Titel
Darmstadt
,
[* 1] die Haupt- und Residenzstadt des Großherzogtums Hessen [* 2] (s. Plan), liegt in der Mitte zwischen Rhein und Main, 145 m ü. M., da, wo die Vorhöhen des Odenwaldes und der Bergstraße in die Ebene übergehen, beinahe gleichweit von den Rhein- und Mainstädten Mainz, [* 3] Frankfurt, [* 4] Hanau [* 5] und Aschaffenburg, [* 6] nicht allzu weit vom Neckar (Heidelberg, [* 7] Mannheim) [* 8] entfernt. Wenn die geographische Lage hiernach nicht ungünstig erscheint, so verdankt doch nicht dieser, sondern ihrer Eigenschaft als Residenz, im Mittelalter der Grafen von Katzenelnbogen, in der neuern Zeit der Landgrafen, spätern Großherzöge von Hessen, die Stadt ihre jetzige Bedeutung.
Sie besteht aus der
Altstadt, mit engen u. winkeligen
Straßen, und der
Neustadt,
[* 9] welche durch das großherzogliche
Schloß und
den Paradeplatz voneinander getrennt werden. Die
Neustadt besteht aus breiten, schönen
Straßen, welche zum Teil mit
Alleen
bepflanzt sind sowie zahlreiche mit hübschen
Anlagen geschmückte freie
Plätze und mehrere große, parkähnliche
Gärten umschließen.
Sechs Eisenbahnlinien laufen in Darmstadt
zusammen, welche in zwei Hauptbahnhöfe einmünden (s.
unten).
Betritt man von den
Bahnhöfen, denen gegenüber das 1875 erbaute Bankgebäude u. vor welchen die Bronzebüste
des in Darmstadt
gebornen Chemikers Justus v.
Liebig steht, die Stadt, so gelangt
man in die wichtigste
Straße
derselben, die Rheinstraße, die auf den schönsten Platz der Stadt, den achteckigen Luisenplatz, und zum großherzoglichen
Schloß führt. An dem Luisenplatz liegen das 1881 erbaute schöne Postgebäude, das Kollegiengebäude (seit 1780), das
Ständehaus und das
Alte
Palais; auf dem Platz erhebt sich das Ludwigsmonument, eine 43 m hohe Sandsteinsäule
mit dem 7 m hohen, nach
Schwanthalers
Entwurf von Stiglmayr aus
Erz gegossenen Standbild
Ludwigs I., des ersten
Großherzogs von
Hessen.
Von dem Luisenplatz nach S. führt die breite Wilhelminenstraße zur Rotunde der katholischen Kirche (1827 erbaut von Moller), in der Nähe das Palais des Prinzen Karl, in welchem sich das Original der von Holbein [* 10] d. jüng. gemalten Madonna des Bürgermeisters Meyer befindet; nach N. zu gelangt man auf den Mathildenplatz mit dem Neuen Kollegium, dem Justizgebäude und dem Marstall. Von hier nach NW. liegt einer der neuesten Stadtteile, das sogen. Blumenthalviertel mit dem Wilhelmsplatz, auf welchem das Metzdenkmal steht.
Vom Luisenplatz nach O. schreitend, gelangt man zum großherzoglichen Schloß, einem aus verschiedenen Jahrhunderten stammenden Komplex von Bauten, der von einem tiefen, jetzt in Gartenanlagen verwandelten Graben umgeben ist. Die ältesten Teile gehören noch der Katzenelnbogener Zeit an, so der Hofkonditoreibau im Schloßkirchenhof. Die andern diesen Hof [* 11] umgebenden Bauten entstammen in der Hauptanlage der Regierung des Begründers der hessen-darmstädtischen Linie, Georgs I. (1567-96). Der Glockenspielbau wurde von Ludwig VI. (gest. 1678), die großen Massen der neuern Schloßteile mit ihren vier Pavillons sind von 1717 an durch Landgraf Ernst Ludwig errichtet.
Das Schloß enthält die dem Land gehörigen wissenschaftlichen und Kunstsammlungen. Solche sind:
1) die Hofbibliothek mit ungefähr 500,000 Bänden, darunter 1400 Inkunabeln und vielen Holzschnittwerken;
2) das Alte Museum, ägyptische, römische und germanische Altertümer, eine Münzsammlung sowie kunstgewerbliche und ethnographische Gegenstände enthaltend;
3) das Kupferstichkabinett;
4) die Gemäldegalerie, besonders ausgezeichnet durch Werke der altdeutschen und niederländischen Schulen;
5) die naturwissenschaftlichen Sammlungen, darunter die paläontologische von besonderer Bedeutung;
6) der Antikensaal. Auch das Staatsarchiv befindet sich im Schloß.
Vom Schloß nach N., den Theater- und Paradeplatz begrenzend, liegen das nach dem Brand von 1871 neuerbaute Hoftheater und das 1771 von Schuknecht errichtete Zeughaus, dessen Dachkonstruktion ein Wunder ihrer Zeit war, da sie ohne Säule den 100:50 m in der Grundfläche messenden Raum überspannt. Vor dem Zeughaus steht das 1879 enthüllte Kriegerdenkmal, zwischen ihm und dem Theater [* 12] die Standbilder Philipps des Großmütigen und Georgs I. Von hier aus betritt man den Herrengarten mit dem Grabmal der »großen Landgräfin« Karoline Henriette, Gemahlin Ludwigs IX. (gest. 1774),
welches die von Friedrich d. Gr. gestiftete Marmorurne mit der Inschrift: »Femina sexu, ingenio vir« trägt. Auf der andern Seite des Schlosses liegt der Marktplatz mit dem aus dem 16. Jahrh. stammenden Rathaus, unweit davon die Stadtkirche aus dem 15. Jahrh., im 17. Jahrh. umgebaut, mit dem Renaissancegrabmal
[* 1]
^[Abb.:
Plan von Darmstadt.]
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von Georg I. (gest. 1596). Die andern Kirchen sind: die Stadtkapelle, die schon erwähnte katholische Kirche mit den Grabmälern der Großherzogin Mathilde und des Prinzen Friedrich und die am äußersten Nordostrand der Stadt neuerbaute Martinskirche. An der katholischen Kirche befindet sich das Neue Palais, Wohnung des Großherzogs, von da nach W. der Marienplatz mit dem Denkmal der in den Napoleonischen und Befreiungskriegen gefallenen Hessen und der Kavalleriekaserne.
Die in neuerer Zeit durch einen großen Anbau vergrößerte Infanteriekaserne liegt in der Alexanderstraße, die Artilleriekaserne
in Bessungen, die Trainkaserne vor der Stadt, im W. Bemerkenswert sind die schönen, wohleingerichteten Schulbauten der Stadt,
darunter die Realgymnasialschule am Kapellplatz, die Knabenmittelschule in der Friedrichstraße, mehrere Volksschulhäuser.
Als Vergnügungslokal in der Stadt (Konzerte) ist der Saalbau zu nennen. Die Zahl der Einwohner betrug Ende des vorigen Jahrhunderts
erst 6700; 1816 zählte Darmstadt
bereits 15,391 und nach der letzten Zählung (1880) mit
der Garnison (Stab
[* 14] der 25. Division, der 49. und 50. Infanteriebrigade und 25. Kavalleriebrigade, 3 Inf.-Bat.
Nr. 115, 2 Esk. Dragoner Nr. 23, 3 Esk. Dragoner Nr. 24) 41,199 und mit Bessungen, das bereits ganz mit Darmstadt
verwachsen ist, 48,769
Einw., davon 39,880 Evangelische, 7340 Katholiken, 1352 Israeliten.
Handel und Industrie sind im Aufschwung begriffen; Gegenstände des Handels sind: Eisen, [* 15] Petroleum, Früchte, Mehl, [* 16] Wein und Landesprodukte;
die Industrie erstreckt sich auf chemische Fabrikation, Hutfabrikation, Maschinenbau, Eisengießerei,
[* 17] Tabak,
[* 18] Spielkarten, Tapeten, technische Instrumente, Bierbrauerei
[* 19] u. a. Geldinstitute sind: die Bank für Handel und Industrie,
die Bank für Süddeutschland, eine Reichsbanknebenstelle, Volksbank, Landwirtschaftliche Genossenschaftsbank u. a. Darmstadt
durchschneiden
die Main-Neckarbahn (Frankfurt-Heidelberg) und die Main-Rheinbahn (Mainz-Aschaffenburg), und es gehen davon
aus die Riedbahn (Darmstadt
-Worms) und die Odenwaldbahn (Darmstadt
-Eberbach).
An Bildungsanstalten besitzt Darmstadt
außer der Bibliothek und
den Sammlungen (s. oben) die technische Hochschule, das Ludwig-Georgs-Gymnasium, das Realgymnasium, die Realschule, die Viktoriaschule
(höhere Mädchenschule) und gute Mittel- und Volksschulen sowie Privatmädchenschulen (Hoffmannsche Schule
u. a.). Darmstadt
zählt 17 wissenschaftliche Vereine und 14 Zeitschriften, darunter 4 täglich erscheinende Zeitungen. An Wohlthätigkeitsanstalten
und milden Stiftungen besitzt Darmstadt
26, unter den Krankenanstalten sind das städtische Hospital, das Alicehospital und das Landkrankenhaus
zu nennen. Darmstadt
hat einen Zentralfriedhof, einen botanischen Garten,
[* 20] Gas- und Wasserleitung.
[* 21] Es ist Sitz der
obersten Landesbehörden des Großherzogtums, der Ministerien, des Oberkonsistoriums, der Oberrechnungskammer, der Regierung
für Starkenburg, eines Kreisamtes, Oberpostamtes, eines Hauptsteueramtes, einer Zentralstelle für Landesstatistik und Gewerbe,
eines Oberlandes- und Landgerichts für die 18 Amtsgerichte zu Beerfelden, Darmstadt
I und II, Fürth,
[* 22] Gernsheim, Groß-Gerau, Groß-Umstadt,
Hirschhorn, Höchst, Lorsch, Michelstadt, Reinheim, Waldmichelbach, Wimpfen, Zwingenberg (für welche eine Kammer für Handelssachen
in Darmstadt
besteht), Langen, Offenbach
[* 23] a. M. und Seligenstadt (für welche eine Handelskammer zu Offenbach besteht).
Darmstadt
ist der Geburtsort von H. P. Sturz, Joh. Heinrich Merck (Goethes Freund), den Kupferstechern Heß und Jakob Felsing, dem Orientalisten
F. E. Schul, Justus v. Liebig, General v. d. Tann u. a. Im benachbarten Ober-Ramstadt ist der Humorist Lichtenberg
geboren.
Die Umgebungen der Stadt sind sehr waldreich und haben namentlich im O. und S. ausgedehnte Laubwaldungen mit schönen Partien
und Spaziergängen; Vergnügungsorte sind: die Ludwigshöhe mit Aussichtsturm, Fasanerie und Einsiedel (im Wildpark), Traisa,
Ober- und Nieder-Ramstadt (Stationen der Odenwaldbahn), in größerer Nähe der Karlshof. Von den großherzoglichen
Gärten vor der Stadt sind die Rosenhöhe mit dem Mausoleum des großherzoglichen Hauses (Grabmal einer jung verstorbenen Prinzessin,
von Rauch; Grabmal der Großherzogin Alice, von der Königin Viktoria von England gestiftet, ausgeführt von Böhm) und die Mathildenhöhe
mit dem Hochreservoir des städtischen Wasserwerks zu nennen. 6 km westlich liegt der große Artillerieschießplatz,
bestimmt für das 11. Korps (Regimenter 11, 25 und 27), das brandenburgische Fußartillerieregiment Nr. 3 und
das württembergische (14.) Korps. Darmstadt
ist der Ausgangspunkt für Ausflüge in die Bergstraße und den Odenwald.
Geschichte. In Urkunden des 8.-11. Jahrh. erscheint ein Dorf Darmundestat und war bis 1257 im Lehnsbesitz der Reichsministerialen von Dornberg. Dann vom Grafen Diether III. von Katzenelnbogen eingezogen, erhielt es 1330 Stadtrecht, und bis 1375 war die alte Burg vollendet. Nach dem Erlöschen der männlichen Linie der Grafen von Katzenelnbogen 1479 kam Darmstadt durch Heirat an Hessen. 1518 hatte Darmstadt eine heftige Belagerung durch Franz v. Sickingen zu bestehen, die durch einen Vergleich endete. Im Schmalkaldischen Krieg (1546) ward die Stadt von einem niederländisch-spanischen Korps unter dem Grafen von Büren mit List eingenommen, geplündert und das Schloß in die Luft gesprengt. Darmstadt blieb nun lange Zeit in seinen Trümmern liegen.
Die Stadt erholte sich erst unter dem Landgrafen Georg I. von Hessen, der Darmstadt zu seiner Residenz wählte (1567) und Stifter der hessen-darmstädtischen Linie wurde. 1622 wurde Darmstadt von den Truppen Ernsts von Mansfeld geplündert, 1688 und 1693 von den Franzosen gebrandschatzt. Seine glänzendste Periode begann mit der Regierung Ludwigs X. (als Großherzog Ludwig I., 1790-1830). Die alten Mauern wurden größtenteils abgetragen, die Stadt nach allen Richtungen erweitert, ganze Straßen mit schönen Gebäuden und eine Menge trefflicher Bildungsanstalten gegründet. In Darmstadt wurde 1820-22 der sogen. Darmstädter Handelskongreß (zur Beratung über ein gemäßigtes Mautsystem und über gemeinschaftliche Zölle) von den Bevollmächtigten mehrerer süddeutscher Staaten gehalten und im April 1852 die sogen. Darmstädter Koalition gegen den preußischen Zollverein (s. d.) geschlossen.
Vgl. Karl Wagner, Darmstadt (Beschreibung und Geschichte, Darmst. 1842);
Walther, Darmstädter Antiquarius (das. 1857);
Derselbe, Darmstadt wie es war und wie es geworden (das. 1865);
Mitzenius, Darmstadt (Führer, das. 1871).