eine der
Kykladen im Ägeischen
Meer, ein schmaler, etwa 5 km langer, 1¼ km
breiter, 3 qkm großer Granitrücken mit dem
Berg Kynthos in der Mitte (106 m), jetzt verödet, im
Altertum aber eine blühende
und als Nationalheiligtum der Griechen hochgefeierte Stätte. Einst, wie der
Mythus erzählt, schwamm die
Insel auf dem
Meer,
bis sie
Poseidon
[* 2] für die umherirrende, von der
Hera
[* 3] verfolgteLeto
(Latona) an vier diamantenen
Säulen
[* 4] befestigte.
Leto gebar hier den
Apollon
[* 5] und die
Artemis
[* 6] (daher deren Beinamen Delios und
Delia); die
Insel war deshalb ein heiliger
Ort und
wurde ein Hauptsitz der Verehrung beider
Gottheiten, nachdem schon vorher ein orientalisches Götterpaar dort verehrt worden
war.
Zahlreiche
Tempel
[* 7] und Kunstwerke schmückten sie; namentlich galt der prachtvolle Apollontempel mit der
Kolossalstatue des
Gottes, einem Weihgeschenk der Naxier, allen Griechen als größtes Heiligtum. Es war ein dorischer
Bau
aus dem Beginn des 4. Jahrh.
v. Chr. von 29,49 m
Länge und 13,55 m
Breite,
[* 8] wie die seit 1877 von Homolle für das französische
archäologische
Institut ausgeführten Nachgrabungen gezeigt haben. Nördlich von ihm stand ein merkwürdiger
Altar,
[* 9] der ganz aus Stierhörnern, den
Symbolen des
Lichts, zusammengesetzt war und zur Entstehung des sogen. Delischen
Problems
(s. d.) Veranlassung gab.
Sämtliche ionische
Staaten schickten hierher feierliche Gesandtschaften
(Theorien) mit reichen Opfergaben, und unermeßliche
Schätze häuften sich in den
Tempeln der
Insel an. Auch befand sich in Delos ein
Orakel, das zur Zeit seiner
Blüte
[* 10] als eins der zuverlässigsten galt, und alle fünf Jahre wurde daselbst das berühmte Delische
Fest mit Wettgesängen,
Wettkämpfen und
Spielen aller Art gefeiert, woran alle
StämmeGriechenlands teilnahmen. Die frühsten Bewohner der
Insel waren
Karier; etwa tausend Jahre vor Christo wurde sie von den
Ioniern besetzt. Sie stand lange Zeit hindurch unter eignen Priesterkönigen
und war insonderheit als
Mittelpunkt für die große athenische
¶
mehr
Bundesgenossenschaft wichtig. Infolge der Heiligkeit des Apollontempels ward seit 476 die Bundeskasse hier bewahrt. Einige
Jahrzehnte später kam die Insel in Abhängigkeit von Athen,
[* 12] erfreute sich aber nach dem Sturz dieser Macht durch die Mazedonier
von neuem der Freiheit. Als Handelsplatz blühte die Stadt Delos, deren Ruinen nördlich von denen des Tempels
liegen, erst nach Korinths Zerstörung auf, namentlich ward sie ein vielbesuchter Sklavenmarkt und wegen ihrer Zollfreiheit
Mittelpunkt des Verkehrs zwischen dem SchwarzenMeer und Alexandria.
Ein schwerer Schlag, von dem sie sich nie wieder erholte, traf die Insel, welche selbst die Perser geschont hatten, im Mithridatischen
Krieg. Menophanes, der Feldherr des Mithridates, landete 87 mit einer Truppenabteilung bei der offenen Stadt,
ermordete und verkaufte die wehrlosen Einwohner und plünderte und zerstörte die Stadt und das Heiligtum mit seinen zahlreichen
Kunstschätzen. Nach dem Friedensschluß (84 v. Chr.) kam Delos in die Hände der Römer,
[* 13] die es später den Athenern zurückgaben.
Jetzt bildet die ganze Insel eine mit Schutt und Trümmern bedeckte Einöde. Von den Prachtbauten des Altertums sind noch einige
Trümmer des Apollontempels, des Theaters und Gymnasiums vorhanden; Homolles Ausgrabungen legten diejenigen des Letoon, des
Artemision, des Schatzhauses etc. frei. Auf dem Kynthos, wo das älteste Apollonheiligtum
und in römischer Zeit ägyptische Kultstätten lagen, finden sich auch Reste einer aus antiken Trümmern
erbauten fränkischen Burg.
Neben Delos liegt jenseit einer 0,6 km breiten Meerenge die InselRheneia (»Groß-Delos«),
die den Begräbnisplatz von Delos bildete,
da auf dem heiligen Delos niemand geboren werden, auch niemand sterben und ein Grab finden durfte (Delos selbst
wurde 426 v. Chr. durch die Athener von den früher dort bestatteten Leichen gereinigt). Sie besteht aus zwei mehrfach ausgezackten
Bergmassen, die bis 150 m ansteigen und durch einen schmalen Isthmus miteinander verbunden sind; sie ist 17 qkm groß, noch
öder und kahler als Delos und wird wie dieses nur zeitweise von Hirten und Schiffern besucht.
Die kleine, zur Gruppe der Kykladen gehörige Insel, die als ein schmaler, etwa 5 km langer
Felsenrücken mitten unter dem Schwärme der griechischen Inselmenge bis zu 106 m Höhe, östlich von dem bekannten Syra, aus
dem Meere hervorragt, war in den Jahrhunderten vor ChristiGeburt ein dichtbevölkerter, blühender Kultus- und Handelsplatz; bei
der Verschiebung der religiösen und politischen Kräfte, welche dann eintrat, verlor er immer mehr, so
daß schon der griechische Reisende Pausanias im 2. Jahrh. n. Chr.
Delos mit Mykenä
[* 14] zusammen als ein deutliches Zeichen der Vergänglichkeit aller irdischen Größe erwähnte. Zum Handelshafen
machte es seine zentrale Lage geeignet sowie der Umstand, daß zwischen ihm und der gegenüberliegenden, etwas größern
InselRheneia ein schmaler, wohlgeschützter Meeresarm wie ein langes, von zwei Mauern gebildetes Flußbett sich erstreckt.
Mythologisch berühmt als Geburtsstätte des Apollon und der Artemis, ein Lieblingssitz des Apollon, hatte die Insel in dem Apollontempel
ihren geschichtlichen Mittelpunkt.
Sie ward der religiöse Vereinigungsort der ionischen Stämme, welche hier alljährlich glänzende Spiele
feierten. Seit dem 8. Jahrh. stand die Insel mit Athen in engerer Verbindung. Peisistratos ordnete die erste Reinigung, d. h.
die Entfernung aller Gräber aus der Umgebung der Tempelstätte, an; späterhin wurde die Bestattung auf der Insel überhaupt
untersagt. Nach den Perserkriegen wurde bei der Stiftung des ionischen Bundes der delische Apollontempel
als Aufbewahrungsort für den Bundesschatz erwählt. Schon 454 aber wurde er nach Athenübertragen, und damit trat Delos ebenso
wie die übrigen Inseln zu Athen in ein Abhängigkeitsverhältnis, welches bis zur Zeit Alexanders d. Gr. (ca. 331) bestehen
blieb.
Während der nun folgenden Zeit der Unabhängigkeit wurde die Insel Sitz eines blühenden Handels; fremde
Handelsgenossenschaften, die Hermaisten Römer), Poseidoniasten (Syrer aus Beirut), Alexandriner, Ägypter, hatten hier ihren
Mittelpunkt; große Bauten wurden aufgeführt, z. B. ein Tempel der fremden Götter, in welchem Serapis, Isis,
[* 15] Anubis
[* 16] verehrt wurden.
Auch als die Römer, welche seit 166 eine Art Schutzherrschaft über Delos ausübten, die Insel den Athenern
aufs neue überwiesen, nahm die Stadt noch immer zu, besonders nach der Zerstörung der Handelsmacht Korinth
[* 17] (146). Auch ohne
dringende Handelsgeschäfte pflegten die zwischen Italien,
[* 18] Griechenland
[* 19] und Kleinasien Schiffenden in Delos anzulegen, teils wegen
der günstigen Lage und des guten
¶
Seitdem war es mit Delos, welches in sich keinerlei Hilfsquellen hatte, vorbei. Von da an teilt Delos das Geschick
aller griechischen Ruinenstätten im Mittelalter: seine Bauten bildeten einen unerschöpflichen Steinbruch für die bevölkerten
Nachbarinseln, seine Statuen wurden verschleppt oder zu Kalk verbrannt, soweit sie nicht allmählich die schützende Decke
[* 22] des
Trümmerschutts verdeckte und dadurch erhielt. Die Wiederaufdeckung der Reste des Altertums ist das Verdienst
der Franzosen, welche hier unter Leitung des französischen archäologischen Instituts zu Athen von 1873 bis 1889 fortgesetzt
gegraben und über die Resultate in ihrer Zeitschrift »Bulletin de correspondance hellénique« berichtet haben. Die Ausbeute
war groß:
ca.
60 Gebäude, eine große Anzahl von Statuen von den ältesten Zeiten der griechischen Kunst an bis zu
den spätesten, eine ganz besonders große Anzahl (über 2000) von Inschriften, darunter mit die größten, welche existieren
(Schatzverzeichnisse von Tempeln). Endlich gelang es auch, den Situationsplan des ganzen Heiligtums zu rekonstruieren und ein
Bild voll fast verwirrender Mannigfaltigkeit der Tempel, Säulenhallen, Altäre, Vorratshäuser (Thesauren),
Fußgestelle von Weihgeschenken etc. zu gewinnen (s. Plan).
Unter den Statuen steht in erster Linie eine ganze Reihe altertümlicher Skulpturen; voran die Marmorstatue der Naxierin Nikandra.
Sie sieht aus wie ein runder, noch dazu abgedrehter Baumstamm, in den die Falten des Gewandes als senkrechte, Linien eingraviert
sind (7. oder 6. Jahrh.). Solcher säulenartiger Gestalten wurden mehrere
entdeckt. Ihnen zur Seite stehen die brettartigen Figuren, wie aus einer dicken, vierkantigen Bohle herausgearbeitet, aber so,
daß der Eindruck des flachen Brettes bleibt. Das hervorragendste Denkmal dieser ältesten Kunst ist die Nike
[* 23] des Archermos,
mit der ältesten bekannten griechischen Künstlerinschrift. Wer dabei an die herrlichen Siegesgöttinnen
von der Nikebalustrade von Athen denkt, wird sich arg enttäuscht finden. Die
[* 20]
Figur des Archermos soll eine
fliegende Göttin darstellen, doch reicht das technische Können noch nicht aus. Wir sehen eine langbekleidete weibliche Gestalt
mit Flügeln auf dem Rücken und an den Schultern, die auf den ersten Anblick auf dem linken Knie zu ruhen scheint; doch ist
damit nur die energische Bewegung eines eilenden Laufes gemeint. Das Antlitz zeigt das grinsende Lächeln,
mit welchem die älteste griechische Kunst die Gesichter zu beleben suchte. Diese Nike wird ins Ende des 7. oder in den Anfang
des 6. vorchristlichen Jahrhunderts gehören. Endlich ist eine ganze Reihe von lebensgroßen, stehenden weiblichen Figuren der
entwickeltern archaischen Kunst vorhanden, wahrscheinlich alte Priesterinnen, in lang herabhängenden
Gewändern und auf der rechten Schulter gehefteten, unter der linken Achsel durchgezogenen Mänteln mit zierlich gefälteltem
Überschlag; die Linke hebt das Gewand etwas empor, die Rechte ist vorgestreckt. Zwei altertümliche, streng stilisierte Reiterfiguren
reihen sich an. Das Bedeutendste von alter Kunst sind die beiden großen, am Boden liegenden Trümmer des
marmornen Apollonkolosses, welchen laut der noch erhaltenen Inschrift aus dem 6. Jahrh. die Naxier geweiht hatten. Die noch
an Ort nnd Stelle befindliche Basis ist 5,18 m lang und 3,50 m breit. Die schönste der in
Delos gefundenen Statuen gehört etwa der Zeit der pergamenischen Kunst an und erinnert an die Gallierstatuen,
[* 25] deren berühmteste, der sterbende Gallier, jetzt im kapitolinischen Museum zu Rom
[* 26] steht. Auch die delische Statue, leider nicht
ganz erhalten (Kopf und linker Arm fehlen), stellte einen zusammengesunkenen Krieger dar; er stützt sich auf das rechte Knie,
der erhobene linke Arm hielt den Schild
[* 27] empor, um sich gegen einen nicht dargestellten Gegner zu decken
(jetzt in Athen). Ebenfalls zu Athen aufgestellt sind zwei plastische, gewaltsam bewegte Gruppen, welche auf der Spitze der Giebeldreiecke
eines Tempels als Bekrönungen angebracht waren und, einander entsprechend, den Raub der Oreithyia durch Boreas und den Raub des
Kephalos durch Eos
[* 28] darstellen. Es sind jedesmal vier Figuren, der Räuber in der Mitte hält die Geraubte
hoch in die Höhe (der Krönung desGiebels entsprechend), nach beiden Seiten fliehen je eine Begleiterin. Die Gruppen sind außerordentlich
kühn komponiert und ausgeführt und erinnern dadurch an die herabschwebende Nike des Paionios aus Olympia. Die
delischen Gruppen gehören wahrscheinlich an das Ende des 5. Jahrh. v. Chr.
Die Bauten lagen innerhalb eines rings von einer Mauer umschlossenen heiligen Bezirks (s. den Plan auf S. 175), ähnlich der
Altis von Olympia, in unmittelbarer Nähe des Meeresufers, so daß man von dem langen, wohlgemauerten Hafenkai sofort in den
geweihten Bezirk eintrat. LangeHallen umgaben auch hier das Innere des weiten Hofes, säulengeschmückte Thorbauten führten
hinein. Das vornehmste Gebäude war der Tempel des Hauptgottes, des Apollon. Es war ein dorischer Peripteros, dessen Dimensionen
etwa denen des Theseions von Athen nahekommen; er stand des unebenen Terrains wegen auf einer gemauerten
Terrasse. Der dreistufige Unterbau ist 29,50 m lang und 13,55
m breit, die Stufen sind aus parischem Marmor. Er trägt eine ringsumlaufende dorische Säulenhalle von je 6 Säulen in der Fronte,
je 13 an den Seiten. IhreHöhe betrug 5,20 m, bei einem Basisdurchmesser von 0,95 m.
Die Kannelierung
[* 29] der Säulen ist nur angefangen. Die Cella war innen 11,50 m lang und 5,60 m breit; vorn
und hinten war je eine zweisäulige Vorhalle vorgelegt. Die Details
sind
sorgfältig ausgeführt. Der Bau fällt wahrscheinlich in den Anfang des 4. Jahrh. Außerdem verzeichnet der französische
Plan der Ausgrabungen an Tempeln noch einen des Dionysos,
[* 30] einen alten und einen neuen der Artemis und mehrere
bei dem Mangel der schriftlichen Überlieferung für uns namenlose. Beide Artemisheiligtümer liegen an der Westseite des
heiligen Bezirks, innerhalb eines besondern, von Mauer u. Säulenhallen umgebenen großen Hofes, ganz nahe am Meere.
Unter den großen Hallen, welche zu Festversammlungen dienten, ist besonders die sogen.
Stierhalle an der Ostseite, der Landseite, zu bemerken. Sie ist 67,20 m lang und 8,86
m breit. Außerdem ist noch eine große Anzahl andrer bis jetzt noch nicht genau bestimmbarer Bauwerke gefunden worden. Zwischen
all den Bauwerken stehen zahlreiche Postamente, wohl auch Altäre. Die Statuen, die sich früher darauf
befanden, sind zum allergrößten Teile geraubt. Eine zusammenfassende Publikation über Delos in topographischer, baugeschichtlicher
und künstlerischen Beziehung existiert noch nicht. Über die Statuenfunde hat Furtwängler in der »ArchäologischenZeitung«
von 1882 berichtet, über die politischen und sakralen Verhältnisse vgl. V. v. Schöffer, DeDeli insulae rebus
(Berl. 1889).