Demōtisch
(griech.), gemein, volkstümlich;
demotische
Schrift, s.
Hieroglyphen.
Demotisch
16 Wörter, 162 Zeichen
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
(griech.), gemein, volkstümlich;
demotische
Schrift, s.
Hieroglyphen.
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
(grch.), gemein, volkstümlich;
demotische
Schrift, s. Hieroglyphen.
(griech., »heilige Skulpturen oder Inschriften«),
Bezeichnung der Bilderschrift, deren sich die alten Ägypter fast 4000 Jahre hindurch zur Aufzeichnung namentlich religiöser Texte bedienten. Die Anfänge dieser Schrift fallen mit den Anfängen der ägyptischen Geschichte zusammen, und erst in der zweiten Hälfte des 3. Jahrh. n. Chr. machte die merkwürdigste und älteste aller Schriften in Ägypten [* 3] der koptischen Platz, welche als die christliche Schrift das griechische Alphabet gebraucht. Kaiser Decius (gest. 251) ist der letzte römisch-ägyptische König, dessen Namen wir in den Hiëroglyphen finden. Das Material an hieroglyphischen Schriften ist ein so unendlich reiches, daß das Studium derselben mit den darauf gegründeten historischen, chronologischen und geographischen Forschungen eine eigne, umfangreiche Wissenschaft ausmacht: die Ägyptologie.
Die hieroglyphische Schrift, die während des langen Zeitraums ihres Bestehens im allgemeinen keine, im besondern aber vielfache Veränderungen und Bereicherungen erfahren hat, besteht aus etwa 2-3000 Zeichen oder Bildern, welche das etwas komplizierte Schriftsystem bilden. Die 25 Klassen der Schriftbilder sind folgende: a) Männer, stehend, knieend, hockend, sitzend; b) Frauen, stehend, hockend, sitzend; c) Götter und phantastische Figuren; d) menschliche Glieder; [* 4] e) Säugetiere und zwar Haustiere (Pferd, [* 5] Rind, [* 6] Widder, Schaf, [* 7] Ziege, Schwein, [* 8] Esel, Hund, Affe) [* 9] oder wilde Tiere (Löwe, Panther, Katze, [* 10] Fuchs, [* 11] Hase, [* 12] Elefant, [* 13] Rhinozeros, Nilpferd, Gazelle, Giraffe); f) Teile von Säugetieren; g) Vögel [* 14] (Raubvögel, [* 15] Sumpfvögel, Enten, [* 16] kleine Vögel); h) Teile von Vögeln; i) Amphibien (Schildkröte, Eidechse, Frosch, [* 17] Schlange); [* 18] k) Fische; [* 19] l) Gliedertiere (Insekten, [* 20] Spinnen, [* 21] Würmer); [* 22] m) Vegetabilien (Bäume und ihre Teile, Pflanzen und Früchte); n) Himmel, [* 23] Erde und Wasser; o) Gebäude und ihre Teile; p) Schiffe [* 24] und ihre Teile; q) Hausgerät (Sitze, Tische, Kasten u. dgl.); r) Tempelgerät; s) Kleidungsstücke und Schmucksachen; [* 25] t) Waffen [* 26] und Kriegsgerät; u) Werkzeuge [* 27] und Ackergerät; v) Flechtwerk (Stricke, Netze, Pakete); w) Gefäße (Töpfe, Körbe, Gemäße); x) Opfer- und Festgegenstände; y) Schreib-, Musik- und Spielgerät; z) geometrische, unbekannte und zweifelhafte Figuren. Die Männer und Tiere wenden für gewöhnlich den Kopf nach der rechten Seite, der Schrift entgegen; denn diese, mag sie nun, wie das Chinesische, in Kolumnen oder, wie die meisten Schriften, in Reihen geschrieben sein, ist von rechts nach links zu lesen. Nur ausnahmsweise ist eine umgekehrte Richtung angewandt, wo der Text das Pendant zu einem andern bildet; in diesem Fall wenden sich die Figuren mit ihrer Vorderseite nach der Linken.
Die Hiëroglyphen sind entweder eingeschnitten, sei es einfach oder als sehr flaches Relief ausgearbeitet, bald mit größerer, bald mit geringer Sorgfalt in der Ausführung, oder sie sind gemalt und dann mitunter in verschiedenen Farben, von welcher Art künstlerischer Arbeit das Grab Setis I. in Bibán el Meluk ein wahrhaft bewunderungswürdiges Beispiel ist. Figuren, die nur in Umrissen gezeichnet sind, heißen lineare; dieser Art pflegen die zu sein, welche in Publikationen von Texten und ägyptologischen Schriften gebraucht werden.
Die Denkmäler der ältesten Zeit, der Pyramidenzeit, zeigen uns die Hiëroglyphen von hervorragender Schönheit; die eigentliche Blütezeit des ägyptischen Schriftwesens fällt aber unter die 18. Dynastie, um 1600 v. Chr. Danach sank die Kunst allmählich, hatte eine neue Blüte [* 28] im Zeitalter der Psammetiche und verfiel wieder, bis sie endlich ganz erlosch. Die Ägypter schrieben auf Stein, Holz [* 29] und Papyrus;
ihre Bücher waren Papyrusrollen;
der Brauch, auf Leder zu schreiben, scheint früh bei ihnen abgekommen zu sein;
nur wenige ägyptische Pergamenthandschriften haben sich bis auf unsre Tage erhalten.
Die Ägypter waren das schreibseligste aller alten Völker;
mit Hiëroglyphen bedeckt sind die Wände ihrer großartigen Tempel [* 30] innen und außen sowie die Kammern ihrer weiten Gräber;
beschrieben sind die Obelisken, Gedenktafeln, Stelen, Statuen, Götterbilder, Sarkophage, Kasten und Gefäße;
ja, selbst Schreibzeuge und Stöcke pflegen den Namen des Eigentümers und ein kurzes Gebet zu tragen.
Deshalb ist das Material der ägyptologischen Wissenschaft ein ungeheures, und wer z. B. die Inschriften des Tempels von Edfu abschreiben wollte, würde jahrelang daran zu thun haben. Viele altägyptische Schriftdenkmäler werden jetzt in den ägyptischen Museen zu Paris, [* 31] London, [* 32] Edinburg, [* 33] Leiden, [* 34] Berlin, [* 35] Petersburg, [* 36] Wien, [* 37] Miramar, Turin, [* 38] Bologna, Florenz, [* 39] Rom, [* 40] Neapel, [* 41] Bulak etc. aufbewahrt, und manches ist davon schon veröffentlicht; aber an eine Erschöpfung ist in unserm Jahrhundert nicht zu denken.
Neben der Hieroglyphenschrift bestand bei den alten Ägyptern eine Kurrentschrift, die sich zu jener verhält wie unser Geschriebenes zum Gedruckten; man nennt sie nach den alten Schriftstellern die hieratische Schrift, d. h. Priesterschrift (welcher Name aber nicht genau zu nehmen ist, da das Hieratische die eigentliche im alten Ägypten übliche und in den Papyrus vorwaltend angewandte Schrift ist), von welcher fast die ganze zivilisierte Welt ihre Schrift ableitet. Denn nach der ägyptischen Schrift, wie de Rouge ziemlich überzeugend nachwies, bildeten die Phöniker ihr Alphabet; von den Phönikern nahmen es die Griechen, von den Griechen die Römer, [* 42] von den Römern fast ganz Europa [* 43] an. Unser a z. B. ist schließlich nur die zusammengeschrumpfte Gestalt eines Adlers, d. h. ¶
eines ägyptischen a, entstanden aus dem griechischen α, phönikisch ^[img], hieratisch ^[img], hieroglyphisch ^[img]; ähnlich
ist es mit den übrigen Buchstaben. Eine weitere Verkürzung der hieroglyphischen Schrift bildet die etwa im 8. Jahrh. v. Chr.
aufgekommene enchorische (wie sie Herodot nennt) oder demotische
Schrift (wie sie Clemens von Alexandria nennt). Zunächst
für den alltäglichen Verkehr bestimmt, daher auch wohl epistolographische Schrift genannt, ist diese Schreibart noch verkürzter,
flüchtiger und schwieriger als die hieratische; aber auch die Sprache,
[* 45] welche mit ihr geschrieben wurde, ist nicht mehr das
Altägyptische, sondern ein Volksdialekt, der zwischen jenem und dem Koptischen in der Mitte steht.
In den 1000 Jahren, während deren das Demotische bestand, war die altägyptische Sprache bereits eine tote, deren man sich noch zu religiösen Zwecken oder in öffentlichen Urkunden bediente, wie ähnlich die spätern Inder noch Sanskrit, die Juden Hebräisch, die Araber die Sprache des Korans und das Abendland Lateinisch schrieben. Wie hochgeschätzt aber auch bei den alten Ägyptern Wissenschaft und Schriftwesen waren, so scheint die Hieroglyphenkunde doch immer Eigentum der vornehmern Kasten geblieben, niemals allgemein geworden zu sein, wie denn nur Könige, Priester und Krieger an den geistigen Gütern teilgehabt haben.
Wenigstens wird in altägyptischen Schriften der Handwerker und Bauern kaum gedacht. Wir lesen wohl die hochtönenden Titel der Könige, die tapfern Thaten der Kriegsmänner, die vielen Würden und Verdienste der Priester; aber von der niedern Volksklasse ist weder in den Gräbern noch in den Tempeln die Rede. Als daher die phantastische Götterlehre der alten Ägypter, an welcher griechische Philosophie noch in letzter Stunde auszubessern versuchte, vor dem Anprall des Christentums ohnmächtig zusammenbrach, da war es auch mit den Hierogrammaten zu Ende; die mystische Wissenschaft, mit welcher sie umgingen, wurde verachtet, ihre lange gepflegte Kunst war nutzlos geworden und wurde rasch vergessen.
Die alten Schriftsteller, welche über Ägypten geschrieben haben, konnten sich nur unvollkommene Auskunft verschaffen, haben auch ihre ägyptischen Quellen mitunter durch Gräzisierung getrübt. Bei Herodot, Diodoros von Sizilien [* 46] und Plutarch in dem wertvollen Traktat »De Iside et Osiride« sowie in den »Stromata« des Clemens von Alexandria finden sich manche Winke über das hieroglyphische Schriftsystem, aber keiner ist auf dasselbe näher eingegangen. Nach ihnen unternahm es ein gewisser Horapollon (Horos [* 47] Apollon), [* 48] ein eignes Werk über die Hiëroglyphen in ägyptischer Sprache abzufassen, das uns in einer griechischen Übersetzung erhalten ist.
Gerade diese Schrift hat aber die Veranlassung zu einer unrichtigen Deutung der Hiëroglyphen gegeben, weil sie dieselben als reine Bilderschrift, in der jedes einzelne Zeichen einen selbständigen Begriff darstelle, betrachtet wissen wollte und daher die wunderlichsten Erklärungen einzelner Schriftbilder gab. Die Angaben des Horapollon beruhen auf einem Schriftsystem, das in später Ptolemäischer [* 49] Zeit vielfache Anwendung fand, und das man um seiner Gesuchtheit und Kompliziertheit willen das änigmatische genannt hat.
Ein tiefer Kenner der spätern Hieroglyphenschrift findet viele von Horapollons Deutungen bestätigt; für die Entzifferung und Erklärung sind sie aber fast ganz unfruchtbar. Der letzte klassische Schriftsteller, welcher über die Hieroglyphenschrift Auskunft gibt, ist Ammianus Marcellinus (4. Jahrh. n. Chr.), welcher in seinem Geschichtswerk (XVII, 4) die von einem ägyptischen Priester herrührende Übersetzung der Inschrift des Obelisken gibt, welchen Konstantin nach Rom hat bringen lassen. Infolge des Eindringens des Christentums verlor sich das Verständnis der Hieroglyphenschrift immer mehr, und mit dem letzten ägyptischen Götzenpriester ward der lange bewahrte Schlüssel dieser Schrift zu Grabe getragen.
Was nun die Entzifferung der Hieroglyphenschrift betrifft, welche nach Verlauf eines Jahrtausends von neuern Kulturvölkern wieder aufgenommen ward, so ging die Meinung der meisten frühern Gelehrten dahin, daß jene Schrift für Bilderschrift und symbolische Schrift zu halten sei. Da es aber an jeder festen Grundlage für die Erklärung der einzelnen Zeichen fehlte, so überließ sich jeder seiner mehr oder minder besonnenen Phantasie, und je mehr Erklärer endlich seit der ersten Hälfte des 17. Jahrh. aufstanden, um so viel größer wurde die Zahl der willkürlichen Annahmen und Hypothesen. Zu den ersten Erklärern dieser Art gehören Pierius Valerius (»Hieroglyphica«, Leid. 1629) und Michel Mercati (»Degli obelischi di Roma«, [* 50] Rom 1589). Athanasius Kircher (»Obeliscus pamphilius«, Rom 1650, und »Oedipus aegyptiacus«, das. 1652-54, 3 Bde.) hinterließ Foliobände von Übersetzungen ägyptischer Inschriften; da er aber in engem Anschluß an Horapollon jedem hieroglyphischen Zeichen einen abgeschlossenen Begriff, entweder mittels natürlicher oder mittels symbolischer Erklärung, unterlegte, so ist es ihm nicht gelungen, auch nur eine einzige Hieroglyphengruppe richtig zu deuten. Am besonnensten gingen zu Werke Will. Warburton (»On the divine legation of Moyses«, Bd. 2) und Zoëga, indem sie sich damit begnügten, die Nachrichten über die Hiëroglyphen bei den alten Schriftstellern zu sammeln und zu kommentieren.
Letzterer brachte in seiner Schrift »De obeliscis« (Rom 1797) die auf den Denkmälern aufgezeichneten 958 Charaktere in sieben Ordnungen und stellte auch verschiedene Epochen der Ausbildung, Veränderung und Anwendung der Hiëroglyphen auf; Erklärungsversuche machte er jedoch nicht. Eine neue Epoche für diese Forschungen brach infolge der Expedition Napoleon Bonapartes an, indem man einerseits durch das große von den Mitgliedern der französischen Expedition herausgegebene Werk »Description de l'Égypte« mit den altägyptischen Denkmälern vertrauter wurde, anderseits ein unschätzbarer Fund, ein in drei Sprachen abgefaßtes Dekret, die richtige Entzifferung der Hiëroglyphen ermöglichen zu wollen schien.
Dieses wichtige Denkmal, die »Inschrift von Rosette«, befindet sich auf einer Granittafel, welche, 1799 durch einen
französischen Ingenieur, Namens Bouchard, bei Rosette aufgefunden, beim Transport nach Frankreich den Engländern in die Hände
fiel und jetzt im Britischen Museum aufbewahrt wird. Sie besteht aus drei Abteilungen, von denen die obere, nur halb erhaltene,
hieroglyphische, die mittlere demotische
und die untere griechische Schrift enthält. Die griechische Inschrift
meldet, daß dem König Ptolemäos Epiphanes im 9. Jahr seiner Regierung (ca. 197 v. Chr.) von der ägyptischen Priesterschaft
gewisse Ehrenbezeigungen bewilligt worden seien, und daß diese Bewilligung mit heiliger, demotischer
und griechischer Schrift
auf diesen Stein geschrieben worden sei. Hieraus ergab sich, daß die beiden obern Abteilungen in ägyptischer Schrift
denselben Sinn ausdrückten wie die griechische, und man hatte nun einen festen Punkt, von welchem man bei Entzifferung der
obern
¶
Abteilungen ausgehen konnte. Man unternahm zuerst die Erklärung der mittlern Abteilung, welche die demotische
Schrift enthält.
Silvestre de Sacy, welcher in der »Lettre au citoyen Chaptal« (Chaptal war damals Minister des Innern) die Resultate seiner Vergleichung
des griechischen und demotischen
Textes mitteilte, hielt die hieroglyphische Schrift für durchgängig ideographische oder
Wortschrift, die hieratische, die er in Papyrusrollen richtig erkannt hatte, für syllabisch oder alphabetisch, die demotische
aber für eine Buchstabenschrift; doch konnte er noch nicht die einzelnen Lautzeichen entziffern und unterschied nur eine
Anzahl Gruppen, welche die Namen Ptolemäos, Arsinoe, Alexander enthielten. Der schwedische Diplomat Akerblad (»Lettre au citoyen
Silvestre de Sacy sur l'inscription de Rosette«, Par. 1802) bestimmte daraus die phonetische Bedeutung
der einzelnen Schriftzeichen in den Namen Ptolemäos, Alexander, Arsinoe, Berenike und noch sechs andern.
Einen weitern Schritt zum Verständnis der Hieroglyphenkunde that 1814 der englische Arzt Thom. Young, der 1815 in dem Cambridger
»Museum criticum« eine mutmaßliche Übersetzung des ganzen demotischen
Teils der Inschrift von Rosette,
die Entzifferung sämtlicher darin vorkommender Eigennamen und außerdem die Erklärung von 80 andern Wörtern und ein aus
diesen Erklärungen sich ergebendes demotisches
Alphabet veröffentlichte. Da aber noch immer der größere Teil der demotischen
Schriftzeichen unlesbar blieb, so kam Young zu der Ansicht, daß viele Wörter nicht alphabetisch geschrieben
seien, sondern symbolisch, durch Abkürzung oder flüchtige Zeichnung der gleichbedeutenden hieratischen und hieroglyphischen
Schriftgruppen.
Aber alle diese Versuche zur Entzifferung der geheimnisvollen Schrift waren immer noch sehr unvollkommen und wenig förderlich; die Hiëroglyphen waren und blieben ein ungelöstes Rätsel, und kein Mensch hätte auch nur annähernd zu sagen vermocht, was die zahllosen ägyptischen Schriften enthielten. Da bemächtigte sich im Anfang der 20er Jahre dieser Frage J. François Champollion der jüngere (s. d.), der durchdringenden Scharfsinn mit rastlosem Fleiß verband. Er wurde der Entzifferer der Hieroglyphenschrift, indem er erkannte, daß dieselbe aus alphabetischen oder phonetischen und ideographischen Zeichen gemischt ist; er fand das Alphabet und den Schlüssel für die Mehrzahl der Zeichen und erlangte so den Zutritt zum letzten und ältesten Gemach im Tempel der Geschichte.
Epochemachend war seine berühmte »Lettre à M. Dacier relative à l'alphabet des hiéroglyphes phonétiques« (Par. 1822), worin er auf Grund der Analyse einer Reihe von Königsnamen ein hieroglyphisches Alphabet aufstellte, welches, wenn es auch noch unvollständig war, sich doch bei der Erklärung von Inschriften, auf denen dieselben Zeichen vorkamen, als richtig bewährte. Sehr förderlich war für Champollions Untersuchungen die von Bankes 1821 nach England gebrachte hieroglyphische und griechische Inschrift des 1815 aufgefundenen Obelisken von Philä.
Die hieroglyphische Inschrift enthält hier zwei von Ringen (cartouches) eingeschlossene Schriftgruppen, deren eine schon aus der Rosetteschen Inschrift als der Name Ptolemäos bekannt war; die andre erkannte Champollion, von der griechischen Inschrift am Fußgestell des Obelisken geleitet, für den Namen Kleopatra. Von seiner irrigen, noch in der »Lettre à M. Dacier« festgehaltenen Meinung, daß die phonetische Bedeutung der einzelnen Hiëroglyphen sich nur auf die Eigennamen beschränke, der übrige Text aber aus rein ideographischen Zeichen bestehe, kam Champollion erst in seinem »Précis du système hiéroglyphique« (Par. 1824) zurück, indem er darin nachwies, daß das in den Eigennamen aufgefundene Alphabet auch auf andre Hieroglyphengruppen anwendbar sei, in denen dieselben Zeichen wiederkehren.
Die vollständigen Resultate seiner Untersuchungen enthält die erst nach seinem Tod erschienene »Grammaire égyptienne« (Par. 1836-41),
eine Darlegung des Systems der hieroglyphischen Schrift und der Grundzüge der darin erhaltenen Sprache. In diesem und den gleichfalls posthumen Werken Champollions: »Dictionnaire égyptien en écriture hiéroglyphique« (Par. 1841-44),
den »Notices« und den »Monuments«, in denen die Resultate einer wissenschaftlichen Reise nach dem Nilthal niedergelegt sind, sehen wir den ganzen Reichtum von Erkenntnis, den dieser erste Hierogrammat der Neuzeit sich zu eigen gemacht hatte. Den zu früh verstorbenen Meister überholten bald, sich ihm anschließend, in Italien [* 52] I. ^[Ippolito] Rosellini, welcher ein wertvolles Werk: »Monumenti« mit Kommentar herausgab, in den Niederlanden Konr. Leemans, welcher die reiche Leidener [* 53] Sammlung ägyptischer Altertümer durch Veröffentlichung zugänglich machte, in Deutschland [* 54] Rich. Lepsius, der Begründer einer kritischen Methode und der Grundleger der ägyptischen Geschichte und Chronologie, in England Sam. Birch, der alsbald längere Texte, hieroglyphische und hieratische, übersetzte und das erste vollständigere Wörterbuch verfaßte, in Frankreich Eman. de Rouge, der zuerst genaue grammatische Analysen lieferte und ein vielfach berichtigtes Verzeichnis der Charaktere mit ihren Lautwerten aufstellte. Die vom König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen [* 55] 1842-45 unter Lepsius' Leitung nach Ägypten entsandte wissenschaftliche Expedition ergab als bedeutende Resultate eine wertvolle Sammlung von Altertümern, die dem ägyptischen Museum in Berlin einverleibt wurde, und die Veröffentlichung der Denkmäler Ägyptens und Nubiens in einem Prachtwerk.
Auf die Arbeiten der unmittelbaren Nachfolger Champollions stützten sich die spätern Ägyptologen, welche teils durch Veröffentlichung neuer Texte, teils durch Übersetzungen und grammatische Untersuchungen, teils durch sachliche Kommentare die Wissenschaft erweiterten und bereicherten. Es sind hier besonders die folgenden deutschen, österreichischen, schweizerischen, französischen, italienischen, niederländischen, englischen und russischen Gelehrten zu nennen: Baillet, v. Bergmann, Bouriant, Brugsch, Chabas, Cooke, Devéria, Dümichen, Ebers, Eisenlohr, Erman, Gensler, Golenischew, Goodwin, Grébaut, Green, Guiyesse, v. Gumpach, de Horrack, Krall, Lanzone, Lauth, Lefébure, Le [* 56] Page Renouf, Levi, Lieblein, Lincke, Loret, Lushington, Mariette, Maspero, Meyer, Naville, Piehl, Pierret, Pietschmann, Pleyte, Reinisch, Révillout, Romieu, Rossi, Jacques de Rougé, Schiaparelli, Sharpe, Stern, Wiedemann.
Nachdem das wahre System der Hieroglyphenschrift entdeckt war, wurde es später leichter, auch die aus
ihr abgeleitete hieratische und demotische
Schrift zu lesen. Es versteht sich von selbst, daß es andre Wege der Entzifferung
als den von Champollion betretenen nicht gibt. So sind die von Röth gemachten Übersetzungen ganz unbegründet und phantastisch,
und ebenso findet sich in den frühern Schriften von Gulianow, Spohn, Seyffarth, Uhlemann keine richtige
Deutung der Hieroglyphenschrift. Die Richtigkeit der Methode, welche die Champollionsche Schule befolgte, wurde 1866 auf das
glänzendste durch den ganz unerwarteten Fund eines neuen umfangreichen Dekrets in
¶