Datumwechsel.
Geht man von einem Punkte Europas genau 180° nach O., so ergibt sich eine Zeitdifferenz von 12 Stunden. Ist es in Europa [* 2] 1. Jan. 8 Uhr [* 3] morgens, so ist es im O. 1. Jan. 8 Uhr abends. Geht man aber genau 180° nach W., so hat man hier zu derselben Zeit 31. Dez. 8 Uhr abends. Die Frage, welches Datum dem betreffenden Meridian zukommt, ist nach wissenschaftlichen Grundsätzen mit Bestimmtheit nicht zu beantworten. Offenbar ist für die Frage auch der Ausgangspunkt der Zeitzählung von Bedeutung, und bekanntlich haben wir mehrere erste Meridiane.
Beschränkt man sich auf die Meridiane von Ferro, Greenwich und Paris, [* 4] so ergibt sich ein schmales sphärisches Zweieck als Ausgangsregion der christlichen Zeitzählung, und diesem Zweieck steht, um 180° in der Länge entfernt, ein andres von gleicher geographischer Längenausdehnung gegenüber, in welchem die Zeitbestimmung auch durch die Bevorzugung eines der drei genannten Meridiane unsicher wird. Bei der überwiegenden Bedeutung des Meridians von Greenwich muß indes dieser auch als Datumgrenze den Vorzug erhalten, und die Schiffer respektieren ihn allgemein. Wer von W. nach O. segelt, zählt den Tag ¶
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doppelt, an welchem er diese Linie überschreitet, und wer von O. nach W. reist, läßt diesen Tag aus und springt beispielsweise sofort vom 30. März zum 1. April über.
Welches Datum man an den Orten in der Gegend des 180. Längengrades zählt, hängt davon ab, von welcher Seite diese Orte entdeckt wurden. Die Holländer kamen von W., die Spanier von O., und jeder folgte selbstverständlich seinen Schiffsjournalen. Es ist sehr begreiflich, daß dann auf jeder Insel und Inselgruppe des Großen Ozeans jenes Datum weiter gezählt wurde, welches die ersten Besiedler mitbrachten. Wie sonderbar sich die Sache gestaltete, zeigt unser Kärtchen Bd. 4, S. 573, auf welchem die Datumgrenze, anstatt dem Meridian zu folgen, eine weite Ausbiegung nach W. macht, weil die Philippinen von dem von O. herkommenden Magelhaens entdeckt und später auch von O. her durch Legaspi erobert und besiedelt wurden.
Solange nun diese Inseln in ihrem auswärtigen Verkehr fast ausschließlich auf das spanische Amerika [* 6] angewiesen waren, hatten sie keine Veranlassung, von ihrem ursprünglichen östlichen Datum abzuweichen. Als aber im Anfang dieses Jahrhunderts die spanische Herrschaft in Amerika zusammenbrach und sich die Beziehungen der Philippinen zur nahen asiatischen Küste immer lebhafter gestalteten, ergaben sich aus der Datumdifferenz zwischen den Inseln und dem Festland die unliebsamsten Störungen.
Dies führte 1844 zu einer Änderung der Datumszählung, die in der Weise vorgenommen wurde, daß man den gänzlich fallen ließ und nach dem 30. Dez. sofort den zählte. Diese Änderung des Datums fand gleichzeitig auf den Marianen, die eine unmittelbare politische Dependenz der Philippinen bilden, Anwendung, und so ergibt sich also neben der nautischen Datumgrenze (180° von Greenwich) und der historischen noch eine thatsächliche oder wirtschaftliche, welche indes heute noch nicht mit Sicherheit gezogen werden kann, da die Datumzählung aller Inseln des Stillen Ozeans nicht hinlänglich bekannt ist.
Dies gilt z. B. von den Karolinen, die indes wahrscheinlich dem Beispiel der Philippinen gefolgt sein werden. Die Samoa-Inseln und sehr wahrscheinlich auch die Tonga-Inseln führen, obwohl sie östlich von 180° v. Gr. liegen, doch dasselbe Datum wie Australien, [* 7] weil ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu letzterm sehr viel regere sind als die zu Amerika. Genauere Untersuchungen würden wohl noch weitere Abweichungen in gleichem Sinne nachweisen lassen, und so ergibt sich, daß die heutige thatsächliche oder wirtschaftliche Datumgrenze unter dem Zwange der modernen Verkehrsgestaltung eine Ausbuchtung nach O. macht. Merkwürdigerweise ist die vor 46 Jahren auf den Philippinen vorgenommene Änderung der Datumzählung in der Litteratur fast unbeachtet geblieben, und es ist dem k. k. Fregattenkapitän Freiherrn v. Benko zu danken, daß er vor kurzem die allgemeine Aufmerksamkeit auf diese Verhältnisse lenkte, welche in unsrer Zeit des Weltverkehrs [* 8] erhöhtes Interesse beanspruchen.