Deïsmus
(lat.), im philosophischen Sinn der abstrakte Gottesglaube ohne außerordentliche Offenbarung, überhaupt ohne lebendige und innere Beziehung ¶
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Gottes zur Welt (im Gegensatz zum Theismus); das System, welches einen von der Welt nicht bloß geschiedenen (im Gegensatz zum Pantheismus),
sondern auch verschiedenen, ihr äußerlich gegenüberstehenden Gott als letzte Ursache aller Dinge annimmt. Charles Blount
war einer der ersten, welche sich in diesem Sinn Deisten nannten; ihm folgten vornehmlich Tindal und Morgan.
Die Denk- und Sinnesweise dieser Männer ging aus den kirchlich-politischen Wirren Englands im 17. Jahrh. und aus dem Widerspruch
der zurückgebliebenen Theologie gegen die fortgeschrittene Wissenschaft hervor. Vorgänger dieses Deïsmus
war Eduard Herbert (s. d.),
Lord von Cherbury, der zuerst den Begriff und die Zulänglichkeit der natürlichen Religion entwickelte.
Ihm nahe steht Thom. Browne (s. d.), Verfasser der »Religio medici« und andrer deistischer Schriften. Charles Blount (gest. 1693)
trat vornehmlich als witziger und ironischer Widersacher der biblischen Geschichte auf.
Bestimmter, umfassender und feindseliger wurden diese Angriffe, seitdem 1694 die Preßfreiheit eingeführt worden war und John
Locke die »Vernünftigkeit des Christentums« (»The reasonableness of Christianity«, 1695) als
Losung ausgegeben hatte. Seitdem wurde das Christentum oft geradezu als Priesterbetrug bekämpft, immer seiner historischen
Bedeutung und Grundlage beraubt. Graf Anthony Shaftesbury (s. d.) strebte eine reine diesseitige Religion der Schönheit und Tugend
an und führte eine schalkhafte Polemik gegen das Christentum als gegen eine durch den Gedanken ewiger Vergeltung
getrübte Sittlichkeit. Gleichzeitig suchte John Toland (gest. 1722) in einem Hauptwerk der ganzen Richtung (»Christianity not
mysterious«, 1696) den Wunderbegriff aus der christlichen Religion zu entfernen und kam durch Anton Collins (gest. 1729), welcher
das Recht des freien Denkens als allgemeines Menschenrecht beanspruchte, für dieselbe Richtung der Name Freidenker
auf. Thom. Woolston, der einzige Märtyrer unter seinen Genossen (gest. 1733 im Gefängnis), gebrauchte die alte Methode, die
Wundergeschichten zu allegorisieren, als Hülle für seine Angriffe auf die evangelische Geschichte. Matth. Tindal (gest. 1733)
leugnete die Idee und Möglichkeit der Offenbarung und nannte die Heilige Schrift eine Urkunde der natürlichen
Religion, das Christentum so alt wie die Schöpfung (»Christianity so old as the creation«, 1730, das Hauptmanifest
des Deïsmus
), die Kirche in Hobbes' Sinn eine Institution des Staats. Der Arzt Thom. Morgan (gest. 1743) suchte alles Geschichtliche
im Judentum und Christentum als Priesterbetrug zu entlarven. Thom. Chubb (gest.
1747) fand das Wesen des Christentums in einer auch unabhängig von ihm Bestand habenden Moralität und natürlichen Religion.
Lediglich als Mittel für Staatszwecke erscheint die Religion auch bei Lord H. Bolingbroke (s. d.). Eine Satire auf die Ideale
der Kirche stellt die »Fabel von der Biene«
[* 3] von Bernhard Mandeville (s. d.) dar. In der Weise der historischen
Kritik dagegen trat Peter Annet (gest. 1768) gegen die Auferstehung und andre Wunder ins Feld.
Endlich schlug in David Hume (s. d.) der Deïsmus
in Skeptizismus um. In der Geschichte der Kirche machte der englische (eigentliche)
Deïsmus
große Epoche. Derselbe entwickelte in sich eine Fülle des Scharfsinns und geistiger Bildung, behauptete
sich aber meist unter den höhern Ständen, gewöhnlich nur als Gleichgültigkeit gegen die Kirche sich kundgebend. In Frankreich
ergriff und steigerte der Encyklopädismus (Diderot) die negative Richtung des englischen Deïsmus
, während Voltaire von der
Geistes-,
Rousseau von der Gemütsseite her die positive Richtung desselben vertraten. In Deutschland
[* 4] entwickelte
sich der Deïsmus
teils als Evangelienkritik (»Wolfenbütteler Fragmente«, Reimarus), teils als Aufklärungsphilosophie und theologischer
Rationalismus.
Innerhalb der katholischen Kirche tragen einen rein deistischen Charakter die Theophilanthropen in Frankreich seit 1796 durch
Lareveillère-Lepeaux, mit einem Kultus der natürlichen Religion, 1802 aufgelöst, 1829 vergeblich wieder angeregt,
und die französische katholische Kirche des Abbé Chatel seit 1831, mit stark politischer Färbung. Dem Judentum gab vornehmlich
Mendelssohn einen Anstoß zu einer innerlichen Entwickelung, welche, fast natürlich zum Deïsmus
fortschreitend, als jüdische Reform
besonders in Deutschland und Frankreich Vertreter fand.
Vgl. Lechler, Geschichte des englischen Deïsmus
(Stuttg. 1841);
Pünjer, Geschichte der christlichen Religionsphilosophie seit der Reformation (Braunschw. 1880).