(griech., »Volksherrschaft«) bezeichnet sowohl eine Staatsform als eine politische Partei und Parteirichtung,
wie denn auch die Ausdrücke Demokrat (Angehöriger der Demokratie) und demokratisch (die Demokratie betreffend,
auf die Demokratie bezüglich) in dieser zweifachen Bedeutung gebraucht werden. Das Wesen der demokratischen Staatsbeherrschungsform
besteht darin, daß die Staatsgewalt verfassungsmäßig der Gesamtheit der Staatsangehörigen zusteht. Die Demokratie als Staatsform
findet sich zuerst in Griechenland, wo sie die Herrschaft des Demos, d. h. die den freien Vollbürgern zustehende Staats- und
Regierungsgewalt, bedeutete.
Hat man dagegen das demokratische Streben (Demokratismus) im Auge, so versteht man unter Demokratie diejenige Parteirichtung oder die
Angehörigen derjenigen Partei, welche dem Volkswillen in der Gesetzgebung und in der Verwaltung des Staats eine entscheidende
Bedeutung eingeräumt wissen will. Es ist dabei keineswegs notwendig, daß solche Parteibestrebungen die Staatsform
der Demokratie zum Endziel haben; sie können vielmehr auch in dem Rahmen der Monarchie sich geltend machen.
Was die Demokratie als Staatsform anbetrifft, so ist die Dreiteilung der Staatsbeherrschungsformen in Monarchie, Demokratie und Aristokratie
auf Aristoteles zurückzuführen. Eigentlich gehört dazu auch noch die Theokratie, d. h. die im Altertum bei den
Israeliten bestehende Staatsbeherrschungsform, bei welcher die Gottheit selbst als das Oberhaupt des Staats, welches durch
die Priester herrschte, aufgefaßt wurde; eine Idee, an die sich auch in den mohammedanischen Staaten gewisse Anklänge vorfinden.
Jene Dreiteilung wird aber von vielen dadurch beseitigt, daß sie die Staatsverfassungsformen auf nur zwei Kategorien zurückführen,
je nachdem sich die Staatsgewalt in der Hand eines Einzelnen oder einer Mehrheit von Personen befindet. In der Monarchie erscheint
nämlich ein Einzelner als Regierender, während alle übrigen Staatsangehörigen Regierte sind. In der Republik, unter welcher
Bezeichnung Demokratie und Aristokratie zusammengefaßt werden, ist das Volk oder doch eine bevorzugte Klasse desselben
der Regierende, die Einzelnen als solche sind die Regierten.
Die Monarchie bedeutet die Fürstensouveränität, die Republik die Volkssouveränität. In der demokratischen Republik
besteht
vollständige Gleichheit und Gleichberechtigung aller Staatsangehörigen, deren Gesamtheit die regierende Macht im Staate darstellt,
welcher die Einzelnen als solche unterworfen sind. In der Aristokratie dagegen wird diese Herrschaft durch
einen bevorzugten Stand oder eine bevorzugte Klasse der Staatsangehörigen ausgeübt, und die Angehörigen dieser Klasse, welche
das Volk repräsentieren, stellen sich in ihrer Gesamtheit als die Regierenden dar, während sie in ihrer Einzelstellung
ebenfalls als Regierte erscheinen. Im Zusammenhang mit jener Dreiteilung des Aristoteles, welche sich übrigens
auch in den Schriften Ciceros findet, pflegt man als deren Ausschreitungen und zwar als diejenige der Alleinherrschaft die Tyrannis
oder Despotie (Willkürherrschaft), als die Ausartung der Aristokratie die Oligarchie, d. h. die Herrschaft einiger besonders
reicher oder vornehmer Personen, und als Ausschreitung der Demokratie endlich die Ochlokratie, die Herrschaft der rohen
Masse des Pöbels, zu bezeichnen.
Die Demokratie insbesondere ist entweder eine unmittelbare, auch autokratische genannt, oder eine mittelbare, repräsentative.
In jener regiert das Volk nicht bloß durch die Männer seiner Wahl, sondern es übt die wichtigsten Rechte der staatlichen Machtvollkommenheit
unmittelbar selbst aus, während in dieser das Volk nur indirekt durch die von ihm gewählten Vertreter
herrscht. Dabei liegt es aber in der Natur der Sache, daß die unmittelbare Demokratie nur in einem kleinen Staatsgebiet möglich ist,
wie sich denn dieselbe heutzutage nur noch in einigen kleinen Schweizer Kantonen findet.
Anders im Altertum, welchem unser heutiges Repräsentativsystem, dessen Ausbildung das große Verdienst der
englischen Nation ist, völlig fremd war. Die alte Welt kannte nur die unmittelbare Demokratie, weshalb die letztere auch von manchen
Publizisten und namentlich von Bluntschli die antike, die repräsentative dagegen die moderne Demokratie genannt wird. Wie der spartanische
Staat und die altrömische Republik das Muster einer Aristokratie, so war Athen das Muster dieser unmittelbaren
oder antiken Demokratie. Die Volksbeschlüsse waren hier für das gesamte Staatsleben maßgebend, und die völlige
Gleichstellung aller freien Staatsgenossen ging in Athen so weit, daß bei der Wahl der Beamten des Freistaats nicht die persönliche
Tüchtigkeit, sondern das blinde Los entschied, und daß man völlig unbescholtene, ja um das Vaterland
hochverdiente Männer, deren Übergewicht gefürchtet ward, dem Grundsatz der allgemeinen Gleichheit opferte und durch geheime
Abstimmung, den Ostrazismus, verbannte. In dieser völligen Gleichstellung aller Bürger lag aber auch der Keim zu dem Verfall
Athens, denn die Erfahrung hat gezeigt, daß die schrankenlose Gleichberechtigung aller leicht zu einem
verderblichen Dünkel und zu einer verhängnisvollen Selbstüberhebung und Überschätzung der Massen führt, daß die Herrschaft
der vielköpfigen und veränderlichen Menge regelmäßig zu politischen Schwankungen und zur Bildung entgegengesetzter Parteien,
schließlich aber zur Gewaltherrschaft einzelner ehrgeiziger Männer, zur Despotie, führt. Daher konnte Polybios es mit Recht
als das Naturgesetz der Staaten bezeichnen, daß auf die Demokratie die Despotie folge, und die moderne Geschichte
Frankreichs zeigt uns, daß dieser Satz nicht bloß für das Altertum zutreffend war. Für die repräsentative Demokratie, wie sie uns
gegenwärtig in den meisten Schweizer Kantonen und nun auch in Frankreich, vor allem aber in den Vereinigten Staaten
Nordamerikas
mehr
entgegentritt, liegt jene Gefahr weniger nahe. Hier herrscht das Volk nur mittelbar durch die von ihm periodisch gewählten
Vertreter, zu denen die tüchtigsten Kräfte und die Besten aus dem Volk herangezogen werden sollen, so daß man die repräsentative
Demokratie nicht mit Unrecht eine Wahlaristokratie genannt hat. Wird es dann zur Wahrheit, daß die Tugend, nach
Montesquieu das Prinzip der Demokratie, das bestimmende Moment für das politische Leben des Volkes und seiner Vertreter wird, dann kann
sich der Staat auf der breiten Basis der Gleichheit aller Staatsbürger zu jener hohen Blüte und die Vaterlandsliebe der Staatsgenossen
zu jener großartigen Opferfreudigkeit erheben, wie sie sich in der nordamerikanischen Union gezeigt hat.
Allerdings ist nicht zu verkennen, daß in dem europäischen Staatsleben das monarchische Prinzip zu fest gewurzelt zu sein
scheint, als daß die Demokratie hier auf die Dauer Boden gewinnen könnte, wenn man auch nicht so weit gehen will wie Dahlmann, der
es als »Unsinn und Frevel« bezeichnete, wollte man unsern von monarchischen Ordnungen durchdrungenen Weltteil in Republiken des
Altertums umwandeln. Zudem haben wir in der konstitutionellen Monarchie diejenige Staatsform gefunden, welche unbeschadet des
monarchischen Prinzips auch dem Volk seinen Anteil an der Staatsverwaltung und an der Gesetzgebung sichert.
Dem aristokratischen Prinzip dagegen ist die moderne Zeitrichtung nicht günstig, während demokratische
Grundsätze in unserm Staatsleben mehr und mehr zur Geltung gelangt sind. Dahin gehören insbesondere die Rechtsprechung
in Strafsachen durch Volksgenossen, die Selbstverwaltung der Gemeinden, die Mitwirkung des Volkes durch seine Vertreter bei der
Gesetzgebung und im Deutschen Reich wie in einzelnen deutschen Staaten neuerdings auch das allgemeine Stimmrecht.
Die konstitutionelle Monarchie selbst charakterisiert sich als eine Verbindung des monarchischen und des demokratischen Prinzips,
indem sie der Volksvertretung das Steuerbewilligungsrecht, das Recht der Kontrolle der Staatsfinanzverwaltung und damit der Verwaltung
überhaupt und vor allen Dingen das Recht der Mitwirkung bei der Gesetzgebung einräumt. Der Volkswille
kommt hier durch die Volksvertreter in bestimmender Weise zur Geltung. Die Souveränität aber bleibt dem Monarchen. Sie findet
in der Unverantwortlichkeit desselben ihren Ausdruck; aber seine Anordnungen auf dem Gebiet der Staatsverwaltung und der Gesetzgebung
bedürfen der Gegenzeichnung des Ministers, welcher die Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung zu
übernehmen hat. Man hat daher die konstitutionelle Monarchie auch wohl eine demokratische Monarchie genannt und von demokratisch-konstitutionellen
Monarchien gesprochen.
Freilich ist der Umstand, daß man seit langer Zeit gewöhnt ist, den Ausdruck Demokratie als die Bezeichnung einer Staatsform zu
gebrauchen, geeignet, über das Wesen der Demokratie als politischer Parteirichtung Mißverständnisse aufkommen
zu lassen. Man denkt sich die demokratische Partei schlechthin mit dem Endziel einer Republik, einer Demokratie als Staatsform, während
sich in den letzten Jahrzehnten nicht wenige Politiker als Demokraten bezeichneten, welche an dem monarchischen Prinzip festhielten.
Auch jetzt nennen sich z. B. die Angehörigen der süddeutschen Volkspartei Demokraten, ohne damit die Beseitigung
der Monarchie als ihr Endziel bezeichnen zu wollen. Auch in Preußen haben neuerdings Liberale die Parteibezeichnung der Demokratie wieder
aufgenommen (Philipps, Lenzmann u. a.), ohne etwa die Monarchie abschaffen zu wollen, wie denn auch 1848 der Führer der
preußischen
Demokraten, Benedikt Waldeck, die konstitutionelle Monarchie als sein Ziel bezeichnete.
Waldeck formulierte die damaligen Forderungen der Demokratie folgendermaßen: »Wir Demokraten wollen das Urwählerrecht, Selfgovernment,
Gleichheit der Besteuerung und gleiche Rechte vor dem Gesetz«. Jener Umstand, daß man unter Demokratie als politische Partei diejenige
versteht, welche den Schwerpunkt in die Verwirklichung des Volkswillens auf dem Gebiet der Gesetzgebung und der Verwaltung
des Staats gelegt wissen will, macht es auch erklärlich, daß man selbst in einer demokratischen Republik, also in einem Staat,
in welchem die Demokratie als Staatsform zu Recht besteht, gleichwohl von einer besondern Partei der Demokratie sprechen kann. So stehen sich
in den Vereinigten Staaten von Nordamerika die beiden großen Parteien der Demokraten und der Republikaner
gegenüber.
Allerdings wollen die Gegner derjenigen, welche demokratische Prinzipien vertreten, diesen vielfach nicht zugestehen, daß
ihre Bestrebungen mit dem monarchischen Prinzip verträglich seien, und man behauptet nicht selten, daß die demokratische
Parteirichtung zur Demokratie als Staatsform führen müsse. Die bloße Parteibezeichnung Demokratie schließt
dies indessen, wie gesagt, keineswegs in sich, ebensowenig, wie die Bezeichnung »Aristokratie« für die
mehr konservativen Elemente der Nation und für alle diejenigen, welche im öffentlichen Leben eine bevorzugte Stellung einnehmen
oder doch einnehmen wollen, die Annahme begründen könnte, daß es sich auf seiten der Angehörigen einer Aristokratie in diesem
Sinn um das Streben nach einer aristokratischen Staatsform handle.
Anders liegt die Sache allerdings bei der Sozialdemokratie, welche die Errichtung eines freien Volksstaats, also einer Republik,
mit sozialer Gleichstellung aller Volksgenossen anstrebt (s. Sozialdemokratie). Daher liegt die Frage nahe, ob es sich nicht
empfehlen möchte, die Parteibezeichnung Demokratie für diejenigen, welche an der Monarchie festhalten, ganz
fallen zu lassen, da sie nur zu leicht zu Mißverständnissen Veranlassung geben kann.
Vgl. außer den Lehrbüchern des Staatsrechts
und der Politik: Zöpfl, Die Demokratie in Deutschland (2. Aufl., Stuttg. 1853);
Schvarčz, Die Demokratie (Leipz. 1877 ff., Bd.
1);
Derselbe, Elemente der Politik (Pest 1880 ff.);
May, Democracy in Europe (Lond. 1877, 2 Bde.).
(grch.), nach dem eigentlichen Wortsinne soviel wie Volksherrschaft. Die
griech.
mehr
Schriftsteller, insbesondere Aristoteles («Politica», Ⅲ, Kap. 5), unterscheiden drei Grundformen der Staatsverfassung: die
Monarchie, bei welcher ein einzelner Mensch, die Aristokratie, bei welcher eine bevorrechtete Klasse, und die Demokratie, bei welcher
die Gesamtheit der freien Bürger die Staatsherrschaft ausübt. Diese Aristotelische oder hellen. Einteilung ist in die Schriften
der Römer (Cicero, «De republica», Ⅰ, 26), ferner in die publizistische Litteratur des Mittelalters und
in die polit.
Doktrin der neuern Zeit übergegangen und spielt auch gegenwärtig noch in der Wissenschaft des allgemeinen Staatsrechts eine
erhebliche Rolle. Staatsrechtlich faßt man dann wieder die politisch weit auseinandergehenden Staatsformen der Aristokratie
und Demokratie unter dem gemeinsamen Namen Republik zusammen. Haben die verschiedenartigen Interessen der socialen
Klassen und Berufsstände und die dadurch hervorgerufenen individuellen Anschauungen und Bestrebungen gleichberechtigte Geltung
erlangt, so kann man dies das demokratische Princip nennen. Die Verwirklichung desselben ist auch bei monarchischer Verfassung
möglich, wie andererseits die republikanische keine absolut sichere Garantie für die Durchführung desselben
gewährt.
Selbst in den Stadtstaaten der Griechen, welche Aristoteles als Demokratie bezeichnet, war nicht nur ein sehr großer Teil der Bevölkerung
gänzlich der Rechtsfähigkeit beraubt und zur Sklaverei verdammt, sondern auch unter den mit polit. Rechten ausgestatteten
Staatsbürgern bestand keine völlige Gleichberechtigung. In der römischen Republik befand sich
zuerst die staatliche Macht in den Händen der Patricier, d. h. einer Anzahl historisch gegebener Familien. Erst infolge heftiger
Kämpfe kam das demokratische Princip durch das Emporsteigen der Plebejer und durch die Erweiterung der polit. und rechtlichen
Machtbefugnisse der Volksversammlung zu größerer Verwirklichung, keineswegs aber zu vollständiger Durchführung. Die
Beseitigung der republikanischen Verfassung durch die Cäsaren half dem demokratischen Princip zu freierer Entfaltung.
Wenn man bezüglich der altgermanischenStaaten von der Auffassung ausgeht, welche namentlich seit Möser, Eichhorn und Waitz
herrschend geworden ist, daß alle freien Volksgenossen gleiches polit. Recht und gleiche Pflicht hatten, und daß der Schwerpunkt
der ganzen Verfassung in der souveränen Volksversammlung ruhte, so kann man doch nicht verkennen, daß
diese Volksversammlung ihrem Wesen nach eine Gemeinschaft der grundbesitzenden Hausväter war, und daß es neben ihnen nicht
nur einen zahlreichen Stand rechtloser Unfreier und politisch einflußloser Halbfreier gab, sondern daß auch unter der Masse
der freien Volksgenossen nicht die Individuen, sondern die an der Spitze der Haus- und Hofgenossenschaften
stehenden Bauern die staatliche Macht besaßen. Übrigens übte bei vielen german. Völkern schon
in der frühesten Zeit das Königtum einen dominierenden Einfluß aus. Andererseits treten schon in der ältesten Periode
neben den freien Bauernschaften adlige, durch Großgrundbesitz, durch zahlreiche Scharen von Knechten
und Gefolgsleuten und durch überwiegenden Einfluß hervorragende Geschlechter auf.
Im spätern Mittelalter zeigt sich in allen polit. Gebilden ein buntes und wechselvolles Durcheinanderspielen monarchischer,
aristokratischer und demokratischer Principien. Die Bethätigung des
demokratischen Princips kam, abgesehen von den verhältnismäßig
wenig zahlreichen freien Bauernschaften, die sich in einigen Gegenden erhalten haben, in den Städten,
hier aber erst nach einer langen, fast überall mit schweren Kämpfen verbundenen Entwicklung und auch hier nicht überall
und nicht in vollkommener Weise zum Durchbruch. In vielen Städten sind die Patricier, in deren Hand die Stadtregierung ursprünglich
lag, siegreich geblieben. Es genügt, auf das berühmteste Beispiel, auf Venedig, zu verweisen, dessen
Verfassung stets eine aristokratische war.
Aber auch da, wo die Handwerker oder Neubürger vollständig durchdrangen, erlangten eben nur sie und ihre Vereinigungen (Zünfte)
neben den Patriciern oder an Stelle derselben das Regiment der Stadt, keineswegs aber wurde den tiefer stehenden socialen Schichten,
die doch in jeder Stadt an Zahl weitaus überwiegend waren, die polit. und sociale Gleichberechtigung
zugestanden. Durch den Grundsatz aber, daß es in der Stadt keine Unfreiheit gebe («Stadtluft
macht frei»),
und daß die Verwaltungsthätigkeit der städtischen Behörde auf das Wohl der Gesamtheit gerichtet sei und
die Interessen aller Klassen der städtischen Bevölkerung umfasse, wurde ein Begriff des Stadtbürgertums
hervorgerufen, welcher eine spätere histor. Vorbereitung des «Staatsbürgerrechts»
darbietet.
Was die Durchführung demokratischer Grundsätze anlangt, so kann man im allgemeinen die Beobachtung machen, daß dieselbe
mit dem fortschreitenden Wohlstande der untern Klassen gleichen Schritt hält, und daß sie auch da am nachhaltigsten,
eingreifendsten und wohlthätigsten wirkt, wo sie auf dieser Grundlage ruht, während gewaltsame, oft gerade durch die Not
der niedern Bevölkerungsschichten herbeigeführte Erschütterungen der gesellschaftlichen Ordnung meistens einen nur scheinbaren
und vorübergehenden Sieg demokratischer Tendenzen herbeiführen.
In der Blütezeit des Mittelalters, bei dem wachsenden Wohlstande der Bauern und Bürger vollzieht sich
langsam, aber in ausgedehntem Maße ein Aufsteigen der untern Klassen, eine Erleichterung der Leibeigenschaft und Gutsunterthänigkeit,
eine Milderung der Rechtsungleichheit; infolge der Kämpfe des 16. und 17. Jahrh. tritt mit
der Verarmung und Niederdrückung der Bauern und dem wirtschaftlichen Verfall der Städte zugleich ein Rückfall der niedern
Klassen in Knechtschaft und Rechtlosigkeit ein, der teilweise durch die Rezeption des röm.
Rechts verschärft wurde.
Die wilde Wut des Bauernkrieges brachte keine Abhilfe, sondern im Gegenteil eine dauernde Verschlimmerung. Erst nach Beendigung
des Dreißigjährigen Krieges treten die ersten Anzeichen einer sehr langsam fortschreitenden Besserung hervor. Jetzt waren
es vorzugsweise die Landesherren der größern Territorien, welche den Privilegien der höhern Stände
entgegentraten und sich die Hebung der niedern Volksklassen angelegen sein ließen, um dadurch die monarchische Gewalt von
den durch die landsässige Aristokratie geschlungenen Fesseln zu befreien und die Leistungsfähigkeit des Staates zu fördern.
Zu einem großartigen und gewaltigen Durchbruch kamen die demokratischen Principien durch die Französische
Revolution, welche an die Stelle der historisch gegebenen gesellschaftlichen Gliederung und der ständischen Vorrechte die Principien
der Freiheit und Gleichheit setzte. Unter der
mehr
Einwirkung dieser völligen Umwälzung der franz. Staats- und Gesellschaftsordnung kamen auch in den andern europ. Staaten,
insbesondere auch in Deutschland, dieselben Tendenzen in der Gesetzgebung und Verwaltung zur Geltung, und die Verwirklichung
demokratischer Principien hat im Laufe dieses Jahrhunderts in Deutschland durch die gesetzlichen Beschränkungen der monarchischen
Gewalt, durch die Aufhebung der Privilegien des Adels und der Kirche, durch die Einführung des allgemeinen
Wahlrechts, durch die Umgestaltung des Gerichts-, Steuer- und Militärwesens u. s. w. größere Fortschritte gemacht als in
dem vorhergehenden Jahrtausend.
Hierdurch wurden aber sofort viel weiter gehende Bestrebungen hervorgerufen. Die breiten Schichten der Volksmassen fühlen
sich durch die bloße rechtliche Freiheit und Gleichheit nicht befriedigt; sie finden in der mit der Französischen
Revolution beginnenden Umgestaltung der Rechtsordnung nur einen Sieg der bürgerlichen Kapitalisten, der sog. Bourgeoisie,
über die historisch bevorrechteten Stände (Fürsten, Adel und Kirche), und behaupten, nicht wirkliche Freiheit und Gleichheit
erlangt, sondern nur den Herrn gewechselt zu haben.
Sie übertrugen daher das Verlangen nach Gleichheit von dem Gebiete des Rechts und der Staatsverfassung auf das der Wirtschaft
und der socialen Ordnung und begannen den Kampf gegen die Herrschaft des Kapitals. In dieser Färbung erscheinen die demokratischen
Principien als socialdemokratische (s. Socialdemokratie). Als eine besondere Form ihrer Durchführung
ist der Kommunismus (s. d.) zu erwähnen; als der wesentliche wirtschaftliche Zielpunkt
ist aber nicht die Gemeinschaft des Nationalvermögens, sondern die gleichmäßige Verteilung desselben, insbesondere mittels
einer Veränderung der Erwerbsbedingungen anzusehen. Der polit. Zielpunkt dieser Bestrebungen ist in erster Linie Beseitigung
der Monarchie zu Gunsten einer besondern, bis jetzt aber sehr unklar gedachten Form der Republik.
Der Begriff der Demokratie hat aber in der modernen polit. Sprache noch eine ganz andere Bedeutung. Mit dem Ausdruck Demokratie wird diejenige
Einrichtung des Staates bezeichnet, welche dem Individuum einen möglichst großen Bereich von Lebensinteressen zu eigener
und freier Gestaltung zuweist und den Staat auf ein eng begrenztes Gebiet der Thätigkeit einschränkt.
Es erklärt sich dies historisch daraus, daß die demokratische Bewegung von Anfang gegen das Übermaß der landesherrlichen
Machtvollkommenheit, der polizeilichen Bevormundung, der bureaukratischen Verwaltung gerichtet war; man glaubte, daß, wenn
man die Machtbefugnisse der gegenwärtigen Träger und Organe der Staatsgewalt beschränke, man zugleich
Inhalt und Umfang der Staatsgewalt selbst vermindere, und man erblickte in der Anteilnahme der Individuen an der Erzeugung des
Staatswillens eine natürliche Garantie dafür, daß sich der Staatswille nicht in Gegensatz zu den Bedürfnissen und Freiheitsrechten
der Individuen setze.
Hiernach verband man mit dem Ausdruck «demokratische Verfassung» die Vorstellung von einer polit. Gestaltung,
welche die Rechte des Staates und seiner Organe zu Gunsten individueller, lokaler, kommunaler Selbstbestimmung möglichst einschränkt
und demgemäß auch die Machtmittel des Staates entsprechend verringert. Von besonderer Wichtigkeit ist diese Bedeutung in
Nordamerika geworden; dort stehen sich als
die beiden großen, sich lebhaft bekämpfenden Parteien die republikanische
und die demokratische gegenüber (s. Demokratische Partei); die erstere tritt für die Rechte des Staates, der Gesamtheit, gegenüber
der Willkür und Ungebundenheit des Individuums, die letztere für die Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen gegenüber
den Herrschaftsrechten des Staates ein. Das Zerrbild der demokratischen Principien in diesem Sinne, welche bis zur
Verleugnung jeder Ordnung und jeder das Individuum bindenden Gewalt geht, ist der Anarchismus (s. d.) und der in Rußland in
neuester Zeit zu Tage getretene Nihilismus (s. d.).
Was die Geschichte des deutschen Parteiwesens betrifft, so ist der frühere Kampf des Liberalismus mit dem Konservatismus
unzweifelhaft ein Kampf für und wider die Principien der Demokratie. In diesem Kampfe hat der
Liberalismus gesiegt, und demokratische Principien beherrschen in weitem Umfange heute die Staatsordnung in Deutschland. Gegen
diese Principien führt der heutige Konservatismus im wesentlichen keinen Kampf mehr, will vielmehr nur die Staatsautorität
in ihrer unbedingt erforderlichen Festigkeit gegen weiter gehende und nach seiner Meinung gefahrdrohende
Demokratisierung schützen; ein Teil des deutschen Liberalismus steht jetzt in der Hauptsache auf dem nämlichen Standpunkt,
indes ein anderer Teil allerdings eine noch weiter gehende Durchführung der Principien der Demokratie fordert. Im Deutschen Reichstage
existiert eine kleine demokratischePartei (s. Volkspartei).