Delirium
(lat.), im weitern Sinne jeder Zustand von Irrereden oder Irrehandeln (Phantasieren), infolge einer Gehirnaffektion, wobei durch unmittelbare organische Erregung der materiellen Grundlage der Geistesthätigkeit Vorstellungen, Affekte, Triebe u. s. w. ausgelöst werden. Die sprachlichen wie sonstigen Äußerungen der Kranken finden so in deren wirklicher Lage keine genügende Motivierung oder stehen zu letzterer in augenfälligem Gegensatz, ohne daß ihnen dies zum Bewußtsein kommt.
Demgemäß befinden sich viele Geisteskranke mehr oder weniger im D., und manche irrenärztliche
Autoren brauchen für die
geistige
Störung bei Irren geradezu die Bezeichnung chronisches Delirium
Gewöhnlich indes versteht man unter Delirium nur
das vorübergehende, von Verworrenheit begleitete
Irrereden, oder Irrehandeln bei fieberhaften
Krankheiten,
z. B. bei
Typhus (Delirium
febrile oder Delirium im engern
Sinne),
Vergiftungen,
Neurosen (s. d.). Insofern hierbei sowohl die
Vorstellungs-
und Gefühlsthätigkeit wie das
Wollen krankhaft erscheinen, spricht man von einem allgemeinen oder totalen Delirium
zum Unterschied
von dem partiellen Delirium
, d. h. dem Hervortreten krankhafter Erscheinungen nur auf
einem dieser geistigen Gebiete, z. B. der Vorstellungsthätigkeit in
Form von Wahnvorstellungen.
Nach dem äußern Verhalten unterscheidet man das sanfte Delirium
(Delirium mite seu blandum), wobei der
Kranke ruhig daliegt und
für sich spricht, oft zwischen den
Zähnen murmelnd (mussitierend, Delirium
mussitans), und das wilde Delirium (Delirium furibundum),
worin der
Kranke zu heftigen, lauten Reden und gewaltsamen Handlungen hingerissen wird. Die
Ursache des
Delirium
ist bald Überfüllung der Hirn- und Hirnhautgefäße mit
Blut, bald auch Blutmangel derselben (z. B. bei Verschmachtenden,
Verblutenden, Blessierten), bald eine
Vergiftung des ins
Gehirn
[* 3] eintretenden
Blutes (z. B. durch
Alkohol, narkotische
Gifte, durch
septische
Substanzen,
Harnstoff u. s. w.). Häufig gelingt es bei fieberhaften
Krankheiten, gleichzeitig
mit der Herabsetzung des
Fiebers durch kalte
Bäder, Eisbeutel und
antipyretische Mittel auch das Delirium
zu beseitigen.
Das Delirium
tremens, der Säuferwahnsinn, ist eine nach längerm und gewohnheitsmäßigem
Mißbrauch alkoholischer Getränke,
vorzüglich des
Branntweins, eintretende Hirnkrankheit, die sich durch anhaltende Schlaflosigkeit, allgemeines Gliederzittern
und
Störung der Geistesthätigkeiten (Desorientierung in
Bezug auf Raum und Zeit,
Sinnestäuschungen und
Wahnvorstellungen) zu erkennen giebt. Die
Phantasien des Säufers, die
Tag und Nacht fortdauern, bewegen sich meist um allerlei
Visionen von kleinen ihn umgebenden Körpern (z. B. Mäusen, Ratten, Fäden,
Rauch), um Gehörstäuschungen (Wahrnehmung von
Geräuschen,
Stimmen), eigentümliche Empfindungen in der
Haut
[* 4] u. s. w.; daneben treten auch
Vorstellungen
von Verfolgtwerden auf.
Dem Ausbruch der Krankheit gehen schon Tage oder Wochen vorher Appetitlosigkeit, Gliederzittern, reizbare und mürrische Stimmung sowie unruhiger Schlaf voraus;
oft wird der Ausbruch durch andere akute Krankheiten, wie Lungenentzündung, sowie durch Verletzungen, Knochenbrüche und Operationen begünstigt. Am häufigsten werden Männer zwischen dem 30. und 45. Jahre vom Säuferwahne befallen;
die Dauer desselben beträgt gewöhnlich 5-8 Tage;
leicht treten Rückfälle ein.
Die
Heilung erfolgt,
indem der
Kranke in einen längern Schlaf verfällt. Ein tödlicher Ausgang (meist infolge von
Herz- oder Hirnlähmung) ist
bei zweckmäßiger Behandlung im allgemeinen selten (in guten Hospitälern 2-4 Proz.,
unter andern Verhältnissen bis zu 20 Proz.); doch hängt die Prognose auch von den
Ursachen der Erkrankung ab, insbesondere
davon, ob das Delirium
sich im Anschluß an schwere Verletzungen, schwere innere
Krankheiten entwickelt hat oder mehr selbständig
auftritt (z. B. einfach infolge von Entziehung der gewohnten Menge, sog.
Entziehungsdelirien, welche in ähnlicher Form auch bei
Chloral-, Morphiummißbrauch vorkommen). - Die
Behandlung hat hauptsächlich auf
Erhaltung der Kräfte, besonders des
Herzens bedacht zu sein, durch kräftige Nahrung, starken
Wein, fuselfreien
Alkohol.
Die Anwendung von narkotischen Mitteln (Opium, Chloralhydrat u. s. w.) ist nur unter besondern Umständen gerechtfertigt (bei sehr unruhigen Kranken mit schweren Verletzungen u. dgl.). Das einzige Mittel gegen Rückfälle ist die völlige Unterlassung des Mißbrauchs der alkoholischen Getränke, zu der freilich die energielosen Kranken nur selten zu bewegen sind; die meisten fallen früher oder später wieder in ihr altes Laster zurück. (S. Alkoholismus.) -
Vgl.
Rose, Delirium
tremens (Stuttg. 1884).