Denken,
im allgemeinen (formalen) Sinn jedes Vorstellen, das im Gegensatz zum Einzelvorstellen (Empfinden und Anschauen) Mannigfaltiges in Eins zusammenfaßt; im engern (materialen) Sinn aber jedes Vorstellen, das mit dem Anspruch auf Geltung auftritt, ohne sich zur Rechtfertigung desselben auf die unmittelbare Anschauung des Gedachten, sei es durch den äußern oder einen innern Sinn, zu stützen. In jenem Sinn legt man auch dem Kind und Narren ein Denken bei; in diesem wird gesagt, daß der Empiriker, der sich auf das Zeugnis des äußern, wie der Mystiker auf jenes eines (angeblichen) innern Sinnes beruft, nicht denke, sondern anschaue.
Das Denken ist keine ursprüngliche (wie das Empfinden und Anschauen durch den äußern oder einen innern Sinn), sondern eine abgeleitete Thätigkeit und setzt ein entweder (sensualistisch) durch den äußern oder (intuitiv) durch einen innern Sinn dargebotenes Material, die unverbundenen Einzelvorstellungen (Empfindungen und Anschauungen), voraus. Mit Rücksicht auf diese, welche gleichsam die Bausteine darstellen, aus welchen das Denken seinen Bau aufführt, kann es auch als die höhere Thätigkeit angesehen werden.
Die Zusammenfassung selbst zeigt verschiedene Form, je nachdem das Zusammengefaßte verschieden ist. Besteht das letztere aus Einzelvorstellungen (Empfindungen und Anschauungen), so heißt das Zusammenfassen derselben Begreifen, die Zusammenfassung selbst Begriff; sind die in Eins zusammenzufassenden Vorstellungen dagegen selbst schon Begriffe, so heißt deren Zusammenfassen, wenn es unmittelbar, d. h. ohne Hilfe von Zwischenbegriffen, erfolgt, Urteilen, die Zusammenfassung selbst ein Urteil, wenn es mittelbar erfolgt, d. h. durch Zwischenbegriffe, Schließen und die Zusammenfassung selbst ein Schluß.
Begreifen, Urteilen und Schließen sind die Formen, in welchen jedes Denken sich vollzieht, und die daher Denkformen heißen. In Bezug auf die Art, wie die Zusammenfassung vor sich geht, läßt sich willkürliches und notwendiges (besser gesagt: willenloses) Denken unterscheiden. Ersteres, bei welchem die Verknüpfung des Mannigfaltigen weder infolge äußern Zwanges noch innerer Nötigung, sondern nach der gesetzlosen Laune des Verknüpfenden erfolgt, wird gewöhnlich nicht Denken, sondern Dichten genannt, hat aber doch mit jenem die Denkformen gemein.
Dasselbe bringt seiner phantastischen, weder durch den Gang der Natur noch den Zwang des Denkinhalts geregelten Freiheit gemäß eine durchaus willkürliche, märchenhafte Gedankenwelt hervor, in welcher das dem Ort und der Zeit nach Entlegenste aneinander gerückt, das dem Sinne nach Unverträglichste zusammen gedacht wird, und die sowohl mit der Erfahrung als mit der Vernunft im Widerspruch stehen kann. Das notwendige (willenlose) aber ist entweder ein durch die Gewalt der Naturgesetze des (psychischen) Vorstellens auf- oder durch die Macht der Normalgesetze des (logischen) Denkens abgenötigtes.
Ersteres bewirkt, daß gleichzeitig oder nacheinander Gegebenes (es sei seinem Inhalt nach verträglich oder nicht) zusammen gedacht werden muß; letzteres befiehlt, daß seinem Inhalt nach Unverträgliches (auch wenn es gegeben ist) nicht zusammen gedacht werden darf. Jenes wird empirisches, dieses logisches Denken, letzteres auch wohl im strengen Sinn des Wortes allein wirkliches Denken genannt. Die Eigentümlichkeit des erstern besteht darin, daß die Zusammenfassung des gleichzeitig oder nacheinander Gegebenen in Eins (der empirische Begriff) zwar unvermeidlich, aber, wenn die zusammengefaßten Merkmale einen Widerspruch einschließen, vom logischen Standpunkt aus doch unerlaubt sein kann. Tritt dieser Fall ein (wie es bei gewissen Erfahrungsbegriffen, z. B. dem Begriff des Dinges mit
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mehreren Merkmalen, der Materie, der Veränderung u. a., wirklich geschieht), so hat das empirische Denken, wenn es nicht unlogisch (antilogisch) sein will, sich einer Bearbeitung nach den Normalgesetzen des Denkens (d. h. nach den Denkgesetzen, s. d.) so lange zu unterziehen, bis es für logisches, d. h. denkbares, Denken gelten darf. Die so gewonnenen Begriffe sind Kunstprodukte des logischen Denkens, die durch den Denkgesetzen entsprechende Bearbeitung der Naturprodukte des empirischen Denkens hervorgebracht werden.
Die Wissenschaft von den Naturgesetzen des Denkens ist ein Teil der Psychologie, jene von dessen Normalgesetzen dagegen die Denklehre, Logik (s. d.). Die Anweisung zu der Bearbeitung des empirischen nach den Normalgesetzen des logischen Denkens bildet die logische Kunstlehre, die sich zur Logik so verhält wie die Kunstlehren der einzelnen Künste (Tonkunst etc.) zu deren Ästhetiken (d. h. zu den Lehren von deren Normalgesetzen); die Bearbeitung selbst ist die logische Kunst, die Denkbarmachung (Rationalisierung) des empirisch Gedachten, deren Frucht die Philosophie (s. d.), d. h. diejenige Wissenschaft ist, welche durch Bearbeitung von Begriffen entsteht.