zu widerstehen vermag, oder durch Anwendung solcher Substanzen, Desinfektion
smittel, die sich als Gifte
für die Spaltpilze erwiesen haben. Der Desinfektion
durch Hitze sind am leichtesten alle leinenen
oder baumwollenen Stoffe, die Bekleidungsstücke, Bettwäsche der Kranken zu unterziehen, indem man sie unmittelbar nach dem
Gebrauch in einen mit siedendem Wasser gefüllten Kessel wirft und sie einige Zeit kochen läßt. Steht ein Apparat zur Verfügung,
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in welchem das Kochen unter höherm Drucke, bei etwa 2 Atmosphären Spannung erfolgen kann, so gewährt dieser noch größere
Sicherheit. Zur Desinfektion
von Wollstoffen, Bettdecken, Matratzen, Kissen u. dgl. ist eine trockne Erhitzung vorzuziehen. Die früher
gebräuchliche Erhitzung durch direkte Feuerung war schwer zu regulieren und wurde später durch die
viel gleichmäßigere Erhitzung mittels strömenden Dampfes ersetzt, der in den hohlen Wänden des kasten- oder cylinderförmigen
Apparates cirkulierte.
Neuerdings läßt man den Dampf
[* 9] mit den Gegenständen unmittelbar in Berührung treten, da der Dampf die Stoffe gut auflockert
und das Eindringen der Wärme beschleunigt. Eine Durchnässung vermeidet man hierbei durch vorheriges
Anwärmen sowie nachträgliches Durchlüften mit heißer Luft. Ein nach diesem Princip hergestellter Desinfektion
sapparat
[* 10] ist der von Schimmel
[* 11] & Comp. in Chemnitz.
[* 12] Derselbe besteht aus einem zimmerartigen Raum, auf dessen Grund ein Rippenheizkörper
und ein darüberliegendes mit feinen Öffnungen versehenes Dampfeinströmungsrohr angebracht sind.
Die zu desinfizierenden Gegenstände werden auf einem auf Schienen beweglichen Gestell hereingefahren, worauf die Thür luftdicht verschlossen wird. Nachdem die Gegenstände eine Zeit lang der durch den Heizkörper entwickelten trocknen Hitze ausgesetzt sind, läßt man den Dampf einströmen, der die Stoffe rasch durchdringt und sie auflockert, wodurch eine schnelle Durchhitzung erzielt wird. Nach Dampfabschluß läßt man wieder die trockne Hitze wirken.
Größere Städte sind jetzt zur Anlage von öffentlichen Desinfektionsanstalten geschritten, in denen gegen mäßiges Entgeld
die Desinfektion
von infizierten Gegenständen vorgenommen wird. Hierbei ist besonders darauf zu achten, daß bei
dem ununterbrochenen Betrieb die bereits desinfizierten Gegenstände nicht mit den neu hinzukommenden durchseuchten in Berührung
kommen, was dadurch erreicht wird, daß bei dem Apparat für Ein- und Ausbringen der Stoffe besondere Thüren
angeordnet sind, die außerhalb des Apparates durch eine das ganze Zimmer durchziehende Wand getrennt sind, sodaß auch die
mit dem Einbringen der durchseuchten Stoffe beschäftigten Beamten nicht mit denjenigen in Berührung treten, welche die Zurückbeförderung
der gereinigten Gegenstände besorgen. Ein solcher getrennter Betrieb wird durch die Bauart der Desinfektion
sapparate von
Rietschel & Henneberg in Berlin
[* 13] ermöglicht. Auch transportable Apparate hat man konstruiert, um den Transport einer größern
Menge an einem Orte befindlicher durchseuchter Gegenstände zu umgehen.
Jeder Raum, in dem ein an ansteckenden Krankheiten Leidender verweilt hat, sollte nach dem Verlassen desselben
einer Desinfektion
unterzogen (desinfiziert) werden, ehe er wieder bewohnt wird. Hierzu eignen sich die gasigen Desinfektionsmittel
am besten, wie Chlor, Brom, schweflige Säure, salpetrige Säure, von denen Chlor und schweflige Säure am leichtesten anwendbar
sind. Nur begnüge man sich nicht damit, in dem betreffenden Raume eine leichte Räucherung mit diesen
Gasen vorzunehmen, wodurch absolut nichts erreicht wird, sondern man entwickle diese Gase
[* 14] in solchen Mengen, daß der Aufenthalt
für Menschen während der Räucherung unmöglich gemacht wird, und lasse sie längere Zeit, etwa 24 Stunden lang, andauern.
(S. Chlorräucherung.) Bromgas entwickelt man am besten nach dem Frankschen Verfahren
aus mit flüssigem
Brom getränkter Kieselgur, aus welcher das Brom an der Luft allmählich verdampft; für 1 cbm in Raum sind zur sichern Desinfektion 40 g
Brom erforderlich.
Zur Desinfektion mit schwefliger Säure entzünde man Schwefel in einem eisernen Gefäß, [* 15] wobei für einen Raum von 120 cbm Inhalt etwa 2 kg Schwefel zu verwenden sind. Daß während der Durchräucheruug alle Thüren und Fenster des Raumes geschlossen zu halten sind, ist selbstverständlich. Will man im Krankenzimmer während des Verweilens des Patienten eine Desinfektion der Luft vornehmen, so sind die genannten Stoffe nicht verwendbar, wohl aber läßt sich der beabsichtigte Zweck durch Verbreitung von Carbolsäuredampf erreichen. Zu diesem Behufe stelle man chemisch reine Carbolsäure, auf einem flachen Teller ausgebreitet, an einen mäßig warmen Ort, z.B. in die Nähe des Ofens, wobei eine genügende Menge verdunstet, ohne dem Kranken nachteilig zu werden.
Die gefährlichsten Träger [* 16] der Ansteckungsstoffe sind in vielen Fällen die Auswürfe und Entleerungen der Kranken; werden diese ohne weiteres in die Aborte (s. d.) geschüttet, so können die bedenklichsten Folgen daraus entstehen. Die Krankheitsorganismen finden dort alles, was sie zu ihrer reichlichsten Vermehrung bedürfen: Feuchtigkeit, eine gewisse Wärme, zersetzbare organische Substanz in Fülle;
durch den in den Abfallschloten herrschenden Zug können sie durch alle Stockwerke des Hauses verbreitet werden. Es sollten daher die zur Aufnahme der Entleerungen bestimmten Gefäße stets vor dem Gebrauch bereits ein wirksames Desinfektionsmittel enthalten, um die Organismen sofort zu töten.
Von den mechan. Mitteln kommt hauptsächlich Erde, Asche und Torf in Frage. Erde hat eine sehr beharrliche reinigende Kraft, [* 17] kann deshalb mehrmals verwendet werden und liefert einen recht guten Dünger; allerdings sind große Mengen erforderlich, pro Jahr und Kopf an 1200 kg. Ahnliche Ergebnisse liefert Asche in Bezug auf Desinfektion und Dünger. Sie wird durch Sieben aus dem Kehricht genommen;
jedoch liefert der Hausverbrauch nicht die nötige Menge (etwa das Doppelte der Exkremente);
nur in Manchester [* 18] scheint die Asche für die Desinfektion auszureichen;
dort sind Aschenklosetts nach dem Tonnensystem in Brauch.
Bedeutend geringerer Verbrauch an Zusatz zu den Exkrementen ist notwendig bei Anwendung von Präparaten aus Torf. Torf liefert 80 Proz. Torfstreu und 20 Proz. feine Masse, Torfmull. Nach der Braunschweiger Norm ist nur ein Quantum von 55 kg Torfmull, welcher besondere Aufsauge- und Bindefähigkeit besitzt, für den Kopf und das Jahr ausreichend. Das Ergebnis der Desinfektion Torfmist, fast geruchlos, liefert Vorzugsweise für leichten Ackerboden einen guten Dünger.
Der Zusatz dieser Desinfektionsmittel geschieht entweder in Streuklosetts, in den Abtrittsgruben oder an den Sammelstellen außerhalb der Stadt, wo auch die Zubereitung des für landwirtschaftliche Zwecke wertvollen Fäkalienkomposts erfolgt.
Bedeutend intensiver, namentlich in Bezug auf die Zerstörung von Kleinlebewesen ist die Desinfektion mit chem. Mitteln, die auf flüssigem Wege erfolgt. Von den einfachen Mitteln verdienen wegen ihrer Billigkeit und Wirksamkeit den Vorzug Kupfervitriol und Carbolsäure; neuerdings werden auch das Creolin (s. d.), das Lysol (s. d.) sowie das Kresol (s. d.) zu dem gleichen Zweck empfohlen. Auch zwei ältere ¶